Von ein bisschen Klärung
Montagabend.
Natürlich hat er eine Erklärung parat. Kurz vor Feierabend jemandem einen Schrittmacherdraht zu ziehen und dabei ein zwei Zentimeter langes Loch in den linken Ventrikel zu schlitzen, ist halt nicht unbedingt gesund. Also Reanimation und OP.
„Und in solchen Situationen kann man halt auch nicht gehen. Wird nicht vorkommen bei mir Mondkind. Das wird wieder genauso passieren.“
Partnerschaftliche Beziehung wird also immer eine Dreiecksbeziehung bleiben, in der wechselnde Patienten zu meinen Duellpartnern werden.
Auf der einen Seite tut es seltsam weh, immer hinten angestellt zu werden. Es gibt doch einen Dienstarzt danach. Auf der anderen Seite würde das wahrscheinlich tatsächlich Keiner tun. Ich auch nicht. Dennoch muss man sich dann halt etwas einfallen lassen, wie man dem anderen signalisiert, dass der einem nicht egal ist. Zu Beispiel ein paar Blumen mitbringen, ein Abendessen organisieren oder whatever. Wahrscheinlich ist man dann auch nicht unbedingt in der Stimmung sich darum auch noch zu kümmern, aber das gehört dann halt dazu. „Es macht eben einen Unterschied, ob man ständig Opfer der Umstände ist und das noch so mehr oder weniger dem Anderen in die Schuhe schiebt, oder ob man mal Verantwortung übernimmt. Irgendwo haben wir uns diese Jobs auch ausgesucht und wenn wir eine Beziehung wollen, müssen wir Wege finden, alles zu integrieren.“
Mein Versuch die Wogen zu glätten, wenn alles aus dem Ruder läuft ist immer ehrliche Kommunikation, den anderen miteinbeziehen, damit gar nicht erst so viele Missverständnisse entstehen können.
Und trotzdem ist es halt irgendwie auch die Summe dessen, das mittlerweile passiert ist. In seine Dienstpläne schaut er nicht, weil er so überfordert ist, dass er nur von heute auf morgen denkt und nicht wissen will, wie die nächsten Tage aussehen. Dann kann er es mir natürlich auch nicht sagen und dann tauchen schon mal irgendwelche Dienste aus dem off auf, erklärt er mir.
„Es ist halt – wie immer – eine Frage von Kommunikation“, postuliere ich irgendwann. „Kann ich das zugeben und sagen: Mondkind, ich bin gerade so überfordert von meinem Leben, dass ich das einfach gerade nicht ertrage, in die Dienstpläne zu schauen“, was mir die Möglichkeit gibt irgendetwas zu verstehen davon, wie es Dir gerade geht und wo Du gerade bist. Oder höre ich ständig nur, was alles nicht geht, kann gemütlich interpretieren und interpretiere dann natürlich bei unserer ganzen Vorgeschichte eher die negativen Dinge. So etwas wie „er interessiert sich nicht und es ist ihm eigentlich egal.““ Vielleicht muss man ihm nochmal das Kommunikationsquadrat von Schulz von Thun näher bringen. Denke ich mir, sage ich nicht laut.
Und irgendwie wärmt es auch ein bisschen mein Herz, ihn da so nahbar zu erleben. Der Mann muss nicht immer die starke Schulter zum Anlehnen sein. Die Nummer hatten wir schon mal – ist am Ende ordentlich nach hinten los gegangen. Hauptsache, das Gegenüber ist ehrlich – mit allem anderen kann man arbeiten und das ist mir auch primär erstmal egal.
Zwischendurch geht es um das Thema Beziehungspause. Tatsächlich bin ich diejenige, die es ausspricht und das eigentlich schon in dem Moment, in dem es meinen Mund verlässt, bereue. Ich will nicht ohne ihn sein müssen und eigentlich ändert eine Beziehungspause auch nichts. Es bringt vielleicht etwas Ruhe in diese hochexplosive Situation, aber am Ende vermeiden wir auch nur, uns für ein Ja oder ein Nein zu entscheiden.
Wir sitzen eine Weile still nebeneinander und ich wüsste zu gern, was sich in seinem Kopf abspielt. Irgendwann sagt er, dass es vielleicht besser wird, wenn die Umstände sich ändern. (Spoiler: Wer hat in der Psychosomatik seinen Patienten am laufenden Band erklärt, dass Umstände sich selten einfach so ändern, wenn man nichts dafür tut…?). Wenn ich zum Beispiel fertig bin mit Facharzt.
