Von einem Tag im Dienst

Ehrlich gesagt, manchmal frage ich mich, was ich mit diesem Blog mache.
Es ist nicht nur so, dass ich kaum noch Worte habe, weil Zeit während der Facharztlernerei ein knappes Gut ist und ich so wenig sortiert bin, dass ich auch kaum weiß, was ich schreiben kann. Es ist schon irgendwie auch so, dass ich mich manchmal frage, was denn überhaupt gut ist, in die Welt hinaus zu schreien.
Denn wenn ich ehrlich bin – ich habe ja absolut keinen Überblick darüber, wer hier alles mitliest. Mein privates Umfeld sollte nicht unbedingt die Nase in mein Geschreibsel stecken. Die Meisten finden mich sowieso abgedreht und komisch – auch ohne, dass sie wissen, was in meinem Innenleben so abgeht. Und trotzdem war dieser hier immer der Ort zum Sein und ich bin noch nicht so ganz bereit, den her zu geben.

***
Morgens. Nach dem Dienst.
Ich hatte den Kardiochirurgen gestern Abend gefragt, ob wir uns heute zum Frühstück treffen können. Er nach seinem Nachtdienst. Ich nach meinem 24 – Stunden – Dienst. Er hat weder ab- noch zugesagt; er hat einfach gar nichts gesagt und meldet sich jetzt mal wieder nicht.
Ich reg mich nicht mehr auf darüber; nicht so, wie vor einem Monat noch. Weil ich irgendwie Angst habe, ihn wieder zu verlieren, wenn ich anfange mich über sein Kommunikationsverhalten zu beschweren. Es ärgert mich aber wahrscheinlich immer noch.

Samstag wollen wir gemeinsam ein paar Tage in den Norden fahren. Wir müssen auch recht pünktlich los, weil ich abends auf dem Florian Künstler – Konzert bin und wir erst zur Unterkunft fahren müssen und ich von da aus noch ca. 45 Minuten zur Konzert – Location fahren muss.
Ehrlich gesagt glaube ich erst wenn wir da sind, dass das funktioniert. Ich habe dein Eindruck vor Mittag werden wir hier nicht weg kommen und dann wird das alles eine ziemlich knappe Kiste.
Abgesehen davon, dass ich auch noch nicht weiß, ob es überhaupt eine gute Idee ist, gemeinsam in den Urlaub zu fahren. Er hat das zumindest schon mal abgekürzt, wir werden Mittwoch schon wieder nach Hause fahren und wenn man bedenkt, dass wir Samstag erst hin fahren und er bis Montag nach seiner Nachtdienstwoche out of order sein wird, ist das wirklich nicht viel Zeit. Abgesehen davon ist man halt einen Tag auf der Straße. Und ab Donnerstag springt er dann wahrscheinlich ohnehin wieder herum, wo er möchte und wird nicht mehr fassbar sein.
Das ist auch so ne Sache, die mich eigentlich ärgert. Warum müssen wir alle Urlaubswochen in die Frei nach Nachtdienstwochen planen? Da ist er nun mal einfach müde, das verstehe ich ja sogar.

