Südtirol 2025

 „Das Feuer ist fast ein bisschen meditativ“, höre ich aus irgendeiner Ecke, als wir alle um die Feuerschale sitzen. Da hat sie wohl Recht. 
Und meine Gedanken sind schon lange woanders. Das erste Aperol meines Lebens in der Hand (upsi), in meine Strickjacke gehüllt und neben dem Kardiochirurgen sitzend. 
Einer der Gruppenteilnehmer gibt die lustigsten Sprüche von einem der Fluglehrer zum Besten. Ich kenne auch nach einer Woche keinen von denen. Weder weiß ich, wie diejenigen heißen, die um das Feuer herum sitzen. Noch kenne ich diesen Fluglehrer um den es geht. Die anderen haben die Woche gemeinsam erlebt, der Kardiochirurg war irgendeine Schnittstelle zwischen der Gruppe und mir. 
Ich weiß nicht genau, wie es sich anfühlt. Irgendwie seltsam. Irgendwie, als wäre das was ich da erlebe die Verlängerung von etwas, das doch schon zu lange bekannt ist. Außenseiterdasein. Immer diejenige, die eben nicht dazu gehört. Die anders ist. Die die Welt und die Dings anders sieht, die Prioritäten anders setzt, schon seit dem Kindergarten diejenige ist, die immer mitläuft, immer unsichtbar ist, aber Nirgendwo so richtig reinpasst. 

*** 

Vielleicht ist das nicht der Post, den man hier erwartet hat. Irgendwie lief das alles ziemlich wild.  


 

***‘

Letzter Samstagabend. 
Wir haben es – wie immer- nicht geschafft, über die Urlaubsplanung zu reden. Ich habe keine Ahnung, wie das laufen soll. Wo das eigentlich genau ist, wo die nächste Stadt ist, wie groß das Zimmer ist und ob ich dort wenigstens einen Schreibtisch habe. Ich weiß auch nicht, wie das mit dem Essen organisiert ist, ob wir da wieder – wie beim letzten Mal – irgendwo hin fahren müssen, was zwar ganz nett war, aber wofür ich definitiv keine Zeit habe. 
„Es ist schade, dass Du Dich dagegen entschieden hast, mitzukommen“, postuliert der Kardiochirurg abends auf dem Sofa.
Kumpel – wir haben nicht mal drüber geredet, wie soll ich da etwas entscheiden? Das denke ich mir allerdings nur. Ich bin zu müde, zu still geworden, zu sehr mit mir und meiner Emotionsregulation beschäftigt. Es ist ein komischer Abend. Wir essen nicht mal gemeinsam zu Abend, sondern gehen einfach nur still ins Bett. 

Sonntag
Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass er das echt durchzieht und einfach ohne mich fahren will. Nicht, dass das ein Test oder so gewesen wäre, aber irgendwie denke ich immer noch, dass es ihm doch auch fehlen müsste, wenn wir uns eine Woche wegen seines Nachtdienstes nicht gesehen haben und dann noch eine Woche nicht sehen werden. Er wuselt durch die Wohnung, sein Vario hat irgendwie so halb den Geist aufgegeben und ist ziemlich gestresst. Und ich bin ziemlich in der Asche.
Am Ende einigen wir uns, dass ich erstmal zu mir fahre, er nochmal hoch in die Klinik fährt und wir dann weiter sehen. 
Am Nachmittag gegen 14 Uhr kommt er nochmal vorbei und dann führen wir – als man ja schon längst hätte auf der Meile sein sollen – mal ein Gespräch über die Modalitäten des Urlaubs. Der Deal am Ende ist: Wir haben ein größeres Zimmer, sodass ich dort an einem Schreibtisch arbeiten kann, er fährt, sodass ich auf der Fahrt lernen kann und ich bin nicht verpflichtet, an irgendeiner Veranstaltung dort teilzunehmen. 
Und letzten Endes wäre diese Diskussion, dass er Fliegen möchte spätestens im August sowieso wieder auf uns zugekommen, wo der den nächsten Urlaub hat. Und vielleicht habe ich ja dann schon meine Prüfung hinter mir – da soll er doch auch nicht weg sein. Also lieber jetzt in den sauren Apfel beißen und ein paar Stunden Zeit verlieren, habe ich mir am Ende gedacht.

