Um ein Hochzeitswochenende herum...

Donnerstagabend.
Ich stehe neben meinem Freund in der Küche und wir warten, bis das Essen fertig wird.
„Ich finde es doof, dass ich mich immer entscheiden muss“, sage ich.
„Wie meinst Du das?“, fragt er.
„Naja, ich kann nie mehrere Menschen um mich herum haben, die ich gerne mag.“

Eigentlich wäre ich an dem Abend bei meiner Schwester und ihrem Freund eingeladen gewesen. Aber da das einer der wenigen Abende im Monat ist, den auch mein Freund und ich miteinander verbringen können, habe ich gefragt, ob ich ihn mitbringen kann. Und dann war ich ganz schnell wieder ausgeladen.  

„Sollen wir die beiden morgen zu uns einladen?“, fragt er.
„Ich glaube der Freund von meiner Schwester kann nicht, habe ich gehört“, entgegne ich.
„Naja dann eben nur Deine Schwester.“
„Finde ich eine gute Idee…“

Tatsächlich gibt er sich sogar richtig Mühe. Der Plan war sogar, dass wir uns alle bei ihm in der Wohnung treffen, aber dazu hätte er sie noch etwas aufräumen müssen. Als ich Chili kochen bei mir vorgeschlagen habe meinte er, dass er sich vegetarische Carbonara überlegt habe und auch schon alles dafür besorgt habe. Am Ende war er zu lange auf der Arbeit, um noch seine Wohnung aufzuräumen, deshalb waren wir dann alle tatsächlich bei mir, aber irgendwie fand ich es so schön, dass er mich an der Stelle mal gesehen hat und so auf meine Bedürfnisse eingegangen ist.

Es war dann auch ein richtig schöner Abend. Wir haben viel gequatscht, nebenbei gekocht und gegessen und haben fast bis Mitternacht am Tisch gesessen.
Solche Abende könnte es öfter geben…

***
Ich bin auf der Hochzeit von der besten Freundin aus Studienzeiten.
Dafür bin ich ein Wochenende wieder in die alte Heimat gefahren. Tatsächlich habe ich das noch nie gemacht nur für einen Termin hin zu fahren an zwei Tagen. Dafür ist der Weg einfach sehr weit.

Es ist echt interessant was passiert, wenn man mal aus seiner Bubble raus kommt.
Der Kardiochirurg war nicht mit – er wollte ja nicht und musste darüber hinaus dann auch Samstag arbeiten. Dann hat es wenigstens ein bisschen Sinn gemacht, dass ich Samstag auch nicht da war.
Aber natürlich entwickelt sich der Smalltalk.
(Ich kannte tatsächlich exakt Niemanden außer des Brautpaares (wir haben uns ja nicht an der Uni, sondern in der Psychiatrie kennen gelernt) und dafür habe ich mich echt nicht schlecht geschlagen, finde ich. Ich neige dann nämlich immer dazu, dumm herum stehen, statt mich einfach zu irgendeiner Gruppe dazu zu stellen…)

„Hast Du eigentlich auch einen Freund?“
„Ja…“
„Und wo ist der?“
„Der muss arbeiten…“
„Ah okay, ist der auch Arzt?“
„Ja…“
„Das stelle ich mir aber schwierig vor…“
„Ist es auch.“
„Wie oft seht Ihr Euch denn?“
„Naja, wir haben meistens so zwei oder drei Nächte im Monat – wenn wir Glück haben. Ansonsten kommt es immer darauf an, wann wer abends raus kommt. Wenn einer Nachtdienst oder Spätdienst hat, geht es natürlich sowieso nicht. Aber auch sonst ist es eher wie Lotto spielen. Ein Wochenende von Freitag bis Sonntag hatten wir außerhalb von Urlaub das ganze Jahr noch nicht…“
„Das könnte ich mir nicht vorstellen.“
„Naja, ich kann mir das eigentlich auch nicht ewig weiter so vorstellen, aber es geht ja nicht anders. Das ist ja nicht nur er, das bin ja auch ich. Und ich sag`s Dir: Eine Beziehung mit Jemandem, der das Medizinsystem nicht kennt, ist auch nicht einfacher, der versteht das nämlich überhaupt nicht.“

So insgesamt entsteht in mir aber schon das Gefühl, ein bisschen den Anschluss verloren zu haben. Die Freundin ist ein paar Jahre jünger als ich – demzufolge sind die Meisten ihrer Freunde auch etwas jünger. Die waren alle so in ihren Mittzwanzigern. Für die meisten scheint das völlig normal zu sein, abends nach Hause zu kommen und den Partner zu sehen. Die Wochenenden zusammen Dinge zu unternehmen. Einige haben sogar Home – Office und können dann in der Mittagspause schon mal schnell den Haushalt machen. Und die verdienen jetzt nicht unbedingt schlecht damit. Zumindest nicht so schlecht, dass das Bisschen mehr Gehalt (eventuell, trifft glaube ich auch nicht für alle zu) die wirklich immer fehlenden gemeinsamen Wochenenden und die ganzen Überstunden aufwiegen würde. Und es sind ja – und davor hatte ich schon immer in Bezug auf eine Beziehung ein bisschen Angst – nicht mehr „nur“ die Überstunden. Es ist effektiv fehlende Paarzeit, weil man das natürlich auch nicht übereinander kriegt mit den Überstunden. Wir beschließen ja nicht „heute macht jeder mal drei Überstunden.“ Das ist an einem Tag der Eine, am nächsten Tag der Andere…
Tatsächlich waren auch so Einige schon verheiratet. Während ich mit meinen 31 Jahren immer noch nicht weiß, ob diese Beziehung jetzt vielleicht mal ein bisschen länger halten könnte.

