Vor dem Urlaub

Die Nächte, in denen man aufwacht.
Sind manchmal die Härtesten.
Die Woche hängt mir nach. Aber so richtig, richtig doll.

Samstagmorgen.
Ich bin schon früh aufgestanden, habe geduscht, meinen restlichen Krempel in die Reisetasche geschmissen.
Um kurz nach acht Uhr, als noch kein Mensch im Dorf zu sehen ist, laufe ich schon in kurzer Hose und T – shirt ein Mal quer durch, auf der Straße, weil ohnehin kein Auto weit und breit zu erspähen oder hören ist. Mein Ziel ist der Bäcker, wo ich eine bunte Auswahl an Brötchen kaufe. Auf dem Rückweg nehme ich in unserem Mini – Supermarkt, der schon geöffnet hat, ein paar Weintrauben, Äpfel und Kekse mit.
Ich spür da was. Ich spür da ein winziges bisschen Urlaubsfeeling, das sich versucht an die Oberfläche zu drücken. Und dann wieder verschwindet und einer großen Traurigkeit weicht.

Zu Hause schmiere ich die Brötchen, wasche die Weintrauben und verstaue sie in eine Dose. Um die Äpfel zu essen, wickle ich ein Messer in eine Serviette und lege es zu der Tüte mit den Äpfeln. Ich stelle noch einen Kaffee dazu und dann ist das Picknick perfekt.
Zwischendurch fällt mir ein, dass wir ja vielleicht ein einer Ferienwohnung ein paar Dinge mitnehmen müssen. Meine Schwester ist schon wach, sie hat heute Dienst, deshalb frage ich bei ihr schnell nach, was man wohl alles braucht. Ich nehme mein Brotkörbchen, schmeiße die alten Servietten mit denen es ausgelegt ist weg, drapiere Neue rein und dann stelle ich ein paar Gewürze, einen Honig und eine Marmelade für das Frühstück, Spüli, zwei Schwämme, einen Lappen und zwei Geschirrhandtücher hinein. Damit sollten wir erstmal hinkommen.

Für die Pflanzen habe ich auch alles zurecht gemacht. Sie teilen sich zu dritt (wir zählen die kleine Minze nicht) zwei 10 – Liter – Eimer Wasser, den ich mit Tellern abgedeckt habe, damit das Wasser nicht verdunstet. Die Rankpflanze hat eine abgedeckte Mini – Badewanne bekommen. Ich hoffe, damit schaffen sie es bis Mittwoch. Eine Gurke ist fertig gewachsen, die schneide ich ab und lege sie noch zum Proviant – Beutel. 


Ich hoffe, mein Pflanzenkindergarten wird es gut schaffen. Bisschen wild sieht es da aus; ich weiß


Und zwischendurch fällt mir auf, wie schwer ist gemeinsam in den Urlaub fahren zu wollen, wenn man seit vier Tagen beinahe keine Worte mehr gewechselt hat. Wir haben einfach nichts geplant – also, wie wir das heute machen wollen, für die nächsten Tage schon. Außer, dass wir zwischen halb 10 und 10 Uhr los fahren wollten und ich bisher trotz Nachfragen noch keinen Piep vom Kardiochirurgen gehört habe.
Es gab gestern Abend eine Mini – Diskussion wegen Möhrchen. Ich habe gesagt, wir werden mit meinem Auto fahren, wenn ich fahre – was offenkundig der Fall ist, wenn er Nachtdienst hatte.  Er sagte, dass er damit eigentlich nicht einverstanden ist und wir schauen, wann er raus kommt. Wenn es später wird, dann fahren wir mit seinem Auto und dann fährt er halt.

Ich denk viel nach. An diesem Morgen und in der Nacht davor.
Über das gesehen werden.
Ich glaube, wenn man es monatelang macht, dann wird dieser Kampf miteinander irgendwie normal. Man ist so drin, dass man es einfach nicht mehr hinterfragt.
Alles was ich möchte, scheint irgendwie nicht richtig zu sein. Der Urlaub wurde schon mal abgekürzt bis Mittwoch, aber aktuell kommen wir nicht mal los. Mein Wunsch mit ihm auf das Konzert zu gehen wird nicht respektiert, ich weiß nicht mal, ob wir heute Abend ansatzweise pünktlich da sein werden und wenn auf jeden Fall so, dass ich wieder ein schlechtes Gewissen haben werde. Alles was er nicht will, schafft er irgendwie zu torpedieren – Möhrchen fährt halt nicht so schnell und wenn wir nicht bald los fahren, haben wir mit Möhrchen keine Chance mehr. Es interessiert ihn nicht, dass ich mich nicht wohl fühle am Steuer seines Autos und er sitzt das aus, bis wir keine Wahl mehr haben.
Manchmal erinnert er mich zu sehr an meine Familie.

