Ein Freitagabend


Viertel nach neun. Am Abend. Versteht sich von selbst. 21: 15 Uhr. Als ich das Licht lösche.

Die Stunden davor.
15:30 Uhr. Stroke Visite. Weil wir Stroke – Dienst haben am Wochenende, müssen wir da hin.  Nicht, dass wir Zeit dazu hätten, für eine Extra - Visite. Die Kollegin und ich. Nicht, dass ich bis dahin alle meine Patienten gesehen hätte. Geschweige denn einen Oberarzt an diesem Tag. Aber den Stroke – Unit – Oberarzt. Den sehen wir. Lauschen scheininteressiert seinen spannenden Fällen, von denen er zu berichten hat. Und gehen dann auf Visite. Die über eine Stunde dauert. Wenn wir unsere eigenen Patienten so gut kennen würden, wie jetzt die Patienten der Stroke Unit… Wären wir weiter.

17 Uhr. Endlich taucht auch mal unser Oberarzt auf. Patienten besprechen. Befunde besprechen. Ideen sammeln. Behandlungspläne aufstellen. Die kleine Kurvenvisite umsetzen.

19 Uhr. Ich hatte einem meiner Patienten schon am Mittag versprochen, dass ich nach der Röntgenbesprechung nochmal komme, um ihm mitzuteilen was im MRT raus gekommen ist und um zu planen, was wir weiter machen. Ich rase zu ihm. Er bedankt sich. Dass ich noch an ihn gedacht habe.
Dann noch eine Blutabnahme. Der Mann hat so gut wie keine Venen. Aber ein ganz feines Gefäß finde ich noch auf dem Handrücken. Klappt beim ersten Mal. Zum Glück.

Dann liegen da noch Ultraschallbilder von Halsgefäßen und intrakraniellen Gefäßen auf meinem Schreibtisch, aus denen noch Befunde geschrieben werden wollen. Also mache ich das auch noch.

19:30 Uhr. Video – EEG – Zeit.
Treffer. Die Patientin liefert uns einen Anfall. Ich suche noch eine Weile weiter, bin mit circa 15 Stunden durch, bis mir die Augen fast zufallen.

21 Uhr. Noch schnell ein paar Befunde ins Schwesternzimmer tragen. Aufgehalten werden. Da hätte doch keiner die Patientin am Nachmittag aus der Notaufnahme aufgenommen. Ob ich nicht noch wenigstens Bedarfsmedikation rein schreiben kann. Na wenn es sein muss…

21: 15 Uhr. Ich lösche das Licht auf der Station. Rase rüber auf die Stroke Unit, stelle dort all meine Sachen ab, die ich für Sonntag brauche und düse weiter nach Hause.

22 Uhr. Endlich daheim. Zunächst schnell Tee aufsetzen, dann flott duschen, die Haare halbwegs trocken fönen, sodass ich mich damit ins Bett legen kann. Den Tee schlürfen, dazu das letzte Stück Wassermelone vertilgen und dann ins Bett gehen .

Das Ende einer Woche. In der ich keinen Tag weniger als 12 Stunden auf der Arbeit war, viel zu wenig geschlafen habe, viel zu viele Süßigkeiten gegessen habe – ob das der Stress ist, oder ob mein Hirn – wie die Kollegin sagte – den 20fachen Zuckerverbrauch wie noch vor zwei Wochen hat – man weiß es nicht. 