Ich kann nicht sagen, wie sehr ich diese Argumentation hasse. Ja, der Facharzt ist wichtig. Ja, ich möchte ihn machen. Und nein, es kann nicht sein, dass man sich entscheiden muss zwischen Facharzt und Partner. Ich dachte auch mal, dass man sich vielleicht manchmal einfach für die Karriere entscheiden muss und daran arbeiten muss, während man den zwischenmenschlichen Bereich etwas aufschiebt. Leider war es so, dass der andere Mensch tot war, mit dem ich die nächsten Jahre verbringen wollte, bevor ich damit fertig war. Und solange wie wir das nicht mal hinkriegen beim anderen zu übernachten (und allein 10 Minuten Kuscheln abends im Bett vor dem Schlafen würde mir ja schon reichen und es kann mir niemand erzählen, dass das nicht einzurichten sein könnte), zählt das nicht als Argument.
Am Ende geht es ums Thema Beziehung. Oder – heute nenne ich es mal Commitment. Vielleicht macht ihm das nicht ganz so viel Angst. Was ich denn da will, fragt er. „Naja, seit unserer Trennung im Sommer ist das immer in der Schwebe geblieben“, erkläre ich. „Wir wollten unsere Themen klären, aber das ist nie passiert. Und ja, wir haben uns zusammen gerauft, aber ob man das Beziehung nennen kann, weiß ich nicht. Für mich fühlt es sich seitdem so an, als seiest Du immer auf dem Absprung und ich möchte gerne wissen, wie es sich für Dich anfühlt.“
„Mondkind, wir waren nie getrennt“, meint er.
Puh… Er ist ein krasser Meister der Verdrängung. „Wenn Du Dich erinnerst, habe ich unsere ganze Urlaubswoche letzten Sommer damit verbracht, Dich irgendwie in Bewegung zu bringen, nachdem Du ziemlich unvermittelt meintest, dass du das alles eigentlich nicht mehr willst, aber nie über die Gründe gesprochen hast und wir auch nicht wie geplant in Frankreich waren.“
Er fragt mich nochmal, was ich eigentlich von ihm will.
„Naja, stell Dir mal vor, wir sind Pinguine“, beginne ich und weiß gerade selbst noch nicht, wie ich ihm das irgendwie bildlich verständlich machen soll. „Es geht jetzt halt um die Frage, ob wir auf einer Eisscholle stehen und zwar gerade alles ziemlich schwierig ist und wir aber trotzdem sagen, dass wir beide auf einer Basis stehen und versuchen zusammen gegen die Wellen und den Sturm anzukämpfen und die Schwierigkeiten als unser beider Schwierigkeiten ansehen. Oder ist es so, dass das schon so viel zu viel war, dass einer von uns beiden auf eine andere Eisscholle rüber gehüpft ist. Und wir zwar ab und an Sehnsucht nacheinander haben, die Flügelchen nacheinander ausstrecken, aber doch eher gegeneinander kämpfen.“ (Und in dem Moment stelle ich mir bildlich zwei Pinguine auf zwei Eisschollen vor, die sich einfach nicht erreichen können und muss fast weinen).
Er denkt eine Weile drüber nach. „Naja vielleicht stehen wir auf einer Eisscholle. Aber ich fühle mich gerade gar nicht wohl auf der Eisscholle.“
Es ist mal wieder fast ein Uhr in der Nacht.
Zum Abschied ist es dann eher eine halbe Umarmung. (und ja Mondkind wartet immer auf eine feste Umarmung und einen Abschiedskuss vor dem Gehen, egal wie schlimm es zwischen uns ist).
Ich weiß nicht, warum sich so viele Gespräche mit ihm anfühlen, als müsste ich ganz tief in meiner Psychosomatik – Trickkiste kramen…
***
Am nächsten Tag habe ich eine Freundin in der Leitung.
„Ich glaube, der Move mit den Pinguinen war ein bisschen überzogen“, sage ich irgendwann und muss ein bisschen über mich selbst lachen.
„Ich finde es süß“, entgegnet sie.
„Das war auch so ne Stelle im Gespräch…“, werfe ich plötzlich ein, weil ich mich erinnere. „Er meinte dann so: Sidenote: Mit wie vielen Menschen redest Du eigentlich über unsere Beziehung?“ Naja, ich habe dann schon gemerkt, dass er das eigentlich gar nicht gut findet - er selbst hält die ja immer so unter dem Deckmäntelchen - aber ich hätte am liebsten gesagt: Naja, so viele wie ich halt brauche, um meine Psyche adäquat entlasten zu können…“
Wir sprechen auch noch ein bisschen weiter, ich berichte, dass mir gerade wirklich ein kompetentes Ohr fehlt und ich auch nicht richtig weiß, wo ich das her nehmen soll. Sie weiß auch von der Geschichte mit dem verstorbenen Freund. Noch nicht so lange, aber eben doch.