***
Gestern hat mich die Oberärztin noch ein bisschen gecrasht, die Frau beherrscht ihren Job offensichtlich…

Es ist fast viertel vor fünf.
Ich rufe die Oberärztin an. „Wie lange sind Sie da?“, frage ich. „Bis fünf“, entgegnet sie. „Kann ich vielleicht nach der Übergabe nochmal kurz kommen? Da muss ich jetzt zuerst hin. Ein Patient war jetzt anderthalb Stunden bei mir und ich finde es wäre wichtig, dass Sie auch wissen, was er mir erzählt hat – auch weil ich ja morgen nicht da bin und ich mir denke, dass da noch einiges hinterher kommt.“
Sie sagt, ich soll noch kurz kommen. „Ich war noch nie so ehrlich mit irgendwem“, hatte der Patient seine lange Erzählung Minuten vorher geschlossen. War überwältigt von sich selbst. Und ich habe versucht, ihn ein bisschen zu halten. Irgendwie hatte ich immer das Gefühl, da ist noch etwas, aber mit so viel Leid hatte ich nicht gerechnet. Unter anderem ging es auch um das Thema Suizid und irgendwie habe ich gespürt, dass mich das heute sehr berührt hat. Vielleicht, weil ich da immer Parallelen sehe. Manchmal mehr und manchmal weniger. Vielleicht, weil ich sowieso gerade selbst etwas instabil bin. Es gibt viel, das mich selbst umtreibt. Die Facharztvorbereitung zehrt an den Nerven, in den letzten Tagen gab es einige Erinnerungen an die Familie und die Beziehung ist weiterhin hochgradig instabil – zumindest kommt es mir so vor und es gibt auch keinen Ort mehr, um darüber zu reden, weil ohnehin alle sagen, dass ich mich trennen soll und ich genau das aber nicht will. Zudem habe ich die letzte Nacht schlecht geschlafen, weil gegen Unterleibsschmerzen weder Wärme noch Ibu geholfen haben und jetzt bin ich müde, habe immer noch Schmerzen und Dienst. Und dann ist heute auch irgendwie der Wurm drin, ich renne den ganzen Tag und meine Facharztvorbereitung für heute wird sicher Nichts.
Im Gesamten gab es schon bessere Kombis.
 
