Ein Update

Weiter.
Irgendwie weiter.

Lange nicht mehr erlebt.
Das hier.

Sprachlosigkeit.
Die meisten Dinge habe ich wohl auch schon hundert Mal gesagt.

Der Druck ist so hoch, dass ich am liebsten Jeden, der mir über den Weg läuft, um ein Ohr bitten würde. Egal, ob das angebracht ist, oder nicht.
Um dann wieder nicht zu wissen, was ich sagen kann.
Klemme im Kopf.
Ich kann mich selbst nicht mehr hören.

„Sie brauchen Urlaub. Sie haben in letzter Zeit so viel gearbeitet und so viele Dienste gemacht“, sagt die Oberärztin, die gerade noch in meinem Büro sitzt, nachdem wir gemeinsam einen Patienten angeschaut und beschlossen haben, dass wir nicht umhin kommen, ihn neurologisch vorzustellen. Obwohl wir beide sicher sind, dass nicht viel raus kommt, aber er hat uns in Zugzwang gebracht.
Die Dienste und die Arbeitsbelastung hier sind nicht, wie in der Neuro. Weit darunter. Es ist der private Rahmen, der mich fallen lässt.
Ich schaue sie an und hätte am liebsten was gesagt. Aber ich nicke nur. „Vielleicht hilft ein bisschen Abstand“, sage ich. Worauf bezogen auch immer.
Sicher hat mich meine alte Oberärztin nicht damit angekündigt, dass ich pro Tag drei Mal meine Telefon und meine Schlüssel irgendwo vergesse und die Psychologin aus dem Nachbarzimmer dann zu mir kommt und mitteilt, wo man das Telefon wieder gefunden hat. Kürzlich habe ich einfach eine Gruppe vergessen zu machen. Die ist jede Woche am selben Tag zur selben Uhrzeit, aber irgendwie habe ich das einfach komplett verschwitzt.
„Danke, dass Sie den Patienten so unkompliziert in der Neuro untergebracht haben“, sagt die Oberärztin nochmal, bevor sie geht. Ich habe eigentlich gar nichts gemacht. Außer den Dienstarzt angerufen, genau gesagt was das Problem ist, dass ich schon Aufnahme und Untersuchungsbefund schreibe, der Medikamentenplan selbstverständlich auch dabei ist und sie ihn eigentlich direkt auf die Station durchschleusen und die weitere Diagnostik anmelden können. Und darum gebeten, dass man in der Frühbesprechung nicht erwähnen möge, dass ich den Patienten hochgeschickt habe.

Die Helfersysteme sind ausgeschöpft.
Und können nicht helfen. Was verständlich ist, weil ich auch nicht richtig sagen kann, was los ist.
Nachmittag und abends geht es dann, aber bis 14 Uhr darf man mich eigentlich absolut nicht ansprechen.
Die alte Therapeutin aus der Studienstadt meint, es wäre nachvollziehbar, dass es mir mit hoher Arbeitsbelastung, unklarer beruflicher Perspektive, Facharzt in absehbarer Zukunft, einer komplizierten Beziehungssituation und dem Todestag des verstorbenen Freundes vor der Nase, schlecht geht. Da braucht es keine Begründung. Das konnte schon mal minimal entlasten.
Mit der Frau des Oberarztes schaue ich immer wieder auf die Beziehung mit dem Kardiochirurgen, aber wir können viel sinnieren, wenn das alles an ihm abprallt.
Und der Intensiv – Oberarzt und ich hatten keine Zeit, weil es ja nur klappt, wenn er am Wochenende Dienst hat und ich nicht. Leider hatten wir zusammen Dienst.

Ich vermisse.
Hab immer ein bisschen mehr abgegeben. Über die Jahre. Trotz der Tatsache, dass es immer wieder Hoffnung gab und ich es ja auch versuchen wollte.

