Vom Umgang mit dem Lernen und Gedanken aus der AGUS - Gruppe

März.
Vielleicht wird es langsam mal endlich ein bisschen ruhiger. In so vielen Bereichen. Und das ist auch mehr als dringend nötig gewesen.
 
Facharzt. Never – ending – Story. Jetzt ist der Reha – Chefarzt erstmal krank. Wahrscheinlich nicht allzu lang, aber natürlich ist es wieder eine Verzögerung auf diesem Weg, auf dem es endlos viele Verzögerungen gegeben hat.
Mit der Therapeutin in der Studienstadt hatte ich eine Lernpause besprochen. Was nicht heißt, dass ich gar nichts mehr lerne, aber ich stelle nicht mehr mein ganzes Leben hinter das Lernen. Das geht auch nicht mehr. Sonst gibt es bald eine mentale Krise nach der anderen. Und ich hatte zu viele davon in meinem Leben.
Und deshalb plane ich jetzt, wie dieses Jahr der Balkon / Wintergarten aussehen soll. Ich brauche noch einige Rankhilfen und dann wird es neben einer Wand mit Blumen hoffentlich ein bis zwei Tomaten, eine Gurke, eine Paprika und ein paar Kräuter geben; außerdem möchte ich eine neue Kumquat. Und meine zwei AZV – Tage, die eigentlich mit in den Sommer nehmen wollte, aber die ich jetzt laut meines Oberarztes doch schon bis Ende des Monats nehmen musste plane ich, für einen kleinen Ausflug in die Therme mit dem Kardiochirurgen zu nutzen. Ich weiß gerade noch nicht, ob ich das als Geschenk betrachten soll oder nicht. Einerseits haben wir nicht nur als Individuen, sondern auch als Paar zwei Tage fernab von diesem Wahnsinn dringend nötig, andererseits werden diese beiden Tage vielleicht doch irgendwann fehlen.
Und andererseits lohnt es sich nicht für diesen Facharzt Freundschaften zu verlieren, Dinge die ich gern tun würde am Ende mehrere Jahre aufzuschieben, weil ich immer denke, dass es doch bald los gehen müsste. Ich habe so viele Jahre an meinen Perfektionismus verloren und vielleicht ist es an der Zeit, das mal anders zu machen. „Das schlechte Gewissen musst Du dann eben aushalten“, sagte eine Kollegin aus der Psychosomatik letztens, mit der ich darüber gesprochen habe.
 
Ich war mal wieder bei der AGUS – Gruppe. Das erste Mal seit drei Monaten. Ich wollte es eigentlich nicht machen, wenn ich den Sonntag davor Nachtdienst hatte und natürlich in jedem von diesen Diensten seit Jahresanfang immer zu viel Action war. Denn irgendwie habe ich es jetzt seit Jahresbeginn zum dritten Mal vor der AGUS – Gruppe Sonntagnacht gehabt.
Tatsächlich ist die Gruppe etwas gewachsen über die letzten drei Monate. Und manchmal frage ich mich, ob ich dort noch richtig bin. Nicht, weil es mich nicht mehr betrifft, aber eben anders als die Menschen, bei denen es erst ein paar Monate her ist und die dann meistens relativ bald wieder aus der Gruppe verschwinden.
„Was uns doch alle vereint ist, dass wir etwas erlebt haben, das uns bis ans Ende unseres Lebens begleiten wird – egal ob wir das wollen oder nicht“, fasste letztens mal ein Teilnehmer zusammen. Und das war der Punkt, an dem ich am liebsten gesagt hätte: Und das ist aber auch der Punkt, der mich am meisten wütend macht mittlerweile. Ich wurde bei dieser ganzen Geschichte nicht gefragt. Ich hatte keine Wahlmöglichkeit. Und irgendwie bleiben die ersten Male ja doch immer etwas Besonderes. Der erste Freund, der erste Job, das erste Auto – was weiß ich. Davon wird man erzählen, wenn man alt ist. Und irgendwie kann man ja immer nur die Hälfte erzählen. Die erste Liebe ist immer etwas Besonderes und das wird aber immer untrennbar mit diesem Ende verbunden sein.
 
Und gleichzeitig wächst mit dem Abstand auch irgendwie das Bewusstsein für das, was da überhaupt passiert ist. Ich könnte nicht sagen, dass ich mich irgendwie glorreich verhalten habe. Ich habe das letztens nochmal reflektiert, als ich eine Kollegin ein bisschen in ihre ersten Dienste begleitet habe.
Man war ja schon von Kleinigkeiten absolut gestresst und überfordert. Aus einer rein objektiven Perspektive ist das nachzuvollziehen, aber wenn ich mich heute in Thomas hinein versetze – was ich damals aber nicht gemacht habe, dann sehe ich heute: Erst ist die Freundin 400 Kilometer weit weg gezogen und hat das als keine große Sache betrachtet, denn es war ja der Plan, dass er hinterher kommt, aber wie die Zeit bis dahin überbrückt werden sollte, gerade wo wir nach wie vor kein Auto hatten, das war nie so richtig geklärt worden. Und wenn wir uns dann am Abend gehört haben, dann war ich meistens erschöpft, hatte nur die Arbeit im Kopf und die Sorge, ob ich das denn alles kann.
Er hat nie wirklich protestiert. Hat zwar am Rand mal erwähnt, dass er das nicht so gut findet, aber nicht so, dass ich mich gezwungen gesehen hätte, mir mehr Gedanken zu machen.
Und wenn ich das heute so sehe, dann schäme ich mich schon ein bisschen.
Wenn man ehrlich ist, dann ist es ungefähr dasselbe, als würde Florian mir sagen: „Pass mal auf Mandy, ich gehe nach Berlin, dort fühle ich mich wohler und habe bessere Chancen, ich schaue erstmal, ob das klappt wie ich mir das gedacht habe, Du kannst ja in der Zeit noch hier bleiben. Und wenn alles gut aussieht, dann kommst Du in einem halben Jahr hinterher.“

