Nicht allein

Ich glaube ja nicht ans Universum oder so, aber manchmal bin ich ihm doch sehr dankbar.
Ich weiß nicht, was die letzten Tage hier so abgegangen ist.
Irgendwo kam der Punkt, an dem ich die Kontrolle verloren habe.

Gestern der Tag war eine Vollkatastrophe. Irgendwo zwischen Hochspannung und einer Panikattacke nach der anderen. Zudem hätten der Kardiochirurg und ich mal noch ein paar Dinge wegen des Urlaubs klären müssen, aber von wem höre ich konsequent seit drei Tagen gar nichts mehr, egal wie ich versuche ihn zu kontaktieren?

Und es ist nicht nur das – ich halte das aktuell für eine Vermeidungsstrategie. Ja, er schreibt dann mal nachts halb 3, dass er geschlafen hat und nicht konnte, aber ich sitze auch nicht ständig am Handy und wenn ich dann antworte, kommt wieder nichts mehr. Aber sorry – man kann nicht 16 Stunden des Tages im Bett verbringen und zu nichts anderem in der Lage sein.
Aber ich vermisse auch Kommunikation, habe ich festgestellt. Dass ich mich darauf verlassen kann, dass ich das was mich bewegt, teilen kann. Und sollte ich dann irgendwann auf die Idee kommen eine Sprachnachricht zu machen von dem was mich bewegt, hört er die halt einfach nicht ab.

Irgendwann gestern gegen Mitternacht war mir das dann zu viel. Ich war klatschnass von der ganzen unspezifischen Angst in mir und konnte das aber auch gerade nirgendwo teilen. Mir ist auch aufgefallen, wie sehr ich meine Freunde vernachlässigt habe. Weil ich keine Zeit hatte oder weil die alle gesagt haben, dass ich mich jetzt langsam mal trennen soll und ich das nicht hören wollte. Der ehemalige Freund war gestern Abend mit einem Kumpel beim Inder und das hat mich sehr an unsere Sommerabende erinnert, die ich dann plötzlich auch sehr vermisst habe.
In Verbindung mit der Hochspannung habe ich dann nach sehr langer Zeit mal wieder die Kiste mit der Bedarfsmedikation raus gekramt und gehofft, dass das ein bisschen helfen wird beim Schlafen. Moderat dosiert, weil mir ja auch klar war, dass ich zurechnungsfähig am nächsten Morgen auf der Arbeit sein muss.

Hat dann auch geklappt, ein bisschen wie vom LKW überrollt habe ich mich heute Morgen aber doch gefühlt. 

Wer bis hierhin Text und Bild nicht in einen Zusammenhang bringen kann: Weiterlesen


***

Freitag vor dem Urlaub.
Von Natur aus ist das immer ein stressiger Tag.
Ich habe schon vom Dienst aus versucht so viel wie möglich vorzubereiten, aber vielleicht war es nicht unbedingt förderlich den vorletzten Tag vor dem Urlaub Dienstfrei zu haben.
Mit zwei Patienten muss ich noch die Medikation klären. Ich schreibe meiner Oberärztin eine Mail und frage sie, ob sie nach dem Team am Mittag Zeit hat.
Hat sie, sagt sie.

