50 Monate

Mein lieber Freund,
schon wieder ist ein Monat vergangen.
Die Zeit rennt im Moment.
Auch wenn draußen weiterhin 30 Grad sind, sind die Nächte doch schon etwas kühler und man wird sich wohl damit anfreunden müssen, dass der Sommer sich bald dem Ende neigt.
Meine Zeit in der Psychosomatik neigt sich indes auch bald dem Ende. Der letzte Monat ist angebrochen. Tatsächlich wird meine Gruppe ein neuer Rotand aus der Neuro übernehmen. Ich wette, er wird es nicht besonders lustig finden. Meine Sektion ist verwöhnt von meinem Enthusiasmus ;)
Ich gehe erstmal zurück auf die Stroke Unit. Da ich damit gerechnet hatte, dass ich bestimmt auf die arbeitsintensivste periphere Station komme – so hatte es zumindest eine Kollegin prophezeit, die dort arbeitet, weil sie das wohl gehört habe – ist das schon mal besser, als erwartet. Einzig die Spätdienstwochen werden sicher ein Problem – einerseits kann man da frühs Termine wahrnehmen; inwieweit ein Morgen aber existiert, ist bei fünf Tagen mit knapp 12 Stunden Arbeit hintereinander aber auch sehr fragwürdig… Für die Beziehung wird es sicher auch nicht förderlich. Da fällt eine Woche in der wir uns sehen könnten von meiner Seite aus kategorisch raus, wenn er noch eine Woche Nachtdienst hat… - aber gut, wir sind es gewohnt; irgendwie.
Und natürlich habe ich ein bisschen Angst. Vor den Diensten, die dann wieder kommen. Den Dienstplan für Oktober habe ich schon gesehen. Da stehen zwar noch keine 24 – h – Dienst drin, aber sieben Tage ohne Pause sind bei regelmäßigen Überstunden eben auch eine Hausnummer… Ich weiß, ich habe das schon einmal geschafft, aber trotzdem…

Weißt Du, es ist irgendwie komisch.
Es ist so ein Pendeln.
Auf der einen Seite liegt dieses Leben, das ich mir wünsche, vor meiner Nase. Auf der anderen Seite ist es doch nicht greifbar.
Im Moment bin ich noch in der Psychosomatik, aber langsam wird mir schmerzhaft bewusst, dass die Zeit hier sehr endlich ist, dass es bald Abschied nehmen heißt und dass ich das zwar hoffe, aber gar nicht weiß, ob ich sechs Monate später auf meinem alten Arbeitsplatz sitze.
In der Neuro scheint man den Braten zumindest mal nicht zu riechen, wenn man mich erst sechs Monate auf die SU und dann auf die periphere Station setzen möchte. Eigentlich dürfte ich ja die periphere Station gar nicht mehr erleben.
Ich weiß nicht, ob sich beruflich irgendetwas aktuell nicht wie Versagen anfühlen könnte. Zurück in die Neuro zu gehen bedeutet auf der einen Seite mich selbst zu boykottieren, auf der anderen Seite hoffe ich, dass ich schnell wieder rein finde und wieder einen Plan von dem habe, das ich tue – was man in der Psychosomatik nicht unbedingt behaupten kann. Das war schon auch schön mit vier Jahren Berufserfahrung auf dem Buckel Dinge auch mal entscheiden zu können, müssen und dürfen, ohne massiv unsicher zu sein. Geschätzt zu werden für die Kompetenz. Und ich habe im Gefühl, dass das ein ganz starker Faktor sein wird, der mich mehr an die Neuro binden wird, als mir lieb ist.
Nur ist die Neuro eben eigentlich nicht das Leben, das ich mir wünsche. Ich habe mich über die Jahre nur so gut angepasst, so sehr darüber definiert, dass ein Loslassen von etwas, das gar nicht gut zu mir passt, irgendwie auch schwer und schmerzhaft ist.

Und dann… - naja, die Beziehung. Ich war viel wütend und traurig in den letzten Tagen und Wochen. Seit dem Urlaub haben der Freund und ich sich wenig gesehen, wir haben nicht mal die letzte Urlaubsrechnung miteinander besprochen, geschweige denn, dass wir mal tiefsinnige Gespräche oder sonst irgendetwas geführt hätten. Du glaubst nicht, wie sehr mir die Café – Dates fehlen und jeden Tag, wenn ich auf dem Weg zur und von der Arbeit am neuen Café um die Ecke vorbei radele, muss ich daran denken. Ich würde hier so gern mit Dir sitzen und es ist wirklich ziemlich fancy, nur leider findet sich höchst selten Jemand, der Lust darauf hat, dort zu sitzen. Den ganzen Sommer über ist das streng genommen nur ein Mal vorgekommen mit ein paar Kollegen.
Und dann denke ich an uns und daran, dass ich ja in meinem Leben sogar schon mal so weit war zu planen, mit wem zusammen zu ziehen. Und es dann doch nie erlebt habe wie es ist, abends nach Hause zu kommen und da ist jemand. Regelmäßig.
Eigentlich könnte man sich fragen, wo das Problem ist – wir wohnen im selben Ort – und verstanden habe ich das bis heute nicht so richtig, aber Fakt ist, dass dieses damals fast erreichte Ziel wieder in so weite Ferne gerückt ist und es ja – wenn man ehrlich ist – auch nicht sicher ist, dass das je passieren wird, bevor wieder irgendetwas anderes passiert.

