57 Monate - von Zeugnissen und einem Gespräch

Mein lieber Freund,
schon wieder ein Monat vergangen.

Der fünfte Frühling ohne Dich.
Und tatsächlich – man glaubt es ja kaum nach den letzten Monaten – waren die letzten Wochen mal richtig gut.

Die Lernpause hat mir ziemlich gut getan.
Ich habe mich mal wieder mit Menschen getroffen, war mit dem Kardiochirurgen in der Therme und auf dem Florian Künstler Konzert waren wir auch, zusammen mit meiner Schwester.
Genau einen Tag danach kam das unterschriebene Zeugnis, auf dem jetzt – meiner Meinung nach – auch wirklich alle Unterschriften zu finden sind, das Logbuch wurde auch noch unterschrieben und somit steht einer Anmeldung für den Facharzt nichts mehr im Weg. Also naja – kleine Einschränkung; fast alle Unterschriften. Ich habe jetzt gesehen auf dem Psychosomatik – Zeugnis hat die leitende Oberärztin statt des Chefs in Vertretung unterschrieben, weil der im Urlaub war. Ich muss morgen nochmal telefonieren, ob das so durchgeht und da im Notfall noch eine Unterschrift holen, aber meine Oberärztin ist vorinformiert und redet sicher mit dem Chef, wie ich sie kenne ;)
Ehrlich gesagt macht mich auf einer Seite schon glücklich, dass ich mich jetzt endlich anmelden kann, und andererseits aber auch wütend. Weil jetzt wirklich hundert prozentig genau das passiert, das nicht passieren sollte. Ich werde den ganzen Sommer lernen und alle gestarteten Projekte werden vielleicht noch notdürftig zu einem Ende gebracht, oder ganz erliegen.

Und dann habe ich mich aber auch erinnert, wie ich in München stand.
Weiß Du, ich habe viel an Dich gedacht an diesem Wochenende. Und irgendwie habe ich darüber nachgedacht, dass ich nicht mal erste Dienste machen konnte, als Du gestorben bist. Das ist etwas mehr als fünf Jahre her. Seitdem bin ich viel gewachsen, aber so wirklich Spaß hatte ich ja nie an der Geschichte. Und auch dieser Facharzt ist ziemlich wenig Eigenmotiation. Ich werde davon ja nichts haben. Alle erwarten, dass ich dieses Projekt zu einem Ende bringe, aber ich werde den Facharzt nicht brauchen und mir persönlich ist nach all den verkorksten Jahren ein Sommer so, so viel wichtiger als ein Facharzt. Aber gut, danach fragt niemand.
Und trotzdem hatte ich in München dieses Gefühl, dass ich jetzt einfach dieses Kapitel schließen möchte, dass ich mich endlich befreien möchte in den nächsten Monaten. Dass ich auf dem nächsten Florian Künstler – Konzert stehen möchte und wissen möchte, das Glück mal nicht nur etwas sehr temporäres ist, sondern, dass ich grundsätzlich ein bisschen zufriedener mit meinem Leben werde.

Und dann habe ich auch darüber nachgedacht, wie viel sich getan hat hat zwischen den letzten Tagen in denen wir uns kannten und jetzt. Damals haben wir so viel über meine Angst vor den Notaufnahmediensten geredet und heute stehe ich hier, rocke meine Dienste seit langer Zeit ziemlich eigenständig und bin kurz vor dem Facharzt.
Und dann bin ich auch kurz davor Entscheidungen für mich und mein Leben zu treffen. Mich für die Dinge zu entscheiden, die mir Spaß machen, die mehr ich selbst sind und damit wird dieser Facharzt auf so vielen Ebenen ein Befreingsschlag.

Ich habe mich heute nach der Arbeit noch mit der Psychsomatik – Oberärztin getroffen. Dadurch habe ich es nicht mehr geschafft den Kardiochirurgen zu sehen, aber irgendwie ist es jetzt auch mehr bei mir angekommen, nicht immer springen zu müssen, wenn er gerade mal Zeit hat. Ich bin mehr okay damit und das entspannt mich. Wir waren spazieren und haben auf dem Feld sogar einen Stroch und einen Graureiher gesehen.
Die Oberärztin und ich haben jedenfalls auch nochmal über den Facharzt gesprochen und als wesentlichen Kern festgehalten, dass ich diesen Facharzt ja nicht zwingend brauche. Ich will in diesem Fach nicht länger bleiben. Es ist verständlich und nachvollziehbar, dass ich für die ganze Arbeit und die Energie die ich dorthin investiert habe, jetzt auch die Lorbeeren ernten möchte. Aber wenn ich da durch falle, ändert das rein gar nichts. Dann komme ich trotzdem zurück in die Psychosomatik, dann mache ich trotzdem meinen Psychosomatik – Facharzt – vielleicht hat es dann nochmal etwas länger gedauert ohne Ergebnis, aber das macht jetzt auch nicht mehr wirklich etwas, wenn man seit seinem 19. Lebensjahr in einer Branche hängt, in der man nicht sein möchte.
Und die Vorstellung nach dem Facharzt ganz beseelt nach Hause zu fahren - das könnte doch genug Eigenmotivation sein, meint sie. Und das denke ich auch. Nicht, weil ich endlich den Facharzt habe. Sondern, weil ich ein Kapitel schließen kann, das eh nie wirklich mir entsprochen hat und stattdessen wieder ein bisschen mehr Mondkind werden.

