Stations - Bimbo und die Hoffnung auf Heimat
Es ist zum Kotzen. Ich sage es ja selten so direkt, aber man kann das
echt nicht umschreiben oder beschönigen.
Und aktuell liegt das weniger an den Ärzten dort, sondern vielmehr an
den Kommilitonen. Mit dem ein oder anderen Oberarzt komme ich mittlerweile
sogar ganz gut zurecht und fange an, gern mit denen im OP zu stehen. Zumindest
dann, wenn die Stimmung nicht gerade schlecht ist, weil die OP nicht so läuft,
wie geplant.
Heute Morgen war ich nach der Fortbildung über das DRG – System kaum
auf der Station, als einer der Stationsärzte auf mich zukam und erklärte: „Mondkind,
Du musst sofort in den OP in Saal 1.“ Als ich unten war, habe ich mal
nachgefragt, ob das ausdrücklich erwünscht war, dass ich komme. Nein, man habe
nur gesagt, dass man einen PJler brauche – sei aber auch froh, dass ich da bin,
weil ich das immer ganz gut machen würde. Da haben also meine freundlichen
Mitstudenten ganz schnell mal wieder den OP auf mich abgewälzt.
Ich muss aber sagen, dass es eigentlich eine sehr angenehme
Schilddrüsen – OP war. Alles verlief wie geplant, der Professor hatte gute
Laune. Und ich dachte, dass – wenn ich drei Stunden später wieder hoch komme –
die Blutabnahmen fertig sind und das dann eigentlich alles gar nicht so blöd war.
Kurz nach 11 Uhr setze ich wieder die Füße auf die Station. „Ach
Mondkind, Du kommst ja gerade richtig zur Blutabnahme…“, kommt mir eine Kommilitonin
entgegen. „Habt Ihr das noch nicht gemacht?“, frage ich etwas entgeistert. „Nein,
wir sind bisher nicht dazu gekommen…“ Ist klar. Was haben die denn drei Stunden
lang gemacht? Däumchen gedreht?
„Mondkind, Du kannst ja die Blutsachen machen – wir fangen schon mal
mit den Verbänden an…“ Super Idee… - hätte von mir sein können. Das Problem ist
halt, dass wir eine Uniklinik sind. Da werden Blutabnahmen nicht hinterfragt –
man nimmt einfach jeden Tag fast der ganzen Station Blut ab. Die Patienten sind
davon verständlicherweise eher weniger begeistert und fragen dann immer, welche
Werte genau bestimmt werden. Und da ich in vielen Fällen nicht mal weiß, warum
der Patient überhaupt da ist, kann ich die Frage nicht beantworten, was dann zu
endlosen Diskussionen führt – und manchmal geht man unverrichteter Dinge und
bekommt als nächstes vom Stationsarzt eine Rüge, warum dort kein Blut
abgenommen wurde.
Kaum bin ich fertig mit den Blutabnahmen: „Mondkind – da gibt es noch
Blutkulturen abzunehmen…“ Natürlich bei einer Patientin, der ein Arm fehlt und
die sowieso schlechte Venen hat. Dieselbe Diskussion wie immer. Es seien doch
schon gestern Blutkulturen abgenommen worden – wieso denn heute nochmal? Ich
weiß ja nicht mal, was der Grund war. Hatte sie Fieber, steigende
Infektparameter? Keine Ahnung, wir sehen ja kaum Patientenakten. Also gehe ich
auf ihren Wunsch hin nochmal zum Stationsarzt und frage nach, ob es sein muss.
Er verrollt die Augen. „Ja Mondkind, jetzt nimm die ab.“ Am Ende habe ich ihr
aus den Füßen Blut abgenommen.
Nach dem Mittagessen, geht es weiter. Ein paar Verbände sind noch zu
machen, die halbe Station hat sich die venösen Zugänge gezogen und bei ein paar
Neuaufnahmen ist auch noch Blut abzunehmen. „Also ich würde vorschlagen, die
Mondkind macht die blutigen Sachen…“
Ich bin halt auch die Einzige, die diese venösen Zugänge noch fixiert.