Ein letzter Hauch von Sonnenuntergang aus dem Bürofenster


Der obligatorische Blick in die Mails bringt seit Tagen keine erfreulichen Nachrichten.
Ich hatte der Therapeutin nach der Entlassung geschrieben. Um mal auszuloten, wo ich aktuell mit ihr stehe. Wie es scheint… - stehe ich mit ihr auch so gut wie nirgendwo mehr. Ich glaube, ich habe mir mit dem bisschen zu viel an Ehrlichkeit in der Klinik am Ende keinen Gefallen getan. Sicher hat sie auch ein bisschen mitgelesen, was da so los war und ich nehme mal an, dass man die Formulierungen nicht zu meinem Vorteil getroffen hat.
„Schwimm oder stirb…“ Das war noch nie so aktuell wie im Moment. Der Seelsorger hat mit sich zu tun, die therapeutische Anbindung in der Studienstadt – ob es die noch gibt, weiß man nicht; im Moment ist es schwierig. Der Freund ist nicht mehr da; da bleibt nur noch einer – die potentielle Bezugsperson. Auch, wenn ich noch vorsichtig sein muss. Im Hinterkopf von den Mails weiß und gespürt habe, dass er auch kein Blatt vor den Mund nimmt und nicht merkt, wie sehr seine Worte verletzen wenn er mit irgendetwas das ich tue, nicht zufrieden ist. Und seine Erwartungen an mich sind hoch; viel höher als das, was ich leisten kann. Es ist ambivalent. Eigentlich würde ich ihn gern zumindest mal einige Zeit auf Distanz halten – andererseits: Was macht man, wenn sonst keiner mehr da ist?
Das soziale Umfeld war seit Jahren nicht mehr so zerbröselt. Ich hatte nie viel Zeit für Freunde. Da mussten ein oder zwei richtig Gute reichen. Mit der Einen habe ich mich im März so sehr gestritten, dass wir uns bis heute nicht erholt haben, der Andere ist gestorben und mein Kopfzerbrechen damit und die Sehnsucht nach ihm wird nicht weniger. Jeden Abend fehlt die kurze Sprachnachricht von ihm und mein kurzes Update vom Tag an ihn. Und das Wissen, dass „Seine Lieblingsärztin“ diesen Job irgendwie auf die Kette kriegen muss. Jedenfalls, ehrlicherweise habe ich auch gerade keine Lust mehr so viel Zeit und Energie zu investieren wie es nötig wäre, um eine neue Freundschaft auf dieses Level zu bringen – mit Vielen kommt man da auch nie an. (Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass die Lieblingskollegin Ende des Monats auf eine andere Station versetzt wird? Ich glaube nicht…)

Was ist aus all den Ideen geworden? Das Leben anders zu organisieren? Mal mehr für mich zu tun und weniger für die anderen. Im Urlaub vielleicht mal weg zu fahren. In Richtung Norden? Mit dem Zug. Stundenlang unterwegs, drei Mal Umsteigen. Viel zu anstrengend. Wie so Vieles. Also dann wohl doch nicht weg fahren.
Was ist aus der Idee geworden, den Job „nur“ als Job zu betrachten? Sich nicht mehr zu stressen? Mittlerweile macht mir das Piepen der Monitore wieder Angst, der Stroke Alarm sorgt für Herzrasen. Ich habe das Gefühl, dass ich mich umso inkompetenter fühle, je mehr Stress ich habe. Kann ich je ruhig werden, wenn Menschen um mich herum täglich um das Überleben kämpfen?
WhatsApps werden abends sporadisch beantwortet, wenn ich beim Tee trinken noch fünf Minuten Zeit habe. Manchmal auch einfach gar nicht. Telefonate werden munter aus Wochenende geschoben und von dort aus aufs nächste Wochenende.
Und so zwischendurch schlafe ich viel zu wenig, fühle mich am Morgen danach wie vom LKW überrollt und jede Nacht ist in meinem völlig überlasteten Hirn irgendwer gestorben. Immer derselbe Traum.

Wo soll das enden… ? Es scheint, als habe es die zwei Monate dazwischen nie gegeben. Als habe man die ausgeschnitten, die letzten Tage im Job und die ersten Tage des Julis an den Anfang des Septembers angeknüpft. Das war die größte Angst. Mit deren Realität ich jetzt leben muss. Und konnte man damals - in den ersten Tagen des Julis - die Mauern zumindest noch ein Mal sprengen, bevor nicht nur die Mauern, sondern auch das Leben in sich zusamnen fällt, kann man das jetzt nicht mehr. 
"Schwimm oder stirb"... war noch nie so aktuell.

Mondkind

Kommentare

  1. Sei vorsichtig mit diesen sehr persönlichen Informationen an deinen Oberarzt und damit, dass die Gespräche mit ihm diesen sehr therapeutischen Verlauf aufweisen. Er ist aus meiner Sicht nicht vertrauenswürdig und von noblem Charakter und könnte die Dinge irgendwann gegen dich verwenden.

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    1. Danke Dir, ich werde vorsichtig sein...

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    2. Der Oberarzt ist ja dein Vorgesetzter.
      Es ist verständlich, dass du dir jemanden wünschst, der da ist- zuhört- mitträgt.
      Ich denke es wäre gut, wenn das jemand ist, der dir nicht übergeordnet ist. Hast du nicht vielleicht zu der Lieblingskollegin vertrauen? Oder was ist aus der möglichen Therapieoption in der Psychosomatik geworden? Kannst du dich da nicht selbst mal hinterklemmen?
      Alles Gute!

