Vom Arbeiten und Verarbeiten

Hab den Gedanken so oft anprobiert
Ich hab ihn hin und her und fast kaputtgedacht
Ich wollte wissen, ob er wirklich unzerstörbar wird
Ich wollte wissen, wie man all das Gute besser macht
Es hat mich um den Schlaf gebracht

(Jupiter Jones – Atmen)


***
„Und wie geht es Ihnen sonst so?“
Die Frage ist fast zum Standard geworden nach unserer Sektion und nachdem wir uns über die Patienten ausgetauscht haben.
Ich seufze.
„Es ist viel im Moment“, erwidere ich. „Arbeit und der verstorbene Freund. Die Frage mit der Arbeit ist wirklich zeitkritisch langsam. Wenn ich nur mein Herz fragen müsste und nichts um mich herum beachten müsste, dann würde ich selbstverständlich auf meiner jetzigen Arbeitsstelle hocken bleiben.“ Die Oberärztin ist weiterhin der Meinung, dass es auch legitim wäre, mal auf das Herz zu hören, aber sie kann auch gut nachvollziehen, dass manchmal Dinge „einfach dran sind.“ Wie man die Prioritäten jetzt gewichtet, ist die Frage. „Ich könnte mir schon gut vorstellen, es mit dem Facharzt ernsthaft zu versuchen, wenn das mit allen Seiten gut abgesprochen ist. Wenn der Chef hier mir zusichern kann, dass ich zurück in die alte Sektion komme; meinetwegen nehme ich dann auch eine Reha – Gruppe, wenn es sein muss. Und, dass der Chef der Neuro auch keine Schwierigkeiten macht, wenn ich dann nach einem halben Jahr gehe und er mir die Unterschriften gibt. Dann kann ich die Tage ja quasi im Kalender abhaken – das habe ich im PJ auf der Chirurgie auch so gemacht.“ „Haben Sie denn schon mit dem Chef hier gesprochen?“ fragt sie. „Nein“, entgegne ich. „Dann würde ich das doch als Erstes mal machen, damit Sie überhaupt eine Grundlage haben, auf der sie sich Gedanken machen können. Vielleicht ist das ja alles von unserer Seite überhaupt kein Problem – dann müssen Sie sich nur überlegen, wie Sie das mit der Neurologie lösen.“
Ich nicke.
Am Nachmittag rufe ich im Sekretariat an und organisiere einen Termin, der zum Glück noch diesen Freitag statt finden wird. Aber was genau ich da erzähle, muss ich mir noch gut überlegen.

Ich denke viel nach in der Nacht danach.
Ist das alles so richtig? Wie wäre ein Leben in der Psychosomatik? Zwar sind die Neurologie und die Psychosomatik / Psychiatrie noch recht verwandt, allerdings wäre das schon ein – eben nicht nur temporärer - krasser Wechsel meines Tätigkeitsfeldes. Zwar können wir in der Psychosomatik auch ein bisschen Somatik, aber es ist weit entfernt von dem, was ich gewohnt war.
Ich bin ehrlich – manchmal vermisse ich die Notaufnahme. Irgendwann 2020 hätte ich nie gedacht, dass ich das mal sagen würde, aber das hat mir am Ende noch am Meisten Spaß gemacht. Wobei ich auch oft hinterfragt habe, wieso. Ich glaube oft war es einfach dieses Unvorhersehbare, jeder Tag war irgendwie anders und neu, es gab so viel Adrenalin, dass kaum Zeit für die anderen, oft schweren Gedanken war und nach dem Tag war ich oft stolz, dass ich es gut geschafft hatte. Die Notaufnahme war bis zum Ende ein persönliches Wachsen, weil ich es nur schwer annehmen und nicht als „Wunder des Universums“ abtun konnte, dass die Tage dort tatsächlich etwas mit meiner Kompetenz zu tun hatten. Aus Derjenigen, die sich Nichts zugetraut hat, ist Jemand geworden, die eine Notaufnahme rocken konnte.
Allerdings hatte das Ganze dann auch irgendwo Grenzen und die waren mir auch sehr bewusst. Dass ich auf der Intensiv keinen Fuß auf den Boden kriegen würden war mir vorher klar und das hat sich dann auch bestätigt.

