Von einem halben Wochenende nach der Prüfung

 Es ist nicht das erste Mal, dass Phasen nach Prüfungen bei Weitem nicht so entspannt sind, wie man sich das vorgestellt hatte.
Die Wohnung aufzuräumen bedeutet eben nicht den üblichen Wohnungsputz nachzuholen, der halt ein Mal ausgefallen ist, sondern eher von Grund auf zumindest ein bisschen Ordnung ins Chaos zu bringen. Daneben geht der Vollzeit – Job auch weiter, als Fachärztin wird man schneller mit Konsilen zugeschmissen, als man „Huch“ sagen kann, die Beziehung bahnt sich weiter ihren Weg durch das Chaos – mit zur Ruhe kommen ist nicht viel. Es sei denn, man schafft sich selbst aktive Pausenzeiten, aber darin war ich noch nie gut. 

Freitag. 
Der Tag hat mich ziemlich erledigt. Ich bin einfach unendlich müde und habe fast durchgehend Kopfschmerzen. Laut sagen kann ich das nirgendwo, weil alle meinen ich müsste nach der Prüfung das blühende Leben sein. 
Auf der Station habe ich einen Patienten, der mit einem Wurzelsyndrom aufgenommen wurde – mittlerweile ist sein akutes Problem aber eher ein Schub einer Colitis ulcerosa, er fällt kontinuierlich mit seinem Hb – Wert ab und der konsiliarische Oberarzt hat nichts Besseres zu tun, als vielleicht eine Colo zu machen, aber auch erst am Montag. Können wir das nicht vielleicht… - irgendwie behandeln? Also telefoniere ich mich weiter durch und finde einen Kardiologen, der gerade sein Innere – Jahr macht und mit dem ich schon viele Nächte in der ZNA verbracht habe. Er kann mir zum Glück helfen, aber ich hasse solche Fälle, die mich hilflos fühlen lassen. Ich müsste besser innere Medizin können, denke ich mir mal wieder. 

Am Nachmittag bleibe ich doch ein bisschen zu lange und dann muss ich noch einkaufen gehen. Mit dem Kardiochirurgen war es wild diese Woche – ich erspare uns die Details. Er hat wieder mal nicht gewusst, wann seine Dienste sind, die Problematik dann wieder auf mich geschoben und ich wette, dass er dann irgendetwas getauscht hat, das er mir nicht sagen wollte und was dann auch schief gegangen ist. Donnerstag war er dann bis 22:45 im OP, hat sich auch danach erst gemeldet und hat behauptet, dass er eben hätte einfach länger bleiben müssen. Ich weiß aber, er war bis zur letzten OP an diesem Abend da, es waren vier kleinere Punkte nach Feierabend, teilweise sogar mit Pausen von einer knappen Stunde – das macht man nicht, weil man Langeweile hat. 

An diesem Freitagabend wollen wir aber noch ins Schwimmbad. Genau – es gibt ein Schwimmbad hier in der Stadt, etwa zehn Gehminuten von meiner Wohnung entfernt, in dem ich noch nie war. Der Kardiochirurg hat aktuell Schulterschmerzen und meint, dass die Bewegung im Wasser ihm hilft, also gehen wir da ziemlich spät am Abend hin. Ich bin super müde, habe Kopfschmerzen und will eigentlich nur schlafen, aber nachdem wir es die ganze Woche nicht geschafft haben, weil er immer erst um 21 Uhr heim kam (außer an dem Tag, an dem ich selbst Dienst hatte, da war es 18 Uhr – ein Schelm, wer da eine böse Absicht vermutet), ist jetzt die letzte Chance vor der Nachtdienstwoche. 
Es ist ziemlich leer dort, weil das Bad auch bald schließt. Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, wann ich zuletzt in einem Hallenbad war. Aber es hat Spaß gemacht ein paar Bahnen zu ziehen und sogar die altbekannte Rollwende kann ich noch. 
Ich habe mir vorgenommen, ich werde öfter hingehen – ob nun mit oder ohne den Kardiochirurgen. 