Mit der AGUS – Gruppe sind wir letzte Woche einen Wanderweg entlang der Nachbarstadt gelaufen. Und das war die Verbindung. Ich habe mit einer anderen Teilnehmerin lange gesprochen. Ähnliche Geschichte. Man hat getan was man konnte, aber es ging nicht. Gegen die Angst, die Depression und die Sucht waren wir machtlos. Wir reden. Darüber, dass wir bis heute oft glauben, wir haben ihn irgendwo gesehen. Mein Paketbote sieht dem verstorbenen Freund so ähnlich. Dass wir gehofft haben, die Psychiatrie könnte doch noch helfen. Dass wir wussten, wir dürfen den Anderen nicht aus den Augen lassen, eigentlich keine Sekunde, dass wir wachsam waren, aber doch den Moment verpasst haben. Darüber, dass wir uns von dem Menschen verabschieden mussten, mit dem wir alt werden wollten, dass wir keine Ahnung haben, ob wir nochmal so Jemanden finden. Darüber, dass es vorher doch irgendwie gekriselt hat in der Beziehung und was gewesen wäre, hätten wir das besser lösen können. Wir reden über Friedhöfe und wie es ist dort zu sein. „Meiner ist so weit weg, ich kann nur selten hin“, sagt sie. „Ich auch“, sage ich. „Manche Menschen mögen Friedhöfe ja nicht so, aber es gibt keinen Ort, an dem sich unsere Welten mehr berühren. Die Grenze der Welten ist immer dazwischen, aber einen Meter entfernt von ihm zu stehen, macht irgendwie etwas.“ „Das habe ich mir auch gedacht, als ich das erste Mal alleine dort war.“    
Nicht mehr einen Monat bis zum Todestag. Es ist immer dieser Frühling ganz besonders der Frühsommer. Jedes Jahr seitdem. Und vielleicht noch für viele Jahre. „Es gibt schon ein Ablaufdatum für Trauer“, sage ich irgendwann. „Das gibt Dir die Gesellschaft und Dein privates Umfeld vor. Irgendwann sitzt Du damit alleine auf Deinem Küchenboden. Und die Leute schauen Dich an wie ein Schaf, wenn Du anfängst darüber zu reden.“    

Ich denk, dass es gut tut, darüber zu reden. Zu spüren, dass es anderen genau so geht. Und doch frag ich mich manchmal, ob mir das wirklich im Gesamten gut tut. Denn abgesehen von der AGUS – Gruppe bin ich eben alleine damit. Es gibt keinen Ort, an dem die Eindrücke hinterher geteilt werden können. Manchmal fehlen mir unsere Café – Dates sehr. Ich weiß, wenn der verstorbene Freund es nicht gewesen wäre, hätten wir die. Genau nach diesen Treffen. Er hätte gewusst, wie wichtig dieser Austausch danach für mich ist. Auch nach bald vier Jahren noch fehlt genau der Mensch, den ich am Meisten gebraucht habe.


Auf unserem Weg laufen wir an einer Lichtung entlang, von der aus man einen Blick über den Stadtteil hat, in dem der ehemalige Freund wohnt. Ich erkenne ein recht markantes Haus, das etwas unterhalb seiner Straße steht. Ob man das Haus in dem er wohnt von unserem Standort aus wirklich sehen kann, weiß ich nicht.
Ich erinnere mich an unseren Sommer. An diese Monate, in denen ich alle Schwierigkeiten zwischen uns zur Seite drängen konnte, gehofft und geglaubt habe, dass sich das irgendwie lösen lässt und dass die „alten Zeiten“ nochmal zurückkommen. Irgendwie anders, aber doch zurück. Ich habe unsere Sonntage geliebt. Die waren wie in einer anderen Welt. Erstmal ausschlafen, lange kuscheln und in Ruhe frühstücken. Und den Alltag mal links liegen lassen. Das ging gut an diesen Sonntagen. Auch wir hatten wenig Zeit. Aber immer noch mehr Zeit, als der Kardiochirurg und ich heute. Ich habe kürzlich nochmal in den whatsApp – Verlauf geschaut. Da gab es schon eine Nähe. Und obwohl ich ihn nicht unbedingt als Partner vermisse – das Ding ist eindeutig durch, insbesondere auch deshalb, weil ich nie im Frieden mit mir selbst sein Konzept der Polygamie mittragen könnte – aber ich vermisse diese Zeit. Sehr sogar. Und klar, wir hatten auch genug Stress, ich will das gar nicht nachträglich romantisch verklären, aber es gab schon diese Momente.