Die anderen kleben einfach nur das Kanülenpflaster und stecken das
Rückschlagventil hinten drauf. Allerdings bleibt man mit diesem Ventil überall
hängen und dann geht der Spaß eine Stunde später von vorne los. Was ist so
schwer daran, mal einen Schlauchverband drum herum zu machen?
Später am Nachmittag sitzt eine der PJlerinnen bei der Kurvenvisite.
Der Arzt diktiert, sie schreibt die Anordnungen. Super effizientes Lernen… Und
ich bin der Laufbursche. „Mondkind, bei dem Patienten brauchen wir noch
Blutkulturen.“ … „Mondkind, der Patient braucht noch eine Röntgenanmeldung –
der ist aber von der Etage darüber.“ „Gut okay, und wie geht das hier?“, frage
ich. „Wie, Du hast noch nie eine Röntgenanmeldung hier gemacht?“, fragt sie. „Nein,
es ist immer noch mein erstes Tertial hier. Geht das über das System, oder
brauche ich einen Schein?“ „Ja, also Du brauchst einen Schein. Denn kannst Du
ja jetzt erstmal holen.“ Der Schein liegt im Schwesternzimmer. Als ich damit
wieder komme, schickt sie mich als nächstes Aufkleber holen, der Arzt füllt den
Schein aus und ich habe den glorreichen Auftrag das dritte Mal durch
Treppenhaus zu tingeln und den Schein den Schwestern wieder auf den Tisch zu
legen.
Bei den weiteren Blutabnahmen schaut sie mich einfach nur mit einem schiefen Grinsen von der Seite an. Eine Portnadel soll ich auch noch ziehen, aber der Patient pflaumt mich nur an, dass die Ernährung da doch noch durchlaufen sollte und wie ich jetzt auf die Idee komme, die Portnadel zu ziehen. Ja… - ich weiß es auch nicht, wie die auf die Idee kommen. Dann bleibt die Portnadel eben.
Bei den weiteren Blutabnahmen schaut sie mich einfach nur mit einem schiefen Grinsen von der Seite an. Eine Portnadel soll ich auch noch ziehen, aber der Patient pflaumt mich nur an, dass die Ernährung da doch noch durchlaufen sollte und wie ich jetzt auf die Idee komme, die Portnadel zu ziehen. Ja… - ich weiß es auch nicht, wie die auf die Idee kommen. Dann bleibt die Portnadel eben.
Man kann ja auch nicht selbst mal aufstehen von der Kurvenvisite?
Immerhin könnte man sich mit der Schreiberei auch abwechseln, aber Hauptsache
man sitzt neben dem Arzt, führt allerhand Gespräche darüber, in welchem Club
man sich heute Abend treffen möchte und die Mondkind rennt hin und her. Ich
glaubs echt nicht.
Auf dem Flur spricht mich noch eine Schwester an. Bei einem Patienten
laufe immer wieder Sekret aus der Wunde. Zwar sei sie schon zugenäht worden,
aber offenbar habe das nicht gereicht. Ich laufe zum Patienten, nehme den total
durchgesuppten Verband von seinem Bauch und schaue mir das Übel an. „Wenn Sie
da jetzt wieder nur ein paar Kompressen drauf machen, dann können Sie das in
einer halben Stunde wieder machen“, erklärt der Patient.
„Wir könnten einen Beutel drauf kleben, das wäre auch für Sie
angenehmer“, schlage ich vor. „Mir ist das egal, Hauptsache es ist dicht. Und
ich hätte gerne, dass da noch mal ein Arzt drauf schaut.“ Ich kann das voll und
ganz verstehen – ich würde auch einen Arzt haben wollen, wenn mein Bauch „ausläuft“.
Also zurück ins Arztzimmer. „Der Patient möchte, dass da nochmal ein Arzt drauf
schaut.“ Alle anwesenden Assistenzärzte verrollen die Augen und nach einer halben
Minute steht dann auch mal jemand auf. Ganz ehrlich – was kann ich machen? Es
ist alles irgendwie nicht meine Schuld.
