Krise

Ich halte den Transponder an die Tür. Das Schloss leuchtet grün und öffnet sich.
Ich betrete das Treppenhaus, verlasse es gleich darauf wieder durch die Tür links und stehe auf dem Flur vor der Stroke Unit.
„Mondkind, was machst Du hier?“, begrüßt mich sofort eine vertraute Stimme. Einer meiner Lieblingskollegen.
„Wie geht es Dir? Und wie siehst Du eigentlich aus, was ist denn los mit Dir?“, schiebt er hinterher.
„Ich mache Visitendienst“, antworte ich auf seine erste Frage.
„Aber warum das denn?“, erkundigt er sich.
„Man hat mich gefragt, ob ich einspringen kann und ich hab „Ja“ gesagt“, entgegne ich.
„Aber nochmal Mondkind, wie geht es Dir eigentlich?“, bohrt er hartnäckig nach.
„Naja, es ist schwierig…“, sage ich und drehe mich zur Seite, damit er nicht sieht, dass mir die Tränen in die Augen schießen.
„Der Kardiochirurg…“, schlussfolgert mein Gegenüber treffsicher.
Ich nicke kaum merklich.
„Habt Ihr Euch getrennt?“, fragt er.
„Ich weiß es nicht. Keine Ahnung, wo er bezogen auf mich ist, ehrlich gesagt. Eigentlich hätten wir Urlaub. Eigentlich hätten wir in Frankreich sein sollen. In der Realität versuche seit Tagen die Kuh vom Eis zu ziehen. Und damit ich zwischendurch mal irgendetwas anderes zu tun habe, bin ich jetzt hier und die Frage der Kollegen kam mir ziemlich gelegen…“
„Du hast Urlaub Mondkind…?“, fragt der Kollege entgeistert.
„Finde den Fehler“, erwidere ich. „Ich habe keine Ahnung, wie ich ab Montag mit meinen Psychosomatik – Patienten weiter arbeiten soll – denen geht es doch zu 90 % besser als mir…“
Der Kollege macht Anstalten mich in den Arm zu nehmen, weicht dann aber zurück. „Darf ich?“, fragt er. Ich nicke.
„Wie ist es bei Dir?“, frage ich.
„Es ist viel passiert“, sagt er.
„Mh, ich hab’s am Rand mitbekommen“, entgegne ich.
„Jetzt geht es mir wieder viel besser“, erklärt er.
„Das ist schön – das freut mich wirklich sehr“, entgegne ich und meine das auch so.
„Wir müssen echt mal einen Kaffee trinken gehen“, sagt er.
„Wollen wir ja schon ewig“, entgegne ich.
Sein Telefon klingelt, er ist noch im Dienst. Mit einer Handbewegung bedeutet er mir, dass er weiter muss und wir uns zur Übergabe gleich sehen.
Ich bin sehr dankbar für diese Begegnung.

Ich kann mich gut erinnern. Wir hatten ungefähr zeitgleich Stress mit unseren Beziehungen, haben zeitgleich nochmal alles gegeben und haben uns dann doch auch ungefähr zeitgleich geschlagen geben müssen und kamen um die Trennung nicht herum. Und auch zeitgleich sind wir immer wieder nochmal eingebrochen. Wenn er morgens mit Hundehaaren an der Hose auf die Arbeit kam (seine Ex – Freundin hatte Hunde) und ich die Autoschlüssel auf dem Tisch liegen hatte, weil ich nicht von zu Hause, sondern von der Nachbarstadt kam, dann haben wir uns nur wissend angesehen, uns war beiden klar, dass wir wieder unvernünftige Dinge getan hatten und wir konnten uns gegenseitig ein bisschen halten in unserem Schmerz.

Visitendienst.
Der lenkt mich dann auch wirklich irgendwann ein bisschen ab. Als der Stresspegel endlich hoch genug ist. Und sich mal wieder als eine Ärztin zu fühlen, die sich nicht mit dem Innenleben ihrer Mitmenschen beschäftigen muss, wenn das Eigene schon überfordert, ist auch mal irgendwie schön.
Auch, wenn ich nicht unbedingt behaupten könnte, die Visitendienste vermisst zu haben. Bis 19:30 Uhr renne ich wie ein Wiesel über die Station. Der Hälfte fehlt mal wieder ein Doppler. Ein Patient kommt mit beginnender Urosepsis von der Normalstation. Herzlichen Glückwunsch.




