Von einem Konzertwochenende

 „Und ich hab Heimweh
Nach Deinem Herzschlag
Und ich muss einsehen,
dass ich Dich mehr als sehr mag“
(Florian Künstler – der Grund)


Das erste Mal seit Monaten.
Loslassen.
Ich spüre gerade noch den Boden unter meinen Füßen, aber ansonsten schlägt das Herz zum Bass, der Körper wiegt sich im Takt und ich bin vollkommen vereinnahmt von den Emotionen der Songs, die sich in mir spiegeln.
Keine Arbeit, keine endlosen Überstunden, kein Facharzt, keine fehlenden Unterschriften in meinem Kopf, keine Planung vor meiner Nase, die immer wieder zerfällt.

Einfach nur die Musik und ich.
Und hinter mir der Freund, der dann als wir schon längst in München waren angerufen hat, vermeldet hat, dass er einfach mal das Navi eingeschaltet hat, festgestellt hat, dass die Ankunftszeit ungefähr mit dem Beginn des Konzertes übereinstimmt und der dann einfach mal los gefahren ist. Und so zwischendurch, anderthalb Stunden vom Wohnort entfernt mal fragen wollte, ob er denn kommen kann.
So ein unglaublicher Chaot.
Manchmal denke ich, am Ende des Tages ist das einfach seine Art. Die Dinge bis zuletzt offen zu lassen und dann irgendwie doch noch zu organisieren. Aber ich bin dankar, dass er da ist. Dass ich scheinbar doch deutlich gemacht habe, wie wichtig das für mich ist, ihn da zu haben.

Konzerttage klingen immer nach. Öffnen ein bisschen das Herz, die Seele, die Gedanken, tragen ein bisschen heraus aus diesem Trott.
Hinterfragen. Ganz langsam, fast ohne dass man es merkt oder aktiv etwas tut.

„Wenn wir beide weiße Haare haben, will ich noch immer in Deinen Armen schlafen“, heißt es in einem der Songs.
Mit dem Freund zusammen diesen Song zu hören, ich in seinen Armen, hat irgendwie zum ersten Mal diese Idee anklingen lassen, dass das Realität werden könnte und das berührt ziemlich seltsam. Und irgendwie scheint allein dieser Gedanke doch abstrus zu sein.
Zwischenmenschliche Bindungen waren mein ganzes Leben am Ende von Verlust geprägt. Niemand konnte bleiben. Die Familie ist irgendwann im Außen so zerfallen, wie sie es im Innen längst war und ich hätte vor 10 Jahren auch nie gedacht, dass ich mit meiner Schwester mal wieder zusammen auf einem Konzert stehe. Im Norden wohnt sie immer noch, aber es gibt eine Annäherung.
Aber die Eltern waren früh so überfordert mit ihrer eigenen Situation, dass sie nicht da sein konnten, von den Großeltern gab es eine Oma, die weit weg gewohnt hat, der erste Freund hat sich das Leben genommen und das hat die meisten anderen sozialen Bindungen auch gekappt.
Für mich ist es nicht unbedingt die Frage, ob zwischenmenschliche Bindungen nicht mehr gehalten werden können, sondern nur, wann das Ganze passiert. Und es ist immer ein Abwägen, ob es Sinn macht sich im Herzschlag eines anderen zu verlieren, wobei das Herz so oft ohne das Hirn entscheidet und mich dennoch immer wieder in Schwierigkeiten bringt.
Es ist seit Jahren die Suche nach einem zwischenmenschlichen zu Hause.
Aber was ist, wenn das wirklich eine Option sein könnte? Einen Menschen so lange an der Seite zu haben, bis man alt und grau wird? Bindungen zu haben, die einen durchs Leben begleiten? Ein zwischenmenschliches zu Hause? Vielleicht muss man sich dann mit manchen Dingen gar nicht so beeilen, sondern kann sie einfach passieren lassen. Weil wir noch so viel Zeit haben, um Erinnerungen und Erlebnise für immer in die Seele zu tatowieren. 






