Von ein bisschen Brainstorming
Manchmal nimmt das Leben doch sehr interessante Wendungen.
Die man vielleicht auch erst so richtig mitbekommt, wenn man wieder offener sein kann für das, was so passiert um einen herum.
Am Sonntag habe ich einen meiner ehemaligen Oberärzte aus der Psychosomatik in der Notaufnahme aufgegabelt. Es hatte sich dann herausgestellt, dass er sogar ein paar Tage im Krankenhaus bleiben muss. Wir wollten eigentlich nochmal sprechen, wenn er mit der Behandlung fertig ist, aber dazu kam es dann nicht mehr und ich hatte mich auch entschieden, ihn erstmal ein bisschen in Ruhe zu lassen. Immerhin soll man sich im Krankenhaus doch ausruhen.
Gestern habe ich ihn aber gefragt, ob ich ihn vielleicht mal nach der Arbeit kurz besuchen soll, woraufhin er meinte, dass ein Besuch „sehr angebracht“ wäre. Nach dann…
Also bin ich nach der Arbeit ein Mal quer durchs Haus auf die andere Abteilung gelaufen und habe ihn dort in seinem Zimmer am Tisch sitzend vorgefunden. Er wollte von mir natürlich auch erstmal wissen, wie die Facharztprüfung gelaufen ist, was ich dann nochmal in allen Einzelheiten berichtet habe. Und dann ging es um die Möglichkeiten, die sich jetzt ergeben. „Ich glaube Du musst zuerst mal verstehen, was dieser Facharzt Dir für Möglichkeiten bietet“, hat er postuliert. „Du kannst alles machen. Und vor allem nicht dort bleiben, wo es Dir nicht gut geht. Du kannst sofort in die Psychosomatik wechseln, wenn Du möchtest und dort kannst Du hinsichtlich Gehalt und abzuleistenden Diensten verhandeln. Du kannst auch erstmal ein paar Monate als Honorarärztin arbeiten – das ist zwar stressig, weil die Kliniken an denen man eingesetzt ist immer ein Problem haben, aber man verdient gutes Geld und damit kannst Du Dir dann ein paar Monate frei nehmen und durch die Welt reisen. Und man sieht viele unterschiedliche Kliniken, das ist manchmal auch nicht schlecht. Du kannst Dich auch mal erkundigen, wie es in der Schweiz so läuft, das ist vielleicht auch nicht schlecht. Du hast Möglichkeiten.“ Ich nicke. Jetzt, wo er das alles aufzählt bekomme ich vielleicht wirklich zum ersten Mal dieses Gefühl von „die Welt liegt mir zu Füßen“, was ich damals nach dem Abi nicht hatte.
„Naja, aber eigentlich möchte ich ja noch in irgendeiner Form eine Psychotherapieausbildung machen und dann später selbstständig damit werden. Vielleicht ein paar Jahre Oberärztin davor, aber bis zur Rente in diesem Dienstsystem arbeiten, mag ich nicht. Und dann ist ja die Frage, wie man das anstellt. Braucht es wirklich einen zweiten Facharzt dafür? Denn wenn man noch eine Familie gründen möchte, sollte das irgendwann in den nächsten fünf Jahren passieren und diese Idee von „der zweite Facharzt wird sicher auch in fünf bis sechs Jahren gemacht sein“ ist dahingehend dann ziemlich utopisch. Ich habe da einfach ein bisschen Sorge, dass ich zwischendurch „hängen“ bleibe, wenn Sie verstehen.“ Er nickt. Und wir überlegen weiter. Vielleicht wäre auch ein Facharzt für Psychiatrie eine Lösung überlegt er, da braucht man nicht so viel Selbsterfahrung und muss nicht so viel Psychotherapie auch selbst machen – das ist überschaubarer. Allerdings möchte ich dann ja hauptsächlich psychotherapeutisch arbeiten und von daher ist es doch wieder dezent am Ziel vorbei. Mit der Zusatzweiterbildung ist er sich nicht sicher, ob man später kassenärztlich abrechnen kann, aber er berichtet, dass er sich auch mal viele Gedanken um mögliche Ausbildungen gemacht habe und ihm da die kassenärztliche Vereinigung habe weiter helfen können und die Ärztekammer auch. Sein Vorschlag war, dort Termine zu machen und nachzufragen.