Und manchmal bin ich im Moment auch sehr traurig darüber, wie viel ich eigentlich verpasst habe. Schau mal wie viele Sommer ich in Psychiatrien verbracht habe und meistens war ich aber schon irgendwie froh, den Sommer über dort sein zu „dürfen“, weil das immer noch besser war, als den in irgendwelchen sozial desolaten Strukturen zu verbringen. Aber so retrospektiv – ein Sommer war das nicht.
Und jetzt sind wir alle in Arbeit, Facharztvorbereitung und sonstigen Verpflichtungen gefangen, leben unser Leben im Krankenhaus und sehen nicht mal den Partner regelmäßig. Und vielleicht denken wir beide „irgendwann in der Zukunft werden wir dieses oder jenes tun“ ohne zu wissen, ob es die gibt. Ich habe schon mal gedacht „in der Zukunft…“, die es dann eben nie gegeben hat. Es fällt mir manchmal schwer dem anderen zuzugestehen, dass er seine Prioritäten anders setzen darf, was auch nachvollziehbar ist, wenn man die krasse Endlichkeit, die alles hier hat vielleicht noch nie so vor die Füße geschmissen bekommen hat und nie gezwungen war sich damit auseinander zu setzen, was am Ende des Tages für einen selbst wirklich zählt. Ich weiß, ich habe Dir auch immer gesagt „der Job ist erstmal das Wichtigste.“ Ich würde das heute nie wieder tun und ich weiß heute, dass es dich damals so sehr frustriert haben muss, wie es mich heute auch durch das Gegenüber tut. Sicher, manchmal ist es nicht planbar in unserem Job, manchmal müssen wir uns einfach um Dinge kümmern, bevor wir nach Hause gehen – wir haben eine Verantwortung, wir können niemanden sterben lassen, wenn wir es verhindern könnten. Aber ich bin weiterhin der Meinung: Es wäre nicht immer und nicht so regelmäßig nötig, dass ein Privatleben quasi nicht planbar ist.
Aber wem sag ich das? Manchmal habe ich die Vorstellung Du sitzt da oben und denkst Dir: Na siehst Du Mondkind, jetzt musst Du auch mal das aushalten, was ich so lange mit Dir aushalten musste.
Manchmal denke ich, Du warst schon ein bisschen älter als ich, vielleicht nicht mehr darin gefangen hauptberuflich Weltverbesserer sein zu wollen und hattest vielleicht schon das verstanden, was ich mit Deinem Tod schmerzhaft begreifen musste.

Also was ich sagen möchte – unter anderem – es ist so eine unglaubliche Diskrepanz zwischen dem, was möglich sein könnte und dem, was real gerade ist. Und ich glaube, manchmal hält mich die Vorstellung von dem, was eben sein könnte und manchmal lande ich unsanft auf dem Boden der Tatsachen und realisiere, dass ich sehr, sehr weit weg davon bin.
Ich kann Dir nicht sagen, ob ich irgendwann mal in einem Job sein werde, der sich nach mir anfühlt, abends die Kinder ins Bett bringe und irgendwann der Ehemann auch nochmal nach Hause kommt. Und manchmal denke ich eben, ich hätte all das schon haben können, wenn Du nicht gestorben wärst. Es wäre schon klar gewesen, dass wir uns mit Familie und allem ein bisschen beeilen müssten – allein aufgrund Deines Alters. Damals hat mich das immer gestresst, weil ich das alles gar nicht wollte. Nicht vor dem Facharzt, habe ich Dir damals gesagt. Wahrscheinlich ist das auch weiterhin ein vernünftiger Gedanke. Aber wenn aus einer realen Möglichkeit ein großes Fragezeichen wird… - na ich weiß nicht.

Ich vermisse die Stadt. Diesen Ort. An dem wir so oft gesessen und geredet haben...


Ich habe ehrlich gesagt große Angst, dass ich irgendwann mal so wie einige meiner Patienten irgendwo sitze und dann sinniere: Ja, der Start ins Leben war scheiße und schwer, meine Eltern konnten mich nicht unterstützen, aber ich hab’s trotzdem irgendwie geschafft. Dann sind ein paar traumatische Dinge passiert, die mich wieder ein paar Jahre raus gekegelt haben und dann hätte es die Möglichkeit gegeben die Dinge am Schopf zu packen und zu realisieren, aber irgendwie ging es dann auch nicht und irgendwie habe ich mich dann doch auf der Arbeit – in der Neuro – verloren, weil ich dort zumindest nicht nachdenken musste, weil die Tage so vorbei geflogen sind, weil die Fragen des Lebens sich nicht mehr gestellt haben, wenn man quasi auf der Arbeit wohnt und abends nur ins Bett gefallen ist.

Naja… - ich muss mal los düsen, heute ist AGUS – Gruppe und danach werde ich mutmaßlich einfach nur ins Bett fallen.
Halt die Ohren steif okay? Ich vermisse Dich und Du fehlst hier. Immer noch so oft.

Ganz viel Liebe
Mondkind

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