„Hast Du das je therapeutisch aufgearbeitet?“, fragt sie.
„Nein“, entgegne ich. Denke eine Weile nach. „Es ist halt immer so die Frage. Ich fand das im Sommer bei meiner Oberärztin sehr spannend. Weil sie mir zumindest gezeigt hat, dass es nach einigen Jahren möglich ist, da nochmal anders drauf zu schauen. In der ersten Zeit ging es natürlich immer um diesen Verlust an sich. Um die Schuldfrage. Ums Vermissen und Fehlen. Und natürlich fehlt er mir. Jeden Tag. Und doch wandelt sich das ja auch. Ich wüsste nicht, ob ich nach vier Jahren noch jemanden brauche, der mit mir bearbeitet, wie ich diesen Verlust in mein Leben integrieren kann. Ich habe schon mehr als vier Jahre ohne ihn gelebt, bald fünf. Und ich habe überlebt. Das hört sich vielleicht theatralisch an, aber am Anfang war das natürlich sehr real. Aber die Frage ist ja: Wie hat mich das als Mensch verändert? Wie hat das meinen Blick auf Beziehungen verändert, mein Erleben von Beziehungen und wie gehe ich damit um? Er hat da sicher auch ein Problem und wenn keiner von uns beiden die Beziehung voran treibt, dann passiert auch nichts. Und gerade mit dieser großen Unsicherheit hinsichtlich seines Commitments, habe ich auch eine krasse Angst. Was ist, wenn der andere irgendwann Alltag wird und dann wieder einfach so verschwindet? Überlebe ich das nochmal?“
„Ich glaube gerade dieses Flashback – Erleben wird sehr unterschätzt“, wirft sie ein.
„Es ist krass, was die Psyche mit einem machen kann. Ich weiß, dass ich alles allein kann. Ich habe lange genug alleine gelebt. Es ist nicht immer schön, aber ich kann das. Aber damals – von heute auf morgen auf dieser geschlossenen Station, das ganze Leben stand mit einem Mal Kopf, der wichtigste Mensch war weg, meine Familie hatte keine Ahnung wo ich bin, die Arbeit hat mich gestresst, dass ich zurück kommen muss. Ich dachte wirklich, ich sterbe auf dieser Station. Gar nicht unbedingt, weil ich selbst etwas dazu beitrage, aber weil es einen Punkt geben muss, an dem es nicht möglich sein kann, das auszuhalten.“ Ich bin eine Weile still. „Und solange, wie ich eh die meisten Abende alleine bin, wir nicht davon sprechen können, irgendeinen Alltag teilen zu können, sterben eigentlich bis hierher nur die Träume, wenn wir uns trennen, oder einer stirbt und nicht die Realität. Und natürlich ist es nicht wahrscheinlich in unserem Alter zu sterben, aber das dachte ich damals auch. Und das ist ja das Problem: Meine Sicht auf die Welt ist an der Stelle sehr verzerrt. Und das ist mir bewusst und trotzdem kann ich das nicht anders sehen. Und trotzdem ist da natürlich ganz viel Sehnsucht, dass wir irgendwann mal etwas werden, das man dann als Partnerschaft im eigentlichen Sinn verstehen kann und ganz viel Wut, dass es eben doch nicht klappt.“ Das wäre übrigens auch so ein Argument, den Facharzt schnell zu machen. Das kann man dann ja alles im Rahmen der Selbsterfahrung mal bearbeiten, wo man hoffentlich endlich mal auf kompetente Therapeuten trifft. Dafür ist der Spaß ja auch teuer genug. Und ich glaube, das ist auch ein Unterschied zu früher: Ich glaube, ich bin mittlerweile wirklich bereit, da hin zu schauen. Das wird sicher kein Spaziergang und mich viele Tränen kosten. Ich glaube aber manchmal braucht man an dieser Stelle lange, um eine gewisse Therapiefähigkeit zu erreichen. Ich hätte damals sehr viel mehr Stabilisierung gebraucht, aber konstruktives Arbeiten ist wohl in Akutsituationen nie möglich. Aber mittlerweile merke ich auch, wie sehr mich das einschränkt, wie viel Verwirrung das auslöst, wie viel das mit mir macht, das ich nicht sein möchte.
Ich denke eine Weile nach. Eigentlich fehlt er mir schon so lange. Weil wir auch nicht da sind, wenn wir da sind. Wir sind körperlich anwesend. Aber wir sind so selten emotional anwesend. Es fühlt sich an, als seien wir uns mindestens ein halbes Jahr nicht begegnet. Er kann neben mir stehen und trotzdem fehlen. Ich vermisse Bindung. Echtes Da sein. So, so sehr.
Mondkind
Bildquelle: Pixabay
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