49 Monate

Mein lieber Freund,
schon wieder ist ein Monat vergangen – es ist August geworden und ich muss mich oft erinnern, wie sehr du über die Hitze dieser Tage geflucht hättest. Ab 25 Grad draußen war Feierabend bei Dir. Mehr konntest Du nur schwer tolerieren.

Der letzte Monat war ein bisschen verrückt.
Der Todestag an sich selbst ging eigentlich. Wahrscheinlich, weil ich den Abend davor in der AGUS – Gruppe war und mich schon da viel beschäftigt habe.
Aber die Mitte des Monats hat mich dann echt gecrasht, obwohl es – wenn es schon so sein musste - nicht besser hätte laufen können.

Ein Patient hat über das Thema Suizid im seinem Umfeld gesprochen und die Oberärztin hat nachgefragt. Und das ist das, was ich immer noch nicht kann. Ich kann es weg halten, solange mich niemand fragt, aber wenn Jemand wissen möchte, wie es mir mit dem Thema geht, brechen immer noch schnell die Dämme. Unter dem Mäntelchen des Alltags und des Schweigens über dieses Thema ist noch sehr viel Schmerz.

Es wurde viel über Dich gesprochen die letzten Tage. Und selbst mit dem Kardiochirurgen habe ich die Tage viel geredet und er hat sich sogar echt einen Abend mal auf dieses Thema eingelassen. Er ist da halt sehr pragmatischer – viel rationaler, als ich das oft vertragen kann. Er sagt, ich soll mir halt sagen, dass Du schon Deinen Frieden mit dieser Entscheidung gefunden hast und dass es für Dich richtig war und lässt es dann nicht gelten, wenn ich die Geschichte von Kevin Hines einbringe, der berichtet hat, dass er den Sprung von der Golden Gate Bridge in dem Moment bereut hat, in dem seine Hände das Geländer losgelassen haben.

Am Ende kommen wir immer wieder bei Fragen raus, die kein Mensch beantworten kann. Kein Mensch, der noch hier ist. Und Du kannst nicht mehr sprechen.
„Wenn er sich gedacht hätte: Ach die Mondkind, die bekommt das schon alleine hin, dann würde ich ihn gern an die Wand klatschen. Aber wenn er am Ende so in seinem Tunnel von Schmerz gefangen war, dass er an nichts anderes mehr denken konnte, als dass der Tod die Erlösung davon ist, dann kann ich noch auf Niemanden, der so gelitten hat, so wütend sein“, habe ich der Oberärztin referiert.
Sie versteht das. Und ermahnt trotzdem, dass ich lernen muss, mit den Fragen zu leben.

Es ist sehr, sehr eigenartig an dieser Stelle so gesehen und so validiert zu werden. Zu hören, dass es keinen Sinn macht, sich damit zu beschäftigen, wie die anderen diesen Tod einordnen. Dass die Menschen mir viel unterstellt haben bis hin zu der Tatsache, ich hätte mir das alles nur ausgedacht. Es zählt, wie es für mich war und was es mit mir gemacht hat und es ist wirklich seltsam, Jemanden da so eingeschränkt offen und wertschätzend in diesem Thema zu erleben. 


Mit dem Job ist es auch sehr schwierig aktuell. In zwei Monaten bin ich schon wieder in der Neuro und je näher das kommt, desto schwerer wird diese Vorstellung. Neben dem großen Thema mit Dir bin ich gerade dabei mit meiner Oberärztin zu überlegen was wir machen können und was mir helfen könnte. Ob ich erstmal da bleibe und den Facharzt noch etwas schiebe, damit es mir jetzt gerade besser geht und ich vielleicht auch mehr Zeit für das Thema mit Dir generieren kann. Oder, ob das so keinen Sinn macht, aber es zumindest einen definierten Endpunkt in der Neuro geben kann, der dann auch mit allen Seiten so abgesprochen ist.

Die Gesamtsituation überfordert mich gerade ein bisschen und der August wartet darüber hinaus mit fünf bis sechs Diensten… Deshalb bin ich heute auch ein bisschen kurz angebunden.

