Bis es uns zerreißt...
„Sag wie weit wollen wir auseinander gehen, bis es uns zerreißt, ja
Vielleicht können wir uns erinnern dran was es eigentlich heißt ein Mensch zu sein“
- Florian Künstler -
Es musste uns zerreißen.
Es gab keine andere Möglichkeit.
Nach all den Jahren.
Nach all den Versuchen.
Die selbst mit professioneller Unterstützung nicht zielführend waren.
Das was im Außen mit dieser Familie passiert ist ist das, was im Inneren schon vor so vielen Jahren passiert ist.
Das spürbar war.
Sehr deutlich.
Nur hinschauen wollte Keiner.
Dass die Antennen jahrelang Alarm geschlagen haben, ist völlig untergegangen.
Es ist immer komisch, wenn meine Schwester hier ist.
Weil es Erinnerung und Vision gleichzeitig ist.
Es erinnert ein bisschen an die Unbeschwertheit aus frühen Kindertagen, die es irgendwann mal gegeben haben muss. Als wir dachten, uns wird nie irgendetwas trennen können.
Und gleichzeitig ist es die Idee von Zukunft. Wenn die Strukturen aus dem Gestern nicht tragen, müssen wir vielleicht die des Morgen erst neu aufbauen. Vielleicht können wir uns neu finden, die Geschichte neu erzählen, die Familie wieder näher zusammen rücken.
Weihnachten.
Ein bisschen ist es, als müsste man da noch etwas ausgleichen, etwas nachholen, das es so viele Jahre nicht gab – nur unsere Jobs sind dafür ein bisschen ungünstig. Ein bisschen ist es, als müssten die Weihnachten im Heute die nicht eingelösten Versprechen des Damals einlösen. Ein bisschen als Wiedergutmachung für all die verlorenen Jahre.
Weil das immer Vision geblieben ist. Entspannt zu frühstücken am ersten Feiertag und den Tag dann wahlweise mit Spazieren Gehen, Lesen, Kakao trinken, Weihnachtsfilmen und natürlich mit der Essensvorbereitung und dem Essen selbst zu verbringen und mit den Menschen, die man mag.
Es war schon letztes Jahr der Versuch dessen und dieses Jahr versuchen wir es eben nochmal. Den kleinsten gemeinsamen Nenner dieser Familie zusammen zu bringen. Und dass die Jungs das so mitmachen, ist irgendwie auch ein großes Geschenk.
Und manchmal möchte ich dann mein früheres Ich an einem der vielen langen Tage in der Psychiatrie in den Arm nehmen das nicht glauben wollte, dass es nochmal okay werden könnte. Dass es Sinn macht auf „die Großen“ zu hören, die dazu animiert haben nicht mehr zu versuchen das Gestern zu kitten, sondern eine Idee für die Zukunft zu schaffen. Ich bin diesen Menschen so unendlich dankbar, dass die das mitgetragen haben. Diese Ideen, die ich selbst nicht tragen konnte. Und irgendwie haben wir sie zusammen über die Zeit getragen, bis die Zeiten besser wurden. „Manchmal kann man gar nichts tun. Sondern nur da sein und begleiten, bis es wieder etwas besser wird.“
Und auch, wenn wir noch weit weg vom Ziel sind, wenn noch so viel passieren kann, aber ich habe gerade das Gefühl, es könnte Sinn machen darin zu vertrauen, dass es am Ende passt. Wenn meine Schwester und ich irgendwann mal in irgendeinem Garten sitzen und unseren Kindern beim Spielen zuschauen, jeder von uns eine intakte Beziehung führt und einen Job hat, mit dem er halbwegs zurecht kommt (und ich vielleicht tatsächlich den Absprung auf die psychische Schiene der Medizin geschafft habe), ist das glaube ich alles, was ich immer für mich wollte.
Und irgendwie ist die Realität verbunden mit ein paar Träumereien immer so schön, dass es immer wirklich schwer ist, wenn meine Schwester wieder fährt. Wir sehen uns nicht oft wenn sie da ist, aber allein, dass ich weiß, dass sie nachts zwei Straßen weiter schläft, wenn ich beim Kardiochirurgen bin, schafft eine seltsame Art von Nähe. Als würde die Welt sich mal in Richtung eines Stückchens Unbeschwertheit drehen.
Mondkind
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