Nach der Übergabe düse ich runter und klopfe an das Büro der Oberärztin. Sie lässt mich rein, ich ziehe mir einen Hocker ran und setze mich ihr schräg gegenüber an den Schreibtisch. Und dann berichte ich, was mir der Patient erzählt hat. „Es ist gut, dass er anfängt zu reden“, sagt sie. Ich nicke. „Ich habe ihn auch sehr gelobt dafür, weil er am Ende auch so unsicher war, ob das jetzt alles richtig ist.“
„Und wie geht es Ihnen damit?“, fragt die Oberärztin völlig unvermittelt. Das hat mich noch nie Jemand gefragt in dem Zusammenhang. „Naja, ich musste schon auch erstmal schlucken, an manchen Stellen hätte ich echt mitweinen können.“ Sie nickt. „Weil Sie das einfach nur berührt, oder gibt es da Parallelen zu dem, was Sie erlebt haben?“ Während ich mich noch frage, ob sie die Frage jetzt ernst meint, spüre ich, dass mir die Tränen in die Augen steigen. Fucking shit, was soll das jetzt? „Es ist wichtig, dass Sie gut auf sich aufpassen“, referiert die Oberärztin. „Mache ich, ja“, bestätige ich. „Haben Sie Jemanden, mit dem Sie darüber sprechen können?“, fragt sie. „Naja, irgendwann schwinden da die Möglichkeiten“, entgegne ich. „Manchmal würde ich einfach gern sagen: Ich weiß genau, wie sich das anfühlt, wie hilflos einen das macht, wie sehr das das Leben durcheinander wirft, aber ich bleibe natürlich professionell, auch wenn mir fast das Hirn platzt.“ „Aber die Patienten spüren Ihre Empathie an der Stelle, sonst wären die nicht so offen mit Ihnen“, sagt die Oberärztin und holt mir ein Taschentuch. Jetzt brauche ich auch noch diese Therapeuten – Taschentuchboxen; meine Fresse – wann war das das letzte Mal der Fall? „Wollen Sie es mal kurz loswerden?“, fragt sie. „Sie sind meine Oberärztin“, entgegne ich. „Aber wir sind auch nur Menschen, manchmal belasten uns die Ereignisse unserer Patienten und dann ist es besser, wenn wir es teilen können.“ Ich denk eine Weile nach. Beziehungsweise – so viel denke ich eigentlich gar nicht. Ich spüre nur diesen Hochstress. So akut war es lange nicht mehr. „Mit meinem Freund das war auch so ein Suizid – Ding“, sage ich irgendwann und spüre, wie schwer mir das immer noch fällt. „Und jedes Mal, wenn es einen Patienten betrifft, berührt es natürlich viel Eigenes. Ich weiß auch nicht, warum mich das bei ihm jetzt so raus haut.“ Sie nickt. „Das klingt so furchtbar abgedroschen, aber das Leben ist nicht mehr dasselbe danach. Und Beziehungen auch nicht. Damit fallen ganze Lebensplanungen. Ich hab das Gefühl, ich werde nie wieder in irgendetwas oder irgendwen vertrauen können. Ich versuche es wirklich, aber es endet immer damit, dass ich irgendwie Angst habe, dass die Menschen um mich herum sterben oder verschwinden und das frisst einfach so viel auf und nimmt so viel mit, das gut sein könnte. Ich bin vollkommen aufgeschmissen, wenn mir irgendjemand wichtig wird. Dann dürften sich diese Menschen eigentlich gar nicht mehr entfernen, damit ich immer weiß, wo die gerade sind und was die machen und dass es denen gut geht und die keinen Scheiß machen. Und das macht Niemand lange mit und ich versteh’s auch und es hat so viel mit Freunden und potentiellen Partnern geknallt in den letzten Jahren, dass ich das kaum noch aushalte. Eigentlich sollte ich nur noch Beziehungen mit viel Abstand führen, weil alles andere mich einfach überfordert und gleichzeitig möchte ich so sehr Jemanden an meiner Seite.“ Ich schweige eine Weile. „Tschuldigung“, sage ich irgendwann. „Vielleicht muss da erst einiges aufgearbeitet werden, ehe Platz für Neues ist“, sagt sie. Vielleicht ist das das Härteste, das ich seit langem gehört habe. Weil es diese ewige Sorge von „Vielleicht ist es einfach zu früh“, irgendwie befeuert. Und gleichzeitig ziehen die Jahre vorbei und irgendwann ist es zu spät.
Das Telefon klingelt. Krisenstation. „Ich muss hoch jetzt“, sage ich. „Ich wünsche mir, dass Sie heute Abend noch ein paar Minuten für sich finden, um durch den Park zu gehen“, sagt die Oberärztin. „Sie wollen doch eh Psychosomatik machen. Vielleicht wäre Selbsterfahrung schon mal etwas für Sie. Das dauert ohnehin ewig, damit könnten Sie schon beginnen“, sagt sie. Das höre ich jetzt auch nicht zum ersten Mal und vielleicht soll ich einfach mal anfangen auf die Leute zu hören. „Und melden Sie sich, wenn etwas ist“, sagt sie. „Danke“, entgegne ich, ehe ich aufstehe und losziehe in Richtung der ersten Krisenintervention.
Die werden auch bis in den späten Abend nicht mehr abreißen. Das mit dem Park wird nichts. Und das Gehirn steht hochgradig unter Strom. Ich schäme mich sehr, dass das heute wieder so durchkam, obwohl die Oberärztin an irgendeiner Stelle gesagt hat, dass ich mich nicht zu schämen brauche und sie es nicht weiter sagen wird. Und gleichzeitig bin ich doch ein bisschen dankbar. Dieses Fünf – Minuten – gespräch hat zumindest ein winzig kleines Bisschen vom aktuellen Stress mitgenommen. 



***

Das Gespräch lässt mich den ganzen Abend und auch heute im Dienstfrei nicht mehr los. Ich hätte eigentlich schon längst Neuro machen sollen, aber ich habe heute Nacht eher so fragmentiert ein paar Minuten geschlafen und mit der Konzentration ist es heute eher nicht so weit her.
Was ist da passiert?