Also düse ich gegen halb 2 bewaffnet mit Notizblock und Tablet in Richtung ihres Büros.
Ich klopfe, sie lässt mich rein schlüpfen und stellt mir diesmal einen Stuhl an ihrem Tisch zurecht.
„Wie geht es Ihnen nach dem Mittwoch?“, ist ihre erste Frage.
Ich überlege eine Weile.
„Gestern war nicht mein Tag“, entgegne ich. „Ich habe eigentlich nichts geschafft von dem, was ich geplant habe.“
„Das habe ich mir gedacht“, entgegnet sie.
„Ehrlich gesagt verstehe ich das gar nicht so im Moment“, sage ich. „Das ist nicht das erste Mal, dass solche Themen auf den Tisch kommen. Und das war schwer am Anfang. Aber eigentlich hatte ich es die letzten Monate gut im Griff. Natürlich belastet das Thema immer wenn es aufkommt. Aber in einem vertretbaren Rahmen.“
„Ich will nicht indiskret sein, aber es geht ja manchmal auch darum, wie vorbelastet man aktuell ist. Ob es da viel gibt, das sonst noch so da ist. Dann kann das schon mal schneller kippen.“
Ich nicke. „Da ist schon eine Menge los“, bestätige ich. „Ich glaube zum Einen ist es so, dass der Todestag nicht lange her ist. Der ist tatsächlich im Juli. Und mein Plan war es jetzt, dass das Thema jetzt erstmal wieder zur Ruhe kommen kann – das ist ja den ganzen Frühling hindurch immer wieder präsent, weil das so die Zeit war, in der es bergab ging mit ihm und man außen rum gar nicht mehr hinterher kam. Und dann verschiebt sich das auch aktuell wirklich und ich merke das gerade sehr an meinen sozialen Beziehungen. Es geht nicht mehr nur um den Verlust. Es geht auch darum, was das mit mir und meiner Beziehungsgestaltung gemacht hat. Und wenn eine Beziehung nicht funktioniert, weil ich mich viel zu sehr daran festhalte und den Anderen fast erdrücke, dann kann das auch mal irgendeine ungünstige Dynamik sein. Wenn die zweite zwischenmenschliche Beziehung kurz davor ist, aus denselben Gründen daran kaputt zu gehen, dann ist das was anderes. Und ich merke das ja. Ich war früher nicht so, dass ich Menschen gar nicht sein lassen konnte. Es gibt nur die Optionen „ganz viel Abstand“ oder „so nah, dass nichts zwischen uns passt.““
Sie nickt. „Da sind eine Menge Themen drin.“ Und nach einer Pause. „Ich merke, dass da bei Ihnen noch ganz viel Belastung dahinter steckt und ich würde Ihnen gern etwas davon abnehmen, aber das geht natürlich nicht.“
„Nein, das geht nicht, das habe ich auch verstanden.“
„Vielleicht brauchen Sie wirklich nochmal Jemanden, der mit Ihnen da drauf schaut.“
„Naja“, gebe ich zu bedenken und lege den Kopf schief, „es sind über vier Jahre jetzt. Die Menschen haben mir nie Raum zum Trauern zugestanden. Die waren der Meinung, dass ich ja „nur“ den Freund verloren habe und wieder auf die Arbeit kommen soll. Und dann habe ich gearbeitet. Wie eine Verrückte. Und ich wüsste auch nicht, wie ich jetzt auf der Neuro erklären soll, dass ich wieder zur Therapie gehe. Zeitlich sind die Arbeitszeiten ja nicht so geregelt wie hier und im Dienstfrei wird das auch schwer.“
„Aber es geht nicht darum, wie die anderen das sehen. Die wollen auch immer viel von sich weg schieben und dann sagen sie so etwas. Tod und Suizid sind Tabuthemen in der Gesellschaft. Es geht darum, wie Sie das sehen und was Sie fühlen. Und ich erlebe da sehr viel Leid und sehr viel Schwere und ich würde mir wünschen, dass es für Sie etwas leichter wird.“
Ich nicke. „Ich glaube, ich müsste der Sache auch unabhängig von den strukturellen Schwierigkeiten noch eine Chance geben. Ich habe schon darüber im Rahmen von Therapie geredet. Aber das war nicht so sinnvoll. Mittlerweile sehe ich das, was ich damals nicht verstanden habe. Die Therapeuten wollten natürlich, dass ich vorwärts gehe in Richtung Zukunft. Was sicher richtig ist. Und ich wollte aber zurück. Ich wusste nicht, ob ich ein Leben ohne ihn konnte und wollte und an der Stelle sind wir ständig aneinander gerasselt. Ich habe gekämpft gegen die Zukunft und allein die vergehende Zeit hat mich wahnsinnig gemacht, weil sie mich immer weiter in eine Welt gebracht hat, in der ich nicht sein wollte.“ Ich bin eine Weile still. „Es ist ja auch die Frage: Was soll da raus kommen bei einer Therapie? Ich bin ehrlich, mir macht das immer noch super viel Angst, irgendwann damit abschließen zu sollen. Dass er so präsent ist, hält ihn ja auch irgendwie hier. Ich will ihn nicht loslassen.“ „Sie müssen ihn nicht loslassen“, erwidert die Oberärztin. „Das finde ich auch ehrlich gesagt immer gar nicht nötig. Aber sie könnten einen Weg finden, nicht mehr so belastet zu sein. In dem zum Beispiel die guten Momente sehr präsent bleiben.“ „Ja, das fehlt mir. Ich glaube, es ist zwar besser geworden und ich weiß auch, dass er mehr ist, als das was er am Ende getan hat, aber so richtig kann ich die guten Momente immer noch nicht mit guten Gefühlen verknüpfen. Ich habe irgendwann mal geschrieben, er muss umziehen in meinem Herzen. Er braucht einen neuen Platz. Wo er immer sicher sein kann, aber ich vielleicht nicht ständig hinschauen muss.“ „Das finde ich eine gute Formulierung“, entgegnet sie.
Und dann reden wir über Wut. Ob ich jemals wütend gewesen bin. „Lange Zeit nicht“, sage ich. „Und auch jetzt weniger auf ihn, aber ich merke, dass ich zunehmend auf die Situation wütend bin, in die ich da gerutscht bin. Das hätte ich wirklich nicht noch gebraucht.“ Das sei okay, sagt sie. Man darf Dinge scheiße und unfair finden, solange man trotzdem damit umgeht.
Wir machen uns Gedanken, halten wir fest. Wie man das am Besten lösen kann. Mit Richtlinientherapie oder Selbsterfahrung. Oder wie auch immer.