Montagmorgen ganz früh ging es los, nachdem ich bis nachts um zwei mein Zeug gepackt habe. Mit an Board fünf Ordner voller Papier und unzählige Bücher. Wir standen ewig im Stau und haben circa 10 Stunden gebraucht. 
Am Ende hat sich ziemlich schnell heraus kristallisiert, dass es wahrscheinlich doch richtig war, mitzukommen. Das Handy des Herrn hat nämlich genau am Montag den Geist aufgegeben. Wir hätten uns die ganze Woche überhaupt nicht hören können. Nicht mal kurz um zu wissen, ob es dem anderen gut geht. 




Die Flugwoche war… 
ziemlich durchwachsen. Das Wetter da oben war jetzt nicht wirklich schön und wenn es nicht gerade geregnet hat, gab es irgendwelchen Fön, weshalb man nicht fliegen konnte. Einen Nachmittag sind wir tatsächlich mal zwei Stunden auf die Alm gestiefelt und haben mal kurz bei den Kühen vorbei geschaut – ansonsten war ich aber recht diszipliniert. 
Nach dem Abendessen, was es dort im Hof gab, waren wir oft noch eine Runde um den Hof spazieren und haben dabei eine Katze mitgenommen, die wir immer an der Scheune aufgesammelt haben und die uns dann hinterher getrottet ist. Das war echt ziemlich niedlich. Einen Morgen saß ich auch nochmal eine Stunde draußen mit Katze auf dem Schoß (da wurden Psychiatrie – Vibes wach) und ansonsten habe ich brav den Schreibtisch gehütet. 
Dafür am Ende des Tages 600 Euro zu blechen ist natürlich auch nicht gerade wenig, aber nun denn… 





Vom Prinzip her ist der Plan schon aufgegangen. Etwas zumindest. Wir sind zumindest mal ein paar Tage am Stück gemeinsam ins Bett gegangen. Ansonsten hatte der Urlaub mit „Gemeinsam“ natürlich nicht viel zu tun. Er ist vor mir aufgestanden und schon los zum Startplatz, ich habe meist danach in Ruhe geduscht und bin dann zum Frühstück gegangen. Beim Abendessen waren wir immer in der Großgruppe – das war ein bisschen wie im Jugendherberge – Stil und den Tag über haben wir uns natürlich auch nicht wirklich viel gesehen. 
Für jetzt war es schon irgendwie okay, weil ich ja auch viel lernen muss, aber grundsätzlich stellen sich da natürlich schon ein paar Fragen. 

