Von Grenzen und Zukunft

 „An mein Früheres Ich
Ich weiß genau wie traurig Du bist…“

(Florian Künstler – Verzeih Dir selbst)


Wir sitzen im Büro.
Haben schon das Fenster geöffnet und obwohl draußen der Regen eingesetzt hat, ist es immer noch sehr stickig.
Fast ist es ein bisschen dunkel in diesem Büro und irgendwie vermittelt dieser Nachmittag eine Stimmung, wie sie manchmal auf den letzten Sommertagen liegt, dabei ist es nur ein bisschen Regen der durchzieht und dann ist der Sommer noch lange nicht zu Ende.

Wir reden über Grenzen.
„Ich bin sehr froh darüber, dass Sie mir erzählt haben, wie es Ihnen geht, aber ich habe den Eindruck, Sie bereuen das ein bisschen.“
„Schon“, gebe ich zu. „Es war jetzt nicht der Plan, sagen wir es so“, füge ich nach einer Pause hinzu. Denke wieder kurz nach. „Obwohl ich schon zugeben muss, dass es auch gut tut, dass das Thema hier mal einen Raum in so einem wertschätzenden Umfeld gefunden hat.“
„Was ist Ihre Sorge?“, fragt sie.
„Naja, ich habe schon vor, langfristig Psychosomatik zu machen. Da ist das eher ungünstig, wenn man den Eindruck vermittelt, die Dinge nicht auf der Reihe zu haben.“
„Was glauben Sie, was ich von Ihnen denke?“
„Mh… - ich weiß gar nicht, ob das so schlecht ist, wie ich es mir vielleicht ausmale. Meinen Job mache ich ja trotzdem.“
„Also ich kann Ihnen sagen, was ich von Ihnen denke: Ich denke, Sie sind eine sehr kompetente, junge Ärztin, die mit viel Begeisterung bei der Sache ist, aber der etwas widerfahren ist, das sehr traumatisch ist und mit dem sie sehr alleine gelassen wurde. Und das tut mir sehr leid und deswegen möchte ich Sie da unterstützen. Und so als Entlastung bin ich gern für Sie da.“

Es ist eine interessante und sehr tragende Erfahrung, nicht nur das Eine oder das Andere sein zu müssen. Entweder die kompetente Ärztin, diejenige, die gerade für andere da sein kann und muss, in Momenten auch die Stütze sein muss, die ich mir selbst gewünscht habe. Oder Diejenige, die eben auch ein stückweit zerbrochen ist an dem, was sie erlebt hat, die „zu viel“ war und der da auch Kompetenz abgesprochen wurde.
Es kann nebeneinander existieren, Hin und Her pendeln, es darf alles zu mir gehören.

Noch ein Foto aus dem Urlaub. Blick von der Fähre aufs Meer


„Ich habe übrigens auch schon mal mit dem Chef darüber gesprochen, dass ich finde, dass Sie hier sehr gut rein passen und dass ich Sie schon gern behalten würde.“
„Wo wir beim Thema wären…“, merke ich an.
Und dann geht es lange um den Beruf, nachdem ich ein bisschen meinen Weg in die Neuro und in die Psychosomatik ausgeführt habe. Gefühl gegen Verstand. Schon wieder. „Zurück in die Neuro zu gehen, fühlt sich an, wie ein Selbstboykott. Jetzt bin ich gerade mal auf einem Platz gelandet, an dem es mir richtig gut geht und ich weiß auch, wie schlecht es mir auf der Neuro geht. Dorthin zurück zu gehen, zerbricht schon irgendwie etwas in mir. Das ist vorprogrammierte Krise. Auf der einen Seite ist es super logisch, jetzt diesen Facharzt zu machen, auf der anderen Seite glaube ich nicht, dass mich das wirklich glücklicher macht und ich – Im Gegnteil – jeden weiteren Tag auf der Neuro bereuten werde. Alles bis hierher waren die letzten 12 Jahre hauptsächlich Kompromisslösungen.“
„Naja und es gibt vielleicht auch nicht nur die eine oder die andere Lösung“, merkt die Oberärztin an. „Wenn Sie sagen, dass Sie das gerade entlastet, dass Sie einfach noch ein bisschen hier bleiben, dann können Sie das ja machen. Es sagt ja Keiner, dass Sie nicht doch noch Ihren Facharzt machen können, aber es muss ja nicht forciert Jetzt sein. Vielleicht sind jetzt gerade einfach mal andere Dinge dran.“
Sie schlägt vor, das mit dem Psychosomatik – Chef weiter zu besprechen.

