Marionetten

„Mondkind, gehst Du dem Patienten noch schnell eine Nadel legen?“, fragt die Assistenzärztin. „Ja klar, mache ich – wo liegt denn der Patient…?“, frage ich. „Naja, also der ist ein Außenlieger, dann müsstest Du mal schnell rüber in die Augenklinik…“ Aha, daher weht also mal wieder der Wind…
Also die Treppe hinunter, über das halbe Gelände der Uni – Klinik laufen und wieder hinauf in den zweiten Stock in der Augenklinik. Das Pflegepersonal ist unterwegs und ich habe keine Ahnung, wo der Patient liegt… - ganz toll. Auf den PCs im Schwesternzimmer ist keiner angemeldet und da wir PJler keinen Account haben, komme ich nicht mal an einen Stationsplan. Ich sehe eine Schwester am Ende des Flures und laufe schnurstracks auf Sie zu. „Entschuldigen Sie – haben Sie zufällig einen Stationsplan einstecken und können mir sagen wo Herr xy liegt…?“ „Ich bin schon im Feierabend, da müssen Sie wen anders suchen“, kommt zurück. Na super… - als ob die keinen Stationsplan in ihrem Kasack stecken gehabt hätte – das braucht jeder vom Pflegepersonal.
Ich nutze die Zeit und suche schon mal alles zusammen, was ich für das Legen des Zugangs brauche. Andere Station, andere Sortierung in den Schränken und nachdem ich ungefähr alle Schubladen ein Mal auf und wieder zu gemacht habe, habe ich meine Sachen beisammen. Und irgendwann treffe ich dann auch mal eine Schwester auf dem Flur an, die mir mit einem Blick auf ihren Stationsplan in ihrem Kasack auch sagen kann, wo der Patient liegt.
Er hat zum Glück gute Venen und der Zugang liegt in nicht mal zwei Minuten.
Im Anschluss düse ich zurück auf meine Station und stelle mit einem Blick auf meine Uhr fest, dass circa 40 Minuten vergangen sind. Na das nenne ich mal zeiteffektives Arbeiten… - nicht. Ich werde das echt nicht verstehen, warum das stationseigene Personal bei den Außenliegern nicht mal schnell Blut abnehmen oder eine Nadel legen kann. Vermutlich liegt das daran, dass es PJler – Aufgabe ist, man die wie Sand am Meer hat und kaum dass eine Kohorte verschlissen ist, kommt die nächste und lässt sich durch die Gegend schicken.

Wenn ich mittlerweile schon über das Legen einer Venenverweilkanüle blogge, gibt es wohl ziemlich wenig zu berichten. Von mit einer Lumbalpunktion vergleichbaren Dingen, einer Reanimation, eigenen Patienten,  mit zwischenmenschlich bewegenden Ereignissen und positiven Erlebnissen, kann ich aktuell wenig berichten.

Nicht das schönste Foto... - aber jetzt nicht mehr rot, sondern blau...


Wir versuchen unsere Arbeitszeiten etwas herunter zu drücken, aber am Ende sind wir doch die Marionetten unserer Oberärzte. Zwar sagen die, dass wir auf die Einhaltung unserer Stunden achten sollen, aber wenn die Aussage am Nachmittag um 17 Uhr auf dem Weg zum OP kommt, dürfte jedem Menschen, der einigermaßen in der Lage ist zu denken klar sein, dass unsere täglich abzuleistende Arbeitszeit schon längst um ist. Und da wir ein ausdrückliches Verbot bekommen haben, unter den PJlern ein Schichtsystem einzuführen…
Dankbarkeit ist auch eine Eigenschaft, die allen dort grundsätzlich fehlt. Wenn wir dann spät nachmittags fragen, ob wir gehen dürfen, dann heißt es nicht etwa "Danke für Eure Hilfe", sondern "Naja eigentlich ist das nicht richtig, dass Ihr jetzt geht - Ihr hättet noch vier Briefe schreiben müssen..."
Hin und wieder haben wir es mittlerweile durchgesetzt etwas eher zu gehen, aber einen Deppen gibt es leider immer, der da bis in die späten Abendstunden im OP steht. Die sind ja auch nicht blöd, rufen immer rechtzeitig an bevor wir gehen wollen, bestellen einen in den OP und lassen ihn dann dort nicht mehr weg.
Und da es ja mehr als genügend PJler gibt, kann man natürlich Sonderwünsche äußern. Es heißt nicht: „Ich hätte gern einen PJler“, sondern „Ich hätte gern die PJlerin mit den blonden Haaren.“
Ich glaube, ich habe mir die ganze Sache dadurch etwas vereinfacht, dass ich im OP nicht sonderlich redselig bin. Und da man im OP jeglichen zwischenmenschlichen Anstand vergisst, es nicht um die Qualität der Arbeit der Studentin geht (beim Haken halten kann man auch nicht so viel falsch machen), sondern  eher um Ego, Coolness und Flirten zwischen dem Oberarzt und der Studentin, bin ich da ein wenig die falsche Adresse.
Bis zu einem gewissen Grad muss man sie in ihrem Ego wohl bestärken, aber wenn der Oberarzt mich 15 mal gefragt hat: „Wie finden Sie mich… - finden Sie das, was ich hier mache, gut?“ und ich darauf natürlich immer mit „ja“ geantwortet habe, sage ich dazu irgendwann nichts mehr, weil es mir einfach wirklich zu blöd ist.
Die ganzen „Annäherungsversuche“ ignoriere ich mal gekonnt (teilweise bekomme ich es glaube ich auch wirklich nicht so mit) und wenn man mich fragt, was ich am Wochenende gemacht habe, wird man nichts von Feiern in den verschiedenen Clubs der Stadt hören, zu denen man mich dann auch nach Feedback fragt, sondern eher „Haushalt und Examensvorbereitung“, was bei den Oberärzten eher weniger hoch im Kurs steht. Und ich lasse mich auch nicht zu einer Verabredung mit Assistenz- oder Oberärzten zum Squash spielen am Abend überreden.

