Von einem kurzen Gespräch am Nachmittag

 „Ich möchte Sie nicht zusammen brechen sehen“, sagt sie.
„Ich will das auch nicht unbedingt erleben“, entgegne ich.

***

Freitag.
Ich habe schon frühs vor der Arbeit unendlich viel geweint. Ich weiß nicht, was hier los ist. So richtig verstehe ich das nicht. Es ist nichts akut Schlimmes passiert und trotzdem fühlt es sich sehr schlimm an.

Auf der Arbeit sehe ich, dass die Psychosomatik – Oberärztin geschrieben hat. Wir wollten uns ja mal treffen. Sonntag hat sie Dienst. Aber Sonntag habe ich auch Dienst. Nächste Woche Mittwoch hat sie auch Dienst, aber auch noch etwas vor, deshalb wird das auch nichts. Nächsten Sonntag könnte es etwas werden.

Ich frage sie, ob wir uns heute am Nachmittag irgendwie noch kurz sprechen können. Eigentlich habe ich das noch nie mit ihr gemacht, aber mir fällt nichts mehr ein. Bis Montag schaffe ich es so nicht.
Und dann ruft sie gerade an, als ich den Schockraumpatienten auf Station verlegt habe. Besser könnte das Timing nicht laufen.

Ich ziehe mich schnell in den Pausenraum zurück und wir haben einen Moment Ruhe.
„Es ist ganz schön viel los bei Ihnen, oder?“, fragt sie. „Im Innen und im Außen.“
„Schon, ja“, entgegne ich. „Ich kann nicht mal sagen, wo genau das Problem ist. Nichts ist für sich genommen schlimm, es sind keine Katastrophen passiert.“
„Aber es zieht sich und es wird immer mehr und so oft wenn ich Ihnen zuhöre, dann frage ich mich, wie Sie das alles aushalten und wem Sie eigentlich etwas beweisen müssen.“
„Naja, ich kann das Pensum ja gerade nicht reduzieren. Die Arbeit ist viel, es sind viele Kollegen krank, der Facharzt muss vorbereitet werden und dann kommt zu dieser Basis immer mehr dazu. Die Beziehung läuft mehr als schlecht und wenn man jede Woche über Trennung spricht, kann man das nicht haltgebende Ressource bezeichnen. Letzte Woche war ich auf Fortbildung und da war ein Dozent aus der Studienstadt, den ich kenne. Ich habe das in dem Moment gar nicht so wahrgenommen, ich habe mich nur gefreut, eine altbekannte Verbindung zu spüren, aber ich glaube das hat schon noch etwas in mir gearbeitet. Ich vermisse die Stadt und meine Freunde, ich habe die alle über ein Jahr nicht mehr gesehen wegen dieser Facharztgeschichte. Und dann ist auch bald März und im März ging das mit dem Freund damals los und irgendwie ist es heute nur noch ein so hilfloses Zuschauen, wie damals eine Weiche nach der anderen falsch gestellt wurde und am Ende alles schief lief.“ Ich mache eine Pause. „Ich fühle mich so furchtbar verloren“, ergänze ich irgendwann.

„Wenn Sie das jetzt von einem Patienten hören würden: Was würden Sie dem sagen?“
„Naja – irgendwie muss man diese Belastung etwas reduzieren, ich weiß nur nicht, wie und wo. Ich weiß es wirklich nicht, ich überlege es ja auch schon.“
„Naja zuerst mal: Dass sich Themen gerade in belastenden Situationen immer wieder melden, ist normal. Ich frage mich immer wieder, wer nach dem Tod Ihres Freundes eigentlich für Sie da war und wünsche mir immer wieder, dass sie es schaffen sich da Unterstützung zu holen, um das mal aufzuarbeiten. Und dann nochmal zum Facharzt: Wem wollen Sie etwas beweisen? Warum geben Sie so viel auf für diesen Facharzt? Sie haben doch immer noch nicht die Unterschriften. Müssen Sie jetzt lernen?“
„Naja am Ende kommt der Termin schneller als gedacht und dann kann ich es nicht…“
„Frau Mondkind, ich halte das – insbesondere wenn man bedenkt wie es Ihnen geht – aktuell nicht für sinnvoll.“
„Wenn ich nicht lerne, habe ich ein schlechtes Gewissen.“
„Das müssen Sie dann aushalten.“ Und nach einer kurzen Pause. „Ich bin mir nicht mal sicher, ob dieser Facharzt wirklich so notwendig ist, aber das müssen Sie selbst entscheiden. Ich sehe nur, wie Sie an der aktuellen Situation immer weiter kaputt gehen und das tut mir sehr leid.“


Vielleicht brauche ich wieder ein bisschen mehr Zeit für mich...



Ich seufze.
„Ich glaube, die Psychosomatik hat mein Leben an manchen Stellen nicht einfacher gemacht.“
Wie ich das meine, möchte sie wissen.
„Ich glaube, es wäre an der Zeit noch ein Mal mutig zu sein. So viel von dem was ich hier gerade lebe entspricht nicht meinen Ideen und Vorstellungen, aber ich bin halt mit gewissen Wertvorstellungen aufgewachsen und es wird mit jetzt immer klarer, wie durchdringend das alles ist. Und ich würde so viele Dinge gern anders machen, anders sehen und anders bewerten, aber das geht noch nicht.“
„Dann sind Sie doch auf einem guten Weg.“
„Aber es ist unglaublich mühsam und sorgt für viel Chaos.“

„Ich glaube, ich muss wieder in die ZNA“, sage ich.
„Dann machen Sie das.“
„Aber Danke für Ihr Ohr. Ich glaube das hat jetzt sehr geholfen. Einfach mal zehn Minuten ein bisschen erden, ein kleines bisschen Ordnung und ein paar Gedankenanstöße in diesem völlig chaotischen Hirn sind viel Wert. Es tut mir echt leid, dass Sie das jetzt irgendwie so ein bisschen abbekommen haben.“
„Es ist nicht schlimm. Und wir koordinieren uns dann Ende der nächsten Woche nochmal.“

Als ich aus diesem Pausenraum gehe, habe ich wirklich das Gefühl ein kleines bisschen besser atmen zu können.
Vielleicht hat sie Recht und man muss mal die Relationen bedenken. Ich bin noch nicht auf dem Standpunkt diesen Facharzt nicht mehr machen zu wollen. Vielleicht kommt das noch irgendwann. Aber ich saß schon in Slowenien – und das ist bald ein Jahr her – mit den Büchern und dachte, die Dinge werden schon voran gehen. Damals hätte ich nie gedacht, dass ich ein Jahr später immer noch nicht angemeldet sein werde. Meine Bemühungen stehen in gar keinem Verhältnis zu dem, das hier real passiert.

Erstmal entlastet es aber schon, dass das Helfersystem jetzt ein bisschen angebahnt ist und schon Impulse geben kann. Montag telefoniere ich hoffentlich mit der alten Therapeutin, Sonntag sehe ich dann die Psychosomatik – Oberärztin und dann muss man die Themen gut verteilen. Die Beziehung könnte ich mit Frau Therapeutin besprechen, das Arbeitsthema lassen wir bei der Psychosomatik – Oberärztin und dann hoffe ich, dass mir ein paar Impulse helfen werden ein wenig nachzudenken und alles ein bisschen zu modifizieren.

Mondkind


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