„Wieso willst Du da nicht einfach wieder einen Verband drauf machen?“,
fragt mich der Arzt. „Weil das vollkommen ineffizient ist“, gebe ich zurück. „Na,
dann kleb halt meinetwegen einen Beutel drauf…“ Wenigstens der Patient ist am
Ende zufrieden und da es sonst wahrscheinlich wieder keiner macht, hole ich ihm
auch noch ein frisches Hemd, weil das Alte auch nass geworden ist.
Die anderen PJler tun halt alle immer so, als hätten sie es voll
drauf. Bei einem Verbandswechsel war ich heute sogar dabei. „Mondkind, Du
hältst den Patienten – ich klebe die VAC – Folie; sonst wird der Verband eh
nicht dicht.“
Was ist das für eine Aussage?
Ich sehe das halt echt nicht ein, mich von denen zum Bimbo machen zu
lassen. Natürlich habe ich keine Ahnung vom uniinternen System und lerne das
erst langsam – aber das ist kein Grund, mich als komplett inkompetent
darzustellen. Ich will um Gottes Willen nicht behaupten, dass ich alles kann. Aber
ein bisschen was habe ich schon auch gemacht in meinem PJ. Und nur, weil man
weiß wie man an der Uni ein Röntgen anmeldet und mir theatralisch klar macht,
dass das ja mal gar nicht geht, das nicht zu können, heißt das nicht, dass man
Ahnung von Medizin hat.
Ich weiß halt wirklich nicht, was das Problem ist. Wie gesagt – es fehlt
fast jeden Tag jemand oder muss eher weg – da falle ich jetzt wirklich nicht ins
Gewicht. Vielleicht ist das dasselbe wie immer. Man ist ein bisschen Außenseiter.
Weil man eben irgendwie immer „anders“ ist. Die Tage sind so anstrengend – ich käme
im Leben nicht auf die Idee, abends noch in irgendeinen Club zu gehen. Ich bin
froh, dass ich es überhaupt schaffe. Bei den wöchentlich stattfindenden Alkoholexzessen
(anders kann man es halt wirklich nicht nennen), bin ich nicht dabei. Irgendwie
nehme ich das mit dem Examen auch etwas ernster, als die anderen.
Vielleicht ist es immer so, dass „anders sein“ auch immer „Außenseiter“
sein bedeutet. Ich dachte halt, irgendwann im Erwachsenenalter hätte man das
mal überwunden, immer diejenigen, die irgendwie aus der Reihe fallen, zum Clown
der Gruppe zu machen.
Es ist schwierig, den ganzen Tag durchzuhalten. Nicht unfreundlich zu
werden. Eine Schwester hat mich heute schon blöd angemacht, als ich sie gefragt
habe, ob ich die Kurven mitnehmen dürfe – sie werden für die Kurvenvisite
gebraucht. „Die haben doch schon Kurvenvisite gemacht – was willst Du jetzt mit
den Kurven?“, fuhr sie mich unfreundlich an. „Das kann ich ja nicht wissen“,
habe ich etwas schärfer als gewollt zurückgegeben.
Wenn man sich in der Position, in der irgendwie alle gegen einen sind,
auf die Hinterfüße stellt, kann das nur schief gehen. Artig „ja“ sagen und sich
jeden Tag denken, dass es ein Tag weniger ist.
Ich kann nur immer wieder sagen – bloß gut wusste ich vorher nicht,
was hier auf mich zukommt. Ich glaube, ich wäre wirklich durchgedreht im
Dezember im Ort in der Ferne.
Apropos Ort in der Ferne. Die einzige Verbindung zu diesem Ort besteht
aktuell über Mailkontakt. Also fällt mein erster Blick zu Hause immer in die
Mails. Und heute hat „mein“ Neuro – Oberarzt mir drei Zeilen geschrieben. Mit
dem Umzug ist aktuell viel los – er kommt nicht dazu viel zu schreiben. Aber er
denkt oft an mich, fragt sich, wie es mir hier so geht und wünscht mir alle
Kraft der Welt. Ein paar Worte, die aufwärmen. Es ist schön zu wissen, dass da
irgendwo jemand ist, der hin und wieder an einen denkt...