Was ich mir in der Neuro nie vorstellen konnte war es, Oberärztin zu werden – schon mal gar nicht in der Peripherie. Und auch Praxistätigkeit ist zu großen Teilen periphere Neurologie und da kann ich mich einfach nicht mit viel Interesse rein hängen. Wo also hin nach dem Facharzt – auf diese Frage hatte ich nie eine Antwort. Nur die Notaufnahme gut zu finden, aber auch hier mit der Intensivmedizin an die Grenzen zu geraten, reicht irgendwie nicht.

Ich will nicht sagen, dass Psychosomatik immer gut ist. Ich bin auch manchmal genervt und gestresst und einfach müde. Grundsätzlich ist es mir aber viel leichter gefallen, hier die Fortbildungen zu besuchen, mich auf die Patienten einzulassen, mal im Fachbuch nachzulesen. Ich habe nicht den Eindruck, dass mein Interesse hier auf wenige Nischen beschränkt ist. Im Gegenteil – ich will so viel wie möglich mitnehmen und lernen (obwohl ich da aktuell durch die Neurofacharztvorbereitungen sehr gebremst werde) wie es geht, weil ich mir hier schon eine Karriere vorstellen kann und das bedeutet nun mal irgendwann viel Verantwortung zu haben und dafür brauche ich Wissen. Neben Fort- und Weiterbildungen könnte ich es mir auch gut vorstellen, nochmal eine zeitlang in die Psychiatrie zu gehen, auch wenn ich einen dritten Facharzt dann vielleicht nicht unbedingt brauche. Aber einfach für das persönliche Repertoire.

Und gleichzeitig ist ein Fachwechsel diesen Ausmaßes eben auch etwas, das viel an mir und für mich ändert. Manchmal denke ich mir, vielleicht ist es wichtig, die guten Aspekte zu sehen in dem, was eben nicht gut war. Wenn ich nächstes Jahr den Facharzt schaffe und aus der Neuro raus gehe, dann habe ich 13 Jahre gebraucht, um aus dieser Mediziner – Sache - so wie meine Eltern sich das für mich gewünscht haben - wieder raus zu kommen. Und gleichzeitig habe ich natürlich unglaublich viel auf diesem Weg gelernt und mich sehr viel weiter entwickelt – nur hat eben leider immer der Schmerz überwogen nicht der Mensch sein zu können, der ich gern gewesen wäre und so viel Zeit mit etwas zu verbringen, das nie so richtig „Ich“ war. Und doch bin ich es ja – mit Einschränkungen – irgendwie geworden über die Zeit und ich wäre sicher nicht so selbstbewusst, wie ich es heute bin ohne diese Erfahrungen.
In die Psychosomatik zu gehen bedeutet am Ende des Tages nicht nur, sich gegen die Familie zu stellen, es bedeutet auch sich selbst ein bisschen neu zu finden und all die Überzeugungen, die ich so unkritisch übernommen habe, in Frage zu stellen. Auf der einen Seite weiß ich, wie wichtig und wertvoll diese Arbeit ist, die wir hier machen, wie sehr ich selbst davon profitiert habe, auf der anderen Seite trifft dieses Klischee, dass man ja schließlich in der Psychosomatik nur herum sitzen und sich ausruhen würde mich mehr, als es sollte.

Da sind noch viele Unsicherheiten und vielleicht muss ich noch ein Mal richtig mutig sein. 


Noch ein bisschen Langeoog...