Wir haben dann auch nochmal über das Thema Gewohnheiten gesprochen und dass ich es halt gewohnt bin, mein Leben vor Prüfungen immer komplett einzustellen, aber dass ich mir dadurch halt ganz viel weg nehme und darüber ganz viel Stress selbst mache. Denn klar – man gibt dann unglaublich viel auf für so eine Prüfung – ich weiß zum Beispiel auch nicht, ob die Beziehung das gut überleben wird. Und da muss man halt einfach mal Nutzen und Einsatz abwägen.
Sie meinte dann, dass es okay ist, dass sich das falsch anfühlen wird, wenn ich da anders handele – weil es eben gegen meine Glaubenssätze ist. Und, dass es aber trotzdem richtig sein kann.
Und manchmal denke ich, ich werde schon jemanden hier haben, der mich da durch begleitet und der da ist, wenn alle Stricke reißen. ("Wenn alle Stricke reißen", für die Insider, ich werde das nie mehr sagen können, ohne einen Ohrwurm...). Sie hat noch nie Dinge wirklich abgelehnt und wenn ich kurz vor der Prüfung die Nerven verliere bin ich mir ziemlich sicher, dass sie mir hilft mich zu erden. Ich hoffe ich brauche das nicht, aber es beruhigt, dass es klappen wird, wenn es benötigt wird. Klar, man muss aufpassen, dass die Grenzen nicht zu sehr verschwimmen, aber wir thematisieren es immer wieder und sie meint, ich bin nicht wie eine Patientin. Ich sehe die Dinge, ich bin da ziemlich kompetent, ich brauche nur manchmal noch einen Schubs. Ist das nicht ein krasses Lob für jemanden, der manche Jahre mehr in der Psychiatrie als irgendwo anders war...? So gefühlt zumindest... Aber das weiß sie natürlich alles nicht.

Da kommen sicher noch ein paar Bilder...


Und immer wenn wir sprechen, dann hast Du eigentlich auch einen Platz. Wir haben heute nochmal über die letzten Momente gesprochen, die wir geteilt haben. Ich habe ihr erzählt von meiner Sorge, dass Du Dich von mir im Stich gelassen gefühlt haben könntest, weil ich es nicht ermöglichen konnte, dass wir uns sehen, kurz nachdem Du entlassen wurdest. Und ich habe ihr auch erzählt, dass wir nochmal telefoniert hatten und es Dir erst wirklich gut ging in dem Telefonat, ich Dir noch versprochen habe zu helfen eine ambulante Anbindung zu bekommen, die Du ja wolltest und das dann alles wieder gekippt ist. Ich habe Sorge, dass ich nicht mehr weiß, wie ich da reagiert habe. Ob ich vielleicht genervt war, nachdem es Dir ja so viel und so lange so schlecht ging.
Sie ist der Meinung, wenn anderthalb Tage zwischen Aufhebung des Beschlusses und Deinem Tod lagen, dann war das schon länger geplant. Denn es lässt ja niemand einen Beschluss aufheben – was einen gewissen Aufwand bedeutet und einen hohen Kraftaufwand und überlegt sich das danach. Sie meinte, es brauchte diesen aufgehobenen Beschluss, um diesen Plan durchzuführen und ich hätte wahrscheinlich gar nichts machen können.

Wir waren dann irgendwann wieder da und es fühlt sich ganz komisch an, in dieser Klinik zu sitzen, über etwas zu reden, das auch heute immer noch so schwer ist und ein Thema, von dem ich nie weiß, ob ich es gerade halten kann. Ich meine, ich habe dort gearbeitet, ich habe dort selbst Menschen in meinem Büro ein bisschen gehalten und habe mich aber in dem Moment so gehalten von meiner Oberärztin gefühlt und so beschützt von diesen Mauern um mich herum.
Sie meinte übrigens sie findet gewisse Parallelen zwischen meinem Geschreibsel und den Texten von Florian Künstler. Beide irgendwie sehr tief und sehr bewegend meinte sie, nachdem ich sie genötigt habe, sich mit Florian Künstler zu beschäftigen ;)

Sie meinte dann, dass ein Kollege noch eine Frage hätte und sich wahrscheinlich morgen bei mir melden wird. Und weißt Du, das ist so schön. Zu spüren, dass es einen Ort gibt, an dem ich Teil eines Teams bin, an dem ich ganz unkompliziert dazu gehören kann. Dass ich irgendwie präsent bin – auch, wenn ich gerade nicht dort bin. Dass man mich bedenkt und mich bei jedem Stationstreffen mit einlädt, dass man nicht müde wird beim Chef zu betonen, dass ich zurückkomme.
Und ich wünschte, Du hättest das mit mir erleben können. Ich weiß, dass Du Dir ein solches Umfeld immer sehr für mich gewünscht hast. Ich weiß, dass Du mich immer in der Psychosomatik gesehen hast. Und ich weiß, Du wärst stolz auf mich, dass ich diesen Weg jetzt gehen möchte – und werde. Und manchmal denke ich, Du bist halt da oben ganz schön stolz auf Dich.

Ich hoffe immer noch, Du hast Deinen Frieden gefunden.
Und ich hoffe, dass ich meinen auch finden werde.

Mondkind

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