Jahreswechsel und der erste Chirurgie - Albtraum
Ich bin schockiert.
Und auch wenn man das Wort „schockiert“ noch fünf Mal steigern könnte,
würde es nicht annähernd meinen Gemütszustand beschreiben.
Es ging schon mit dem Jahreswechsel los. Ehrlich gesagt hatte ich es
in der Therapie zwischen den Feiertagen nicht zum Thema machen wollen, wie die
Situation in meinem Elternhaus zu händeln ist – obwohl ich wusste, dass ich
dort Silvester verlebe. Es gab genug andere Themen.
Ich will das jetzt auch gar nicht weiter aufrollen, aber es gab mehrere
Situationen, die mich wirklich enttäuscht und wütend gemacht haben.
Natürlich war das nicht sehr glücklich, dass mir gerade am späten
Nachmittag des 31. Dezembers der Kragen geplatzt ist und ich meinem Ärger mal
ein wenig Luft gemacht habe. In der gemäßigten Mondkind –
Version. Dennoch habe ich von meiner Mama dann gehört: „Hast Du mal darüber
nachgedacht, dass Deine Streiterei und der damit verbundene Stress, Gift für
meine Krankheit ist? Wenn ich gleich nicht mehr laufen kann, bist Du Schuld.“
Ehrlich gesagt fand ich den Kommentar schon ziemlich frech – meine Mutter weiß,
dass ich auch nicht ganz gesund bin und mir Stress sicher ebenfalls nicht gut
tut – aber manche Dinge gehen einfach überhaupt nicht. Jedenfalls ist meine
Schwester dann mit ihrer Aktion davon gekommen ohne sich mal zu entschuldigen,
oder derartige Dinge.
Wie so oft wenn ich dort war, bin ich mal wieder eher gefahren, als
ich wollte.
Es tut halt
nur dann unfassbar weh, wenn man sich klar macht, dass das die Familie ist.
Menschen, die eigentlich ein Stück Rückhalt geben sollen. Die eigentlich immer
noch da sein sollten, wenn der Sturm des Alltags einen sicheren Ort zum Rückzug
fordert. Und es macht mir immer dann Angst, wenn mir klar wird, dass ich das
nicht habe. Ob ich im Januar alles schaffe oder nicht – es interessiert
niemanden hier. Wenn es nicht geht, ist es allein mein Problem. Das wird keiner
mittragen.
Mit diesem
ganzen Rucksack bin ich dann am Mittwoch in die Chirurgie gestartet. Was dann
gleich der nächste Dämpfer war. Mittwoch haben wir nur die Einteilung gemacht
und sollten uns dann mal auf der Station vorstellen und organisatorische Dinge
regeln (von denen man die Hälfte nicht regeln konnte, weil die betreffenden
Menschen noch im Urlaub sind).
Die erste
Ansage des Dozenten war, dass er uns jetzt nach Präferenzen zu den zur
Verfügung stehenden Kombinationen fragen könnte – allerdings habe er gerade keine Lust Wünsche zu erfüllen
und das sei ja schließlich das normale Leben. Wir haben es dann ausgelost und
so wie es kommen musste, landete ich natürlich zuerst auf der
Allgemeinchirurgie – über die man gehört hat, dass man nie pünktlich raus
kommt, was bei meinen ein oder zwei Terminen am Nachmittag pro Woche im Januar
echt blöd wird.
Ich verstehe
ehrlich gesagt nicht, warum die Menschen sich das Leben so schwer machen. Wem
wäre denn jetzt ein Zacken aus der Krone gebrochen, wenn es 20 Minuten länger
gedauert hätte, aber man dafür vielleicht eine Einteilung hätte, die für viele
günstiger wäre?
Heute ging es
dann auf der Station los. „Ihr könnt Euer Gehirn hier gleich zu Hause lassen“,
meinte eine der PJlerinnen, die schon auf der Station ist, zur Begrüßung.
