Über Paarbeziehung, Ansprüche und den Freund

Ich klopfe am Büro nebenan.
„Hey, hast Du mal einen Schlüssel? Ich hab mich ausgeschlossen bei mir.“
Die Kollegin schmeißt ihren Schlüssel über den Tisch, ich schließe bei mir auf und gebe ihn ihr zurück.
Bloß gut geht bei uns jeder Schlüssel für jeden Raum.
Das Telefon habe ich heute auch schon drei Mal irgendwo verlegt.
 
Ich mag solche Tage nicht, an denen Konzentration ein Fremdwort ist.
Einfach gefühlt nichts geht.
 
Manchmal kommt’s mir vor, als hätte ich mich selbst verloren.
 
Ich würd gern Worte finden, aber manchmal ist’s schwer.

 
Ich denk ein bisschen über den Vortrag von gestern nach. Der Chef der Psychosomatik, der auch Paartherapeut ist, hat ihn zusammen mit seiner Frau gehalten.
Ich frag mich, warum ich mich oft in dieser Beziehung wie ein Fass ohne Boden fühle. Das war doch früher nicht so. „Mit Ihrer eigenen Ursprungsfamilie kriegen Sie das nicht mehr hin. Aber Sie können eine neue Familie gründen.“ Als sei das eine neue Welt. Als gäbe es da Aussicht auf den lang ersehnten Frieden.
Dass Beziehungen eine Reinszenierung der Elternbeziehung sind, weil man seitdem niemanden mehr so nah an sich dran hatte und das alle alten Beziehungs – Dinger reaktivert – so schlau hätte man aber sein können.
Ich hinterfrag mich still. Das war doch früher nicht so. Mit dem verstorbenen Freund war es nicht so. Aber warum? Warum schien es da so, als könnte ich eine alte Tür hinter mir schließen und mir den neuen Weg ganz unabhängig aussuchen. Und warum ist es jetzt nicht so? Sicher hat sein Tod mehr hinterlassen, als man das so am Anfang dachte an Verletzungen. Vielleicht kam es da wieder. Dieses „egal was Du machst Mondkind, keiner kann je lange bei Dir bleiben.“ Vielleicht konnte ich es bei ihm einfach verdrängen, weil ich glauben wollte, dass Neuanfänge möglich sind?
Ich weiß es nicht. Aber Nähe war etwas, das mir immer schon gefehlt hat. Schon als Kind. Habe ich alle die Kinder beneidet, die von ihren Eltern in den Arm genommen wurden.
 
Ich denk nach über ein Gespräch mit Kolleginnen. Mit zweien habe ich die letzten Tage geredet. Beide kamen aus der Neuro hierher.
Eine ist zu großen Teilen wegen der Familienplanung hergekommen. Ich habe das immer sehr verurteilt, weil ich das für „keinen Grund“ befunden habe, aus einem somatischen Fach weg zu gehen. Aber dann merke ich, dass das Sinn macht, was sie sagt. Und ich denke ein bisschen über den Kardiochirurgen und mich nach. Wie sollten wir das eigentlich schaffen. Einer in der Neuro und einer in der Kardiochirurgie und dann noch Kinder jonglieren? Muss man nicht irgendwann einsehen, dass das Kapazitätsgrenzen gibt und Prioritäten neu ausrichten?
Und gleichzeitig – so überlege ich – würde uns das natürlich schon in eine „klassische Familie“ bringen. Es wäre in der Psychosomatik sicher sehr viel besser möglich, die Arbeit der Familie anzupassen, als in der Kardiochirurgie. Und gleichzeitig möchte ich aber keine „bessere Hausfrau“ werden nach diesem Studium und der Facharztausbildung. Und dann fällt mir irgendwann ein, dass man sich aber – vielleicht nicht jetzt, aber irgendwann – mal überlegen muss, wie man sich das eigentlich konkret vorstellt mit der Familie. Denn das braucht einen immensen Zeitfaktor, den man eben nicht ganz bedenkt, wenn man immer sagt: „Naja irgendwann möchte ich schon mal eine Familie.“
 