Ich habe mich oft in dieser Woche gefragt, ob ich wohl mit paragliden beginnen soll. Für jemanden, der mal Pilotin werden wollte, wäre das vielleicht nicht die allerschlechteste Idee. Und gleichzeitig stresst mich das schon, wenn ich nur höre was es da für Modalitäten gibt. Zum Ersten machen die den Schülern natürlich unmissverständlich klar, dass sie Schüler sind und einfach mal gar nichts zu melden haben. Dann muss man da in seinem Urlaub um 07:30 Uhr täglich für irgendwelchen Unterricht oder Besprechungen antanzen. Und dann muss man noch Flüge sammeln und im Anschluss eine Prüfung machen. Ich war nicht die Einzige, die in dieser Woche mehrmals das Wort Prüfung in den Mund genommen hat. 
Am Abfahrtstag frühs wollten eigentlich auch noch drei Leute Prüfung machen, aber dann hat es geregnet, sodass es nicht möglich war und dann entstand die Idee, dass man ja an einem langen Wochenende für die Prüfung nochmal her kommen könnte. Nach Südtirol mal so eben – genau. 
Ich weiß es nicht – vielleicht ist meine Wahrnehmung da aktuell etwas durch den Facharzt getrübt, aber wenn ich ein was in meinem Urlaub nicht machen möchte, dann ist es früh aufstehen und mich mit Prüfungen stressen. Das habe ich jetzt anderthalb Jahre ununterbrochen jeden Tag getan. (Allerdings denke ich mir auch, dass ich das vielleicht als therapeutischen Mehrwert im Umgang mit Prüfungen betrachten sollte. Wie kann ich mit einer Prüfung umgehen, bei der es rein objektiv betrachtet einfach mal um gar nichts geht. Kann ich das dann vielleicht mal entspannt angehen und meinen Perfektionismus etwas hinten anstellen?)
Gleichzeitig frage ich mich, wie Urlaub mit dem Kardiochirurgen in Zukunft aussehen kann. Ich stehe nicht darauf im Urlaub zu lernen, aber wie ich mich an einem Hof, der mit dem Auto 20 Minuten ein Mal die Terpentinen runter vom nächsten Dorf entfernt ist beschäftigen soll, das weiß ich auch nicht. (Und es sind wirklich Terpentinen – ich habe mich bestimmt ungelogen 20 Mal in der Leitplanke kleben sehen und wurde irgendwann schon vom Kardiochirurgen angehalten mich nicht so anzustellen, dabei hatte ich wirklich einfach Angst und war super angespannt, sodass meine Muskeln schon alle weh getan haben).
Und letzten Endes steht mal als Partnerin bei diesen Urlauben auch immer auf dem Abstellgleis. Der Wind ist immer am Wichtigsten und bestimmt den Tagesablauf. Wenn der fehlt, kann man vielleicht auch gemeinsam etwas unternehmen, wenn er da ist, dann nicht. 


Ich frage mich mittlerweile oft, ob ich zu empfindlich bin oder generell zu viel will. 
„Dann muss ich das mal mit meiner Frau besprechen“, meinte einer der Kursteilnehmer mal in Bezug auf einen neuerlichen Kurs. Das Ding ist aber: Der Kardiochirurg bespricht nichts mit mir. Der macht einfach. Ob das auch meiner Form und Idee von Urlaub entspricht, ist dabei erstmal zweitrangig. Ich kann ja mitkommen und dann ist es schließlich ein „gemeinsamer Urlaub.“ Ich betrachte das aber eher als eine Notlösung. 
Und letzten Endes spiegelt das auch nur die Dynamik der Beziehung wieder. Die Diskussion, ob ich mit ihm in irgendeinen Paragliding – Urlaub komme solange ich das nicht ansatzweise beherrsche würde sich überhaupt nicht stellen, wenn wir regelmäßig abends gemeinsam den Tag beenden würde und man nicht 700 Kilometer reisen müsste, um das zum ersten mal seit letzten September (!) ein paar Tage am Stück zu erleben. 
Meine Idee von Urlaub wäre halt schon, dass wir da einen Kompromiss finden, mit dem beide gut leben können. 