„Und mal ganz woanders hinzugehen?“, fragt er. „Berlin oder so?“ Ich weiß nicht, was alle immer mit Berlin haben, ehrlich gesagt.
„Naja, das hängt ein bisschen daran, wie sehr man an den Beziehungen hier hängt“, sage ich. „Im Moment habe ich ja wieder einen Freund. Das läuft zwar irgendwie alles nicht gut und ja, ich habe mir auch schon gedacht, da stehen jetzt Entscheidungen an. Man kann das Private und das Berufliche dahingehend nicht vollständig entkoppeln. Wenn ich mich entscheide zu gehen, entscheide ich mich letztendlich wahrscheinlich auch gegen die Beziehung.“
„Naja, räumliche Distanz kann einer Beziehung auch gut tun“, postuliert er. „Dann nimmt man sich nämlich sehr bewusst Zeit für den anderen, wenn man die dann mal hat.“
„Ich habe die Befürchtung, dann würden wir uns überhaupt nicht mehr sehen“, knurre ich vor mich hin. „Es ist ja so schon schwer.“
Ich denke eine Weile nach. „Ich glaube, wir haben halt auch komplett unterschiedliche Bedürfnisse. Für ihn wäre das vielleicht sogar eine gute Lösung zu wissen, dass er nicht abends quasi zu Hause erwartet wird – also manchmal frage ich mich auch im Generellen, ob ihm das bewusst ist, aber an der Stelle knallt es halt regelmäßig bei uns. Aber ich bin da echt viel nähebedürftiger und ich möchte meinen Partner schon abends daheim haben. Eine Fernbeziehung wäre nichts für mich.“
Es stellt sich dann übrigens heraus, dass seine Freundin auch Chirurgin ist – auch, wenn sie aktuell nicht in der Chirurgie arbeitet und dann wird es super interessant. Er berichtet nämlich von ähnlichen Schwierigkeiten wie wir sie haben. Mit einem eher psychotherapeutisch arbeitenden Menschen und einem Chirurgen prallen einfach häufig zwei Welten aufeinander. Meistens sind es ja doch gewisse Persönlichkeitstypen, die sich für die ein oder andere Fachrichtung entscheiden. Nicht immer. Aber eben oft. Und es ist so schön anzuhören, wie es da auch zwei Menschen hingekriegt haben. Wie sie gelernt haben, aufeinander zu hören, die Eigenheiten des anderen einfach zu akzeptieren und seien das noch so banale Dinge im Alltag.
Als gemeinsames Hobby wurde übrigens Klettern vorgeschlagen. Da macht man etwas Aktives und hat gleichzeitig den Bindungsaspekt, weil einer den anderen ja immer sichern muss. „Das ist eine Vertrauensübung, die gut ist für die Beziehung – gerade wenn es ein bisschen schwierig ist.“
Der Abend endet dann damit, dass seine Freundin Pizza mitgebracht hat, wir uns ein Plätzchen draußen suchen – wahrscheinlich an einem der letzten Abende dieses Jahr, an denen das noch möglich ist – und da einfach bis um 21 Uhr hocken und reden. Es war so schön. Und vor allen Dingen fanden die anderen beiden das auch und haben vorgeschlagen, dass wir uns doch irgendwann nochmal treffen können. Keine Ahnung, ob das stattfinden wird, ehrlich gesagt. Aber irgendwie habe ich nicht gedacht, diesen Menschen wirklich nochmal zu sehen, obwohl wir damals als er gegangen ist, unsere Nummern ausgetauscht haben.