Es stellte
sich heraus, dass all die Vorträge an unserer Uniklinik darüber wie ein PJ
abzulaufen hat, nichts als Schall und Rauch sind. Die PJler halten die Station
am laufen – teilweise ist nicht mal ein Assistenzarzt vor Ort. Wie ein Verband
gemacht wird, lehren sich die Studenten untereinander und manchmal weiß es
keiner so richtig und wir machen einfach ein paar Kompressen und ein Pflaster
drauf. (Ehrlich gesagt möchte ich hier wirklich nie Patientin sein).
Dass man mal
eigene Patienten bekommt oder einem irgendwer etwas erklärt – das gebe es auf
der Station nicht, erzählten die Kommilitonen. Und die sind da schon seit
beinahe sieben Wochen. Aufnahmen und eine Aufnahmeuntersuchung dürfe man auch
nicht machen – höchstens Blut abnehmen.
Unsere
Aufgabe besteht also aus Blut abnehmen, Zugänge legen, den ganzen Tag Verbände
machen und auf Abruf in den OP zu gehen – aber mehr als Haken halten sei auch
nicht drin, sagten die Kommilitonen.
Dass der
offizielle Arbeitsschluss lediglich eine Zeit auf dem Papier ist, habe ich dann
heute auch mitbekommen. Vor halb 7 werde es selten.
Zur
Erreichbarkeit eines PJlers steht nur der Flurfunk zur Verfügung – an einer
Tafel standen die privaten Handynummern der anderen PJler auf der Station. Ich
hoffe, wir werden nicht gezwungen die Nummer dran zu schreiben und uns somit 24
Stunden am Tag erreichbar zu machen. Diensttelefone haben teilweise nicht mal
die Stationsärzte. Das Arztzimmer als ein solches zu bezeichnen, ist schon viel
zu hoch gehoben. Es ist eher eine Besenkammer mit drei PCs und so wenig Platz,
dass man wohl beim Briefe schreiben die Akte auf die Knie legen muss – sollte man
überhaupt mal dazu kommen. Da das wahrscheinlich nicht häufig ist, bekommen die
PJler auch keinen PC – Zugang, sondern müssen es über den Account der Ärzte
machen – obwohl ich meinen dafür als Arzt nicht zur Verfügung stellen würde.
Sehr
abenteuerlich alles. Ich glaube, ich war in der Ferne viel zu sehr verwöhnt.
Man hat ja
viel gehört über die Allgemeinchirurgie, aber dass es tatsächlich so abläuft… -
hätte ich nicht gedacht. Man sollte ja meinen, dass eine Uni daran interessiert
ist, ihre Studenten auszubilden. Natürlich macht die Arbeit nicht sonderlich Spaß
und ich schaue auch ständig auf die Uhr und merke, dass die Zeit gerade mal
schleicht. Das ist ja alles noch irgendwie aushaltbar.
Was ich
allerdings absolut nicht weiß ist, wie das mit den Terminen gehen soll. Ich
habe es heute schon mal angesprochen, angeboten, dass ich an anderen Tagen gern
länger bleiben kann und andere dann schon nach Hause gehen können und ich auch
nach den Terminen wieder kommen kann. Die Kommilitonen meinten, dass sie das
schon irgendwie werden kompensieren können – wir sind ja mehrere. Und
Arzttermine und Einwohnermeldeamt – das muss ja sein. Und trotzdem ist es mir
super unangenehm, weil ich eigentlich nie eher gehe.
Ich weiß nur
nicht, wie sie reagieren, wenn ich damit um die Ecke komme, dass wirklich jede
Woche irgendetwas ist. Ich werde ja sogar den Zahnarzttermin absprechen müssen –
der ist 18:15 Uhr; ich hatte geglaubt, das passt eventuell ohne viel Planung.
