Gedanken aus einem Spätdienst

Spätdienst.
Der Tag heute ist verrückt. Psychiatrischen Tag haben wir heute. Mutismus bei Demenz, der uns als Schlaganfall verkauft wurde, eine Schizophrenie, ein dekompensiertes Korsakow – Syndrom, das die Psychiatrie uns nicht abnehmen möchte und eine suizidale Patientin, die behauptet, ihre Hörgeräte verschluckt zu haben. Ich wollte das ja nicht ganz glauben, habe dann aber doch ein Röntgen von Thorax und Bauch gemacht und was haben wir im Magen gesehen? Hörgeräte…

Jetzt gerade stehe ich mit zwei Stroke Angeln gleichzeitig vor dem CT. Und gerade als wir das CT betreten wollen, fegt die Kardiochirurgie mit einem Patienten ums Eck und darf natürlich zuerst. „Die Kardiochirurgie steht auf der rechten Seite von Gott“, pflegt unser Oberarzt zu sagen und manchmal könnte man meinen, dass mehr dran ist, als ich dem zugestehen möchte.
Der Kardiochirurg fegt an mir vorbei, wir nicken uns ein Mal still zu und dann verliere ich meine Gedanken irgendwo, während wir warten.

März. März war der Monat, in dem alles gekippt ist. Damals. Kurz nach Beginn des Lockdowns. Ob das Zufall war oder nicht, ist wohl eine der Fragen, die sich nie werden klären lassen.
Und das CT war der Ort, an dem der Kardiochirurg und ich das erste Mal ineinander gerannt sind. Im Dienst. Irgendein Patientenschicksal hat uns in diesem Raum vereint. Irgendwann im vorletzten Sommer. Als ich auf der Zielgeraden vor der Psychosomatik war, fast auf dem Absprung.
Dieser Moment, in dem unsere Blicke sich das erste Mal getroffen haben war für uns und für alle Außenstehenden ein bisschen wie Magie. „Aber Mondkind nicht dieser Chirurg, oder?“, meinte die Schwester aus der Notaufnahme zu mir, als sich unsere kleine Versammlung fünf Minuten nachdem ich als Letzte in den Raum gefegt bin, wieder aufgelöst hat. Ich hatte selbst keine Ahnung, was in dem Moment passiert ist.

Ich weiß bis heute nicht, welches Datum das war. Es schien nicht wichtig.
Ich dachte doch, es wäre nie wieder möglich eine Beziehung zu führen, nach allem was war. Auch, wenn selbst die Mutter des verstorbenen Freundes mir gesagt hatte, dass ich zu jung bin, um für immer alleine zu bleiben.
Aber da hatte ich die Rechnung ohne mein Herz gemacht.

Es wird eine halbe Umarmung auf dem Flur in dieser Nacht.
Ich in der vierten Überstunde.
Er mitten im Dienst

Ich frag mich manchmal, wohin sich das Leben gedreht hat.
Ich kann mich an die Abende am Rhein erinnern. Rücken an Rücken und den anderen beim Atmen spüren. Dem Licht zuschauen, wie es sich kurz vor Sonnenuntergang im Fluss spiegelt. Ich erinnere mich an philosophische Gespräche in abgeranzten Küchen. Und an unglaublich viel Zukunftsangst. Denn dass ich erstmal für uns beide Geld verdienen würde in seinem System von dem ich Angst hatte darin einfach unter zu gehen, war damals klar.

Und jetzt stehen wir hier.
Ein überbeschäftigtes Ärztepaar. Das die Welt um sich herum nicht mehr spürt. Wir haben keine Zeit für Sonntags – Cafe – Dates, keine Zeit den anderen beim Atmen zu spüren. Wir sind gefangen in diesen Strukturen, zwischen den Patienten, manchmal tatsächlich zwischen Leben und Sterben.
Wir spüren uns zu selten und wir kennen uns zu wenig, wir sind beide gut im Pragmatismus aber so schlecht darin darüber zu sprechen, wie es uns eigentlich geht. Wir glauben, das muss so sein; ein Team, das mehr bei den Patienten, als bei sich ist.

Ich kann mich erinnern, damals am Rhein, da habe ich mich manchmal gefragt wie das Leben aussehen würde, wenn man eine Partnerschaft in diesem System führen würde. Ich war oft dankbar es nicht zu tun, jemanden zu haben der mich erinnert, dass es noch etwas gibt neben dieser Selbstaufgabe.

Der Nachteil wenn man sich in einem System bewegt, in dem man irgendwie nicht lange bleiben wollte ist wohl, dass man Teil davon wird. Ich werde so lange in der Neuro gefangen sein, bis sich die Sache mit dem Facharzt geklärt hat. Ich werde einen Freund haben, den ich mehr im Krankenhaus als irgendwo anders sehe. Und der auch dort bleiben wird, selbst wenn ich gehe.
Meine Familie hat sich dieses Leben für mich gewünscht und manchmal denke ich mir, es ist doch schon okay, aber so oft habe ich auch das Gefühl, ich kriege keine Luft mehr, ich verliere einen Teil von mir selbst, während ein anderer Teil solche Dienst wie gestern auch irgendwie liebt. Im größten Chaos immer noch einen Plan zu haben, ist vielleicht eines der größten Learnings der vergangenen Jahre, denn irgendwie musste aus diesem Fluchtreflex, der mich dann in Notfallsituation so oft hat erstarren lassen, ein konstruktives Arbeiten werden. 

Lately... kleiner Ausflug in den letzten Schnee dieses Winters...


Und manchmal habe ich ein bisschen Angst. Vor allem, das jetzt kommt. Angst, dass ich es nach dem letzten Jahr, in dem ich schon auf so viel verzichtet habe, nicht mehr schaffe bis zum Facharzt. Weil ich schon jetzt so unendlich müde bin, weil ich mich so sehr nach dem Leben sehne, das ich gerade nicht leben darf. Ich hatte nie anständige Lernstrategien, schon im Studium nicht, das haben die sechs Jahre irgendwie nicht geändert. Ich habe immer gedacht, ich bin zu schlecht, habe mich über jede gute Note gewundert.
Ich habe Angst, den Absprung irgendwann nicht mehr zu schaffen. Weil ich doch zu stark verwoben in der Neuro bin, weil das nahezu mein komplettes soziales Umfeld mittlerweile ist. Weil sich die Mondkind – Ideen manchmal immer noch falsch anfühlen, obwohl mein Bauchgefühl mich selten verraten hat in all den Jahren.
„Ich habe schon mehr geschafft als das“, denke ich mir dann manchmal und denke an die Mondkind, die mit einem Koffer am Bahnhof stand und keine Ahnung hatte, wo sie hinsollte. Es wird Zeit, diesen Weg zu Ende zu gehen.
Und doch spüre ich gerade in den letzten Monaten sehr, wie sehr das Leben mich bis hierher geprägt hat, wie hart dieser innere Kampf ist gegen die Überzeugungen, die mir als uneingeschränkt richtig verkauft wurden. Manchmal habe ich das Gefühl, ich habe gar keine Ahnung mehr wer ich bin zwischen der, die ich sein soll und der, die ich sein möchte.

Mondkind

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