***

„Und sonst?“, fragt sie und sieht mich an.
„Puh ja – mit dem Freund…“, entgegne ich.
Und dann berichte ich ein bisschen über das Wochenende. Über diese Angst und Unruhe, die ich da gespürt habe, über dieses Gefühl wie ein Tiger im Käfig zu sein. „Wäre Winter, hätte ich mich bestimmt auf den Balkon gelegt“, sage ich. Sie legt den Kopf schief.
„Manchmal ist das so viel innerer Schmerz, dass es nicht mehr machbar erscheint. Ich wurde mal gefragt, wie sich das angefühlt hat, als seine Mutter mir gesagt hat, dass er gestorben ist. „Als würde mein Inneres zu Staub zerfallen“, hatte ich dann irgendwann gesagt, wobei das nur ein Teil ist, weil Staub nicht mehr weh tun kann. Aber ich kann mich erinnern, dass ich mich damals gefragt habe, warum mein Kopf nicht auf das Sofa fällt, auf dem ich gerade saß. Irgendwie war es eine kaum zu greifende Mischung aus unendlichem Schmerz und Leere, als hätte dieser Schmerz eine Explosion ausgelöst, im Rahmen derer alles zu Staub zerfällt.
Ich spüre das in den Zeiten, in denen ich viel traurig bin immer noch. Etwas abgeschwächt, aber es ist noch da. Und dann verliere ich irgendwie das Gefühl für mich und meine Körpergrenzen und brauche etwas, um es diesem Zustand entgegen zu stellen. Und manchmal lege ich mich dann im Winter auf den Balkon.
Und ich glaube diese Angst und Unruhe in mir ist ein bisschen die Sorge davor, diese Zustände nicht mehr händeln zu können. Obwohl das nie passiert ist und ich war ja auch die meiste Zeit allein damit.“ Sie nickt. „Ich glaube manchmal würde es auch reichen, wenn mich dann jemand in solchen Situationen in den Arm nimmt“, ergänze ich. „Aber Sie waren ja - wie Sie sagten - viel auf sich gestellt und dann brauchte es diese Alternativen“, wirft mein Gegenüber ein.
Ich spreche nochmal über mein Bedürfnis über den verstorbenen Freund zu sprechen. „Ich glaube, ich habe Sie ziemlich beansprucht, in der letzten Zeit. Und ehrlich gesagt, ich weiß selbst nicht genau warum es so ist, dass ich von Zeit zu Zeit immer das Bedürfnis habe, das wieder durch zu kauen und wirklich von allen Seiten drauf zu schauen. Alles zu hinterfragen, auf den Kopf zu stellen, obwohl ich weiß, dass es keine Antworten mehr gibt, Nichts, das noch irgendwo versteckt sein könnte.“
„Vielleicht geht es gar nicht um das Mitteilen“, sagt sie nach längerer Pause. „Vielleicht ist das ein Bedürfnis. Vielleicht steckt dahinter der Wunsch: „Schau mal, mir geht es gerade nicht so gut, nimm mich einfach mal in den Arm.“ Vielleicht wollen Sie eigentlich diese Grenze spüren.“
Ich nicke. Ehrlich gesagt, diese Verbindung habe ich so noch nie gezogen, aber es macht Sinn. Gerade kann der Kardiochirurg sich gar nicht auf so etwas einlassen (und ich auch nicht), aber sollte das mal wieder möglich sein, könnte ich es einfach versuchen.

***
Wir gehen nebeneinander her.
„Was möchtest Du machen?“, hatte der Kardiochirurg vorher gefragt. Abends halb neun eigentlich nicht mehr viel. Gekocht wird nicht an diesem Abend; das haben wir beide schon beschlossen. Warum, weiß ich eigentlich auch nicht. „Wir könnten noch eine Runde spazieren gehen“, habe ich vorgeschlagen. Raus aus dieser Wohnung, die uns fast erdrückt. Das könnte eine gute Idee sein.

Es ist wirklich komisch geworden mit uns. Für mich aktuell kaum noch greifbar. Es gibt eine Seite an ihm, die irgendwie aufmerksamer geworden ist. Er braucht nicht mehr ganz so lange, um sich mal zu melden, wenn ich geschrieben habe. Der Wackelkontakt meines mp3 – Players ist ihm auf dem Weg in den Norden im Auto so auf den Zeiger gegangen, dass er mir kurzerhand einen Neuen gekauft hat, weil ich bisher zu geizig und zu faul dazu war und das Gerät eben nach jeder Kurve neu justiert habe. Wir hatten mal darüber gesprochen, dass meine Glühbirnen ein bisschen dunkel sind – also hat er einfach Hellere bestellt und mitgebracht. Und nachdem ich kürzlich erwähnt hatte, dass ich zwar eine Schlafzimmerlampe habe, aber Niemanden, der mir hilft sie an die Decke zu hängen, stand er kürzlich einfach mit dem entsprechenden Equipment auf der Matte und nach bald fünf Jahren gibt es dann auch mal eine Schlafzimmerlampe bei mir.