Zwischendurch gibt es gleich zwei medizinische Notfälle.
Und während der Freund gleich versucht zu sondieren, ob er gebraucht wird, fühle ich mich seltsam aus meinem Erleben gerissen und hoffe inständig, dass unsere Kompetenz einfach mal nicht benötigt wird.
Und dann denke ich darüber nach, dass Leben in unserer Welt so oft eigentlich nur aus Krankheit, aus schlechten Nachrichten und schwierigen Zeiten besteht; daraus, Menschen da durch zu begleiten. Da ist so wenig Platz für Unbeschwertheit, für die guten Seiten des Lebens und manchmal habe ich den Eindruck, die Patientenschicksale erdrücken mich.
Und ich weiß, dass dieser Job wichtig ist, ich mag ihn auch – also manchmal. Und doch wird mir in dem Moment klar, dass das Leben eben außerhalb des Krankenhauses statt findet, dass es unser Job ist, wieder mehr Leben zu ermöglichen und dass man darüber wahrscheinlich gelegentlich selbst vergisst, wie Leben sich auch anfühlen kann. Was man aus und mit Gesundheit eigentlich alles machen kann.
Und wie schön ist es, dass es Menschen gibt, deren Job es ist uns immer wieder daran zu erinnern. Ans Leben. An die guten Seiten davon. Menschen, die eine ganze Halle für den Moment mit Leben füllen können.

Ich habe mein Fan – T – shirt an. Das so viel mehr, als einfach nur Fan – T – shirt ist.
„Ich würde leuchten wie die Sterne von Kindertapeten“, steht auf dem Rücken und das ist eine Zeile aus „Tausend Raketen.“ Ein Song, der an die erinnert, die nicht mehr bei uns, aber immer noch im Herzen sind.
Ein bisschen ist es an diesem Abend, als hätte ich alle wichtigen Menschen dabei. Meine Schwester, meinen Freund und diesen wichtigsten Menschen von damals, der heute nicht mehr unter uns sein kann, aber die Musik genauso gefeiert hätte.
Ich weiß nicht genau wie ich zu dieser Idee kam, aber immer wenn ich dieses T  shirt trage, dann habe ich den Eindruck, ich habe ihn dabei. Und irgendwie ist das mal nicht nur schmerzhaft, sondern oft sogar ein bisschen schön. Es ist, als könnten wir ein bisschen all das nachholen, das wir nicht mehr gemeinsam geschafft haben. Und, als könnte ich ihm die Dinge mitteilen, die ich ihm nicht mehr sagen kann. Wenn ich in der Psychosomatik mit diesem Outfit unterwegs war, dann habe ich mich oft gefühlt als wollte ich sagen: „Du hast immer gesagt ich passe besser in die Psychosomatik, als in die rein somatische Medizin und schau wie gut es tatsächlich funktioniert. Ich finde meine Nische, mein Menschsein und ich bin Dir immer noch dankbar, dass Du einer der ersten Menschen warst, der an mich und meine Träume und Ziele geglaubt hat.“
Und ein bisschen trage ich ihn immer noch durch diese Welt. Das wird auch immer so sein.

