Beziehungsgedanken
Wir sitzen zu Dritt in der Notaufnahme.
Der Dienstarzt, die ehemalige potentielle Bezugsperson – er hat heute Hintergrund – und ich.
Bisher war die Spätdienstwoche leider alles andere als ruhig und der Plan auf der Arbeit zu lernen, hat gar nicht funktioniert. Stattdessen bin ich ohne Pause jeden Tag 12 – 14 Stunden durchgerannt, habe zu wenig geschlafen und vor dem nächsten Dienst noch versucht, eine Lernsession einzulegen.
„Mondkind, ruf Deinen Freund an und sag ihm, wir können gerade nichts für die Patientin auf deren Intensivstation machen.“
„Aber ich kenne denn Fall gar nicht.“
„Das ist egal – die Zusammenfassung ist, wir können nichts machen.“
„Und außerdem hat er gar keinen Intensiv-, sondern Hausdienst – kennt er denn Fall überhaupt?“
„Ich habe mit ihm gesprochen, er ist involviert.“
Ich greife zum Telefon und überbringe die Nachricht.
„Was macht die Lernerei?“, fragt die potentielle Bezugsperson.
„Naja, langsam wird es anstrengend. Ich habe keine Zeit für nichts mehr, seit bald zwei Jahren meine Freunde aus der Studienstadt nicht gesehen – selbst wenn ich die Prüfung bestehe, habe ich so unglaublich viel Lebenszeit verloren.“
„Naja Mondkind, die hast Du schon an ganz anderen Dingen verloren. Auf geschlossenen Psychiatrien zum Beispiel. Da finde ich, ist ein Facharzt doch noch ganz okay.“
„Mh…“, entgegne ich.
Ich bleibe in dieser Nacht noch eine Weile auf dieser Konversation hängen.
Es hat sich viel getan in den letzten Jahren und irgendwie auch nicht. Es ist noch nicht so lange her, dass ich mir gedacht habe, dass es schon ein kleines Wunder ist, wenn ich mit diesem Vollzeitjob, dieser absolut nicht laufenden Beziehung und den Kapazitäten, die sie immer wieder frisst und mit den generell unbearbeitet herum liegenden Themen, die Facharztprüfung schaffe.
Ich bin nur geübter geworden mittlerweile. Und die Dinge sind nicht mehr ganz so existenziell. Eine nicht bestandenen Facharztprüfung wird im Gegensatz zu einem nicht bestandenen Staatsexamen erstmal wenig ändern. Es ist ärgerlich und beschämend, ich habe wieder zwei Jahre Zeit verloren, die gemessen an all den vielen Jahren auch gar nicht so viel wiegen, aber sonst passiert erstmal nichts. Und wenn ich die Prüfung doch bestehe, dann öffnet sich mir ein Stückweit eine neue Welt und vielleicht das erste Mal im Leben Möglichkeiten, die ich wirklich für mich nutzen kann.
Ich beginne langsam nachzudenken über die Zeit danach.
Wenn es tatsächlich bestanden ist. Und auch, wenn es nicht bestanden ist.
Mit der beruflichen Orientierung lasse ich mir tatsächlich Zeit bis es vorbei ist und mache dann einen Plan.
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Da kommen bestimmt noch ein paar Bilder aus dem Urlaub |
Aber privat… - privat wird das auch ein großes Problem.
Ich denk viel nach über den Kardiochirurgen und mich und gerade erst kürzlich hat mir jemand die Frage gestellt, ob es nun darum geht in überhaupt irgendeiner Beziehung zu sein, oder ob es darum geht, in einer Beziehung mit ihm zu sein.
Und ehrlich gesagt – so genau weiß ich das nicht.