Licht macht immer auch die Schatten sichtbar. Und die letzten Tage waren Licht.
Die Oberärztin fragte mich, auf was für ein Konzert ich gehe. „Florian Künstler“, habe ich entgegnet. „Ich weiß nicht, ob sie den kennen – er ist nicht ultra – bekannt“, habe ich hinterher geschoben. „Ich höre es mir an“, hat sie gesagt und sich den Namen notiert. „Ich hab mir immer schon mal überlegt, ob ich einen Song von ihm nehme und daraus eine körberbezogene Therapie mit meiner Gruppe mache. Ein paar von den Liedern würden schon gut hierher passen.“ „Na klar, machen Sie das“, hat sie entgegnet.

Ich glaube ein Teil von mir wünscht sich immer noch Slowenien II. Und kann nur so schwer sehen, dass es im Moment schwer vorstellbar ist, dass es das nochmal geben wird. Die letzten Tage habe ich ihn – wenn wir mal zwei Worte gewechselt haben – nur genervt erlebt.
Und ich ertapp mich bei einem Gedanken: Wie schön wäre das jetzt, wenn ich alles ins Auto schmeißen könnte, und in Vorbereitung aufs Konzert mit Florian Künstler laut aufgedreht über die Autobahn düsen könnte und aus vollster Insbrunst mitsingen könnte. Es sollen 30 Grad heute werden, das ist fast zu warm für ein Konzert, aber es wäre ein Tanzen im Sommer zu den wunderbarsten Liedern, die meine Ohren gerade kennen.

Ein bisschen erschrecke ich mich vor mir selbst. Vielleicht ist das der Anfang vom Loslassen. Meistens nützt es bei mir wenig, wenn Menschen versuchen mir etwas überzustülpen. Ich muss selbst dahin kommen. Aber wenn ich ein Mal gedanklich dort bin, ist es so schwer das wieder anders zu sehen.

Ich denk an vorhin, als ich am frühen Morgen durch den Ort gehüpft bin.
Ich denk an die Impulse von Urlaubsfeeling.
Ich denk das erste Mal seit langer Zeit, dass ich lieber arbeiten gehen würde nächste Woche
Ich denk nächste Woche wird ein Wendepunkt. Und ich will das eigentlich nicht spüren. „Es ist menschlich, dass man die schwierigen Dinge ein bisschen von sich weg schiebt“, hatte die Oberärztin in irgendeinem Zusammenhang gesagt. Aber manchmal geht es eben nicht mehr.
Und ich hoffe still, dass ich überhaupt Konzerterlebnisse werden berichten können. So richtig trauen kann ich mich nicht, mich darauf zu freuen.

Ich warte dann mal weiter.
Ich wär sicher nicht so entspannt, wenn ich nicht wüsste, dass meine Schwester in der Nähe wohnt. Dass ich bei ihr einen Schlafplatz haben kann, wenn die Stricke reißen. Und, dass sie für uns ein bisschen eingekauft hat, weil wir das auf Garantie nicht mehr schaffen.
Irgendwie mag ich sie heute sehr dafür. Sie macht das, was wir nicht geschafft haben. Planen und Umsetzen.

Mondkind


Kommentare

  1. Ich denke ganz fest an Dich & wünsche Dir das wunderschönste Sommerkonzert mit "deinem" Florian Künstler ;-)...Schöne Gedanken & Bilder, die du mit uns geteilt hast (mit Musik laut aufgedreht auf der Autobahn fahren in Vorfreude auf das Florian Künstler-Konzert! Ich wünsche Dir ein wunderschönes Konzert. Weshalb kommt denn der Kardiochirurge nicht mit? Er ist ja dann auch bei Dir? Was macht er dann stattdessen in dieser Zeit dann? Schon merkwürdig....Aber lass Dich nicht unterkriegen & geniess jede Minute dieses Konzertes, du hast es verdient! Ganz liebe Grüsse Nicole

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