Psychiatrie #58 Kreise


Was für ein Tag... Selbst die Orte, die sicher zu sein schienen, können das nicht mehr sein. Die Menschen, die mit mir gehen, können das nicht mehr tun. 
Die Psychiatrie schien lange ein halbwegs sicherer Ort zu sein... - bis heute. 

Der Morgen startete noch ganz gut.
Herr Therapeut hüpfte nochmal zwei Minuten vorbei. Hat Therapeutentee mitgebracht, (der natürlich nur hilft, wenn er von ihm ist...). Und eine Schnur, an der ich ein Mal ziehen durfte, während er das andere Ende festgehalten hat. Nur, um nochmal zu verstehen, dass er bleibt. Wie immer er das auch anstellen will. 

Nachdem ich höflich bei der Pflege gefragt hatte, durfte ich noch an der Musiktherapie teilnehmen, solange ich um 10 Uhr aus dem Zimmer raus bin. 
Nachdem die Mitpatienten aus der Gruppe dem Musiktherapeuten gestern noch gesagt hatten, dass die Mondkind sich heute mal vor das Klavier legen möchte, habe ich das wirklich mal getan. Ich habe mich gefragt, ob es wohl wirklich so funktioniert, wie ich mir das gedacht hatte. Aber glaubt mal... - es war wie Magie. Die ersten Töne seines Klavierspiels haben den Boden in Schwingungen versetzt und mich in Verbindung mit den Tönen das Aussen komplett vergessen lassen. Es gab nur mich und die Musik. Nach nicht mal dreißig Sekunden rollten die ersten Tränen. Trauern - und sei es nun "nur" um den Freund, von dem ich vor genau zwei Monaten erfahren habe, dass er gestorben ist - oder noch um so viel mehr, das spielt in dem Moment keine Rolle mehr. Während ich in den Minuten der Musik vor exakt zwei Monaten versucht habe die Welt mit aller Gewalt weiter zu drehen, bis ich an ihren Horizont gestoßen bin, darf sie jetzt gerade in dem Moment stehen. 
Ich kann zwischendurch kaum noch atmen und dennoch fühlt es sich - so schlimm wie das auch von aussen aussehen mag - dennoch gut an. Und neben der Tatsache, dass die Musik die Tore der Emotionen öffnet, nimmt sie mich auch emotional ganz fest in den Arm. Ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Auf dem grauen Teppich vor dem Klavier des Herrn Therapeuten. 
Wunder-, wunderschön. Hätte ich viel eher tun sollen. 

In der Reflexion rede ich von Trauer und Sicherheiten. Davon, dass ich mich auch in der Psychiatrie immer sicher und emotional umarmt gefühlt habe. Und davon, dass das heute schwierig loszulassen ist, wo ich nicht nur die schützenden Mauern der Psychiatrie verliere, sondern auch begreifen muss, dass ab spätestens jetzt das "Leben danach" losgeht. In den letzten Monaten vor seinem Tod hat der Freund sich mehr auf mich gestützt als ich auf ihn - aber es gab auch Zeiten, die andersherum waren. 

Wieder zurück auf der Station packe ich meinen Koffer zu Ende, gebe das Gepäck bei der Pflege ab und setze mich noch mit einem Kaffee nach draußen zu den anderen. Schon fast ist es wieder zu viel Reizüberflutung, obwohl nicht viele Menschen dort sitzen. 
Dann wurde ich zum Abschlussgespräch gerufen. Und was eigentlich in meiner Vorstellung unspektakulär hatte sein sollen, entwickelte sich zum Desaster. 
In Reflexion des Gesprächs von gestern könne man mich so nicht gehen lassen. Da half auch alles Argumentieren nichts - entweder freiwillig zurück auf die geschützte Station oder mit Psych KG. Also letztendlich nicht freiwillig, formal aber schon. 

Ehrlich gesagt... - ich verstehe, warum sie das getan haben. Letzten Endes geht es mir seit Tagen bis Wochen sehr, sehr schlecht und viele von Euch haben sich unter meinem letzten Blogpost Sorgen gemacht. 
Womit ich nur nicht einverstanden bin, ist der Umgang damit. Die Pflegerin die dabei sass (und die bisher eigentlich immer recht nett war), hat mir vorgeworfen das Team habe von nichts gewusst, was schließlich absoluter Schmarrn ist. Es wussten alle, es war sogar in der Oberarztvisite mal Thema wo man mir gesagt hat, es werde von alleine besser. Und letzten Endes hat man nicht mal versucht, Kompromisse zu finden. Bis zum letzten Tag nicht. Die alte Station, länger bleiben und Meldebogen hätte gereicht. Entlassen hätte ich mich so selbst nicht. Aber wenn man so lange wartet bis der Entlasstag gekommen und das Thema bis dahin beiseite schiebt wird es die geschlossene Station nicht aufgrund von Eigengefährdung, sondern aufgrund von fehlenden Bettenkapazitäten. 

