Schikane und ein blutendes Neuro - Herz


Heute Morgen hätte ich die Krise bekommen können – habe ich auch beinahe. Aber eben nur beinahe. Nach der Visite startet der Morgen wie immer mit den Blutabnahmen. „Da kannst Du ja mal hingehen Mondkind“, sagt eine andere PJlerin zu mir und packt mir drei Röhrchen aufs Tablett. „Das ist doch der Patient mit den Kälteagglutininen – da sollen doch Blut und Blutgasanalyse warm im Labor ankommen“, sage ich. „Ja genau, kannst Du ja machen“, erklärt die Kollegin. „Okay, ich habe hier noch nie eine BGA gemacht. Weißt Du, wo ich ein BGA – Gerät finde?“, frage ich. „Nö, da kannst Du Dich ja drum kümmern“, erklärt sie und lässt mich stehen.
Die BGA – Röhrchen sind hier übrigens auch gewöhnungsbedürftig und natürlich nicht dieselben wie in der Neuro oder der Kreisklinik im Dorf. Und eigentlich passen die auch gar nicht an deren Blutabnahmesystem, ohne dass man wieder alles auseinanderschraubt.
„Sie müssen das Blut warm halten“, schnaubt mich der Patient an. „Ich weiß“, entgegne ich und nehme es in meine Hände. „Sie hätten einen Bottich mit warmen Wasser mitbringen können“, belehrt er mich. „Okay danke, mache ich das nächste Mal, aber ehe wir jetzt diskutieren, bringe ich lieber das Blut schnell ins Labor“, antworte ich. Später frage ich mich, ob das nicht eine Spur zu unfreundlich war, aber ich bin innerlich auf 180.
„Eine Intensivstation hat bestimmt ein BGA – Gerät“, denke ich mir und laufe zwei Etagen hinab. Die Hasenfüßigkeit muss man hier ablegen. Ich quatsche irgendeine Schwester, die gerade auf dem Flur steht an und frage, ob sie mir weiter helfen kann. Sie zeigt mir wo das Gerät ist und erklärt mir noch kurz, was ich machen muss. Die Werte, die das Gerät im Anschluss ausspuckt, können auch passen. Also hat es wohl geklappt mit dem Blut.
Mit den restlichen Röhrchen düse ich weiter Richtung Labor und gebe es dort ab mit dem Hinweis es möglichst schnell zu bearbeiten und bis dahin warm zu halten. Keine Ahnung, ob man das so macht, aber sie haben es angenommen.
Da mein Handy den Tag über immer noch im Flugmodus ist und ich nur temporär gezwungen bin es mal heraus zu holen, weil wir mittlerweile eine whatsApp – Gruppe haben (eigentlich hat das nur Nachteile…), bekomme ich auch nicht mit, dass ich digital von allen Seiten bombardiert werde, sofort in den OP zu gehen. Es ist noch früh am Morgen; wir sind zu fünft auf der Station – aber man scheint sich einig zu sein, mich heute ein bisschen schikanieren zu wollen, nachdem ich gestern etwas früher gegangen bin. Zurück in der chirurgischen Klinik auf dem Weg durchs Treppenhaus in die dritte Etage kommt mir schon im Erdgeschoss eine der PJlerinnen meiner Station entgegen. „Mondkind – wo warst Du? Wir haben Dich überall gesucht?“, wirft sie mir vor. „Na ich habe mich um das Blut von dem Patienten gekümmert. Ich möchte den nachher nicht nochmal stechen, weil man das Blut nicht verwerten kann. Dann latsche ich halt selbst ins Labor.“ „Also wir haben Dir schon whatsApps geschrieben – Du musst jetzt sofort in den OP in Saal 1“, sagt sie und verschwindet auf dem Absatz.

