Alle für Einen...


Alle für Einen… - oder so ähnlich.
Ich habe mich heute ernsthaft acht Stunden mehr oder weniger durchgängig mit einem Patienten beschäftigt.
Ein kleiner Bericht meines Tages.

Morgens kurz nach 7 Uhr. Ich fahre den PC hoch, öffne unser Dokumentationsprogramm und schaue mir den Belegungsplan an. Aha… - zwei neue Patienten.
Ein Blick in die Aufnahmeinfo des ersten Patienten zeigt: Akut exazerbierte LWS – Schmerzen. Komisch, was macht der auf unserer Stroke Unit? Normalerweise gehen die doch auf die periphere Station. Also schaue ich weiter. Stark erhöhte Entzündungsparameter – Verdacht auf Spondylodiszitis. Also im Endeffekt eine Entzündung der Bandscheibe und der angrenzenden Wirbelkörper.
In den Vordiagnosen ist außerdem von einer terminalen Niereninsuffizienz die Rede – Dialyse findet drei Mal wöchentlich – unter anderem Mittwoch statt. Also heute. Da habe ich ja schon meine Aufgabe, in der Früh.
Die aufnehmende Kollegin hat aber mitgedacht und schon einen Transportdienst bestellen lassen – alles halb so wild, denke ich mir.

Ich drucke mir meine Pläne aus und mache mich auf meinen morgendlichen Streifzug durch die Zimmer. Weit komme ich nicht. „Mondkind, der neue Patient, der gleich zur Dialyse soll. Der liegt im Bett und lässt sich keinen Zentimeter bewegen und sich nicht anfassen und gar nichts. Ich habe schon die Schmerzmittelgabe vorgezogen, aber der Transport kommt gleich…“
Was machen wir da jetzt… ? - keine Ahnung. Also noch vor der Frühbesprechung den Oberarzt anrufen – das liebe ich ja. Und er wahrscheinlich auch. Die Idee ist, ihr nochmal ein Schmerzmittel als Kurzinfusion zu geben, aber da ihr das erste Schmerzmittel gar nichts gebracht hat und das schon hoch dosiert war… - sehe ich da eher schwarz.
Und dann steht auch schon der Transportdienst auf der Matte. „Sie können mich nicht bewegen – ich kann auch nicht mit dem Rollbrett vom Bett auf die Liege. Das geht nicht. Das lasse ich nicht mit mir machen…“
Der Transportdienst hat nicht ewig Zeit, der Patient lässt nicht mal einen Versuch zu – also fahren die Kollegen ohne Patient wieder ab.
Und das war erst der Anfang…

Während ich nach der Frühbesprechung mit der Dialyse – Praxis telefoniere, kommen die Schwestern und erklären mir, dass der Zugang nicht mehr liegt. Und der Patient braucht sofort einen Neuen – weil er ja Schmerzmittel braucht. Exsikkiert, keine Venen und Dialysepflichtig – schlechte Kombi. Da ich mit halben Ohr etwas von Notfall – MRT höre, beschließe ich gleich eine großlumigere Nadel zu legen und nach meinem dritten Versuch liegt die auch im Fuß. „Die Nadel bitte mit Sie ansprechen“, schärfe ich den Schwestern ein, während mir der Patient versichert, dass er den Fuß ja ohnehin nicht bewege. Nicht, weil er nicht könne, sondern weil es einfach zu sehr schmerze.

Es ist 10 Uhr und ich habe noch keinen Patienten vorbereitet. Und wie das immer so ist, ist der Oberarzt heute pünktlich. „Mondkind komm rum, wir wollen Bilder schauen…“, sagt er. „Herr Oberarzt, ich habe noch nicht mal die Hälfte meiner Patienten fertig (was schon eine Lüge ist…). Ich komme gleich…“, sage ich. Es wird beschlossen, dass die anderen erstmal alleine mit der Visite beginnen und ich dazu komme, sobald ich fertig bin.
Mit dem zweiten neuen Patienten konnte ich mich noch gar nicht beschäftigen – also tun wir das immer vor Ort, was sehr unangenehm ist, weil man ja sämtliche Fragen – auch die Einfachen –nicht beantworten kann.

Nach der Visite, auf der sich heraus stellt, dass mein Patient mit den Rückenschmerzen ein Notfall – MRT bekommt, kümmere ich mich weiter um die Durchführung des MRTs. Im Anschluss soll der Patient sofort in die Dialyse – das gilt es auch noch zu besprechen.
Der Patient sagt, dass er sich nur unter Narkose umlagern lässt. Also telefoniere ich mit dem Schmerztherapeuten, dem auch nicht mehr viel einfällt, als ich ihm erkläre, dass selbst stärkste Schmerzmittel nichts bringen. Wir könnten ihr dann ja Narkosemittel geben, sagt er. Wozu ich dann sage, dass ich als Neurologin, die den Patienten nicht mal intubieren kann, wenn er aufhört zu atmen, das sicher nicht mache. Er selbst hat keine Zeit und der OP – Koordinator kann mir auch keinen Anästhesisten schicken.
Also wieder den Oberarzt zum Rat fragen. „Komm Mondkind, wir gehen unsere Freunde besuchen“, erklärt er und nimmt mich mit in Richtung Notaufnahme. Dort telefoniert er dann mit ein paar Leuten aus den höheren Etagen und irgendwann wird uns eine Anästhesistin aus der Notaufnahme zur Verfügung gestellt.

