Annäherung und Beziehungsgedanken
Ich stehe auf dem Balkon und schneide meine Pflanze zurecht. Ich würde sie ja schon gern retten.
Das Fenster steht offen und unten am Fluss steht ein Graureiher.
Frühling. Endlich.
Längere Tage. Mehr Sonne. Wärmere Temperaturen.
„Und wie geht es Dir sonst so?“, fragt sie.
„Naja, ein bisschen wechselhaft“, sage ich und denke ein wenig nach.
Wir hören uns erst die letzten Monate wieder regelmäßiger, haben uns aber schon Jahre nicht gesehen. Sie war einer der zwischenmenschlichen Bindungen, die den Sommer 2020 nicht überlebt haben.
„Wenn ich mir so angucke was vor fünf Jahren war und was jetzt so ist, bin ich eigentlich recht zufrieden“, sage ich. „Ich meine, ernsthaft – wer hätte das gedacht, damals? Ich bin nicht untergegangen in diesem System von Krankenhaus, ich habe den Tod des Freundes irgendwie überlebt, ich habe mittlerweile einen neuen Freund und kann mal so ganz vorsichtig in die Zukunft schauen. Die Arbeit ist eher ein Teil meines Lebens geworden und endlich nicht mehr alles, weil ich mich nicht mehr täglich davor fürchte. Klar, der Facharzt trübt das ganze ziemlich im Moment, aber ich kann es nicht mehr abwarten, bis ich endlich mal morgens aufstehe und nicht irgendwelche Sorgen im Kopf habe. Dass ich heute hier stehen kann und den Wintergarten schrubben kann, ist irgendwie auch nicht selbstverständlich. Ich war so lange einfach nur mit Überleben beschäftigt, dass für solchen Luxus keinen Platz war. Und auch die Sache mit den Konzerten, mit der Musik, mit dem kreativ sein - ich glaube manchmal ich kann erst jetzt langsam mal anfangen mich zu finden und heraus zu finden, wer ich überhaupt bin. Und das ist ein ganz schön verworrener Dschungel.
Und gleichzeitig drückt das was war, natürlich schon. Ich habe letztens nochmal mit meiner alten Therapeutin gesprochen und wir sind darauf gekommen, dass so viel von dem, das mir heute das Leben schwer macht, diese alten Geschichten sind, aber dass das jetzt erst durch kommt, weil das Leben zum ersten Mal etwas anderes als Reagieren ist.“
„Mondkind, ich dachte wirklich damals nicht, dass du das schaffst. Ich habe das nie böse gemeint, ich wollte nicht unsere Freundschaft so beenden, aber ich konnte das einfach nicht mehr.“
Und irgendwie ist es auch schön zu sehen, dass Menschen zurück kommen können.
Ich glaube, wir waren alle überfordert damals.
Mein Umfeld. Und ich.
Es war, als sei ein riesiger Meteorit auf mein Leben gefallen, das schon vorher nicht besonders stabil war.
Wir reden nochmal ein bisschen über das Thema Therapie.
„Ich glaube, da habe ich auch in der Psychosomatik ganz viel für mich gelernt“, sage ich. „Das ist irgendwie nie offen besprochen worden – einmal habe ich es versucht und dann hieß es sofort, dass man die Therapie beenden muss, wenn da Abhängigkeiten entstehen, was natürlich genau das war, das ich nicht wollte – aber ich hatte da immer andere Intentionen, als die Behandler.
Ich wollte einen Ort, an dem ich erstmal bleiben konnte. An dem ich als Mensch gesehen wurde. Es gab Jahre, in denen die Wohnsituation so schwierig war, dass es allein ein Privileg war zu wissen, dass dort ein Zimmer ist, in das ich die nächsten Wochen gehöre. Psychiatrie war immer eine Pause für mich von diesem Wahnsinn, ein Ort, an dem ich als Mensch gesehen wurde, was sonst fast nie passiert ist. Deshalb bin ich da auch immer wieder gelandet. Ich habe ein zu Hause gesucht und Menschen die bleiben und neben der Tatsache, dass die Kontakte mir gut getan haben, haben sie mich auf paradoxe Weise wahrscheinlich auch immer wieder ein bisschen retraumatisiert, weil das Teil vom System ist, dass die Therapeuten irgendwann gehen. Therapie und Psychiatrie sind halt nicht darauf ausgelegt, das zu Hause zu ersetzen.“
Ich erinnere mich an die Psychosomatik – Oberärztin, die mal gesagt hat, dass manche Erkenntnisse sehr hart sein können. Das gehört bestimmt dazu.