Da ich gestern und heute Nachmittag verschont worden bin, gehe ich davon aus, dass es mich aber morgen doch mal trifft (die Wahl hat man halt nicht; man wird abgefangen…) – was ungünstig wäre. Privat wird die Woche nämlich noch spannend. Morgen Abend telefoniere ich nochmal mit dem Seelsorger und ich wollte den eigentlich nicht zu völlig unchristlichen Zeiten anrufen. Vor einigen Tagen hatte ich ihn mal auf seinem Diensttelefon angerufen und wollte mich erkundigen, wie es ihm geht. Viel falsch machen kann ich ja nicht, dachte ich mir. Wenn er da ist, dann nimmt er es mir sicher nicht übel und wenn er nicht da ist, kann ich mir immer noch überlegen, was ich mache. Was ich nicht wusste war, dass er sich aktuell sämtliche Anrufe nach Hause umleiten lässt. Mein Gefühl war nicht so falsch – es geht ihm tatsächlich nicht besonders gut. Wie die ganze Sache ausgehen wird, ist noch ziemlich ungewiss, aber das nimmt mich schon wirklich mit, muss ich sagen.  Mal sehen, was er morgen erzählt… - wenn ich denn dazu komme… 

Donnerstag telefoniere ich mit der Personalabteilung über den Job in der Neuro. Es geht um den zeitlichen Ablauf und den Tarifvertrag, den er mir erklären möchte. Zeitlicher Ablauf… - eine Kommilitonin berichtete mir, dass nach der Approbation sofort irgendwelche Versicherungskosten auf mich zukommen – davon habe ich ja noch nie etwas gehört. Ich habe halt vor, eine Lücke für den Klinikaufenthalt zu lassen, aber das ist eben ein Alleingang. Meine Familie weiß nichts davon, da sie es ohnehin wieder vereiteln würden. Und ich habe ehrlich gesagt noch keine Ahnung, wie ich das finanziell überbrücken möchte. Vor ein paar Tagen wurde der Semesterbeitrag fällig – das ist mittlerweile so viel, dass ich davon 10 Wochen Lebensmittel kaufen könnte – das hat schon wieder ein tiefes Loch in die Finanzen gerissen. Diesen Monat funktioniert es ohnehin nicht, aber sonst muss ich zusehen, dass ich am Ende des Monats ohne Minus raus komme, was so gut wie unmöglich ist. Manchmal frage ich mich, wie die anderen das so machen. Ich bin wirklich die Einzige, die mittags ihr Essen selbst mitbringt – die anderen essen alle in der Mensa. Aber wenn ich das überschlage, wie viele Zusatzkosten das pro Monat wären dort jeden Tag zu essen, ist es echt nicht drin.

Und wo wir gerade beim Essen sind – das läuft auch eher schlecht. Selbst wenn man mal früher raus kommt… - aber ich habe einfach keine Kraft dazu, unter der Woche noch einkaufen zu gehen. Was dann bedeutet, dass ich mit den Vorräten vom Wochenendeinkauf hinkommen muss. Meistens läuft das darauf hinaus, dass es gegen Ende der Woche eher weniger gesund wird, was mich dann wieder ein paar Mahlzeiten skippen lässt – was aber auch schlecht ist, weil der Körper noch regelmäßiges Essen gewohnt ist und dann irgendwann spät abends doch der geballte Hunger kommt…

Und dann ist Donnerstagnachmittag noch Therapie. Auch hier wäre es ja wieder gut, wenn wir uns bezüglich des OPs absprechen könnten – dann könnten wir nämlich untereinander klären, dass ich Donnerstagnachmittag raus bin – aber das geht ja nicht... Ich sollte wohl einfach versuchen das Arztzimmer zu meiden, um da in keine Schwierigkeiten zu kommen, aber das schützt am Ende auch nur wenig.

Ich werde sowas von drei Kreuze machen, wenn dieses Tertial vorbei ist…

Ansonsten kam meine Mitbewohnerin vorhin mit dem Satz: „Mondkind, Du studierst doch Medizin“ nach Hause… Das ist ja immer die Einleitung für: „Ich habe ein Problem.“ Letzten Endes ging es um einen abgerissenen Fingernagel. Natürlich hat eine Medizinstudentin immer Desinfektionsmittel und Pflaster vor Ort und damit war das Problem dann schnell behoben.

Und jetzt hoffe ich, dass es bei uns heute Nacht nicht zu viel schneit… sonst wird es morgen früh blöd mit dem Fahrrad…

Mondkind

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