Mit einer Kollegin rede ich dann über Ansprüche des Außen. Bis sie irgendwann sagt: „Mondkind, ich hatte das am Anfang auch. Die Leute dachten, ich bin verrückt, wenn ich in die Psychosomatik gehe. Mein Mann hat weiterhin in der Neuro gearbeitet, der hat überhaupt nicht verstanden, was ich hier mache. Und ich hatte eine Zeit, in der habe ich mich so minderwertig neben ihm gefühlt, dass ich dachte, ich gehe zurück. Und dann habe ich mich aber hinterfragt. Warum brauche ich die Bestätigung des Außen? Und warum kann ich meinen Job nicht wertschätzen. Jeder vierte Patient beim Hausarzt sitzt dort wegen psychischen Problemen. Und mittlerweile interessiert mich das nicht mehr. Jeder soll das machen, was ihm Spaß macht. Aber nicht, weil es von irgendwem erwartet wird.“
Ich denke darüber nach, dass ich genau das gleiche Problem habe. Die Familie vermittelt, dass Psychosomatik weniger wert ist, als alle anderen Fächer. Wir erinnern uns alle an meine Oma, die der Meinung ist, dass ich nicht in der Psychosomatik sein kann, wenn ich mit Florian zusammen bleiben will. Und warum will ich eigenltich zurück in die ZNA? Muss man nach vier Jahren das Glück weiter heraus fordern, das man an manchen Ecken unverschämt viel gehabt hat? Braucht man diese Nächte, aus denen man mehr tot als lebendig kommt. Finde ich persönlich das geil oder ist es dann doch eher, um mal zu zeigen: Hey, ich mache übrigens auch etwas.
Ich glaube, in der Psychosomatik zu bleiben, heißt auch, sich nochmal ganz intensiv auseinander zu setzen mit den eigenen Prägungen. Du kannst jetzt halt auch nicht behaupten: „Ich habe mindestens 25 Jahre meines Lebens gelernt, dass es nie genug ist und immer noch besser geht und dann hat sich irgendein Schalter umgelegt und ich habe das alles vergessen.“ Natürlich fühle ich mich oft klein und dumm in dieser Medizinerwelt, wohingegen ich in der Neuro sowohl unter den Kollegen, als auch nach Außen einen ganz anderen „Wert“ hatte.


Eben dieser Psychiater, der den oben zitierten Satz über die Familie geschrieben hat, hat mir heute übrigens geschrieben. Er war der Lieblingspsychiater vom verstorbenen Freund und ich habe ihm im Dezember, als ich in der Studienstadt war, mal durch die Ambulanz hüpfen sehen. Ich weiß, dass die beiden sich auch außerhalb der Klinik über den Weg gelaufen sind im Rahmen von Selbsthilfegruppen, Ehrenamt und Ex – in – Ausbildung. Deshalb hatte ich ihm geschrieben, ob er mir vielleicht helfen kann, dieses Puzzle weiter zusammen zu setzen. Er hat sich erstmal entschuldigt, dass die Mail im Vorweihnachtsstress unter gegangen ist (bitte wer durchforstet fünf Monazte danach seine Mails?) und hat dann aber gesagt, dass er sich an ihn erinnern kann. Und dann war es bei mir vorbei. Ich weiß, wie krass viel ihm das bedeuten würde, dass dieser Typ vier Jahre später noch weiß, wer er ist. Allerdings meinte er, dass seine Erinnerungen zu blass sind, um das mit mir zu rekonstruieren und er das natürlich auch nicht scharf trennen könne, was im beruflichen Kontext und was außerhalb dessen gesagt wurde. Aber er hat mir empfohlen, mich mit den Ehrenamtlichen in Verbindung zu setzen und Verständnis für meinen Wunsch geäußert, Licht ins Dunkel zu bringen.
Ich habe die Mail heute auf der Arbeit gelesen, weil ich noch einen Termin verschieben musste und auf eine andere Mail gewartet habe. Ich weiß nicht, wie ich danach weiter arbeiten konnte.
Natürlich ist immer die Frage, wie viel man da auch noch investieren kann und will. So viele Jahre danach. Muss es irgendwann mal gut sein. Ich weiß es nicht.

Und ganz zum Schluss ist die Kollegin krank, mit der ich morgen auf das Konzert wollte. Vielleicht fahren wir morgen um die Mittagszeit los. Aber wenn man in die Geburtsstadt fährt, muss man eigentlich schon ein Mal in der Altstadt gewesen sein. Das ärgert mich schon arg, ich habe ich sehr auf das Wochenende gefreut und jetzt werden wir halt gerade so zum Konzert da sein und Sonntag auch recht zeitnah wieder fahren. Wenn das überhaupt klappt mit ihr…
Naja, ich werde berichten im Nachgang… 

Ich habe heute echt schon drei Freunde angerufen, aber natürlich sind so spontan zum Freitagabend auch alle beschäftigt. Mich überfordert das alles ziemlich. Manchmal.

Mondkind


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