Manchmal finde ich unsere Beziehung auch deshalb so tragisch, weil ich manchmal den Eindruck habe, die Rollen sind genau anders herum verteilt, wie damals.
Und manchmal fühle ich mich so schuldig, dass ich manche Dinge auf so harte Weise lernen muss. Ich möchte nie wieder Beziehungen nur für solche Leistungsdinger langfristig vernachlässigen. Dass es mal kurzfristig sein muss ist okay, aber nicht mehr über Jahre. Und dann frage ich mich eben, was ich mit meinen Freunden mache, die mich freundlich erinnern, dass ich bald anderthalb Jahre nicht da war. Freundschaften sind auch wertvoll und die muss man pflegen. 



Frühlingsboten...

Und dann, darauf hat mich auch die AGUS – Gruppe gebracht, frage ich mich, wie denn das „Leben Danach“ eigentlich aussieht. Und während ich noch darüber nachgedacht habe, wie man das eigentlich gestalten kann, ist mir aufgefallen, dass ich doch schon mitten drin stecke. Vielleicht nicht mal aus einem aktiven Tun heraus, sondern, weil es eben einfach weiter geht. Weil ganz simpel eine Differenz entsteht zwischen denen die tot sind und denen, die eben doch noch Teil dieser Welt sind. Und das erschreckt mich auf eine gewisse Art, habe ich doch am Anfang so viel Zeit damit verbracht zu versuchen, mich keinen Millimeter nach vorn zu bewegen, damit wir nicht weiter voneinander getrennt werden.
Aber es ist eben viel passiert. Als er gestorben ist, habe ich nicht mal erste Dienste gemacht. Mittlerweile bin ich nicht nur im Job, sondern auch am Job wahnsinnig gewachsen und dafür bin ich dieser ganzen Neuro – Geschichte eigentlich am meisten dankbar. Für das, was sie mit mir als Mensch auch gemacht hat, für die Einsichten die ich hatte, das Selbstvertrauen, das ich auch dadurch gelernt habe. Ich bin zumindest nicht mehr nur dieser Hasenfuß, der ich mal war, der schon beim Wort „Spätdienst“ zusammen gezuckt ist und der Idee, etwas ohne einen Oberarzt neben einem als Babysitter entscheiden zu müssen. Ich wäre heute nicht mehr derselbe Mensch wie damals. Die Welt hat sich durch eine ganze Pandemie gedreht, die Band Revolverheld, die unser beider Lieblingsband war geht dieses Jahr nochmal auf Tournee und verabschiedet sich dann erstmal. Dafür höre ich heute Florian Künstler, bin nach meiner Teenie – Zeit, in der ich Westlife gehört habe und Poster an den Wänden hatte, nochmal ein richtiges Fangirl geworden. Ich liebe Konzerte, noch mehr als früher, dieses Jahr möchte ich auf mindestens Vier. Ich habe mal wieder Urlaubswünsche, ich möchte dieses Jahr unbedingt eine Emsüberführung sehen, bevor meine Schwester den Norden vielleicht doch verlässt. Und ich habe eben einen neuen Freund an meiner Seite und wir leben nicht mehr dieses Studentenleben von damals ohne Geld mit tiefen Gesprächen in abgeranzten Küchen, sondern sind ein überbeschäftigtes Ärztepaar und manchmal wird mir klar, dass das nie meine Vorstellung von Beziehung war, aber jetzt meine Realität ist und wir das Beste draus machen müssen.

Ich habe das letztens dem Kardiochirurgen erzählt und dann hat er mich mit seinen pragmatisch – praktischen Ansätzen gefragt, wo mich denn das im Alltag einschränkt und wie ich das denn in den Griff kriegen kann. Er konnte nicht verstehen, dass es manchmal vielleicht nicht nur darum geht, Dinge in den Griff zu bekommen. Sondern, dass man manchmal auch einfach Dinge betrauern möchte, darf und sollte. Entwicklungen. Löcher, die irgendwie entstehen. Einen Weg, den man eben nicht mehr gehen konnte, von dem man nicht mal weiß, wie der wirklich ausgesehen hätte, ob er wirklich schön geworden wäre.
Vielleicht geht es manchmal nur darum, Dinge wahrnehmen zu dürfen, aussprechen zu dürfen, und nebeneinander stellen zu dürfen. Dass das Leben so wie es jetzt ist ja nicht schlecht ist und dass ich auch nicht zurück zu der Mondkind von vor fünf Jahren möchte, die mit so vielen Dingen gerade im Job noch so viel gekämpft hat, die so viele Einsichten noch nicht hatte. Und gleichzeitig sagen zu dürfen: Ich habe das nicht so gewählt und ich hätte das nicht so gewählt und es macht mich traurig, dass wir beide nicht mehr mit- und aneinander wachsen konnten. Und dass wir eben nicht wissen, dass der andere noch irgendwo lebt und atmet, weiter in dieser Welt wächst, sondern dass unsere Welten gefallen sind und das ein Einschnitt war, der sich vielleicht niemals vollständig integrieren lassen wird.

Mondkind

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