Was zum Geier habe ich denen eigentlich getan? Die Hälfte der Mannschaft ist wegen Erkältung schon ganze Tage zu Hause geblieben und wir haben sie „gedeckt“, damit es kein Fehltag wird. Solange wie die Station läuft, fragt nämlich niemand explizit nach, wo die PJler sind (es sei denn man ist Lieblingsstudent/in des Oberarztes). Und ich habe jedes Mal angeboten, dass sie etwas übrig lassen sollen und ich das nach dem Termin noch mache. Ich meine – was soll ich machen? Nicht zur Therapie gehen ist auch keine Lösung – dann kann ich nämlich mit dem aktuellen imaginären Rucksack auf dem Rücken, wahrscheinlich bald komplett zu Hause bleiben.
Vermutlich ist das in so einem großen Laden einfach so. Es findet keine Begegnung auf irgendeiner persönlichen Ebene statt. Jeder sieht irgendwie nur sich selbst und verfolgt den Plan schnellstmöglich aus den Mauern dieses Krankenhauses zu kommen. Wahrscheinlich will – auch von den Assistenzärzten – niemand lange hier bleiben. Man möchte die Zeit hier überstehen, möglichst viel mitnehmen, um die Jobchancen zu verbessern und dann diesen wahnsinnigen Laden verlassen. So gut wie keiner, scheint sich mit der Station persönlich zu identifizieren.
Während man im Dorf das Gefühl hatte, dass wir alle ein bisschen wie eine große Familie sind und jeder auf jeden irgendwie ein wenig aufpasst (auf den einen mehr und den anderen weniger – je nach persönlicher Beziehung, aber am Ende ist an jeden gedacht), ist das an der Uni eine riesen große Zweckgemeinschaft.

Da die Privatstation einen der zwei OP - Säle heute ausnahmsweise mal mit einer 9 – Stunden – OP belegt hat (ich glaube, das kam noch nie vor), geht es im OP der Kassenpatienten ganz gemütlich zu. Es sind nur kleinere Punkte und ich kann zwischendurch immer mal hin und her laufen, was meinen immer noch vorhandenen Bauchkrämpfen ganz gut tut – auch wenn es längst nicht mehr so schlimm ist, wie gestern.
Der Oberarzt ist auch ganz gut drauf – findet den Plan in die Neuro zu gehen allerdings eher nicht gut. „Was wollen Sie denn in der Neurologie? Machen Sie lieber ein Fach, wo man Menschen richtig helfen kann. Kardiologie zum Beispiel – das sind richtige Ärzte. Wenn Sie da mit einem Patienten kommen und rufen „Herzinfarkt… - Hauptstammstenose“, da kriegen Sie überall Vorfahrt. Als Kardiologe sind Sie jemand.“ „Naja, aber ich denke, dass es nicht nur um die Außenwirkung geht“, entgegne ich. „Ich wollte sogar mal Kardio machen, habe aber in einem Praktikum festgestellt, dass es doch nicht so meins ist. Ich kann mich damit nicht gut identifizieren; ich brenne einfach nicht dafür. Und selbst wenn Neurologen nicht so angesehen sein sollten – aber ich glaube aktuell, dass es die Fachrichtung ist, mit der ich mich identifizieren kann, dass ich mich dort wirklich hinter die Patienten klemmen kann und dass ich persönlich damit glücklich werde…“ „Na wenn Sie meinen…“, sagt er. 