Also... schließt sich hier gerade ein Kreis. Ich sitze auf der Geschlossenen Station auf einem Flurbett. Es ist unruhiger als vor knapp zwei Monaten, es wird viel gestritten. Da ich hier nichts einschließen kann und fast ausschließlich jeder Streit sich um gestohlene Gegenstände handelt, habe ich mal alles einschließen lassen, außer das Handy. 
Und jetzt warten wir. Auf den Stationsarzt von damals, dem ich klar machen möchte, dass er mich heute, spätestens morgen, gehen lassen soll. 
Ich kann nicht für alle geschützten Stationen reden - aber hier wird alles eher noch viel schlimmer als besser, das wissen wir ja schon... 

Am Ende... - reicht es nicht, wenn der Funktioniermodus am Montag wieder eingeschaltet ist. Den brauchen wir jetzt. Heute. Hier. Volle Konzentration. Voller Einsatz. Aufrecht sitzen. Klar sprechen. Höflich zum Personal sein. 
Argumentieren, dass Entlasstag in Verbindung mit dem zwei - monatigen Tag seit dem Ereignis ungünstig ist. Hoffen, dass sie mich dann morgen gehen lassen. Spätestens. 
Wissen, was man eigentlich braucht an diesem Tag. Ruhe. Wenigstens einen Menschen, der mich ganz fest in den Arm nimmt. Mir die Trauer an diesem Tag auch mal zugesteht. 
Was man nicht braucht ist: Auf der geschützten Station auf einem Flurbett festzuhängen in dem Wissen stark sein zu müssen. 
Aber das Leben hat vermutlich noch nie gefragt. 

Ich habe den Kollegen gesagt, ich sei Montag wieder da. Verloren ist das noch nicht. Nur dann - wenn ich heute nicht gehe - mit leerem Kühlschrank und ungeputzter Wohnung. Und irgendwie... - hatte ich mir den Abschied von der Station so nicht vorgestellt. Letzten Endes so abgeschoben zu werden. So deutlich zu fühlen, dass jeder froh ist, wenn ich irgendwie da weg bin. 

Ich habe versucht, denen da drüben zu vertrauen. Mich in das Team fallen zu lassen. Ich habe gehofft, aufgefangen zu werden. Aber irgendwie... scheinen alle Sicherheiten sich - ob es nun der Freund, die potentielle Bezugsperson oder eben die Menschen, die mir in den letzten Monaten versucht haben zu helfen vorsichtig in die Zukunft zu schauen - gerade unter mir aufzulösen. 
Herr Therapeut sagte noch, dass eine Verlängerung hier nicht unbedingt "Geschlossene" heisst. Der Stationsarzt von letzter Woche erklärte, dass man eine Entlassung nicht übers Knie breche, wenn es nicht gehe. Ich habe diesen Menschen einfach mal geglaubt.

Und vielleicht ist das auch ein Warnschuss, den eine Mondkind jetzt mal braucht. Es nützt nichts, sich auf irgendwen oder irgendetwas zu verlassen. Am Ende hat man nur sich selbst. Niemand anderen. Und auch in einer Psychiatrie, in der ich bisher viel Menschlichkeit erlebt habe, ist man am Ende eine Fallnummer. Nicht für alle - aber für Viele. Es ist kein Ort, der sicher sein kann. 

Wir warten. Und hoffen. Dass sich Kreise schnell schließen. Ich hoffe, ich melde mich mit guten Neuigkeiten. 