Und gleichzeitig ist er so unglaublich desinteressiert. Wenn ich über die Psychosomatik erzähle, dann habe ich den Eindruck er nimmt es nicht ernst, was ich dort mache. Klar, er macht Intensivmedizin, was kann dabei sein, ein paar Leute psychisch in Schach zu halten? Wenn ich ihm etwas erzählen möchte, dann daddelt er nicht selten nebenbei auf seinem Handy herum und ich frage mich, ob er überhaupt zuhört.
Und überhaupt ist da neuerdings immer ein super genervter Tonfall und ich weiß nicht, was ich falsch gemacht habe. Und irgendwie nervt es mich selbst, dass er mich damit an meinen Papa erinnert, dem ich immer irgendwie hinterher laufen musste und von dem ich immer wollte, dass er nicht mehr genervt ist.

Er zeigt irgendwie schon, dass ich ihm wichtig bin und dass er auch aufmerksam sein kann, aber wirklich vermitteln kann er es nicht.
Und so laufe ich an diesem Abend neben ihm her und frage mich, ob ich ihn in meine Überlegungen bezüglich der Arbeit und des verstorbenen Freunds einweihen soll, oder ob da eh nichts Sinnvolles bei rum kommt und ich am Ende nur verletzt bin, weil ich den Eindruck habe, er hört nicht zu.
Ein bisschen erschreckt es mich auch, überhaupt über so etwas nachzudenken. Eigentlich sollte der eigene Freund doch ein Mensch sein, bei dem man solche Überlegungen nicht anstellen muss.

Ich ertappe mich auch selbst dabei, dass es mir mit ihm anders geht.
Ich glaube, nach dem Juni ist mir schon klar, dass ich mich da auch irgendwie lösen können muss. Ich glaube, wenn er jetzt beschließen würde zu gehen, könnte ich es besser annehmen. Wir hatten nochmal ein paar Tage Urlaub, ich konnte nochmal alles was dort passiert ist – und es war sehr schön – aufsaugen und ich weiß, dass es hauptsächlich um ein Tanzen mit dem guten Momenten und ein Einspeichern für die Ewigkeit geht.
Ich hab mich irgendwie dran gewöhnt, dass er kaum da ist. Und als er meinte, dass er jetzt wirklich mehr Fallschirm springen muss und die Wochenenden damit füllen muss, war es seltsam okay. Wir werden es sehen, was er macht. Wenn er bleibt, dann bleibt er und wenn nicht, dann nicht. Bis zum Facharzt kann man das auch erstmal alles so laufen lassen, bis dahin werde ich selbst im Fall einer Trennung die Augen erstmal nicht mehr aufklappen, weil dafür einfach keine Zeit und keine emotionalen Kapazitäten sind.
Ich hab gelernt, auch die Ruhe abends wieder zu genießen, mich mit meinen Leitlinien ins Wohnzimmer zu pflanzen, den Raum, den diese Wohnung für mich bereithält, in der ich tun und lassen kann was ich möchte, zu schätzen.
Und das ist auch sehr viel Frieden.

Auf die Hochzeit der Freundin kommt er übrigens nicht mit. Es wäre der erste offizielle Anlass gewesen, auf dem wir zu Zweit gewesen wären, aber er schafft es schon gut, solche Dinge zu umschiffen. Ich habe es nicht anders erwartet, sagen wir es so.
Am Tag des Ronan Keating – Konzertes hat er dienstfrei habe ich gesehen. Allerdings weiß ich jetzt gar nicht, ob ich das so super toll fände, wenn er mitkommt. Da kommt ja jetzt schon der Kumpel aus der Studienstadt. Mit zwei Jungs an der Seite – das könnte unangenehm werden.

Aber langsam sinkt die Frage auf mich herab, wie viel Sinn ein Freund, der alles was ich selbst wichtig finde, nicht mit mir machen kann oder will, am Ende des Tages macht.

Mondkind


 

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