Am Abend spreche ich noch mit einer Kollegin aus der Neuro, die auch gerade eine Hospitation für eine Weiterbildung braucht. „Weißt Du Mondkind – ich habe denen gesagt, dass ich dafür zwei Wochen lang täglich bis 13 Uhr in der Anästhesie sein muss. Und dann sollte ich trotzdem noch meine Stationsarbeit machen und hatte genauso viele Patienten wie alle anderen und saß dann bis 22 Uhr auf der Arbeit. Es interessiert Niemanden. Wenn du weiterbildungstechnisch etwas möchtest, dann machst Du das alles in Deiner Freizeit. Es wird aktuell Keiner einen Millimeter auf Dich zukommen; der Oberarzt weiß schon nicht mehr, wie er den Dienstplan voll kriegen soll. Und dieser Plan, dass Du zurück kommst, drei Monate nebenbei Elektrophysiologie machst und dann die Unterschriften bekommst – das wird nicht funktionieren. Das mit dem Facharzt sehe ich in ganz, ganz weiter Ferne. Wann willst Du denn lernen?“
Das habe ich ja auch schon befürchtet.

Ich habe gestern Abend noch sehr lange mit dem Kardiochirurgen gesprochen und ich war sehr erstaunt, dass er sich wirklich mal auf dieses Thema eingelassen hat und da auch sehr konstruktiv unterwegs war. Schieben würde er den Wechsel in die Neuro nicht, weil dann schon die erhöhte Gefahr besteht, dass man das einfach gar nicht mehr macht. Denn je länger man raus ist, desto schwerer fällt auch der Weg zurück. Aber man kann ja versuchen mit allen zu verhandeln. Vielleicht kann man mit dem Neuro – Chef einen festen Zeitpunkt vereinbaren, bis zu dem ich bleibe und bis dahin muss er mir halt zumindest die Unterschriften geben – ob ich dann die Zeit in der Elektrophysiologie erfüllen konnte oder nicht; das ist ja sowieso seine Privatauflage. Und dann könnte ich nämlich den Psychosomatik – Chef erklären, wann ich zurück komme und könnte fragen, ob es vielleicht möglich wäre, in meine alte Sektion zu kommen. Es gibt ja immer mal wieder Kollegen, die für die Weiterbildung ein paar Monate rotieren; mit einem von denen könnte man ja in der Zeit meine Stelle besetzen. Wenn meine Oberärztin sich auch für diesen Vorschlag einsetzen könnte (und ich glaube, das würde sie tun), würde das schonmal die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass es klappt.

An mein späteres Ich,
ich hoffe so, dass Du glücklich bist

(Florian Künstler – Verzeih Dir selbst)


Ich hoffe, ich werde die Weichen in den nächsten Tagen richtig stellen.

Mondkind

Kommentare

  1. Es freut Mich sehr fest, wie sehr du in der Psychosomatik wertgeschätzt wirst. Horche gut in dich rein, was FÜR DICH passt. Du musst es niemandem recht machen, nur dir selbst. Klar gibt es gewisse Auflagen von Aussen.. Doch, was FÜR DICH *JETZT* STIMMT, ENTSCHEIDEST DU SELBST...Ich würde mich an das halten, was deine Oberärztin dir sagte: Jetzt sind erstmals andere Dinge anstehend. Dinge, die dein Freund eher unterschätzt, also welche Auswirkungen sie auf dein jetziges Leben haben...Meine Meinung!

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    1. Hey,
      Erstmal freue ich mich über den regen Austausch hier in letzter Zeit :)

      Puh ja, ich schwanke da noch ziemlich hin und her, was jetzt die beste Lösung ist. Einerseits will ich den Facharzt von den Hacken haben, andererseits möchte ich, dass es jetzt gerade noch so bleiben kann. Und dann meinte der Kardiochirurg noch, man müsse halt schauen, wo das Ausbildungskonzept allgemein gut ist und das nicht an einzelnen Oberärzten fest machen. Wobei man die "ideale Klinik" sicher nicht finden wird, sondern immer eine Schnittmenge aus motivierten und nicht so motivierten Oberärzten, was Ausbildung anbelangt, denke ich... aber das ist natürlich auch ein zu bedenkendes Argument... denn hier wünsche ich mir schon eine gute Ausbildung, weil ich da dann auch wirklich Karriere machen möchte und ein gutes Fundament brauche.

      Wobei... vielleicht soll man das ganze Hin und Her denken ja jetzt einfach mal lassen... hach ja...

      Mondkind

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