Ich denke an den Kardiochirurgen. Diese Beziehung ist für mich reine Haltearbeit. Da gibt es nichts Gutes, nichts Schönes mehr. Ich glaube, wir halten uns fest, weil wir uns noch nicht loslassen können. Ich habe mich so abgearbeitet an ihm in den letzten Wochen und Monaten, immer wieder das Gespräch gesucht. In den meisten Fällen gegen Wände geredet. Bis er mir mal irgendwann vor zwei oder drei Wochen eröffnet hat, dass wir halt schon recht unterschiedlich sind. Er könne nicht still sein, für ihn sei das Hochstress, wenn er morgens noch neben mir liegen bleiben soll, er müsste zumindest ins Handy schauen und in Ruhe Frühstücken sei auch nicht so sein Ding. Er wolle halt lieber Paragliden oder Fallschirm springen, so früh wie es geht, auf dem Flugplatz stehen. Und seitdem hüpft er auch morgens sofort von meiner Seite an den seltenen Morgen, in die wir gemeinsam starten.
Wir sehen uns stundenweise, ein zur Ruhe kommen neben ihm, ist kaum noch möglich. Auch von meiner Seite aus ist jedes Einlassen, jegliche Gefühle fast vollständig weg. Wir haben ewig nicht mehr entspannt miteinander auf dem Sofa gelegen, bis auf einen flüchtigen Abschiedskuss auf der Türschwelle keine Nähe mehr gehabt. Wir haben dieses Jahr glaube ich – abgesehen vom Urlaub – noch kein einziges, vollständiges Wochenende miteinander verbracht. Er meldet sich auch nicht. Wenn er weiß, dass ich Dienst habe und ich ihm dann irgendwann mal schreibe, dann liest er es einfach nicht. Als wollte er sagen: „Heute kannst du schreiben was Du willst, ich muss nicht reagieren, weil Du da sowieso nicht weg kommst.“

Und über all die Energie, die dort verloren geht, bleibt kaum noch etwas übrig. Ich habe seit Wochen nicht mit meinen Freunden geredet. Ich nehme es mir vor, aber dann reicht die Kraft nicht. Nicht mal, um whatsApps zu beantworten.

Ich dachte der Urlaub könnte vielleicht ein bisschen was retten, auch wenn ich schon weiß, dass Urlaub das noch nie getan hat. Und nachdem der Kardiochirurg jetzt schon seit dem letzten Urlaub erzählt hat, dass wir nächste Woche nach Frankreich fahren und ich mich schon mit der Umgebung auseinander gesetzt habe – ich muss mich ja beschäftigen, während er beim Paragliding – Sicherheitstraining ist – hat er jetzt gestern gesagt, dass wir wahrscheinlich nicht fahren werden.
Wir wissen aber auch wie das endet, wenn wir beide hier sind. Das hatten wir ja schon mal im Herbst letztes Jahr. Er springt den ganzen Tag irgendwo herum und ist dann zu müde, um am Abend noch vorbei zu kommen. Dass er die Woche danach auch noch Urlaub hat, hat er allerdings bis vor wenigen Tagen gekonnt unterschlagen. Da wäre ja nochmal eine ganz andere Urlaubsplanung möglich gewesen. Und ich frage ihn immerhin jeden Monat vor der Dienstplanung, was er vorhat – da kann er das doch wohl mal anbringen.

Morgen noch.
Und dann habe ich zumindest die Arbeit erstmal von den Hacken. Diese letzte Woche war die Hölle. Ich musste mich durchgängig zusammen reißen, auf der Arbeit nicht alle fünf Minuten zu weinen.
Ich erwarte keine großen Wunder von diesem Urlaub.
Aber eine minimale Stabilisierung wäre schön. Dass ich danach irgendwie weiter arbeiten kann. Dass der Druck ein bisschen abnimmt und ich nicht mehr das Bedürfnis habe, Jedem alles an den Hals zu knallen, damit es geteilt ist.
Und der Facharzt – der will ja auch noch vorbereitet werden. Den interessiert das Chaos hier eher weniger.

Erstmal hat es dienstfrei heute. So gebraucht heute.
Nachdem der Dienst gestern für einen Psychosomatik – Dienst recht wild war.


Mondkind


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