Zwischenstand

Wir sitzen im Café um die Ecke.
Wer weiß, vor dem Facharzt wird hier noch der Mondkind’sche Traum war. Lernen und leben im Café. ;)
Direkt im Haus nebenan hat vor wenigen Wochen ein Café eröffnet. Zwei Kolleginnen und ich hatten die Idee, dass wir das mal austesten müssen – die bieten nämlich auch Frühstück an und frühstücken kann man hier im Ort tatsächlich gar nicht so gut, obwohl ich das auch sehr liebe. Eine der Kolleginnen hat noch spontan einen Kollegen aus der Handchirurgie gefragt, ob er auch kommen mag – wir kennen uns vom Sehen her, er hat seine Intensivzeit auf der Neurologie abgeleistet und ein anderer Kollege aus der Anästhesie gesellt sich auch noch zu uns.
Tatsächlich genieße ich diesen Morgen sehr. Ich glaube, das sind die ersten lockeren, ungezwungenen Gespräche seit Wochen. Mit dem Kardiochirurgen ging es die letzten Tage und Wochen nur um die Reanimation der Beziehung – da war nichts entspannt.
 
Ich weiß nicht, wie wir uns das weiter vorstellen.
Wir reden noch miteinander, haben aber jegliche Diskussion, wie wir uns das vorstellen mit dieser Beziehung mal galant auf diese Woche verschoben. Dumm nur, dass es heute schon wieder mit einem Rufdienst des Kardiochirurgen losgeht – der muss ab heute dann auch mal wieder arbeiten – morgen AGUS – Gruppe ist und er Freitag 24 – h – Dienst hat und erst ab Samstagmittag zu Hause ist und ich Sonntag 24 – h – Dienst habe. Wie viel Zeit – und vor allen Dingen Ruhe - wir also für Diskussionen haben, kann man sich jetzt ausrechnen.
 
Es ist schwer, aber ich versuche mein Leben tatsächlich ein bisschen von ihm weg zu planen. Ich habe wirklich genug zu tun. Zwar bin ich mit der Psychiatrie – Zusammenfassung seit dem Wochenende fertig, aber mit der Neuro komme ich leider überhaupt nicht voran. Wahrscheinlich liegt das zu großen Teilen daran, dass ich mit fünf Büchern gleichzeitig lerne und zudem auch noch die Leitlinien lese und dann darf man ja auch nicht vergessen, dass ich noch einen Vollzeitjob nebenbei habe, von dem ich zwar aktuell pünktlich nach Hause komme, aber zwischen morgens um acht Uhr und abends 17:30 Uhr bin ich eben doch in der Klinik. Und aktuell brauchen die Patienten auch wirklich viel Unterstützung, zwei Borderline – Patienten sind auch der „Intensiv – Station“, die muss ich sowieso jeden Tag sehen und der Rest meiner Patienten bewegt sich zwischen Rentenbegehren (die ältere Riege) und Selbstfindungsphase (die Patienten in den 20ern, was im Moment mehr als die halbe Gruppe ist). Bei den jungen Patienten habe ich wirklich das Gefühl etwas bewegen zu können und da meine 20er gelinde gesagt auch turbulent waren und ich manche Dinge ziemlich gut nachvollziehen kann, kann ich denen da, denke ich, auch gut etwas mitgeben (und auch, wenn ich nur das wieder kaue, was mir meine Therapeuten erzählt haben und was ich für hilfreich befunden habe). Aber es braucht viel Zeit, denn auch hier muss man dann natürlich engmaschig betreuen.
 
Ab heute haben wir auch eine neue Oberärztin bekommen – also wahrscheinlich werden die Zuständigkeiten bald schon wieder über den Haufen geschmissen – womit ich nicht besonders glücklich bin, aber ändern werde ich es auch nicht können. 


Vorerst müsst Ihr mit Fotos von meinem Balkon Vorlieb nehmen, weil ich sonst gerade nirgendwo unterwegs bin...


Und ansonsten ist am Mittwoch Todestag des Freundes. Meine Gefühlslage hinsichtlich dessen ist ziemlich ambivalent. So wie es aktuell aussieht, werde ich schon sehr alleine sein an diesem Tag. Es gibt einfach Niemanden, der mal kurz da sein könnte. Letztes Jahr war ich bei meinem Oberarzt – vielleicht könnte ich da dieses Jahr auch sein, bei ihm könnte ich es mir vorstellen, dass er es am ehesten zulassen könnte, einfach mal zu sein – aber ich kann ja nicht mehr einfach rüber ins andere Gebäude schlappen. Seine Frau hat mir schon irgendwann beim letzten Termin klar gemacht, dass ich da alleine durch muss (warum die verheiratet sind, verstehe ich übrigens bis heute nicht; ich finde die passen gar nicht zusammen, aber das ist ja zum Glück deren Sache und nicht meine…). Mit meiner Familie – das kann ich bekanntlich absolut vergessen. Meine Mum hat letztens angerufen und wollte jetzt und sofort etwas zu ihren Medikamenten wissen und hat das völlig ignoriert, dass ich ihr gesagt habe, dass ich gerade keinen nerv dafür habe, weil es mit dem Kardiochirurgen völlig eskaliert ist. Leider hat meine Familie eben die Sensibilität eines Steins.
Und ich glaube, in solchen Momenten – in denen man sich nach Unterstützung sehnt, die es eben nicht gibt, oder in denen es mal wieder mit dem Kardiochirurgen knallt – wird mir bewusst, dass der Mensch um den ich da trauere immer noch der ist, den ich am Meisten brauchen würde. Wir haben uns nie alleine gelassen. Es gab keinen Menschen, auf den ich mich mehr verlassen konnte. Bei ihm musste ich mich nie schämen, ich selbst zu sein. Nicht für meine Gefühle, meine Denkweise, meine Ideen und Wünsche, so absurd sie auch gewesen sein mögen.
Das Leben hat sich so oft gedreht seitdem, es sind so viele Menschen gekommen und gegangen und nie habe ich mich irgendwo so zu Hause gefühlt, wie bei ihm.

Mondkind

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