Wir haben uns insgesamt wenig gesehen und gesprochen im Urlaub und natürlich auch danach. Dieses Wochenende wären die Zeitfenster knapp, aber vorhanden gewesen. Ich hätte zumindest heute bei ihm übernachten können, aber irgendwie wollte er das dann auch nicht und ich bin zu müde, um dieselben Dinge alle Nase lang von vorne auszudiskutieren. Wir haben ja nun ohnehin nicht viele Möglichkeiten – dann sollte aber auch jede Möglichkeit genutzt werden.
„Ich habe keine Ahnung, ob ich noch eine Idee davon habe, wie Beziehung sein kann“, habe ich entgegnet.
Jetzt ist es so, dass wir uns viele Wochen mehr im Krankenhaus, als privat sehen. Es sind so halbe Umarmungen in Dienstkleidung und mit Stethoskop zwischen uns versteckt in irgendeinem Nebenflur über den im Dienst (hoffentlich) niemand läuft. Es ist ein kurzer Abriss aus „Was hast Du heute erlebt?“, ehe das Telefon klingelt und einer von beiden weiter hetzen muss. Es ist die Arbeit, die jegliche Form von Austausch und Intimität unterbricht, weil das hauptsächlich dort statt findet, wo es nicht sein sollte und die Patienten im Dienst immer Vorrang haben.
Und manchmal denke ich mir, natürlich heißt in diesem Medizinersystem zu bleiben vielleicht auch irgendwann mal jemand anderen in diesem Medizinersystem kennen zu lernen. Und ich passe da halt immer noch nicht rein. Ich möchte meine Beziehung über meinen Job stellen. Mich sicher auch während meiner Arbeitszeit gut um meine Patienten kümmern, aber dann auch abends nach Hause zu meinem Partner kommen, mit dem ich dann den Abend gestalten kann. Und neben allem, was zwischen uns beiden auch nicht läuft und schwierig ist, aber das ist halt auch ein strukturelles Problem. Ich, die seit Monaten absolut gestresst mit diesem Facharzt ist und er, der 12 Stunden am Tag im OP steht, dann in der vierten Überstunde seine Stationsvisite macht und dann sind wir beide zu abgekämpft, um noch in uns zu investieren.
Ich weiß nicht, ob meine Vorstellung von Sonntags – Cafe – Dates vielleicht überhöht ist, ob man vielleicht einfach nicht Arm in Arm einschläft, ob es eben wirklich keine Option ist, morgens einfach mal ganz entspannt eine Stunde aneinander gekuschelt im Bett zu liegen, still zu sein und den anderen nur zu fühlen. Es muss nichts passieren, einfach nur den Körper des anderen spüren, die Wärme, den Herzschlag.
Ich denke an den verstorbenen Freund und mich. Er war nicht super attraktiv. Vielleicht war das auch immer ein bisschen dieses Dilemma in dem ich gesteckt habe. Es war ein relevanter Altersunterschied, den wir hatten und wegen seines Aussehens hätte ich ihn vielleicht auch nicht ausgewählt. Da war immer die Frage, ob das jetzt wirklich alles ist.
Aber wir hatten etwas, das es davor und danach so nie wieder in meinem Leben gab. Eine Verbindung, die irgendwie einzigartig war, etwas Besonderes. Wir wollten dasselbe, wir haben dieselben Momente genossen, haben im selben Moment still gehalten, inne gehalten, nur geatmet und das, was da zwischen uns war, gespürt.
Er ist in mein Leben gefallen, als ich mich gerade aus dem Elternhaus gekämpft hatte, das war eine seltsame Koinzidenz und irgendwie dachte ich okay, vielleicht gibt es da draußen so viele von diesen Menschen die so sind wie ich, wenn man genau hinschaut. Turns out – nein: Es war nur der beste Zufall meines Lebens.
Die Beziehungen danach waren irgendwie anders. Viel auf Attraktivität gemünzt. Gar nicht so sehr auf das, was dahinter ist. Ich frage mich manchmal, ob ich da zu primitiv geworden bin.
Eigentlich will ich diese Entscheidung nach dem Facharzt nicht treffen müssen.