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    3. Danke erstmal für das liebe Kommentar!

      Ja er ist mein Vorgesetzter und das ist seit viereinhalb Jahren das Problem... Wie oft habe ich mir schon gewünscht, wir hätten uns irgendwo anders kennen gelernt. Dieses Problem habe ich im PJ sogar mal angesprochen, ob das langfristig wohl funktionieren kann; da meinte er zu mir: "Wie Du siehst funktioniert es ja. Und es funktioniert sogar sehr gut..." Man muss ihm lassen - wir haben bis jetzt wirklich immer eine saubere Trennung zwischen Job und Privatem hinbekommen.
      Dennoch - auch der Freund und ich haben immer viel über horizontale und vertikale Beziehungen diskutiert und natürlich sehe ich genau die gleichen kritischen Punkte, wie alle anderen auch. Er ist allerdings mittlerweile wirklich der Mensch, der mich am Besten kennt und von dem ich schon glaube, dass er auf irgendeine Art noch da wäre, wenn bei mir die Hütte brennt - auch wenn seine Form von Hilfe vielleicht anders ist, als ich mir das wünschen würde. Das ist schwer so Jemanden los zu lassen - ich werde aber dahin kommen müssen. Irgendwann. Mitte Juni hat er mir ja mal gesagt, dass er nicht der Mensch sein kann für mich, den ich so dringend brauche - das ist in dem Drama um den Freund fast unter gegangen und irgendwie möchte ich das auch noch nicht zu nah an mich ran lassen, weil das schon auch viereinhalb Jahre Hoffen, dass er diese grundlegende Sehnsucht nach Halt und Geborgenheit von mir nehmen kann, begräbt.
      Erst das Familienproblem kitten und dann der Freund - das war immer die Reihenfolge in der ich es vorhatte - jetzt funktioniert Beides nicht; das ist schon bitter.

      Das mit der Lieblingskollegin. Ich kenne sie halt seit Mai. Und ich mag sie wirklich. Und vielleicht - wenn sie nicht so weit weg wohnen würde in irgendeinem Kaff, das man ohne Auto schon wieder schwer erreicht - würde ich sogar mal zum Kaffee vorbei kommen. Aber meine Antennen sind mittlerweile bei zwischenmenschlichen Geschichten auf Hochleistungsempfang gestellt und es würde Jahre dauern, auf eine Ebene zu kommen, auf der ich zum Beispiel mit der potentiellen Bezugsperson bin. Wahrscheinlich muss ich so etwas mal angehen, aber im Moment fehlt mir einfach die Kraft dazu. Ich habe an zwei Beziehungen jahrelang gearbeitet - beide sind gescheitert; der Eine kann es nicht, der Andere ist gestorben; es reicht mir einfach gerade.

      Über die Psychosomatik haben der Oberarzt und ich letztens nochmal geredet und denen ist auch aufgefallen, dass sie mir damit die Chance nehmen mein Psychiatrie - Jahr an der Psychosomatik zu machen. Ich würde zwar tatsächlich lieber in die Psychiatrie gehen für das Jahr, aber die Würfel sind noch nicht ganz gefallen, wenn man drei Minuten mit dem Fahrrad zur Psychosomatik fährt und 50 Minuten mit dem Auto in die Psychiatrie. Deswegen ist da noch nichts passiert.
      Dass ich ohne Therapeuten unterwegs bin, ist allerdings langsam wirklich nicht mehr schön. Mein Hirn explodiert fast; da ist so viel Redebedarf und im Endeffekt ist einfach gerade Niemand da so richtig. Und das wird sich so bald nicht ändern - es ist mir gerade ziemlich schleierhaft, woher ein guter Therapeut kommen soll...

      Mondkind

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    4. Das deine Situation nicht leicht ist, können sich alle hier vorstellen und würden dir sicher auch gerne was abnehmen. Nur leider gibt es gewisse Schritte, die nur du gehen kannst. Vertrauen ist schwer, vor allem, wenn es auch mal nicht geklappt hat. Aber ohne einen erneuten Versuch - wie z.b. intensiveren Kontakt zur Lieblingskollegin- wirst du nicht wissen, ob es nicht doch auch gut gehen kann. Trau dich, du kannst mit tollen Erfahrungen belohnt werden :-)

      Zur potentiellen Bezugsperson weiß ich nicht mehr weiter ... Ich denke Vorsicht würde dem ganzen gut tun...

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