Psychiatrie #14 An der Heizung 2 .0
„Wie fühlen Sie sich jetzt?“,
fragt Herr Therapeut und schaut mich an. „Ruhiger“, antworte ich. „Und sicher“,
füge ich nach einer kurzen Pause hinzu.
Ich glaube, manche Krisen könnten
sich so einfach lösen lassen – dadurch, dass jemand das mit aushält. An
so vielen Stellen habe ich das – auch in diesem Blog – postuliert und gestern
war der Zeitpunkt, das auszuprobieren. Und damit endete dann ein chaotischer
Tag. Ein „Mondkind – Rettungstag“.
Frühmorgens. Ich schlage die
Augen auf und bin völlig erschlagen. Mein „Guten Morgen“, das ich als Inhaberin
des Weckdienstes durch die Zimmer rufe, ist heute leiser als sonst und kostet
mich viel mehr Kraft. Die Sporttherapie eine Stunde später ist nichts anderes
als Quälerei, obwohl die Sporttherapeutin sogar einen Volleyball ausgräbt und
wir daher mal nicht Fuß- oder Basketball spielen. Aber ich kann einfach nicht
mehr.
Das Gleichgewicht, das ich
normalerweise mit dem Aufschlagen der Augen mühsam aufstelle, fehlt. Die
negativen und destruktiven Gedanken, die sonst im Hintergrund kreisen und
dorthin von mir verdrängt werden, nutzen die Gunst der Stunde und erzeugen
unfassbar viel Druck.
Später am Morgen ist
Oberarztvisite. Da möchte ich das Thema aber nicht vor allen aufrollen. „Wenn
die Suizidgedanken akut werden, melden Sie sich beim Team – auch wenn ich Sie
nicht jedes Mal danach frage“, höre ich ein mahnendes Wort von der Oberärztin.
Wenn sie wüsste, dass mir das Wasser schon bis zum Hals steht... Aber das denke
ich nur. Irgendwie hoffe ich, dass ich das zumindest den Tag über noch schaffe.
Ein Entlassungsdatum legen wir
auch fest. Ende August. Was ich davon halten soll, weiß ich noch nicht genau.
Rund zwei Stunden später
verschärft sich die Situation dann aber doch zu sehr.
Gespräch mit dem Pfleger, nachdem
ich mein Hasenherz zusammengefasst habe. „Ich bin im Tiefflug“, leite ich ein.
Was ich dann erklären muss.
Zu müde für konstruktive
Vorschläge. Und wirklich Zeit hat er leider auch nicht. Aber er ermutigt mich
heute noch nach der ACT – Gruppe den Therapeuten anzusprechen, der auch mein
Einzeltherapeut ist.
Ergotherapie. Ablenkung durch
Malen. Funktioniert heute aber auch nicht. Alles ist zu laut und zu viel. Die
Schülerin hat indes Dienstbeginn und kommt erstmal zu mir hinunter gelaufen.
„Frau Mondkind, ich habe mir überlegt, wir backen heute Bananenkuchen. Ich habe
alles mitgebracht“, erklärt sie und deutet auf den Beutel, der über ihrer
Schulter hängt.
Gestern hatte ich sie nach dem
Rezept gefragt, nachdem sie mir ein Stück mitgebracht hatte. Irgendwie bewegt
mich dieses Bemühen um meine Person. Dass sich jemand so viele Gedanken macht.
So viel dafür gibt, um für ein paar kleine, helle Punkte im Tag zu sorgen.
ACT – Therapie. Inhaltlich
bekomme ich nicht viel mit.
Ich lasse den Menschenstrom nach
der Therapie den Raum verlassen und stehe als letztes auf. Fasse all meinem Mut
zusammen und gehe zum Therapeuten.
19 Uhr ist er durch mit all
seinen Patienten, sagt er. Dann schaut er bei mir vorbei.
Um Hilfe bitten ist anstrengend.