Am Abend passiert nicht mehr viel. Ich schmeiße Schlafanzug und Zahnbürste in meine Tasche und düse zu ihm. Er muss noch zumindest soweit aufräumen, dass wir uns ins Bett legen können – in der Zeit brate ich vegetarische und nicht – vegetarische Burger – Pattys und es gibt noch einen selbstgemachten Burger. Und dann fallen mir auch schon die Augen zu. 

Samstag.
Die Nacht war nicht so ruhig wie erhofft – ich habe geträumt, dass der Kardiochirurg und ich an einer Tankstelle überfallen worden wären. Keine Ahnung wie ich darauf kam, jedenfalls konnte ich danach nicht mehr schlafen. 

Unser Aufwachen ist wie immer, wenn wir denn mal morgens Zeit haben. Er hängt am Handy, ich schmiege mich an ihn dran. Ich kann mich erinnern, es gab Zeiten in denen ich mich über zu wenig Intimität zwischen uns beschwert habe. Mittlerweile wäre ich schon froh, er würde mich einfach mal ohne permanente Ablenkung in den Arm nehmen. Das mit dem Handy ist schon eine merkwürdige Sache bei ihm. Seine Nachrichten liest und beantwortet er ständig nicht, aber dieses Handy ist dennoch ständig in Reichweite und er hat es permanent in der Hand. 

Wir frühstücken und dann fährt er seine Familie besuchen. „Nur ein paar Stunden“, sagt er, aber mir ist schon klar, dass wir uns vor seinem Nachtdienst maximal eine Stunde sehen werden. 
Und ein bisschen frage ich mich, ob irgendwann der Tag kommen wird, an dem ich auch seine Familie kennen lernen werde. Ich hatte es schon mal angesprochen, dass ich das nach zwei Jahren durchaus angebracht fände, aber er macht da keine Anstalten. Will aber auch umgekehrt nicht meine Freunde kennen lernen. 

Ich fahre nach Hause und widme mich der Wohnung. 
Durchsaugen, durchwischen und dann bringe ich mal Altpapier weg. In den letzten Monaten (und Jahren) hat sich so viel hier angehäuft, dass ich das kaum alles in die Altpapiertonne hinter dem Haus schmeißen kann. Manchmal frage ich mich wirklich, was ich hier die letzten sechs Jahre so gemacht habe. Ich zerkleinere die Kartons von den Möbeln, die wir zuletzt gekauft haben und nehme wirklich alle Ausgaben des Ärzteblattes seit September 2019 (und ja, das waren zwei hohe Stapel), verfrachte die ihn Möhrchen und schmeiße sie weg. Das ist befreiend, sage ich Euch. Müll los werden. Was ich mit dem alten Staubsauger, der alten Matratze, dem bald alten Wohnzimmertisch und einem Unterboden eines der Hochbeete mache, den wir nicht gebraucht haben, weiß ich allerdings noch nicht. Mein Hauptproblem ist immer, dass ich keine Ahnung habe, wo man das Zeug entsorgt und, wie es dann dahin kommt. Ich kann mit Möhrchen schlecht eine Matratze und einen Wohnzimmertisch durch die Kante fahren. 