Loslassen, oder behalten?
Freimachen für eine Verbindung, die wieder tiefer geht oder das behalten was man hat, weil man ja zumindest irgendetwas hat?
Und doch ahne ich, es wird sich ja nichts ändern.
Ich werde weiterhin auf ihn warten, unser Austausch wird sich weiterhin auf ein sachliches „Wie war Dein Tag?“ beschränken. Ich werde seinen Körper nicht fühlen dürfen, wir werden nicht plötzlich anfangen mal gemeinsam auszugehen.
Es wird viele Wochenenden geben, an denen wir uns nicht sehen, obwohl es vielleicht kleine Zeitfenster gäbe, wahrscheinlich trifft das sogar auf die meisten Wochenenden zu. Und es kommt nicht selten vor, dass ich mich - wie heute - obwohl es kein guter Lerntag war, weil ich super kaputt war, auf den Abend freue, darauf, dass wir uns da wenigstens sehen und nebeneinander einschlafen dürfen und es dann doch nicht klappt.
Und wenn wir dann irgendwann dazwischen noch Kinder jonglieren wollen, dann weiß ich gar nicht, wo das für uns Paar enden soll.
Ich weiß nur nicht, ob es irgendwo da draußen eine Option gibt, die eine Beziehung ermöglicht, in der ich mich auch einfach mal entspannen kann.
In der man nicht zäh ausdiskutieren muss, ob man sich nun sieht oder nicht, das eigentlich nie so genau weiß, bis man beim anderen in der Tür steht. In der man nie weiß, ob es denn dem anderen auch wichtig ist, wenn der auf so viel verzichten kann ohne ein Mal zu sagen, dass es ihm vielleicht zu wenig ist.
Manchmal denke ich, vielleicht brauche ich mein Coaching nach dem Facharzt zurück.
Ich habe schon gelernt, dass einen Niemand retten kann. Ich glaube, das war ein lang gehegtes Missverständnis in meinem therapeutischen Prozess.
Und doch ist es gut, wenn es einen Raum gibt, in dem man zumindest kurz sein und atmen darf, wenn man die Seile mal wieder durchschneidet.
Mondkind
P.S.: Und wer sich fragt: Offiziell habe ich noch keinen Termin. Ich hoffe so sehr, der kommt nächste Woche. Ich weiß zwar nicht, wie ich das alles bis Anfang August in meine Birne kriegen soll, aber das werde ich nie wissen - egal, wann die Prüfung ist. Ich möchte einfach nur noch, dass das aufhört. Dass ich irgendwann mal wieder mein Leben leben darf, an zwischenmenschlichen Beziehungen retten kann, was zu retten ist (das betrifft insbesondere die Freunde, mit denen ich teilweise seit Anfang des Jahres nich mehr gesprochen habe) und mich dann endlich mal in der Realität einfinden kann, die dann eben bleibt.
Nein, Mondkind, deine Vorstellung von Beziehung, wie du sie beschreibst, ist nicht überhöht. Abends gemeinsam einschlafen und morgens nebeneinander aufwachen, am Wochenende lange zusammen Kaffee trinken ....das ist nicht übertrieben, das ist genau das, wie eine Beziehung sein kann. Ich habe auch lange gedacht, es gäbe für eine nicht in die Welt passende Person wie mich niemand kompatiblen. Aber letztlich habe ich genau diese Person gefunden und ich bin froh, dass ich gewartet habe.
AntwortenLöschenGib dich nicht mit etwas zufrieden, von dem du weißt, dass du eigentlich nicht zufrieden bist. Damit nimmst du dir die Chance, das Leben zu führen, das du führen möchtest. Ab und an einen Realitätscheck zu machen ist sicher gut, aber was du dir von deiner Beziehung wünschst, ist nicht unrealistisch. Hoffe, dass du das irgendwann selbst erfahren darfst.