Erfordert Mut, wenn man sich eigentlich nur noch zusammen rollen möchte.
Erzeugt ein schlechtes Gewissen, so viel zu brauchen.
Auch der Pflegeschülerin entfällt
es nicht, dass ich heute nicht gut drauf bin. „Sollen wir reden?“, fragt sie,
als ich wieder auf der Station bin und entführt mich nebenbei schon in den
Aufenthaltsraum. Mein Kopf platzt fast, aber kann ich jetzt all die
Gedankenschleifen der Pflegeschülerin antun? Ich weiß es nicht…
Am Ende wird es aber doch ein
gutes und entlastendes Gespräch. Irgendwie ist das anders mit ihr. Vielleicht
liegt es am Alter, vielleicht an unser beider beruflichen Situation im
Gesundheitssystem. Ich erlebe sie mehr auf Augenhöhe. Das sind weniger
Ratschläge von oben herab. Sondern eher auf einer Ebene mit mir. Die sich
dadurch leichter annehmen lassen. Und irgendwie hat sie eine Menge Empathie und
Intuition. Wo auch immer sie später landet – eine Bereicherung wird sie in
diesem Job auf jeden Fall.
Nach dem Gespräch backen wir noch
unser Bananenbrot. Irgendwie erinnert es mich an längst vergangene Zeiten. Ein
bisschen an den letzten Sommer, als ich mich hin und wieder an einem solchen
Bananenbrot versucht habe. Ein bisschen an die Treffen mit einer ehemals guten
Freundin, die fast immer in einer Backaktion in der Küche endeten.
Ein bisschen Ruhe im Kopf, ein
bisschen Ablenkung, ein bisschen normales Leben.
Die Pflegeschülerin versprüht
dabei auch eine Menge positiver Energie. Es ist fast so, als würde sie mir ein
Zipfelchen von diesem Leben abgeben, das da draußen irgendwann mal auf mich
warten soll, wenn man der Vorstellung von Ärzten und Therapeuten glauben darf.
Geht sicher als Therapiekatze durch... |
Ein bisschen habe ich ja immer
noch Angst, dass Herr Therapeut mich vergisst, wenn er etwas sagt. Ich bin noch
dabei, das Bananenbrot zu schneiden, als er hoch auf die Station in die Küche
kommt.
Er nimmt mich mit. Ein paar
Sekunden später sitzen wir im Arztzimmer. Und dann erzähle ich von dem wüsten
Chaos in meinem Kopf. Davon, dass ich mit dem Druck nicht mehr umgehen kann, nicht
mehr weiß, wohin mit mir, Angst habe und mich auch ein wenig selbst sabotiere.
„Also reden wir über ein Suizid –
Szenario“, schlussfolgert er irgendwann. Ich dachte eigentlich zu dem Zeitpunkt,
das sei schon lange klar. „Das hat sich einfach zwischen meinen Hirnwindungen
eingegraben“, füge ich hinzu, als sei das eine Erklärung, stütze die Arme auf
den Tisch und lasse meinen Kopf zwischen die Hände sinken.
Es dreht sich nur noch. Nicht
mehr logisch. Nicht mehr rational argumentierbar.
Wie gut, dass in Psychiatrien in
allen Räumen Taschentücher vorrätig sind. Sowohl Herr Therapeut, als auch ich
greifen danach. Es sind nur wenige Tränen auf meiner Seite, aber es sind
zumindest mal überhaut welche.
„Zuerst mal: Für meine Gefühle
bin ich verantwortlich“, erklärt Herr Therapeut, als ich den Kopf wieder hebe
und ihn anschaue.
Es gibt nicht viel zu sagen. Das
wissen wir wohl beide. Er möchte mich unterstützen, erklärt er. Die positive
Seite stärken. Mir so viel wie möglich mit auf den Weg geben. Für mich da sein.