Ansonsten schrubbe ich noch den Wintergarten an diesem Morgen, damit nächste Woche die Beete einziehen können, fahre mit dem Auto in die Waschanlage, damit wir nächste Woche startklar sind um nach München zu fahren und um Gäste darin zu empfangen, lerne ein bisschen, gehe spazieren und denke ein bisschen über den Kardiochirurgen nach.
An diesem Sonntag ist er im Windtunnel, um fürs Fallschirmspringen zu trainieren. Er hatte mir da Samstag gesagt, nachdem er erst nicht rausrücken wollte, was sein Plan für Sonntag ist – nur, dass er von vor dem Sonnenaufgang bis weit nach Sonnenuntergang unterwegs sein würde. Ich hatte angemerkt, dass ich doch mal mitkommen könnte und schauen könnte, was er da so macht und vielleicht mal seine Freunde kennen lernen könnte – immerhin habe ich offiziell Lernpause und Urlaub. Seine Miene war sofort wieder wie versteinert und ich habe es dann dabei belassen.
Ich glaube, wir sind ein bisschen über diesen Kampfmodus hinaus. Ich nehme einfach still zur Kenntnis, was er so tut und stelle mir im Stillen die Frage, ob das weiter tragbar ist, oder nicht. Er hat jetzt eine Woche Urlaub und meint, es ist eigentlich völlig ausreichend, wenn wir uns Montag und Dienstag sehen – aber ich hatte ja schon gesagt, dass ich wohl nicht ständig irgendwelchen Urlaub aus dem Hut ziehen kann.
Donnerstagabend hatten wir eine Patientin aus der Psychosomatik in der Nachtbarstadt bei uns. Die Klinik hat uns nicht angerufen vorher – was bei Verlegungen sonst eigentlich Standard ist und dann stand ich ja plötzlich mit dem Brief in der Hand, auf dem das Kliniklogo zu sehen war.
Wenn es so unvorbereitet ist, dann trifft es irgendwie doch immer noch. Erinnert an die Zeit dort, an die ich gar nicht so viele Erinnerungen habe, weil es mir eigentlich viel zu schlecht für eine Psychosomatik ging. Und es erinnert an den Exfreund.
Wenn ich an ihn denke und mich an unsere guten Momente erinnere, dann habe ich irgendwie Wochenenden vor dem geistigen Auge, die ein bisschen wie „aus der Zeit gefallen“ waren. Mit ihm zu sein, war die ultimative Entschleunigung. Das war, als würde man zu Beginn des Wochenendes durch eine Tür in eine ganz andere Welt gehen und erst am Ende des Wochenendes wieder heraus gehen, wenn der Intensiv – Dschungel wieder gerufen hat.
Auf eine paradoxe Art hat er ein Bedürfnis erfüllt, von dem ich nicht mal wusste, dass ich es habe. Dieses Bedürfnis nach körperlicher Nähe. Manchmal lagen wir beinahe beide Tage des Wochenendes hauptsächlich aneinander geschmiegt im Bett und auf dem Sofa, sind nur zum Essen und zum Spazieren gehen aufgestanden. Manchmal habe ich mich gefragt, wie so ein Alltag aussehen soll, wie das Leben so gehen soll, wenn es quasi am Wochenende komplett auf Pause steht.
Und das ist schon etwas, das jetzt sehr fehlt. Der Kardiochirurg ist überhaupt nicht so nähebedürftig, löst jede Umarmung schnell, schlägt oft mürrisch die Decke über sich, wenn ich versuche unter seine drunter zu schlüpfen.
Irgendwie lerne ich das langsam zu akzeptieren und warte nicht mehr so auf diese Nähe – Momente am Wochenende. Die gibt es eben nicht mehr.
Ob man damit für immer eine Beziehung führen kann… - who knows…
Mondkind
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