Etwas dunkel geraten, aber endlich mal ein Bild vom Schnee |
Blick über die Uni |
Ansonsten habe ich privat ja auch noch viel um die Ohren. Der Ort in
der Ferne, der wahrscheinlich nie wieder eine Heimat wird, weil ich sehr sicher
nicht allein dorthin gehen werde. Für die nächste Therapiestunde habe ich einen
Text geschrieben. Und nachdem ich ihn stundenlang immer wieder von vorne
geschrieben habe, weil er nicht das ausgesagt hat, was in meinem Herzen ist,
habe ich doch ein paar Worte gefunden, die ich gerne teilen möchte. Es sind ein
paar Sprünge drin und ich hoffe, man kann in der Stunde etwas daraus machen.
Der Text soll ja auch nur Grundlage für das Gespräch sein, weil ich das im
spannenden Moment nie so formulieren könnte.
"In Teilen habe ich mir „typisch Mondkind“ in dem Dorf
in der Ferne zurück erkämpft. Neuro hätte ich eigentlich nie machen sollen und
dass ich dort im KVP lande, war niemandem so ganz klar. Plötzlich war ich da
und keiner konnte etwas dagegen tun. Und Neuro – das ist so erst mal denken,
und dann machen. Das ist Analyse der Puzzleteile, Aufstellen von Theorien – und
manche Dinge bleiben Theorien. Neuro, das ist so „typisch Mondkind“.
Und dann gab es diesen einen Moment. Stell Dir vor, Du
musst nicht mehr abends in Deine eigene Welt flüchten. Stell Dir vor, Du kannst
in der realen Welt leben. Aber dieses Licht wirft eben Schatten.
Mit einem Mal wird Dir klar, was so lange gefehlt hat. Und
dass Du viel alleine machen kannst und weit gekommen bist – weiter, als die
meisten es Dir zugetraut haben. Aber, dass da Löcher sind, die niemand wird so
richtig stopfen können. Und irgendwie hast Du keine Ahnung, wer oder was Dir da
noch helfen kann. Selbst stopfen kannst Du sie nicht, aber leben kannst Du
damit auch nicht.
Heute musst Du einsehen, dass es nie wieder trägt. Das
Dorf in der Ferne als „zu Hause“ und Zukunftsperspektive war ein vages
Konstrukt, das sich kaum selbst getragen hat. Denn irgendwann erwartet der
Neuro - Oberdoc, dass ich alleine gehen kann – möglichst ab Herbst. Alles was
wir da tun, getan haben, war auf Zeit. Und als Assistenzärztin ist es auch
etwas anderes.
So lange gekämpft. So lange „Ja, aber dieser Ort in der
Ferne“. So lange gelebt für dieses Projekt. Für ein zu Hause, für eine reale
Welt, für einen Platz für „typisch Mondkind.“ Seit langer Zeit wieder etwas
gehabt.
Aber ganz am Ende der Geschichte, wird die Familie
Mondkinds das Schlachtfeld an einen anderen Ort verlagern. Ich kann nicht
ausweichen. Es ist diese besondere Geschichte, die diese Straßen dort auf eine
eigenartige Weise vertraut erscheinen lässt. Und ich weiß nicht, ob ich es
aushalte, das mitzuerleben, wie meine Welt dort unten ein Stück Geschichte
wird, Vergangenheit. Dass „Nicht für immer“ nur ein Augenblick war.
Zukunft ist ein großes, schwarzes Loch. Am Ende doch
wieder. Ich hatte immer Angst um dieses Projekt. Es war noch nie klug, an viel
zu hängen in dieser Familie. Mittlerweile macht jeder Gedanke an das Dorf in
der Ferne nur noch Angst. Und ich denke jeden Tag daran. Und irgendwie hofft
man ja doch. Wahrscheinlich noch monatelang."
So… - war viel heute. Liebe Grüße von einer aufgewühlten Mondkind (die
sich jetzt noch an der Schilddrüsenchirurgie versucht...)
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