Und dann kommen wir zurück zum Punkt „was sonst noch so los ist.“
„Ich merke schon, dass ich umso nervöser werde, je weiter es auf den Oktober zugeht“,  erkläre ich und schildere dann mein Psychosomatik – Dilemma. Dass ich gern bleiben würde, aber es jetzt absolut keinen Sinn macht, den Facharzt nicht zu machen. Dass ich mir aber auch nicht vorstellen kann zurück in die Neuro zu gehen. Wo ich doch gerade einen Job gefunden habe, zu dem ich morgens gern hingehe.
Sie sieht das Dilemma. „Manchmal gibt es Dinge, wo wir gar keinen Spielraum haben. Manchmal ist das objektiv wirklich so. Manchmal fühlt sich das auch wirklich so an, obwohl es objektiv nicht so ist. Und manchmal ist es aber auch so, dass die Situation wirklich doof ist. Und wir aber einen ganz kleinen Spielraum haben. Und wir den auch gut nutzen sollten. Ich verstehe Sie da schon; auch dass sie sagen, dass sie jetzt den Facharzt haben wollen. Ihr Spielraum ist der Chef. Mit dem müssen Sie sich auseinander setzen.“ Ich nicke. Und erkläre, wie autoritär er ist. „Die kennen das gar nicht, dass ich da mal auf den Tisch haue“, sage ich. „Das kann anfangs für Widerstand sorgen“, bestätigt die Oberärztin. „Aber wenn er merkt, dass Sie das ernst meinen, wird sich da ein Spielraum auftun. Und ich würde Ihnen auch raten, mit unserem Chef nochmal zu sprechen. Dass der auch weiß, dass Sie wieder kommen wollen.“ „Vielleicht hat er das schon von der anderen Chefärztin. Ich bin ja erst seit Mai hier in dem Bereich.“ „Doppelt hält besser.“
Dann ist es nur nicht gesagt, wo ich hinkommen werde. Dieser Chefarztbereich ist hauptsächlich die Reha, die ich eigentlich nicht machen möchte. Ich weiß aber auch schon, dass sie meine neue Lieblingsoberärztin wird.