Was ansonsten passierte… ?
Tja, wenn ich das so genau wüsste…
Am Donnerstag kam der Kardiochirurg von selbst auf die Idee, über die Beziehung reden zu wollen. Da schwante mir ja schon Böses, weil er das sonst immer so passiv über sich hat ergehen lassen. Und dass die Voraussetzungen nicht so gerade Bestens waren, war ja bekannt.
Er sei in sich gegangen die letzten Wochen und Monate, sagte er. Habe festgestellt, dass ihm die Beziehung immer weniger gut tue (dass er sich immer mehr zurück gezogen hat, habe ich ja gemerkt und immer wieder angesprochen) mit der Konsequenz, dass wir uns jetzt trennen müssen. „Das kann nicht Dein Ernst sein“, habe ich gesagt. „Ich bearbeite Dich seit Wochen, dass es hier nicht läuft und dass wir reden müssen und Du hast nie irgendetwas gesagt. Und jetzt kommst Du ums Eck ohne irgendwelche Verbesserungsvorschläge und meinst, wir sollen uns trennen.“
Was dann folgte, war ein ungefähr fünfstündiges Gespräch, im Rahmen dessen wir sicher drei Mal um den Ort gelaufen sind. Ohne Spaß – das war Psychotherapie pur. Erstmal einen Zugang zu ihm zu bekommen, dann die Dinge anzusprechen, von denen schon lange klar ist, dass die nicht laufen. Das Meiste davon kommt tatsächlich daher, dass wir einfach nicht miteinander geredet haben. Er hätte beispielsweise von mir erwartet, dass ich abends einfach mal unangemeldet auf der Matte stehe, wenn er sich nicht zuckt, wohingegen ich mich in der Position als sehr übergriffig erlebt hätte. Ich kann das machen, das ist kein Problem – mir war nur nicht bewusst, dass er das wirklich will. Danach war die Aufgabe, ihn vorsichtig auf den Gedanken zu lenken, was denn wäre, wenn wir das in einem begrenzten Rahmen neu aufsetzen. Mit neuen „Regeln“, fest eingeplanten Redezeiten. In der Annahme und Hoffnung, dass die Entlastung der Situationen, in denen es regelmäßig geknallt hat auch dazu führt, dass wir uns emotional wieder annähern können.

Auch hier ist es sehr schwierig mit ihm. Er hat gar keine Ahnung, wie das gehen soll. Sieht das tendenziell sehr kritisch, eigentlich kommen alle Ideen von mir. Durch ist das Ding nicht. Seine Aufgabe seit Freitag ist es eigentlich nachzuspüren, ob er eine innere Bereitschaft hat, sich darauf einzulassen. Ohne sich für oder gegen die Beziehung zu entscheiden, das ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich.
Und darauf warte ich aktuell. Zumindest habe ich heute gehört, dass er versucht sich Gedanken über eine mögliche Zukunft zu machen. Und zumindest habe ich auch schon gehört. „Das fände ich aber scheiße, wenn wir uns nicht mehr sehen“, nachdem ich ihm klar gemacht habe, dass es das Konzept „wir bleiben Freunde“ nicht gibt. Entweder wir versuchen uns als Paar, oder wir sollen Abstand halten, weil ich es nicht aushalten kann ständig einem Menschen auf einer freundschaftlichen Ebene zu begegnen, wenn ich eigentlich etwas ganz anderes von ihm möchte.

Die letzten Tage waren nicht einfach. Donnerstagnacht sah es ganz schlecht aus mit uns und ich weiß einfach, dass die dritte Trennung in vier Jahren mich an die Grenzen des Machbaren bringen werden. Ich habe viel geweint und wenig geschlafen. Nachts meistens gar nicht, dann irgendwie fragmentiert tagsüber. Ab morgen hat das leider ein Ende, mal sehen wie es dann weiter geht mit dem massiven Schlafdefizit.

Der Kardiochirurg hat ja noch eine Woche Urlaub. Von Montag – spätestens Dienstag – bis Freitag fährt er in den Urlaub (Danke für Nichts – mit mir fährt er nicht, aber alleine dann schon; es tut mir leid, aber ich kann das nicht gut finden – auch wenn ich ihm das jetzt natürlich nicht so unter die Nase reibe. Denn während für mich der komplette Urlaub ins Wasser gefallen ist, hat er noch mehr als genug Erholung). Und am Wochenende fährt er dann zu seinen Kumpels. So viel zu seiner Idee, er kocht abends und wenn ich von der Arbeit komme ist das Essen schon fertig und wir verbringen den Abend miteinander. Nicht, dass ich das eine Minute geglaubt hätte. Das würde er never tun.
Also selbst wenn wir das Ganze nochmal neu aufstellen – dann werden wir uns zumindest in der nächsten Woche eher nicht sehen. Danach muss er wieder arbeiten; dann wird es wohl auch wenig mit uns Zweien. Wir hätten diese Woche, die hier zu Ende geht schon gebraucht. Und zwar ganz dringend. Aber wir haben uns immer nur so zwei oder drei Stunden für das nächste Krisengespräch gesehen. Und natürlich haben wir nicht einen Abend oder eine Nacht zusammen verbracht.

Ich bin nicht bereit für Morgen.
Aber danach fragt wahrscheinlich niemand.
Ich habe schon mal geschaut. Drei neue Patienten. Alle drei kürzlich noch in der Psychiatrie, einer davon ziemlich akut psychotisch. Das kann nur lustig werden... Plus, ein Kollege wird im Urlaub sein; wir werden also vertreten müssen. Bitte lass schnell wieder Wochenende sein.


Mondkind


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