Und ganz am Ende, mitten in der Nacht in München, an einem Ort, an dem mein Freund, meine Schwester und ich stehen, fühlt sich das Leben ganz seltsam an. Ein bisschen, als hätte ich meine eigenen Mauern gesprengt, als würde ich die Welt um mich herum wieder fühlen, als würde irgendetwas in mir weich werden.
Und ich glaube, wir kennen alle die Antwort auf die Fragen, worum es im Leben geht, wir sind nur oft zu beschäftigt, um es zu sehen. Als würden Dinge möglich werden, die ich nicht mehr als Möglichkeiten gesehen habe, die aber immer da waren.
Das nächste Mal wenn ich hier bin, bin ich für den Facharzt hier. Für eine wichtige Prüfung. Aber es ist eben nur „eine wichtige Prüfung“. Nicht das ganze Leben. Leben kann und soll so viel mehr sein, als nur Job und Prüfungen. Und ich – ich bin auch so viel mehr. Auch, wenn man mir das irgendwie nie so richtig vermittelt hat und ich es deswegen nicht glaube. Ich würde glauben wertlos zu sein, wenn ich durch diese Prüfung falle. Und deshalb stresst es mich vielleicht auch so. Weil ich dann gefühlt wieder mein komplettes soziales Umfeld verlieren muss. Aber würden das die Menschen um mich herum auch so sehen? Würden Sie mich verurteilen? Oder vielleicht nichts mehr mit mir zu tun haben wollen? Würden Sie glauben, so wie ich dann ganz bestimmt, dass ich mich immer nur gut durchgemogelt habe, aber eigentlich nichts kann?
Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich würde eine Säule von Vielen, die man haben sollte, gerade ein bisschen an Höhe verlieren. Aber die anderen, die würden schon noch tragen. Und ich kann ja auch anders ein wertvoller Mensch sein. Zum Beispiel, für meine Freunde da sein, hilfbereit sein, Verbindungen schaffen. Es gibt doch so viel, das einen Menschen wertvoll macht. Und das sehe ich doch auch so; sonst hätte das mit Thomas und mir doch auch nie funktioniert. Ich habe doch nie den Wert eines anderen Menschen daran festgemacht, was er leistet. Warum sollten andere das mit mir tun? Und wenn sie es tun, möchte ich dann etwas mit ihnen zu tun haben?
Und während wir da so stehen, werden mir zwei Dinge klar: ich möchte nicht durch diese Prüfung wieder meine sozialen Kontakte verlieren, so wie es schon oft passiert ist, wenn ich mich monatelang vergraben habe.
Und ich kann doch trotzdem noch ein bisschen leben. Wenn man glauben kann, dass alles nebeneinander exisiteren kann und ich nicht wegen einer Prüfung das ganze restliche Leben pausieren muss, dann lebt es sich vielleicht leichter. Das nächste Florian Künstler – Konzert zu dem man gut gehen kann, ist an einem Samstag im Oktober. Da finden keine Prüfungen statt. Egal was passiert, es sollte klappen. Egal, ob es vor oder nach der Prüfung ist. Weil Leben eben auch in Prüfungszeiten statt finden kann

„Ich bin wirklich stolz auf Dich. Hättest Du vor etwas weniger als fünf Jahren gedacht, dass so etwas wieder möglich sein kann?“, fragt seine Freundin dazu.
Nein, hätte ich nicht. Niemals im Leben.
Und dann spüre ich so viel Dankarkeit, dass ich nie so ganz aufgegeben habe. Auch, wenn ich mir mehr als ein Mal überlegt habe, einfach mit unter zu gehen. Und wahrscheinlich - wahrscheinlich ist da auch ein bisschen viel Euphorie dabei im Moment. Aber selbst ein ganz normales Leben mit Partner, Familie, Hobbies und dem Gefühl irgendwo angekommen zu sein, wird wohl für mich immer ein kleines Wunder werden, sollte das irgendwann mal meine Realität werden.

Mondkind

Kommentare

  1. Das Zitat habe ich letztens gesehen und finde es irgendwie passend....
    "I kept going
    not because I wanted to
    trust me, all of me wanted to stop.
    I kept going
    because I deserved to know
    what not giving up on myself felt like."

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    1. Ich glaube vor ein paar Jahren hätte ich das gar nicht so verstehen können. Ich konnte nicht glauben, das irgendetwas gut wird, das ich noch würde sehen wollen. Heute muss ich sagen, das ist ein sehr schönes Zitat und kann viel Motivation sein. Danke dafür.

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