Und es ist
eben alles irgendwie wichtig. Die Therapietermine sind sowieso essentiell –
gerade in der aktuellen Situation – und zum Zahnarzt muss ich halt auch. Ich
kann mir mittlerweile echt kaum noch die Zähne putzen, weil es wirklich überall
weh tut. Ob das tatsächlich nur der Stress ist, weiß ich nicht. Wenn es so ist,
kann ich wohl irgendwie damit leben, aber ich habe halt Angst.
Dass ich in
den nächsten acht Wochen irgendetwas für die Uni schaffe, kann ich mir wohl
ziemlich abschminken. Klar, am Wochenende vielleicht ein bisschen – aber ich
muss auch noch eine Menge zusammenfassen fürs Examen. Und nachdem meine
Schwester mir wieder erzählt hat, was sie alles schon gemacht habe und ich
festgestellt habe, dass ich da gerade etwas ins Hintertreffen gerate…
Die
Therapeutin hat schon gestern eine Mail von mir bekommen, weil ich im Moment
wirklich keinen Plan habe, wie ich das die nächsten drei Wochen aushalten will.
Natürlich hat sie nichts dazu gesagt – hatte ich auch nicht erwartet; wir
werden nächste Woche darüber sprechen, wenn ich die Station denn verlassen
kann.
Das war auf der Neuro eben anders. Da war jemand. Einmal anrufen, einmal eine halbe Stunde über diese Panikschleife reden, in der ich aktuell bin und die Sache war wieder zumindest ein bisschen herunter gekocht. Und das war das, was diese Lebensqualität dort ausgemacht hat. Ich bin so durch; ich kann nur hoffen, dass ich es überhaupt bis Mittwoch schaffe. Es gibt wieder ein „Dazwischen“ ein Durchhalten, ein rückwärts zählen der Tage, in denen selbst die Erleichterung den Tag geschafft zu haben, ausbleibt. Denn selbst ein weiterer, kann einer zu viel sein.
Das war auf der Neuro eben anders. Da war jemand. Einmal anrufen, einmal eine halbe Stunde über diese Panikschleife reden, in der ich aktuell bin und die Sache war wieder zumindest ein bisschen herunter gekocht. Und das war das, was diese Lebensqualität dort ausgemacht hat. Ich bin so durch; ich kann nur hoffen, dass ich es überhaupt bis Mittwoch schaffe. Es gibt wieder ein „Dazwischen“ ein Durchhalten, ein rückwärts zählen der Tage, in denen selbst die Erleichterung den Tag geschafft zu haben, ausbleibt. Denn selbst ein weiterer, kann einer zu viel sein.
Die
Kommilitonen haben heute den letzten Verbandswechsel alleine gemacht und mich
einstimmig nach Hause geschickt. Ich habe mich noch eine Weile gewehrt am
ersten Tag als Erste zu gehen, aber dann irgendwann eingelenkt, weil ich
doch auch irgendwie dankbar war. Ob sie es mir angesehen haben, dass mich
bereits der erste Tag an die Grenzen gebracht hat, weiß ich nicht.
Ich hoffe, es
klappt alles irgendwie. Ich versuche mir immer zu sagen, dass es nur einen Weg
zurück gibt in diese Zeiten, aus denen ich gerade komme: Examen bestehen. Und
darum werde ich versuchen jeden Tag zu kämpfen.
(Wobei mir
der MTA in unserem Labor gestern nochmal lange ins Gewissen geredet hat,
dass er zwar absolut verstehen kann, dass ich Medizin studiert habe, um
Menschen zu helfen, aber es aktuell keine gute Idee ist im Gesundheitswesen zu
arbeiten… - siehe oben, sage ich nur. Im Labor gäbe es ein nettes Team, einen
geregelten Arbeitsalltag und viele Vorteile. Und rational gesehen hat er sogar
Recht. Nur emotional gesehen hänge ich halt an dem Dorf in der Ferne).
Sorry, dass
es aktuell keine positiven Dinge zu berichten gibt. Ich hatte mir den Start ins
neue Jahr ehrlich gesagt auch etwas anders vorgestellt.
Mondkind
Bildquelle: Pixabay
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