Später am Abend telefoniere ich noch mit einer Freundin. Sie hat ein bisschen Physikums – Panik. Es ist zwar geschrieben, aber bis zu den Ergebnissen dauert es noch und nachdem ich versucht habe sie ein bisschen zu beruhigen, sprechen wir auch nochmal über Zukunftsaspekte. „Ich frage mich ja schon immer auch, wie sehr man das an sozialen Bindungen festmachen sollte“, überlege ich. „Es ist halt nun mal so, dass es gerade im zwischenmenschlichen Bereich keine Garantien gibt und einem jederzeit alles weg brechen kann.“ „Naja ich hätte auch nie gedacht, dass mein Freund sich nach 12 Jahren Beziehung von mir trennt – ich dachte ich heirate diesen Mann“, sagt sie. „Eben“, gebe ich zu bedenken, „bei Dir war es Dein Partner, bei mir war es der verstorbene Freund und die potentielle Bezugsperson, zu der die Bindung danach eben auch verloren gegangen ist. Klar, mittlerweile denke ich mir schon, man soll halt aufpassen, dass die Bindungen, auf die man setzt, in irgendeiner Weise horizontal sind, aber das rettet einen auch nicht immer. Vertikale Beziehungen, in denen Du am Ende kein Mitspracherecht hast, wie bei der potentiellen Bezugsperson und mir damals, eigenen sich nicht. Aber manchmal denke ich mir, man sollte es eigentlich gar nicht an Bindungen festmachen. Die Frage ist nur – woran dann?“
Und mit dieser Frage bleiben wir dann stehen.
***
Der Kardiochirurg hat Nachtdienst diese Woche. Es ist Freitag und wir haben uns kaum gesehen bisher. Irgendwo zwischen Tür und Angeln. Wir drehen eine kurze Pirouette umeinander, bevor sich unsere Wege wieder trennen.
„Mondkind, Du weißt es selbst, es geht so nicht mehr weiter, Du musst Dich von ihm trennen“, hatte die Freundin gestern Abend gesagt. „Ich weiß“, habe ich ganz leise entgegnet. Und wir wissen auch beide, dass ich einfach nur Angst habe. Vor dem, was dann kommt. Davor, dass das Herz wieder zerbricht. Denn auch, wenn es jetzt schon so lange schwierig zwischen uns ist, aber ich liebe diesen Mann eben trotzdem.
Dazu passend habe ich auch kürzlich mit einer Kollegin gesprochen. Wir saßen beide zusammen in der Notaufnahme, haben schweigend nebeneinander gearbeitet, bis sie unvermittelt meinte: „Mondkind, ich habe mit der Ex – Freundin von Deinem Freund gesprochen.“ Dorfleben, an der Stelle. Es gibt so viele Querverbindungen, dass man immer damit rechnen muss, dass irgendwer irgendwen kennt - selbst, wenn die Menschen gar nicht mehr hier leben. „Aha“, habe ich vor mich hin gemurmelt. „Sie hat mich gefragt, ob seine derzeitige Freundin es immer noch mit ihm aushält“, redet sie einfach weiter. „Aushalten ist wohl im Moment oft das richtige Wort“, entgegne ich. „Was hast Du gesagt?“, frage ich. „Ich habe dann schnell das Thema gewechselt. Ich meine nur – es bist nicht alles Du. Die Problematik gab es schon vor Dir.“
Vielleicht kann das ein bisschen beruhigen.
Die Kommunikation heute Abend war auch wieder sehr interessant.
Ich: „Hey ich bin jetzt zu Hause, habe gerade noch eine Freundin in der Leitung und würde dann noch kurz Haare waschen… - wie ist die Lage denn bei Dir?“ (Er muss ja auch überhaupt erstmal wach werden, er hat schließlich Nachtdienst und wenn es soweit ist, können wir uns koordinieren, war mein Plan).
Er: „?“
Ich: „Wieso antwortest Du mit einem Fragezeichen auf meine Frage?“
Er: „!“
Da fällt einem doch echt nichts zu ein, oder?
Und am Ende sind wir geblieben bei einem "wir wissen auch nicht, ob wir uns morgen sehen". Obwohl doch morgen Abend - wenn auch spät - zumindest beide Parteien mal nach Hause kommen. Das erste Mal seit einer Woche. Und es tut immer noch seltsam weh, wenn Dinge, von denen ich angenommen hatte, dass er die auch so sehen und sich darüber freuen müsste, vielleicht gar nicht statt finden.
Mondkind
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