Über Bindungsverhalten

Die Woche war hart.
Sehr hart.
Immer noch Unterbesetzung auf der Station, zwei Dienste und damit auch zwei Nächte, in denen ich glücklicherweise sogar je eine Stunde schlafen konnte.
Ich habe mich sogar für die Sonntagnacht angeboten, die noch zu verteilen war, aber offensichtlich brauchte man mich nicht. Wäre sonst auch meine Dritte in Folge gewesen, vielleicht wollte der Oberarzt andere Lösungen.

Tagesüber arbeiten, abends versuchen den Kardiochirurgen ins Gespräch zu bringen, nachts reflektieren.
Wenn wir es nicht ausdiskutieren, dann werden wir wahrscheinlich irgendwann einfach wieder aufhören darüber zu reden, bis es das nächste Mal eskaliert. Und da wir heraus gearbeitet haben, dass ich das absolut nicht abkann, wenn Dinge passieren, von denen ich nichts weiß – wie zu Beispiel ein Dienst, der zwar im Dienstplan stand, aber von dem ich nichts wusste, weil er seine Dienstopläne nicht teilt oder selbst nicht rein schaut – wird das wohl nicht lange dauern.
Einen Dienstplan für Februar habe ich nicht gesehen.

„Naja, also ganz normal sind Sie nicht. Sonst würden Sie nicht anderthalb Jahre lang in so einer Beziehung bleiben“, hatte der Intensivoberarzt zuletzt gesagt.
So ganz kann ich das ja selbst nicht verstehen. Es ist schon komisch etwas zu tun von dem man weiß, dass man es nicht tun wollen sollte. Ich kann schon gut verstehen, dass die anderen das langsam weder sich anhören noch zuschauen könnten. Wenn ich von außen drauf schauen könnte, würde ich es wahrscheinlich auch ziemlich bekloppt finden.

Ich denk über Beziehungen nach und darüber, was ich da erlebt habe in meinem Leben.
Der verstorbene Freund war DIE Ausnahme meines Lebens. In den letzten Tagen habe ich viel darüber nachgedacht, wie sich das angefühlt hat, damals in den ersten Zügen. Nach unserem ersten Spaziergang kam es mir vor, als müssten wir uns mindestens zehn Jahre kennen. Ich habe in meinem Leben davor und danach niemanden gekannt, der so zuverlässig und bemüht und unterstützend war, sich so um mich gesorgt hat, ständig angeboten hat dieses oder jenes für mich zu tun, damit ich den Rücken frei habe. Ich habe das selten angenommen, wollte die Autonomie nicht abgeben, mein Leben selbst im Griff haben. Kurz nachdem wir uns kennen gelernt haben, haben wir uns fast verloren. Es war ein Missverständnis, wie sich am Ende heraus gestellt hat. Ich hatte mich dann zurück gezogen, wahrscheinlich weil ich dachte, dass so ein zwischenmenschliches Band sicher keine Realität sein kann und er hatte sich auch nicht mehr gemeldet. Ich hab zwei Mal in meinem Leben im Zug geweint glaube ich. Ein Mal, als wir uns dort zufällig wieder getroffen haben nach ein paar Wochen und uns versprochen haben uns nicht mehr loszulassen (das Schicksal hatte es schwer mit uns…) und ein Mal, als ich das erste Mal von seiner Mum nach seinem Tod nach Hause gefahren bin.
Manchmal denke ich, vielleicht hätten wir die Wende sein können.
Und manchmal denke ich, dass das vielleicht doch zu viel Illusion ist.

Ich hab schon ab und an mal gedacht und auch gesagt, dass der Kardiochirurg mich von seinen Verhaltensweisen manchmal ziemlich an meinen Papa erinnert.
Ich glaube, das ist kein Zufall.