Halt die Ohren steif, okay?
Du fehlst hier echt immer noch sehr.
Mondkind

Bildquelle: Pixabay

Kommentare

  1. Liebe Mondkind. Aus dem Bauch heraus: Geh nicht in die Neuro zurück, bleib in der Psychosomatik. In der Neuro wirst du wieder gnadenlos ausgenutzt werden - und zudem total unglücklich sein. Das ist absehbar bei der Personalsituation. Und das mit den Endpunkten wird nicht funktionieren. Das weisst du. In all der Zeit, in der du auf der Neuro warst, hast du kaum Wohlwollen erfahren. Im Gegenteil. Mach‘ den Facharzt in Psychosomatik oder Psychiatrie. Oder studiere Psychologie. Mache das, was dir Freude macht! Was sind schon ein paar Jahre mehr in deinem jungen Alter? Ich habe extrem spät studiert und vorher beruflich vieles ausprobiert. Und ich habe es nicht bereut. Alles Gute für dich und herzliche Grüsse.

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  2. Ich schliesse Mich meiner Vorschreiberin explizit an. Enorm gut beschrieben, was auch ich denke...Aber wie schon im letzten Post geschrieben (das war ich): Letztlich entscheidest DU FÜR DICH. Was mich auch interessieren würde, wie sieht es mit einem Facharzt auf DEINEM Gebiet der Psychosomatik oder der Psychiatrie aus? Da schliesse ich mir der Vorschreiberin voll & ganz an. Ich freue Mich, dass Dich der Austausch hier freut, danke hierfür. Ja, ich bin sehr bei dir irgendwie, auch wenn ich sogar in einem anderem Land lebe wie du. Du berührst mich...Sehr...Und andere scheinbar ja auch....Sehr....DU BIST EINE SUPER-TOLLE FRAU, LIEBE MONDKIND

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  3. Liebe Mondkind, ich kann total verstehen, dass das ganze schwierig für dich ist. Aber was ich mich die ganze Zeit auch frage, was genau hast du davon den Facharzt in der Neurologie zu machen? Du bist dort doch furchtbar gestresst und unglücklich. Warum überlegst du dann überhaupt, etwas zu machen was dir eigentlich nicht gut tut? Du scheinst ja sehr stark in die Medizin und den Leistungsdruck gedrängt worden sein. Warum tust du dann nicht mal etwas verrücktes und entscheidest etwas für dich und was dir gut tut. Aktuell kämpfst du dich durchs leben und es gibt zu wenig Momente die positiv sind. Du wirst gelobt und geschätzt für deine medizinische Arbeit egal wo, so hört sich das zumindest an. Aber dein herz schlägt doch mehr für die Psychotherapie und du kannst ja offenbar deine persönlichen erfahrungen gut nutzen und wirklich helfen. Das wichtigste ist aber, dass du dir selbst hilfst. Ein Facharzt ist schön und gut aber läuft nicht weg. Oder? Was verlierst du denn? Ist es weil deine Schwester schon so viel mehr erreicht hat? Gerade als Zwilling ist es so doof man vergleicht sich bestimmt immer. Aber sie scheint dafür wirklich zu leben und die Medizin zu lieben. Aber wenn dein Herz es nicht tut dann ist das ok. Eine Arbeit in der Psychotherapie oder zumindest in dieser Richtung ist nicht schlechter und leben rettest du in dieser Hinsicht allemal. Steh für dich ein! Du hast trotz Krisen dein Medizinstudium geschafft, du arbeitest erfolgreich als Ärztin. Wem musst du noch was beweisen? Denk an dich! Sei verrückt und nimm eine Auszeit, vielleicht im Ausland. gewinne Abstand zu den menschen die dir nicht gut tun. Es wirkt als willst du es immer anderen recht machen, aber du bist die wichtigste Person in deinem leben. Du erlaubst dir keine schwäche aber du bist auch nur ein mensch mit einem Trauma. bitte bitte lass dir zeit. ignorier die anderen. bleib in dem fach was dir spaß macht. mach eine pro contra liste und zwar ohne an andere zu denken. denk an dich. bitte bitte gestalte dein Leben wie du es willst. und wenn du in der Medizin bleibst, dann mach wenigstens Baby schritte in Richtung Selbstbestimmung... ich wünsche mir das für dich so sehr. alles liebe du mutige starke Mondkind

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    1. Vielen Dank erstmal für die lieben Kommentare und für die ganze Mühe. Dazu wollte ich in jedem Fall auch noch etwas sagen, allerdings schaffe ich das heute wohl nicht mehr, es geht in jedem Fall nicht unter.

