Zerrissen

Sonntagmorgen.
Nach dem Dienst.
Ich düse mit dem Fahrrad durch die Wiesen nach Hause. Schon in kurzen Klamotten. Ich liebe diese Ruhe. Kein Mensch auf den Straßen. Kühle Luft. Ein freier Tag vor der Nase, wenn es nicht so viel zu tun gäbe. Und ich nicht die Erschöpfung in jeder Faser meines Körpers spüren würde.
Aus dem Café bei mir ums Eck höre ich schon Geschirr klappern. Die bereiten sich schon vor auf den Morgen, auch wenn das Café selbst noch geschlossen hat.
Ich denk an Dich und ich glaube, das wäre unser Platz zum Sonntagmorgen geworden. Insbesondere nach einem Dienst kann es eigentlich nichts Schöneres geben, als erstmal in Ruhe zu sitzen, Kaffee zu trinken und frühstücken und zu reden.
Mit dem Kardiochirurgen ist es indes schon wieder alles schwierig. Der August ist allgemein eine Katastrophe. Entweder er hat Dienst. Oder er ist beim Paragliding oder Fallschirmspringen. Ich weiß mittlerweile, dass ich da nicht die Priorität habe. Ob das für immer so sein kann, weiß ich nicht. Es ist nicht mehr damit zu rechnen, dass er mal auf die Idee kommt, einen Tag an dem wir beide frei haben, für Paarzeit freizuhalten. Es fühlt sich irgendwie gut an, dass das nicht mehr jedes Mal zu einer fundamentalen Enttäuschung wird. Auch wenn ich weiß, dass es ein Wegrücken voneinander ist, aber das war emotional fast nicht mehr auszuhalten.  Und es ist auch irgendwie seltsam okay, dass ich auch keine Lust mehr habe, mich an ihm abzuarbeiten. Das habe ich ja zu Genüge gemacht. Es hat sich auch irgendwie etabliert, dass ich neuerdings immer abends nach Hause fahre. Ich habe irgendwie keine Kraft mehr, das hundert Jahre mit ihm zu diskutieren, ob ich bleiben darf und am Ende nicht zu wissen, ob er das irgendwie okay findet.
Und so grundsätzlich hat er aber auch nicht die Antennen, die ich gerade brauche. Es ist nicht besprechbar, was mich gerade bewegt. Und dadurch bleibe ich sowieso alleine, egal ob er da ist oder nicht.

***

Freitag.
Eine Neuro – Kollegin in der Leitung.
„Ach immer dieser Stress mit dem Labor. Jetzt habe ich einen mit Verdacht auf Borrelliose, die ASIs sind negativ und jetzt sollen wir die nochmal machen, weil es ja sein kann, dass die einfach noch nicht positiv sind.“
„Naja Du kannst auch CXCL13 bestimmen, das kommt relativ schnell nach Infektionsbeginn…“
„Echt?“
„Naja, ich weiß nicht, ob wir das machen, aber ne Möglichkeit wäre es, sagen die Leitlinien.“
„Danke Mondkind.“

Ich schaue noch eine Weile auf mein Telefon, nachdem sie aufgelegt hat.
Ich weiß es nicht.
Ich werde genau dann aus der Neuro gehen, wenn ich wirklich mal ein bisschen was kann. Ich werde die Lieblingskollegen verlieren. Ich werde die Tage in der Notaufnahme verlieren. Und die Fähigkeit, eine Notaufnahme durch die Nacht zu führen.
Die Familie wird es auch nicht besonders witzig finden, dass ich das von allen gefürchtete Schlupfloch doch noch gefunden habe.

Manchmal fühlt es sich an, als hätte ich die letzten 12 Jahre versucht jemand zu werden, der ich einfach nicht bin. Und am Ende formen diese Jahre ja doch. Ich bin echt gewachsen in dieser Medizinerwelt.
Und jetzt bin ich nicht mehr dieses naiv – verträumte Wesen von früher, die Kreativität ist irgendwo verschwunden, aber eine richtige Medizinerin die für das brennt, was sie tut bin ich auch nie geworden. Obwohl ich den Job immer gut gemacht habe, mich auch bemüht habe, denn Du bist immerhin so viel wert, wie Deine Leistung.

„Wir können nicht ewig gegen unsere Intuition und Gefühle kämpfen“, sagte die Oberärztin. Wenn ich spüre, dass ich dort nicht hingehöre, machen es Kollegen besser, aber nicht gut.
„Sie sind ein ganz sensibler Mensch mit ganz feinen Antennen und damit sind Sie hier genau richtig. Die kommen Ihnen hier zu Gute“, sagte sie. „Und meistens stehen sie mir im Weg“, entgegne ich. „ich fühle mich oft wie so eine Schnecke, der man ständig auf die Fühler schlägt.“ Sie seufzt.

Die Psychosomatik wird gewinnen und verlieren gleichzeitig. Keine Ahnung, ob ich mich nach all den Jahren nochmal ausgraben kann. Ob sich das irgendwann wirklich noch mal richtig anfühlen kann. Ob sich das nicht für immer anfühlen wird, als hätte ich mich selbst aus Abstellgleis gestellt.
Vielleicht hilft nur probieren und vertrauen. Und sich erinnern, dass die Neuro nicht das Glänzen war, das sich alle gewünscht haben. Wie viele Morgen habe ich schon vor der Arbeit geweint? Das hat es auch gegeben. Ich war nicht der Mensch, der ich dort hätte sein sollen.

Immer noch Urlaubsfotos...- Bremen


***

Ich habe selten in der letzten Zeit so sehr geweint, wie in den letzten Tagen. Bin lange nicht mehr so an mir verzweifelt. Weil ich doch eigentlich weiß, was ich möchte, so glücklich sein kann, dass ich mir die Chance dort wo ich gerade bin erarbeiten konnte und alle super zufrieden mit mir sind. Ich verstehe wirklich nicht warum, aber die halten mich für eine gute Therapeutin. Es ist auch irgendwie eine Bestätigung meiner Intuition. Ein „Mein 18 – jähriges Ich wusste ziemlich gut, was es wollte.“

Und gleichzeitig fühlt es sich so unendlich falsch an. Langsam gehe ich mir schon echt selbst auf den Zeiger damit.
Ich kann nicht sagen wie froh ich bin, dass die Oberärztin das gerade mitträgt. „Sie sind nicht so auf die Welt gekommen. Das ist mit der Zeit entstanden – diese Diskrepanz. Ich kenne Sie nicht so gut, aber allein von dem was ich gehört habe, ist das vor dem Hintergrund Ihrer Biografie mehr als nachvollziehbar. Und nur bevor Sie sich jetzt anfangen Vorwürfe zu machen – Sie haben keine Schuld daran. Und trotzdem möchte ich Sie ermutigen, Ihren Weg zu gehen.“

Ich kann es nur immer wieder sagen – ich habe selten Jemanden erlebt, der vermittelt: Du bist ein guter und wertvoller Mensch und ich möchte mit Dir weiter arbeiten, OBWOHL du das alles mit Dir herum trägst und mich mehrere Stunden Zeit jede Woche kostest.

Mondkind

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