Ein Leben für die Chirurgie?


Anfälle von Panik… - immer mal wieder.
Ist das, was ich gerade mache, richtig? Setze ich die Prioritäten sinnvoll? Komme ich pünktlich von der Chirurgie runter? Wie lange sollte ich abends noch lernen? Sollte ich sagen: Es müssen am Tag drei Fälle Chirurgie und zwei Fälle Innere werden, oder sollte ich es einfach lassen, wenn ich zu spät hier bin, weil es ohnehin nichts bringt? Wie sollte ich meine Wochenenden verleben? Sollte ich nicht auf positive Erlebnisse verzichten – es sind doch nur noch ein paar Wochen?
Mit welchen Büchern sollte ich lernen? Mittlerweile habe ich fast ein ganzes Regal voll aus der Bibliothek und kann mich nicht entscheiden, weil jedes Konzept irgendwo Mängel hat. Ich habe fürs schriftliche Examen ja schon sehr viele Scripte selbst geschrieben – sollte ich die nicht einfach wieder verwenden? Und sollte ich in der Neuro nicht das Augenmerk auf die Schwerpunkte legen, die ich dort hatte – es sind nun mal die wichtigsten Krankheitsbilder… - oder geht mir dann etwas durch die Lappen…?

So geht das teilweise stundenlang in meinem Kopf und dann… - kann ich gar nichts mehr lernen, weil ich zu müde davon bin.

Ich weiß, ich bin auf der Zielgeraden. „Nur“ noch die Chirurgie irgendwie über die Bühne bringen und dann noch ein Mal alle Kräfte zusammen sammeln und über die letzte Hürde – das mündliche Examen springen. Und dann… - dann ist es geschafft.
Wenn alles gut geht, steht dann erstmal die Klinik auf dem Programm und das bedeutet, mal nicht mehr funktionieren zu müssen. Das war schon letztes Mal eine Erleichterung. Kein „wie schaffst Du den Tag denn morgen wieder?“. Kein „Wie lange muss der Kopf noch durchhalten, bis er in der Ambulanz sortiert werden kann?“. Es ist einfach völlig egal, ob man nachts schläft oder nicht, ob man morgens mit Kopfschmerzen von der ganzen Grübelei aufwacht oder nicht, ob man am anderen Morgen leistungsfähig ist oder nicht.
Und danach darf ich zurück an den Ort, in dem ich im letzten Jahr einen Sommer hatte.

Gestern hatten wir ein interessantes Gespräch auf der Chirurgie. Die Assistenzärztin hat uns gebeten, bis nach der Kurvenvisite zu bleiben – falls noch etwas zu erledigen sei. Es könnte ja sein, dass ein Arzt mal einen Verband anfassen muss. Auf unsere Frage, wann die denn statt finde hieß es: „Naja, bis 18, 19 Uhr dauert das schon…“ „Dann sind wir ja 12 Stunden am Tag auf dieser Station“, habe ich vorsichtig angemerkt. „Ja, das habe ich während meines PJs auf der Chirurgie auch gemacht“, kam zurück. Allerdings wollte sie wohl auch Chirurgin werden… - wenn ich auf der Neuro mein PJ mache und dort einen Job bekommen möchte, bleibe ich logischerweise auch länger.
(Wobei die Medizin sich eigentlich selbst begräbt, wenn die Länge der Arbeitszeit – wie bei fast allen Medizinern – ein Ausruck für deren Einsatz und Qualität ist)



Und irgendwie bin ich da langsam in einem Konflikt mit mir selbst. Einerseits möchte ich, dass die Patienten auf der Station gut versorgt sind. Denn das ist der Grund, warum wir Ärzte werden – wir wollen den Menschen helfen.
Auf der anderen Seite sind wir in einem anderen Abschnitt, als die Assistenzärzte. Für die ist es ohne Frage auch nicht schön, jeden Tag viele Überstunden zu schieben. Aber man bringt uns halt nichts bei, wir sind Ersatz der freien Stellen auf der Station. Und da kommt halt etwas, das sich Examen nennt, immer näher. Ich habe ja meine Stelle in der Neuro ziemlich sicher. Was ich auf der Chirurgie bisher vorrangig gelernt habe ist, dass nichts so wertvoll ist, wie in einem Team zu arbeiten, in dem man sich wohl fühlt und in einem Krankenhaus, in dem man hinter der Qualität der Patientenversorgung stehen kann – nicht ohne zu leugnen, dass dort auch manchmal Dinge schief laufen, wie wohl überall. Ich bin mir mittlerweile hundert prozentig sicher, dass die Neuro in dem Dorf in der Ferne nach allem was ich heute abwägen kann, die richtige Entscheidung ist.
Und da liegen meine Prioritäten aktuell so, dass ich meine berufliche Zukunft nicht gefährden möchte, weil ich ein paar Wochen diese chirurgische Station gerettet habe. Das dankt einem auch keiner. In ein paar Wochen kommen neue PJler und wenn die Assistenten Glück haben, dann lassen die sich auch verheizen. Denn man ist ja Student, man ist ja motiviert. Das Arbeitsleben kommt ja erst noch – da kann man nicht jetzt schon „nein“ sagen.

Unser Plan ist, jetzt mal den Zettel aus dem PJ – Vortrag an die Pinnwand zu hängen, auf dem steht, dass wir 25 – 30 Stunden in der Woche auf Station sein sollen und um die 40 – Stunden Woche aufzufüllen, Eigenstudium betreiben sollen, sowie zu Lehrveranstaltungen gehen und strukturiertes Feedback bekommen sollen.
Es geht mir dabei auch gar nicht darum, nicht ein paar Stunden länger zu bleiben, wenn es wirklich gerade nötig ist. Wenn in einer OP aus Versehen die V. cava angeritzt wird, wird jede Hand gebraucht – da bleibt man halt ein paar Stunden länger. Aber es geht mir darum, dass das nicht die Regel ist und pünktlich gehen die Ausnahme ist und dass denen auch bewusst wird, wie viel wir hier mit uns machen lassen. Und dass uns die Patienten nicht egal sind, nur weil wir noch versuchen nebenbei fürs Examen zu lernen…

Es regt mich wirklich alles ziemlich auf im Moment…

So, noch ein Stündchen weiter zusammen fassen und dann ins Bett huschen… und morgen geht es von vorn los… 

Mondkind

Bildquelle: Pixabay

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