Mondkind

Kommentare

  1. Ok, ich hab dir grad geschrieben und es war weg...

    Es tut mir leid, dass du jetzt auf der Geschlossenen festsitzt, ich wollte da auch immer so schnell wie möglich weg... aber bei akuter Suizidalität kennen die keinen Spaß (und natürlich bist du jetzt enttäuscht und das ist wieder ein Vertrauensverlust). Ich hoffe, du kommst bald wieder "frei", auch wenn das schauspielern bedeutet...
    Ich hab die Diskussion unter dem letzten Blogpost verfolgt, und ich denke, du hast diese "Alles-oder-nichts"-Haltung (die auch suizidal macht). Klar, schau zu, dass du da rauskommst, aber dann lass dich krankschreiben, du landest nicht unter der Brücke, du hast das Recht auf Krankengeld. Und ich halte es auch für sehr fragwürdig, wie dort mit dir und von deinem Oberarzt mit dir umgegangen wird (gut finde ich, dass du mal ihm wirklich deutlich geantwortet hast). Wir haben vor langer Zeit mal per Mail geschrieben, ich hab dann dich immer gelesen, und du brauchst mal einen Cut, in dem du dich nur um dich selbst kümmerst. Es ist Ärztemangel, du findest überall wieder einen Job. Kümmer dich um dich und eine tragfähige Therapie (das ist nicht verwerflich, eine solche Bezugsperson zu haben, wenn man dann gesünder ist, braucht man sie nicht mehr). Ich stand schon ganz anders als du vor dem kompletten sozialen Aus - ich bin auch nicht unter der Brücke gelandet (und ich hatte damals keinen Abschluss, nur mein Abitur und meinen Status als chronisch Kranke). Steh für dich ein! Ich wünsch dir alles Gute. Dein Freund hätte dir das gleiche gesagt.

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  2. Es ist schön, zu lesen, wieviele Kommentare bin die gleiche Richtung gehen und dazu ermutigen, für sich und eine Genesung einzustehen. Die Kommentator*innen haben Recht. Du wirst nicht unter der Brücke landen, du wirst wieder auf Station herumwirbeln, wenn du das möchtest oder einen anderen beruflichen Weg finden. Aber das muss nicht jetzt sein. Nimm dir Zeit zum Trauern, für Therapie, schöne Dinge zu entdecken. Egal, ob du noch länger in der beschützen Station bist oder nicht. Du wirst Anerkennung bekommen. Aber nicht für Durchhalten bis zum S***id, sondern dafür, dass du dich um dich kümmerst und das, was du danach machst, authentisch, mit genug Energie und aufgeräumter tust. Such dir eine psychosomatische Klinik oder Reha, Tagesklinik... Lass dich krank schreiben und ruh dich aus. Es ist egal, was die Kolleg*innen und Familie sagen. Was soll's??? Du brauchst ihr Verständnis nicht, um zu wissen, was richtig ist für dich...

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  3. Hallo Ihr Beiden,
    ich antworte Euch jetzt mal in einem Kommentar.

    Von der geschützten Station bin ich ja jetzt schon mal runter und auch komplett aus der Klinik raus. Und krass, wie sehr und wie oft das hier einfach über den Tag einbricht. Ich habe echt viel mehr als vor der Klinik das Gefühl, dass das so einfach nicht geht - so sehr ich auch möchte.

    Ja das war auch immer mein Verständnis von Bezugspersonen - am Ende, wenn man es denn mal geschafft hat, braucht man die sicher nicht mehr so sehr. Was nicht heißt, dass ich Jemanden, der mir sehr geholfen hat je freiwillig aus meinem Leben schmeißen werde, aber das ist dann einfach eine andere Ebene. Es ist schön, dass der Mensch da ist, aber da sind keine Abhängigkeiten mehr.

    Ich werde am Montag erstmal auf der Arbeit erscheinen. Primär tatsächlich, weil der Arbeitgeber jetzt extremen Druck macht, nachdem noch Jemand ausgefallen ist. Aber auch, weil ich einfach keinen Plan habe, was ich jetzt machen soll. Was soll denn eine Krankschreibung noch nützen? Ich habe einfach überhaupt keine Kraft und tatsächlich auch keine Lust irgendetwas zu machen, aber das wird doch durch die Krankschreibung nur gefüttert. Ich muss irgendwie zurück in dieses Leben finden und vielleicht brauche ich nur ein paar Tage um mich einzugrooven. Oder so.
    Und zurück in die Klinik geht jetzt halt irgendwie auch nicht. Insbesondere nicht nach der Nummer. Und irgendwie waren Herr Therapeut und ich ja am Ende auch ratlos. Wie soll man "zu müde und keine Lust zu leben" behandeln. Das ist nichts Greifbares...

    Ich weiß es nicht... Ich weiß es einfach nicht. Wie das weiter gehen und wo das enden soll. Ich glaube niemand hat wirklich erwartet, dass das mit der Entlassung wirklich so kommt. Und so nach dem dritten ziemlich erfolglosen Klinikaufenthalt fehlen auch allmählich echt die Alternativen, muss man sagen. Das macht schon ziemlich hoffnungslos...

    Mondkind

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