Gedanken zum Ronan Keating - Konzert

Donnerstagabend.
Nachbarstadt.
Kurpark.
 
Alleine dieser Park.
Hier habe ich meine Runden gedreht.
In der Kälte, im Schnee.
Im Dezember 2021, hier habe ich den Jahreswechsel auf das Jahr 2022 verbracht und im Januar 2022 war ich immer noch hier. Wenn ich die Wände der Psychosomatik nicht mehr ausgehalten habe, dann war ich hier im Park.
Hier habe ich versucht, meine Gedanken zu sortieren. Mir überlegt, wie ich endlich raus komme, aus diesem Kreislauf, in dem ich war. Hier habe ich gehofft, dass Trauer, Schuld, Verantwortungsgefühle, die Frage wie es weiter geht, ein bisschen in den Hintergrund treten können.
Und danach bin ich zurück zur Klinik gelaufen, habe mich bei einem Tee auf meinem Bett aufgewärmt und gehofft, dass diese Klinik – Karriere irgendwann mal vorbei ist.
 
Donnerstagabend. Ende des Sommers.
Meine Schwester steht rechts von mir.
Ein Kumpel aus der Studienstadt steht links von mir.
Mein Freund steht hinter mir. Hat seine Arme um meinen Bauch gelegt und zusammen wiegen wir uns im Takt zu den Songs von Ronan Keating.
Alle Welten ganz nah bei mir.
Kein „entweder – oder“. Heute können mal alle da sein.
 
„Last thing on my mind.“
Einer der Songs, den er spielt.
Erinnerungen. Daran, wie ich früh morgens im Auto saß, von meinem Elternhaus in die Nachbarstadt zum Praktikum im Krankenhaus gedüst bin. Irgendwann 2012 muss das gewesen sein. Die Musik ganz laut. Tränen in den Augen. Ich wollte hier nicht sein. Ich wollte nicht mehr in diesem Leben sein. Was nicht hieß, dass ich das Leben an sich nicht wollte, aber ich wollte es nicht so.
Und gleichzeitig war dieser Song eine Kampfansage. „I won’t watch my life crashing down on me.“ Das war die Zeile, die ich am lautesten mitgesungen habe. Ich werde einen Weg finden. Ich weiß nur noch nicht, wie.
Und dann – nachdem ich das Auto mitsamt der CD, die dort drin auf Dauerschleife lief meiner Schwester übergeben habe als ich zu Hause ausgezogen bin – habe ich den Song nicht mehr gehört. Jahrelang.
 
War unterwegs. Habe hier und dort gelebt. Fortbewegungsmittel war kein Auto mehr, sondern die Bahn.
 
Ronan Keating.
Das letzte Konzert von ihm habe ich im Februar 2013 erlebt.
Damals habe ich noch zu Hause gewohnt. Sozial isoliert. Finanziell abhängig. Emotional abhängig. Es gab kaum etwas anonymeres, als eine Pendler – Uni wenn man auch selbst ein Pendler war. Zu Hause war kein zu Hause, aber eine Alternative gab es auch nicht. Gefangen auf einem Weg, von dem ich nicht wusste, ob der ein gutes Ende nehmen kann.
Ständig verzweifelt, weil ich mich so unterdrückt gefühlt habe, so sehr meiner Träume beraubt, so eingesperrt auf einem Weg, den ich doch niemals gehen wollte. Und die Zukunft sah doch nicht besser aus. Fertig studieren, dann zu Hause bleiben, uns um die Mutter kümmern, nebenbei arbeiten – wo sollte da mal ein Leben warten?


Ich weiß, die Qualität des Handys für Konzertfotos ist nicht die Beste...


 
Ronan Keating. 11 Jahre später.
Viel erlebt. Sehr viel.
Immer gekämpft. Wenn auch nicht immer gewusst, wofür.
Und gerade kurz bevor es damals okay wurde, sind die Welten wieder gefallen.
Statt der Planung, wie wir die Wohnung einrichten, haben seine Mutter und ich geplant, wo wir den Freund beerdigen.
 
Und heute stehe ich hier. Lausche „Last thing on my mind“. Nehme die Arme meines Freundes und lege sie noch ein bisschen enger um mich herum, als müsste ich sicher gehen, dass er nicht loslässt.
Eigene Wohnung. Gerade ein Job, den ich mag. Einen Freund. Freunde um mich herum.
Weit weg von der alten Heimat.
Jetzt gerade in diesem Moment, ohne das Gestern und ohne das Morgen, ist alles perfekt.
Ein emotionales Tattoo, das sich in die Seele einbrennt. Genau jetzt.
Es klingt nach nicht viel. Aber es ist so, so viel. So viel mehr, als realisierbar schien. Damals.
 
Ich würde mich gern ganz kurz neben die Mondkind von vor mehr als 11 Jahren stellen.
Die diesen Konzertmoment damals so genossen hat, war es doch ein ganz seltenes Ausbrechen aus dem bekannten Trott. War es doch damals noch so ungewohnt, das eigene Herz zwischendurch zu spüren; nicht nur die Angst, die konnte es gut vermitteln – sondern die Stärke, die auch in ihm steckte.
Ich würde der Mondkind von damals gern mitgeben: Egal was noch kommt – und es wird hart werden, wahrscheinlich härter als Du glaubst – aber Du wirst es aushalten und mehr als ein Jahrzehnt später wirst Du in einer ganz anderen Ecke von Deutschland an einem warmen Sommerabend auf einem Open – air – Konzert stehen, hast Menschen um dich herum die Du magst und ein kleines Leben, das für andere so normal ist, aber von dem Du immer wissen wirst, dass Du es Dir mit viel Kraft und viel Mut erkämpft hast.
 
Und ich glaube fast, die Zeiten werden nicht immer gut bleiben. Aber ich hoffe, dass das Bewusstsein übrig bleibt, dass die Dinge zu bewegen sind. Dass ich schon so viel geschafft habe, dass auch die neuen Hürden zu bewältigen sind.
Und ich hoffe, dass Normalität immer ein bisschen Wunder bleiben kann. Dass ich mir dieses Bewusstsein erhalten kann.

Mondkind

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