Bindungserfahrungen prägen unser Bild von Normalität. Und die waren in den ersten Jahren eben nicht gut. Geprägt von sehr viel Autorität, von Unterordnen, Leistungsbezogenheit. Manchmal frage ich mich: Gab es überhaupt Bindung? Wir haben alle unter einem Dach gelebt, aber ich kann mich erinnern, dass das Leben ein ständiges Jonglieren war. Durchschlängeln. Die Eltern haben viel nicht mitbekommen von dem, was in meinem Leben los war. Mein Erleben, meine Gedanken, Wünsche und Ideen mussten von dieser Familie, die Kern sein sollte, die halten sollte, ferngehalten werden. Das hat nur dafür gesorgt, sich angreifbar und verletzbar zu machen und das war nicht zu empfehlen.
Und zu all dem, was im Innen passiert ist, haben sich ja auch ziemlich offensichtlich die Eltern getrennt. Ich kann mich erinnern, in manchen Momenten war das auch Erleichterung. Weil das die Verbildlichung war von dem, das wir wahrscheinlich alle im Innen gespürt haben.
Und doch gab es da den immensen Wunsch unserer Mutter diese heile Welt aufrecht zu erhalten, mit allen Mitteln – auch wenn wir emotional nicht weiter hätten voneinander weg sein können.

Bindung hieß so viele Jahre Anpassungsleistung. Sein, wie die anderen mich sehen wollten, um meine Ruhe zu haben, um fernab an meinen Träumen zu basteln und oft habe ich mich Weggeträumt in irgendwelche Scheinwelten.
Leben zu Hause war ein Reagieren auf die Umstände.

Irgendwie hatte ich wohl immer eine grobe Ahnung davon, dass das Leben da draußen auch anders sein kann. Und trotzdem habe ich auch den Tod des Freundes in die Bindungswelt hinein interpretiert, die ich kannte.
Ich habe bis heute oft das Gefühl, dass ich meine Hände zu weit ausgestreckt habe, dass ich unbedingt raus aus diesem Bindungschaos in meiner Ursprungsfamilie wollte, aber mir das nie zugestanden hätte. Und deshalb musste er auch sterben. Ich wollte zu viel.

Leben mit dem Kardiochirurgen ist das, was ich kenne.
Diese ständige Nichtverfügbarkeit. Dieses ständige Bedrohtsein. Dieses „Naja wir besprechen in der nächsten Zeit mal alle tiefen Themen (wahrscheinlich dauert das drei Jahre und läuft am Ende trotzdem auf Orga – Themen hinaus) und dann entscheiden wir, ob wir die Beziehung weiter führen, oder nicht.“
Auf eine paradoxe Weise ist all das irgendwie eine vertraute Sicherheit. Gefilde, in denen ich mich bestens auskenne. Ich habe fast 20 Jahre so überlebt. Mit irgendwelchen schrägen Bindungsmustern, mit viel Unbeständigkeit, viel Nichtverfügbarkeit, viel Anpassungsleistung, vielen Geheimnissen.
Warum das immer noch besser ist, als einfach mal loszulassen, weiß ich nicht. Vielleicht, weil die Zeit nach dem Loslassen meine schlimmste Zeit war. Naja, man hätte das schon besser planen können. Dieses Kappen aller Bindungen, dieses Ausziehen von zu Hause, nur mit einem Köfferchen, in den ersten Wochen teils ohne zu wissen, wo ich abends bleibe. Ich weiß, dass es jetzt anders wäre, aber wahrscheinlich hängt da noch irgendetwas in mir.

Und manchmal befürchte ich, ich müsste mich ein bisschen selber schlagen.
Da breche ich alle Zelte in der alten Heimat ab um zu fliehen vor diesen Bindungen – heute denke ich, ein bisschen bessere Abgrenzungsfähigkeit hätte es auch getan, dann hätte ich nicht durch halb Deutschland gemusst – um am Ende wieder dort zu landen, wo ich herkam.

Und manchmal denke ich, der Kardiochirurg ist auch nicht blöd.
Er weiß schon, was ich mir wünsche - er will nur oft nicht. Aus seiner Komfortzone, seine Autonomie aufgeben, Verbindlichkeit zeigen.
Denn irgendwie komme ich gerade in solchen Tagen zu manchen Annehmlichkeiten. Zum Beispiel Kaffee und Berliner nach einer durchgemachten Nacht, mit denen er dann vor dem Dienstzimmer steht...



Mondkind

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