Am Ende reden wir über den Job. „Sie machen doch alles richtig“, erklärt sie mir, nachdem ich gesagt habe, dass ich meistens alles frei Schnauze mache. Klar, ein bisschen Yalom habe ich gelesen und da kann man sich echt ein paar gute Interventionen draus abschauen, aber wir hatten schnell unsere eigene Gruppe, konnten wenig bei Kollegen zuschauen und manchmal zweifle ich an mir selbst.
„Die Patienten öffnen sich Ihnen. Sie haben einen Draht zu denen. Und was wollen Sie mehr? Wie Sie dahin kommen, ist erstmal nicht so wichtig. Es geht in der Therapie doch ganz viel um Beziehungsarbeit und das machen Sie scheinbar intuitiv sehr gut.“
Und dann landen wir irgendwie beim Thema Kreativität. Bei Kunst, schreiben und Musik. Sie fragt mich nach Ressourcen und ich erzähle, dass die Menschen finden, dass ich schreiben kann und ich das gern mache. Aber, dass ich auch nicht weiß, warum die Menschen meine Texte lesen. „Vielleicht berühren Sie da etwas in anderen Menschen. Vielleicht denken sich manche Menschen, so hätte ich es auch gern gesagt, aber konnte es so nicht ausdrücken. Das kann viel Verbindung schaffen.“
Wir reden über die aktuelle Facharztlernzeit und sie plädiert dafür trotzdem jeden Tag eine Sache zu tun, die mir gut tut und die ich gern mache. „Sie sind sehr leistungsorientiert und Sie machen ihre Sache gut hier in der Psychosomatik und Sie schreiben so gewissenhaft und inhaltlich toll ihre Briefe. Sie machen die Facharztprüfung sicher gut. Aber sie müssen durchhalten bis dahin und an sich glauben. Und da kann das viele Ressourcen und viel Kraft aktivieren, wenn Sie anfangen etwas für sich zu tun. Ich kenne das aus meiner eigenen Lernzeit.“

Zum Schluss landen wir beim Thema Grenzen. Und ich spreche ziemlich direkt meine Sorge an, dass wir hier gerade zu viel vermischen. „In meiner alten Klinik waren wir da alle sehr viel offener. Da waren auch die Türen immer offen. Wir hören so viel von unseren Patienten, was so viel in uns anstößt und was wir auch verarbeiten müssen. Wir sollen doch den Patienten ein gutes Vorbild sein und wir haben alle miteinander genügen Ressourcen um gemeinsam alles zu tragen.“
Ok. Akzeptiert.

Am Ende vergessen wir fast, die Patienten zu besprechen.
Was wir dann aber doch noch gewissenhaft tun.

Heute Abend wird mir klar, wie dankbar ich dieser Frau bin. Wie sehr sie jetzt genau zum richtigen Zeitpunkt kam. Wie viel sie gerade auffängt. Nicht nur inhaltlich. Ich spüre gerade, ich muss nicht schon jetzt Angst haben vor dem Ende in der Psychosomatik, vor der Zeit des Wechsels, vor der emotionalen Überforderung, die das sein wird. Ich spüre, ich werde da gesehen und gehalten, so weit es eben geht. Tatsächlich habe ich mich sehr, sehr lange nicht mehr so gesehen gefühlt, wie heute. Ich bin nicht alleine. Das ist vielleicht das Wichtigste.

Mondkind

Bildquelle: Pixabay

Kommentare

  1. Liebste Mondkind, Ich drücke Dich ganz liebevoll & sachte & dennoch von ganzem Herzen ganz dolle...Genieße Dein Florian Künstler Konzert & schön, dass Du gerade so aktiv mit uns teilst, wie's in Dir aussieht. Ohne Deinen Blog würde echt was in meinem Leben fehlen, ich mein das wirklich genau so! Alles, alles Liebe, Nicole

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht

Reise - Tagebuch #2

Von einem Gespräch mit dem Kardiochirurgen