Im Endeffekt dauert es ewig, bis der Patient endlich in der Radiologie schläft und unser Zeitfenster für die Dialyse geht langsam zu. Manchmal lösen sich Probleme aber auch scheinbar von selbst – die Schwestern bekommen den Transport nämlich erst eine Stunde später.
Das MRT des Patienten dauert ewig. Der Oberarzt will nett sein und mich zwischendurch zum Essen schicken, aber weiter als bis zur Station komme ich nicht. Dort steht nämlich schon der Transportdienst – viel zu früh - und da die Patientin noch eine Weile im MRT braucht, muss er auch diesmal unverrichteter Dinge wieder fahren. Die Dialyse – Praxis weigert sich aber den Patienten am späteren Nachmittag noch zu nehmen – also darf ich jetzt erstmal mit der Dialyse im Nebengebäude telefonieren, ob die ihn vielleicht dialysieren. Die Werte sind super schlecht – ich muss ihn irgendwo unter bekommen. Und schließlich nehmen sie ihn auch – dann gibt es die Dialyse halt in der Nacht, wenn anders kein Platz frei ist. 



Nach ein paar Stunden kommt der Patient dann aus dem MRT zurück – nach Besprechung der höheren Instanzen unter sich, gibt es aber keinen wegweisenden Befund. Keine Erklärung für die hohen Entzündungsparameter im Sinn einer Spodylodiszites, wie wir es gedacht haben. „Dann müsst Ihr den Patienten jetzt punktieren“, sagt der Oberarzt. Oh Herr Oberarzt… - wie stellen Sie sich das vor?
Ich rede bestimmt eine halbe Stunde mit dem Patienten – er weigert sich vehement. Er könne sich nicht drehen, Schmerzmittel würden nicht helfen, auch im Liegen sei es nicht möglich. Nur in Narkose… Ganz kleinlaut laufe ich zum Oberarzt. Gleich wird er mich in der Luft zerreissen, weil ich ihn den ganzen Tag beschäftige.
Er verrollt ein Mal die Augen und kommt dann mit. Spricht nochmal mit dem Patienten. Die Idee ist dann, es unter starken Beruhigungsmitteln zu versuchen. Und das funktioniert dann tatsächlich. Und da wir im Liegen nicht erfolgreich sind, setzen wir den Patienten sogar mit mehreren Personen auf und der Herr Oberarzt gewinnt dann das heiß ersehnte Nervenwasser.

Und irgendwann gegen 19 Uhr geht der Patient dann so halb weg getreten sogar ganz ohne Drama in Richtung Dialyse.

Ich habe den ganzen Tag noch nichts gemacht. Auf mich warten noch Aufklärungen, Angehörigengespräche mit Menschen, die schon sehr lang warten und Dokumentation. Die Angehörigen von einem Patienten sind schon wieder weg. Die hatten schon heute Morgen angerufen und normalerweise lasse ich wirklich alles durchstellen und sage zumindest zwei Sätze, aber das ging heute echt nicht. Und irgendwie habe ich wirklich ein schlechtes Gewissen, dass diese Menschen immer noch nicht Bescheid wissen, obwohl sie schon so oft nach mir gefragt haben.
Zwischendurch rufe ich den Seelsorger an und sage den Termin ab – dass ich aber jetzt schon wieder eine Weile alleine unterwegs bin, merkt man auch – aber was soll ich machen? Ich kann nicht im größten Chaos die Station verlassen und diesmal sind es nicht „nur“ Briefe, die warten.
Im Lauf des Tages habe ich ein Konsil vergessen anzumelden  - das schadet Niemanden, erhöht nur die Liegedauer des Patienten um einen Tag. Ich hoffe, ich werde morgen nicht geköpft dafür.

Am Abend ist Weihnachtsfeier des Klinikums und auf dem Heimweg irgendwann um 20 Uhr komme ich an der Location sogar vorbei. Als allerdings Weihnachtslieder an meine Ohren dringen, beschließe ich, dass ich mir das jetzt nicht noch geben muss. Das kann ich jetzt einfach nicht. Und verabredet haben sich die Kollegen auch nirgendwo – ich müsste zwischen all den unbekannten Menschen erstmal Jemanden finden, den ich kenne.

Jetzt gleich muss ich noch die Küche leer räumen, weil morgen die Küchenmonteure wieder kommen und das richten, das sie beim letzten Mal falsch gemacht haben. Meine restlichen Steckdosen werden sie wohl auch aus der Wand rupfen – also habe ich ab morgen Abend keinen Strom mehr in meiner Küche. Verlängerungssteckdosen lassen grüßen.
Und ich hoffe, es klappt überhaupt. Die Nachbarn sollen aus beaufsichtigen - aber die sind bis heute Abend im Urlaub... 
Pünktlich ins Bett gehen, wird also schon mal wieder nichts…

Und dann… - ist hier gerade sehr viel Unruhe. Ich versuche– vielleicht ein letztes Mal – ein paar zwischenmenschliche Dinge mit ein paar Leuten zu klären. Und daran, wie sie entscheiden werden, hängt unfassbar viel. Im Moment sieht es sehr danach aus, als würde man das aussitzen. So nach dem Motto: „Bei der Mondkind weiß man, dass sie immer noch ein Mal richtig nervt und dann still wird.“ Ich hoffe einfach, dass es gut wird. Es wäre eine Idee, um eine Mondkind ein bisschen zu retten. Um ihr ein bisschen von dem zurück zu geben, das ihr so sehr fehlt.

Mondkind

P.S. Wer mag, darf mich nächste Woche in die Studienstadt begleiten. Ich habe gestern beschlossen, dass ich fahren werde. Es wird super stressig, vor allem, weil ich erst Sonntagabend wieder komme und Montag schon wieder arbeiten muss. Aber ich bin eben Samstagabend noch auf einer Weihnachtsfeier (ich hoffe sehr, ohne Weihnachtsmusik) eingeladen.

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