Und dass jeder Neurofall mich auch irgendwie aufmerksam macht, merke ich nur ein paar Stunden später. Auf der Station ist heute – nachdem gestern der Bär steppte – nicht mehr viel zu tun. Unsere Außenlieger auf der Privatstation müssen noch versorgt werden und auf unserer Station ist noch ein bisschen „Kleinkram“ zu erledigen. Zwei Patienten brauchen neue Nadeln – die Aufgabe übernehme ich schnell, bevor ich die restlichen Verbände mache.
Eine der beiden Patientinnen ist die ältere Dame mit Parkinson, von der ich schon ein Mal geschrieben hatte. Sie spricht schlecht Deutsch und man kann sich kaum verständigen, was die Sache immer schwierig macht. Als ich in das Zimmer komme, ist sie halb vom Bett gerutscht. Alles an ihr wackelt herum und scheint nicht koordinierbar zu sein, insbesondere Hals und Mund sind davon betroffen, aber auch die Beine gehorchen ihr nicht. Ich habe Angst, dass mir die Frau vom Bett fällt. Draußen läuft gerade ein Physiotherapeut vorbei. „Ich brauche mal kurz Hilfe“, rufe ich. Physiotherapeuten können das doch. Er kommt ins Zimmer geeilt und zu zweit hieven wir die Patienten auf den Stuhl neben dem Bett. Während ich ihr die Nadel lege, rutscht sie schon wieder immer weiter nach vorne, die Mundwinkel verziehen sich bizarr, der Hals scheint sich um sich selbst zu drehen,  der Versuch die Füße auf den Boden zu stellen misslingt immer wieder, die Arme kann sie nicht ruhig halten, und es ist eine Herausforderung die Nadel in der Vene zu versenken.
Sie sei total hypokinetisch hier her gekommen, dann haben die Neurologen wohl fleißig die Medikation hoch dosiert und jetzt ist es zumindest punktuell zu viel des Guten.
Ich weiß nicht, ob das Sinn haben wird, weil die Chirurgen da wohl nichts machen werden, aber ich suche den Stationsarzt und schildere ihm die Lage. „Mittlerweile ist sie total hyper- und dyskinetisch und ich verstehe, dass das nicht unsere Baustelle ist, weil wir hier in der Chirurgie sind, aber da muss dringend ein Neurologe drauf schauen“, schließe ich.
„Also Mondkind“, belehrt mich der Stationsarzt, „ich glaube nicht, dass man von ein Mal kurz Nadel legen beurteilen kann, ob der Patient überbeweglich ist, oder nicht. Da muss man sie mal laufen sehen oder so. Und ich denke, das ist auch falsch, das jetzt auf die Medikamente zurück zu führen. Die kam hier mit ganz wenig davon an und wir haben es ein Stück angehoben – so wie die Neurologen gesagt haben. Wahrscheinlich hat sie immer noch viel zu wenig.“
Selbstverständlich kann man sagen, ob die Patienten über- oder unterbeweglich sind; wir sind auch keine halbe Stunde mit unseren Patienten spazieren gegangen um das zu beurteilen. „Natürlich schwankt das im Tagesverlauf und es ist nicht ausgeschlossen, dass sie auch unterbewegliche Phasen hat, aber sie ist definitiv nicht gut eingestellt.“
„Naja… - jetzt beobachten wir das erstmal ein paar Tage und dann können wir ja nochmal nachdenken…“, sagt er und lässt mich stehen.
Bis dahin ist die Patientin wahrscheinlich entlassen. Vielleicht chirurgisch gut saniert, aber mit einer riesen – Neuro – Baustelle. Mein Neuro – Herz blutet ehrlich gesagt. Das kann man doch nicht so lassen. So engstirnig, dass man nur die eigene Fachrichtung sieht und alle weiteren Faktoren, die die Lebensqualität eventuell einschränken außer Acht lässt, kann man doch gar nicht sein. Oder ist es nur zu schwierig, nochmals einen Kollegen aus der Neurologie hierher zu bekommen? Vielleicht wieder das Problem eines viel zu großen Betriebes. Man kennt sich nicht. Konsilen telefoniert man grundsätzlich mehrmals hinterher. Bei uns im Dorf auf dem Campus wussten die Herzchirurgen genau, wen sie ansprechen mussten, wenn jemand ein Neurokonsil verpennt hatte – und das war demjenigen meist unangenehm.

Ich weiß es nicht… - vielleicht bin ich da ja noch zu sehr Idealistin. Aber ich hoffe, ich stumpfe nie so sehr ab.

Jetzt ist erstmal Wochenende. Und das ist auch gut so. Den Haushalt bekomme ich heute denke ich noch fertig bis auf die Wäsche, also kann ich morgen eine Freundin besuchen. Wir haben uns auch schon seit Ende Oktober nicht mehr gesehen. Wird mal wieder Zeit… - aber ich schätze es sehr, dass sie da so geduldig mit mir ist.

Mondkind

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