Später muss ich noch in die Drogerie – die Vorräte sind auch langsam in Teilen leer und danach fällt mir ein, dass ich etwas vergessen habe einzukaufen für ein Rezept – also geht es nochmal schnell zum Supermarkt, wo ich gleich den Chef aus der Kardiologie treffe. Dorfleben hat nicht immer Vorteile… 
Und dann ist es auch schon spät und der Kardiochirurg taucht nochmal auf. Natürlich hat er vergessen, dass er „ausführlich“ über unsere Situation sprechen wollte, also erinnere ich ihn nochmal dran. Aber „ausführlich“ heißt für ihn dann doch eher wieder Schweigen. Ich weiß es nicht. Ob wir beide in die selbe Richtung denken und wollen. Ich weiß auch nicht, ob ich langsam noch will, ehrlich gesagt. Es ist so anstrengend und er kann die meisten Sachen nicht begründen. Auf die Frage, warum er sich Donnerstag nicht gemeldet hat, kam dann wieder ein „ja manchmal gibt es keine Zeit.“ Mh naja… - zwischen den OPs war jeweils viel Zeit und ein „Sorry Mondkind, wird später heute“, dauert zehn Sekunden. Dann behauptet er, es hätte auch nichts gebracht, wenn er sich eher gemeldet hätte, dann wäre ich auch nicht begeistert gewesen. Stimmt schon, aber das Problem fängt ja nicht bei seinen langen Abenden, sondern bei seiner Desorganisation an. Ich kann mich beschäftigen abends – ich kann doch jetzt wieder Bücher lesen, ins Schwimmbad gehen, Keyboard spielen (oder zwischendurch mal CME – Punkte sammeln, ich bin da schon fleißig dabei…) – ich muss doch nur wissen, dass ich nicht warten soll. Zu meiner Idee sich abends gemeinsam in einer Wohnung zu treffen und dort auch zu bleiben, sagt er nicht viel. Ich finde, das würde die Dinge am einfachsten lösen. 

Morgen habe ich Dienst. Ich hoffe, es wird nicht zu wild. Ich bin einfach müde. 
Und neben allem was so ist, muss ich mich ja auch langsam entscheiden, wie es beruflich weiter geht. Und wie schon gesagt, hängen da halt viele Überlegungen dran. 

***

Und ein bisschen frage ich mich, welcher Mensch ich jetzt wohl werde nach dem Facharzt. 
Es ist glaube ich nicht nur so, dass sich gerade die Wohnung ändert. 
Vielleicht irgendwann ein bisschen mehr nach mir aussehen wird. 
Irgendwie habe ich auch das Gefühl, ich ändere mich. 
Dieser Facharzt hat mich anderthalb Jahre gefangen genommen. 
Und davor hatte ich mich zumindest schon mal wieder für das Leben entschieden, aber der verstorbene Freund hat weiterhin eine sehr große Rolle gespielt. 
Er tut das weiterhin, aber weniger. Auf die Frage hin, was mich in dieser Beziehung noch hält seitens der Psychosomatik – Oberärztin habe ich letztens geantwortet „ich habe mich so schuldig gemacht“, was ich dann natürlich erklären musste. Der Kardiochirurg ist die erste ernst zu nehmende Beziehung seitdem und es hat sich von Anfang an angefühlt, als hätte ich den verstorbenen Freund und mich verraten. Wir würden uns immer noch lieben, wenn er noch hier wäre – daran glaube ich fest. Es war aber auch von Anfang an klar, dass er zwischen dem Kardiochirurgen und mir wenig Platz haben wird. Aber wenn das jetzt schon so ist – dann muss ich auch alles dafür tun, dass es nicht für umsonst war. Für mich sind das ganz alltägliche Gedanken – sie fand das jetzt eher erschreckend. 

Und doch habe ich von zwei Therapeuten innerhalb von zwei Wochen gehört, dass ich mehr auf mich schauen muss. Und das möchte ich auch versuchen.
Ich habe so viele Ideen und Anregungen und muss daraus etwas finden, dass sich nach mir anfühlt. Wieder mehr künstlerisch aktiv werden ist ein Punkt, Lesen, schreiben, Musik machen sind alles Möglichkeiten. Ich möchte auch sportlich etwas aktiver werden (ist schon etwas peinlich, dass ich nach zwei Stockwerken Treppensteigen schon ordentlich mein Herzchen spüre). Ich wollte eigentlich mehr Fahrrad fahren, aber jetzt denke ich mir, ich könnte auch schwimmen gehen. Ich möchte lernen besser zu kochen, ich möchte Fotografieren lernen und ich hätte gern ein Haustier. 

Und manchmal denke ich, ich grabe mich jetzt erst wieder aus und das wird noch sehr spannend. Das Leben stand so, so lange auf Pause. 


Mondkind


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