Leider ist das aber ein Konzept
von begrenzter Zeitdauer. Zumindest solange, wie ich mich nicht selbst halten
kann. Es sichert wieder ein paar Wochen das Überleben. Ehe ich den Anker dann
wieder woanders suchen muss. Und das macht schon jetzt Angst. Insbesondere, da
es mit diesem Vorhaben im Ort in der Ferne derzeit etwas mau ausschaut.
„Brauchen Sie noch etwas?“, fragt
er am Ende. „Nein, ich denke eigentlich erstmal nicht“, entgegne ich. „Sie
denken eigentlich…“, wiederholt er nachdenklich. „Brauchen Sie noch etwas?“,
fügt er nach einer kurzen Pause hinzu. Ich hasse diese Frage. Denn ja,
eigentlich brauche ich ganz viel. Das kann er nur ohnehin nicht leisten. Nicht alleine
sein in der Situation gehört dazu. Leider ist nur die Zeit eines jeden Menschen
begrenzt und kostbar.
„Naja… - eigentlich bräuchte ich
jetzt Jemanden, der einfach nur da ist und das mit mir aushält, aber das geht
ja jetzt nicht…“, sage ich.
„Wenn ich mir kurz die Hände
waschen darf und ein Stück Bananenkuchen bekomme…“, sagt er.
Ich bin schon… - erstaunt, muss
ich sagen.
Ich warte in der Küche auf ihn. „Ich
habe im Stationszimmer Wasser aufgesetzt“, erklärt er. Ich schaue ihn an… - und
weiß, was er vorhat. Ich habe keine Ahnung – und will auch gar nicht wissen –
was die Pflegerin denkt, als wir den Tee aufbrühen.
Und dann laufen wir mit Tee und
Bananenbrot zurück ins Büro.
Zwar sitzen wir nicht an der Heizung, aber es ist fast das Szenario, das ich mir immer vorgestellt hatte und von dem ich nicht geglaubt habe, dass das so bald mal Realität werden würde.
Eigenartige Atmosphäre. Eine
Stimmung, die für den Moment einfach nur trägt. In diesem Augenblick bin ich
sicher. Es kann nichts passieren. Die Gedanken sind ausgesprochen und hängen
irgendwo zwischen ihm und mir.
Er trägt es mit. Ein Stück dieser
Schwere und Verzweiflung. Der Druck wird weniger. Es ist aushaltbar. Ruhiger
und sicherer.
Fußspuren neben den meinen im
Sand. Für einen kurzen Augenblick ist es okay. Stoppt das Drehen in meinem
Kopf. Hat das Chaos mal Pause. Entlastung.
„Ob ich nun zu Hause am
Schreibtisch oder mit Ihnen Tee trinke – das nimmt sich nicht viel. Und ich
glaube, ich tue hier gerade etwas Gutes“, erklärt er mir, als mein schlechtes Gewissen
anklopft.
Der Mann liebt seinen Job und
lebt für ihn. Und ich bin so unfassbar dankbar, dass ich ihn als Einzeltherapeuten
bekommen habe. Ohne ihn wäre ich noch nicht halb soweit. Denn er bietet im
Moment das, was ich am meisten brauche: Sicherheit. Die Gewissheit, dass ich
zumindest die nächsten Wochen an dem Chaos in meinem Kopf nicht sterben werde,
wenn ich es schaffe, das zu kommunizieren.
Als ich am Abend unter der Dusche
wieder hervorkomme und ins Bett gehen möchte, finde ich einen Zettel unter
meinem Stofftier. Die Pflegeschülerin hält mich an, die Dinge nicht immer nur
negativ zu sehen. Schreibt, dass ich gut und wertvoll bin, so wie ich bin.
Ein bisschen Balsam für die
Seele.
Mondkind – Rettungsaktion geglückt.
Tag überlebt ohne Eskalation. Kein Gespräch über das Thema Verlegung auf die
geschützte Station. Und heute geht es weiter. Krise auffangen, bevor sie
eskaliert.
Mondkind
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