Ansonsten ist die Stimmung die letzten beiden Tage einfach echt doll gekippt. Ich bin wirklich super gereizt, muss mich ständig zusammenreißen nicht zu weinen und bin so mit Emotionsregulation beschäftigt, dass der Kardiochirurg mir schon seinen Schlüsselbund vor die Füße geknallt hat, weil er irgendwie dachte ich bin ein bisschen abwesend und ich ihm mal erzählt habe, dass ich das mit schwer dissoziativen Patienten ab und an gemacht habe. Und das Problem ist, dass ich halt wirklich gar nichts mehr gut finden kann. Ich habe das Gefühl diese Sehnsucht einfach mal still sein zu dürfen ist so groß, dass jegliche Form von Aktion – sei es gut oder schlecht – einfach zu viel ist. Die Fotos dokumentieren ein Lebensgefühl, das so nicht da war und ich hasse es so sehr, wenn es mir so geht. Und vor allen Dingen, wenn man damit überall auf taube Ohren stößt. Der Kardiochirurg kann vielleicht nichts dafür, aber er versteht es einfach nicht und auch nicht, dass ich manchmal nur eine stille Umarmung brauche und ein Gefühl von "ich bin nicht allein."
Ich bin gespannt, was das noch wird bis zum Facharzt. Ich befürchte, danach wird es eine mittelschwere Identitätskrise geben (darauf vorbereitet hat mich schon die Frau vom Fluglehrer, mit der ich oft gefrühstückt habe und irgendwann fiel das Gespräch mal auf Dinge, die man so mit Anfang 30 erreicht hat – außer einem sehr strebsamen Dasein kann ich da echt nichts vorweisen…) und ob ich danach arbeitsfähig bin, will ich mal stark anzweifeln. Allein bis dahin wird es glaube ich schwer. 

So – ich vergrabe mich erstmal wieder und gelobe den Blog nach dem Facharzt wieder gewissenhafter zu führen. Ab Morgen habe ich erstmal die ganze Woche Spätdienst. 12 Stunden Arbeiten + drei bis vier Stunden lernen pro Tag wird dann auch wieder wild.

Mondkind

Vielleicht ist es ein Zeichen, dass das der letzte Blick auf die Berge gestern Abend war.


Kommentare

  1. in einer beziehung sollte frau/man sich nicht verbiegen. statt, dass du paragliden lernst & um herrgottsfrüh in einem urlaub aufstehen musst, überlege dir doch nach dem facharzt, was DICH interessiert, was DIR einen ausgleich zum harten job bietet...denn so stehst du ja dauernd unter einer anspannung. war da nicht mal was mit "keyboard lernen"? willst du das nicht nach dem facharzt angehen? ich denke, dies würde auch eurer beziehung gut tun, wenn er sieht, dass du nicht nur emotional abhängig von ihm bist, sondern auch deine eigenen interessen hast. vielleicht kann so ja mehr nähe entstehen- paradoxerweise. er mag eine unabhängige frau. dass du aber auch nochmals genauer über die beziehung nachdenkst, wäre auch sehr sehr nötig. denn ihr scheint einfach zu verschieden zu sein, zB punkto nähe-distanz bedürfnis und so vielem mehr... aber dich zu verbiegen, nur damit ihr ein gemeinsames hobby habt, bringt dir & letztlich auch eurer beziehung nichts.

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    1. Naja was hat es mit Unabhängigkeit zu tun, sich quasi nie zu sehen...? Wir sind gestern Nachmittag hier angekommen; ich habe weder einen guten Morgen noch eine gute Nacht von ihm gehört - und es ihm selbst natürlich gewünscht. (Wer sich wundert - ich habe ihm mein altes Handy mitgegeben, ich war selbst ganz erstaunt, dass das nach fünf Jahren im Schrank noch funktioniert... - aber er braucht auch eins für seine Rufdienste und hatte selbst gefragt, ob ich ihm eins leihen kann).
      Sobald ich aus seinem Blickfeld bin, existiere ich für ihn quasi nicht mehr - ich finde das nicht okay. Wir drehen uns hier seit mittlerweile zwei Jahren um die absoluten Basics einer Beziehung und ich kann nicht sagen, wie müde ich davon bin.

      Das mit dem Keyboard stimmt übrigens, die Idee kam mir auch im Urlaub, dass ich ja mal Unterricht nehmen wollte, um das etwas professioneller zu lernen. Und auf ein Pferd wollte ich mich eigentlich auch mal wieder setzen - wobei das gar nicht so leicht wird in diesem Job, das ist schon ein sehr zeitintensives Hobby...

      Mondkind

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