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    2. Hey Ihr Lieben,

      so, jetzt nochmal etwas ausführlicher:

      Wie viel genau ich mit meinem Facharzt für Neurologie in der Psychosomatik machen kann, weiß ich auch nicht. Ich denke, es könnte am Ende des Tages etwas schneller gehen, irgendwann mal Funktionsoberärztin zu werden und man hat natürlich auch ein anderes „Standing“. Die Frage ist aber natürlich berechtigt; ich denke das sind tatsächlich einfach meine Ansprüche an mich selbst auch mal wieder irgendetwas „fertig zu bekommen“. Nachdem ja schon die Doktorarbeit versandet ist…

      Ich habe heute nochmal lange mit meiner Oberärztin geredet – eigentlich wollten wir nochmal das Gespräch mit dem Chef morgen vorbereiten und sind darüber mal wieder etwas abgedriftet. Tatsächlich fühlt es sich sogar ein bisschen nach „Versagen“ an, sich für die Psychosomatik zu entscheiden, obwohl es ja eigentlich das genau Gegenteil ist. Diese doch bewusste Entscheidung gegen das, was familiär vorgegeben ist, fühlt sich erstmal nicht gut an. Und an der Stelle fehlt natürlich auch ganz viel Vertrauen in mich selbst. Denn das was die Eltern vorgegeben haben, hat ja im Grunde funktioniert. Ich habe heute ein selbstständiges Leben, in dem sich erstmal niemand mehr Sorgen machen muss aus einer rein materiellen Sicht und das hatten die Eltern auch soweit im Sinn. Aber dahinter steht ja auch die Frage: Kann ich mit meiner träumerisch – naiven Art das auch selbst halten? Und na klar – rein rational schon. Aber wenn man das ganze Leben hört, dass die eigenen Ideen nicht so besonders produktiv und erfolgversprechend sind, dann kann einem das echt unglaublich viel Mut abverlangen. Und da bin ich jetzt: Einen eigenen Weg gehen und aber dafür auch Verantwortung übernehmen. Und aber eben auch zu riskieren, dass es auch Menschen in meinem Umfeld gibt, die das nicht cool finden werden. Und ich mache mich damit in der Familie auch noch weiter zum Außenseiter. Ich war ja die Erste, die sich in diesem super leistungsbezogenen System mal daneben gesetzt und gesagt hat: „Hey, ich bin aber mehr als meine Leistung.“ Das wurde nicht gehört und hat nicht viel gebracht – und klar, auch die Medizin ist ein komplettes Leistungsding. Dass ich mir jetzt die Psychosomatik aussuche, die am Weitesten davon weg ist, fühlt sich schon fast frech an. Dieses „Durchschlüpfen“ ist im Moment kein gutes Gefühl.

      Und natürlich bringt das auch wieder einen langen Weg mit sich. Ich muss noch sehr viel lernen in der Psychosomatik – in der Neurologie komme ich gut zurecht. Wenn man mir einen komatösen Patienten vor die Füße schmeißt, kann ich mittlerweile schon einiges machen, bis mir mal die Ideen ausgehen – das ist in der Psychosomatik anders. Da ist das oft ein pokern im Moment. Souveränität nach Außen präsentieren ohne so genau zu wissen, was man da macht.



      Ich bin auf jeden Fall super dankbar für meine Oberärztin, die die zweifelnden Anteile echt sehr gut unterstützt, mich darin bestärkt, dass meine Gedanken und Reflexionen sehr sinnvoll sind und ich nur den Mut haben muss, die auch umzusetzen. Sie hat nochmal betont, dass sie mich wirklich gern behalten würde. (Naja, vielleicht auch nur bis zur nächsten Supervision, die ich mir heute für übernächste Woche eingefangen habe… - das stresst mich sehr, ich habe super viel Angst sie zu enttäuschen).

      Ein bisschen nimmt sie die emotionale Position des verstorbenen Freundes an. Der wirklich immer hinter mir stand, der mir immer schon gesagt hat, ich wäre gut aufgehoben in der Psychsomatik/Psychiatrie. Ich muss daran im Moment oft denken und bin bis heute berührt davon, wie sehr er für mich gedacht hat, wie überzeugt er von mir war, als ich es nicht sein konnte, wie viel er gesehen hat, das ich damals nicht sehen konnte und für das ich nicht den Mut hatte.

      Mondkind

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