Save the world you love


24. Dezember 2018
Wir stehen auf dem Marktplatz. Kalter Wind weht mir um die Nase. Für meinen Vater und seine Freundin ist es Tradition hier zu stehen. Ein bisschen Musik, ein paar Worte vom Bürgermeister zum Jahresende, mit denen man die Stadt noch ein wenig selbst beweihräuchert und das Glockenspiel.
Ein Lied wird gesungen. Ich kenne es nicht, aber ich lausche auf den Text. Im Refrain gibt es diese eine Zeile „You gave everything to save the world you love“. Ja, ich habe es versucht. Ich habe versucht, das Gestern mit ins Heute zu nehmen. Ich habe alles versucht und musste trotzdem loslassen.
Tränen in meinen Augen. Ich schaue schnell auf den Boden, damit mein Vater nichts mitbekommt. Seitdem hallt diese Liedzeile täglich in meinem Kopf.

Irgendwann Anfang Dezember. Ich auf dem grünen Stuhl, er übereck.
„Was mache ich, wenn da im Januar einfach keiner mehr ist?“, frage ich. Eine Antwort auf die Frage hat er wahrscheinlich auch nicht. „Es wird eine harte Zeit Mondkind. Aber sag Dir immer, dass es das letzte Mal ist. Du schaffst das schon.“
Das habe ich oft gehört. „Du schaffst das schon“. Nicht nur von ihm, sondern generell. Was das heißt, macht sich keiner klar.

Ich könnte die Wände hoch gehen. Es ist absolut der worst case, der sich hier gerade abspielt. Die Arbeitsbelastung auf der Chirurgie ist enorm – allein das fordert schon viel.
Und dann bleiben wirklich wenige Leute. Nachdem das mit der Familie so schief gegangen ist, haben wir alle nicht mehr miteinander geredet. Sonst haben meine Schwester und ich uns schon mal erzählt, wie das PJ so läuft. Der Neuro – Oberdoc ist nicht mehr da und mit dem Umzug der Klinik wahrscheinlich mehr als ausgelastet. Mit der Therapeutin gab es ja immer nur die festen Termine, was überhaupt erst immer wieder dieses „Dazwischen“ kreiert hat, in dem ich seit mehr als sieben Tagen lebe. Die Freunde sind ehrlich gesagt auch keine große Hilfe. Die einen will man nicht belasten, weil sie genug mit sich zu tun haben, die anderen können es nicht mehr verstehen, dass ich jetzt hier bin und mich trotzdem nicht alle Nase lang treffen kann – insbesondere, wo auf der Chirurgie 10 – 12 – Stunden – Tage an der Tagesordnung sind und nebenbei ein Examen vorbereitet werden will. Ich befürchte, am mündlichen Examen wird die nächste Freundschaft zerbrechen. „Ich melde mich nicht mehr bei Dir Mondkind, wenn dann musst Du auf mich zukommen.“ Man hat es schon an seiner Stimmlage gehört, dass er ärgerlich war.

Ich versuche es doch alles unter einen Hut zu bekommen. Aber das klappt nicht. Überhaupt nicht.
Ich habe so Angst, an diesem letzten Stück des Weges zu zerbrechen. „Mondkind, Du bräuchtest eigentlich erst mal einen Therapeuten, der sich mit Dir mindestens zwei Mal die Woche zusammen setzt, damit man das alles erstmal entlasten kann“, sagte der Neuro – Oberdoc mal. Vielleicht – ich weiß es nicht. Und wenn dann nicht jede Therapiestunde der Krisenintervention dienen würde, käme man vielleicht auch mal weiter. Das hat ja eigentlich dort in der Ferne sehr gut funktioniert. Dadurch, dass ich wirklich mal einen Kopf für etwas wie Therapie hatte – auch wenn es offiziell natürlich keine war – habe ich beim Seelsorger wirklich viel mitgenommen.



Es ist mal wieder eine Zeit, in der es auf die Frage: „Ist da jemand?“ keine Antwort mehr gibt. Entweder ich schaffe das mit meinem Chaos – Kopf. Oder eben nicht.
Die Verzweiflung darüber lässt sich nicht in Worte fassen. Ich kann einfach nicht mehr.

Heute um 16 Uhr hat der Stationsarzt zwei von den PJlern tatsächlich verfrüht nach Hause geschickt, weil wir schnell alles abgearbeitet haben. „Es kann einer von Euch gehen, ich muss ja schon Mittwoch eher weg“, habe ich gesagt. „Wann musst Du denn gehen?“, fragte der Stationsarzt. „Naja, spätestens 14:45 Uhr“, war meine Antwort. „So früh? Naja eine kleine Ausnahme können wir ja machen…“
Und das ist nur der Anfang… - ich bin ja mal gespannt, wo die ganzen Termine bis Ende des Monats enden… 

Und wie ich einen Lernplan, der eigentlich laut Scripten mindestens 50 Lerntage enthält auf 36 zusammen stauchen soll, weiß ich auch noch nicht. Insbesondere dann, wenn ich so mit mir selbst beschäftigt bin, dass Lernen einfach unmöglich ist. 

Ich hoffe einfach, es wird besser. Sehr bald. 

Mondkind

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