Irgendwie ist es ein ziemlich überwältigens Gesehen werden. Dieses Thema und all der Rattenschwanz der daraus folgt, hat kaum noch irgendwo Platz. Vielleicht noch in der AGUS – Gruppe, aber da haben auch die Mehrheit der Menschen die Kinder verloren und da ist die Thematik schon wieder etwas verschoben.
Und die schiebt sich auch in mir weiterhin. Es geht gar nicht mehr so oft um diesen Verlust an sich. Es geht eben darum, was das für Prägungen und Narben hinterlassen hat und um die Frage, ob und wie ich damit heute gut umgehen kann.

Es gibt schon viele Parallelen zwischen der Beziehung mit dem Kardiochirurgen und mir und dem des ehemaligen Freundes und mir. In erster Linie haben sich beide unsicher angefühlt. Von Anfang an. Es gab seltene Momente – am Ende des Tages vielleicht beim ehemaligen Freund sogar noch mehr als beim Kardiochirurgen – in denen ich den Eindruck hatte, dass das zumindest etwas stabiler ist, aber oft war es auch ein Bewusstsein dafür, dass das ein nicht haltbarer Übergangszustand ist, dass die Jungs mit so viel Schmerz, den ich immer noch in mir trage nicht umgehen können und dass das alles ein „Fishing for moments“ ist, bis die Bindung bricht.
Und das bin eben eigentlich so gar nicht ich.
Und ich weiß ehrlich gesagt auch nicht, ob ich mich an irgendeiner Seite – bei wem immer das auch sein mag – sicher genug fühlen könnte.

Ich frag mich still was ist, wenn`s eben nicht mehr geht.
Was ich dann mache? Vielleicht doch die Karriere fokussieren? Und irgendwann still akzeptieren, dass manche Wünsche eben unerfüllt bleiben.

Es war ein komischer Dienst gestern. Der Patient vom Nachmittag brauchte noch zwei Kriseninterventionen und auch sonst war es viel Gerenne. „Sie schaffen das irgendwie so gut mich wieder auf den Boden zu bringen“, hat er Patient beim zweiten Mal gesagt, während mein Kopf selbst ziemlich abgedreht war. Professionalität ist irgendwie etwas, das meistens geht.

Und mit der Oberärztin… - ich weiß auch nicht. Jetzt passiert da wieder etwas, das nicht hätte nicht passieren sollen. Nicht nur, dass der Vorfall an sich nicht hätte passieren sollen. Natürlich entsteht da irgendeine Art von emotionalen Band mit einem Menschen, den man in zwei Monaten sowieso wieder her geben muss. Das ist also hochgradig sinnlos.

Und auf den Kardiochirurgen warte ich heute immer noch. Dabei ist es schon 16 Uhr, er weiß, dass ich dienstfrei habe und wir hatten überlegt, ob wir uns zum Frühstück treffen - nicht erst gestern, wo nichts mehr kam als Reaktion, sondern schon die Tage zuvor. Ich weiß nicht, was das jetzt wieder für ein "Totstellreflex" ist. Früher, irgendwann im Dezember / Januar haben wir sogar immer noch morgens telefoniert, wenn ich schon wieder auf der Arbeit war und er noch auf der Arbeit war. Mittlerweile ist in diesen Nachtdienstwochen ein Satz pro Tag per whatsApp so ziemlich das Höchste der Gefühle. Tatsächlich schreibe ich ihm in dieser Woche mittlerweile alles, was ich mitteilen möchte, aber ich weiß nicht mal, ob er das wirklich liest. Und irgendwann im Dezember gab es mal einen Tag, an dem wir - ich nach meinem Dienst und er nach seinem Nachtdienst - einfach mal zusammen auf seinem Sofa geschlafen haben, weil wir beide müde waren.
Ich habe irgendwie den Eindruck, dass Slowenien die besten Erinnerungen gewesen sein werden. 

Mondkind 

Bildquelle: Pixabay

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