Ehrlich gesagt frage ich mich ja schon, wie man sich fühlt, wenn man am Morgen nach der Hochzeit aufwacht. Ändert das etwas…?


Heute beim Frühstück habe ich noch Einige gesehen, die auch im Hotel übernachtet haben inklusive des Brautpaares. Die haben mit ihren Familien am Tisch gesessen, da war kein Platz mehr für Freunde. Ich habe mir das ein bisschen von der Ferne angeschaut; habe recht schnell gefrühstückt, weil ich auch schnell zurück in den Ort in der Ferne wollte. Der Kardiochirurg wollte heute Vormittag Fallschirm springen gehen und den Nachmittag mit mir verbringen. (Spoiler: Ich könnte jetzt nicht diesen Blogeintrag schreiben, hätte das funktioniert). Und da es  - der nächste Donnerstag steht noch auf der Kippe – gegebenenfalls der Einzige Tag ist in diesem Monat, an dem wir gemeinsam frei haben und keiner von uns noch an dem Tag arbeiten muss, tut man wohl gut daran, zumindest zu versuchen die Zeit zu nutzen. (Und hier wieder: Siehe oben).
Ich schaue rüber zu dem Tisch der Anderen und frage mich wie das wäre, wenn ein gemeinsames Frühstücken mit der Familie – oder wem auch immer – am Wochenende Alltag sein könnte.
Ich denk ein bisschen über meine Sozialisierung nach. Bis zum Abi zählte nur die Leistung. Allein nichtstuend durchs Haus zu schleichen, war quasi ein Verbrechen. Man durfte auf gar keinen Fall zeigen, dass man irgendetwas anderes als Schule macht. Und dann kam das Studium – die ersten zwei Jahre immer noch zu Hause, aber dann hatte man das a) alles zu viel internalisiert und b) ist ein Medizinstudium geradezu prädestiniert für diese Leistungsorientierung. Ich glaube, ich habe mittlerweile manchmal eine Ahnung davon, wie das Leben sein könnte. Aber wie es in diesem Medizinsektor einfach nie sein wird.

Oben im Hotel schmeiße ich die letzten Sachen zusammen. Allein aus dem Fenster zu gucken, ist das Sinnbild der Ecke, aus der ich groß geworden bin. Die Fenster sind ziemlich schalldicht, aber man kann auf die vierspurige Autobahn sehen, die vielleicht 30 Meter weg ist und auf der selbst zum Sonntagmorgen dichter Verkehr herrscht. Auf dem Parkplatz vor dem Hotel stehen Autos mit bekannten Kennzeichen. Ganz kurz überlege ich noch, ob der Kardiochirurg nicht vielleicht ohnehin zu spät sein wird, und ich kurz bei meiner Mama vorbei kann. Es wären nur 30 Kilometer. Aber das Verhältnis ist ohnehin angespannt. Es wäre ein Anstandsbesuch, der jetzt eigentlich nicht nötig ist. Dennoch weiß ich nicht, ob ich dieses Jahr nochmal kommen werde.
Ich denk über Heimat nach. Wie immer in diesen Situationen. In die Geburtsstadt zu kommen, ist ein merkwürdiges Gefühl vom Heimat und Fremdsein zugleich. Dieses Bild vor mir ist auch ein bisschen Heimat. Und gleichzeitig etwas ganz Ambivalentes. Manchmal frage ich mich, warum es so schwierig werden musste, dass ich so weit weg gehen musste, damit über die räumliche Distanz Ruhe einkehrt. (In dem Punkt hatte der sehr geschätzte Herr Psychiater damals Recht. Es war unglaublich schwer, vorher auch strukturell und finanziell einfach nicht möglich, aber es hat den Sinn erfüllt). Auf der anderen Seite bin ich da groß geworden. Mit vielen sehr schwierigen Erinnerungen. Und einigen Guten. Aus der Studienzeit. Als ich die Freundin kennen gelernt habe, die jetzt geheiratet hat. Ich werde nie unsere mitternächtlichen Kuchenbackaktionen vergessen, dass ich bei ihr das ein oder andere Mal auf der Luftmatratze geschlafen habe, wenn ich länger bei ihr war, als es die letzte Bahn erlaubt hat. Da sind Erinnerungen an den verstorbenen Freund, an die Hoffnungen und Pläne, die wir hatten.
Ich glaube zum Teil spüre ich hier immer noch die alte Zerrissenheit. Gehen war damals nicht einfach. Und dann denke ich an den Ort in der Ferne. Ob das ein zu Hause geworden ist…? Ich weiß es ja nicht. Sehr viel mehr als arbeiten und schlafen habe ich hier auch nicht getan.

So… - ich räume mal noch ein bisschen die Wohnung auf.
Morgen ist der letzte Tag in der Psychosomatik. Morgen Abend muss ich das Büro noch aufräumen – das habe ich letzte Woche nicht geschafft, denn natürlich haben die lieben Kollegen einfach alles, was meine Gruppe betrifft liegen gelassen und mit einer Besetzung mit zwei von fünf Kollegen in der letzten Woche hatte ich mit Nacharbeiten und Vertretung so viel zu tun, dass ich es trotz Überstunden nicht geschafft habe.
Und ab Dienstag geht es wieder los mit Neuro. Ich glaube manchmal, das wird die letzte Phase unserer Beziehung. Geht ja alles schon gut los. Die Dienste laufen natürlich genau entgegen gesetzt (also Einer Samstag und einer Sonntag), in seiner Freiwoche nach Nachtdienst habe ich 12 – Stunden – Spätdienste. Da sind die Kapazitäten natürlich auch nicht unendlich. Diesen Dienst, den ich prophylaktisch getauscht habe – dieser Riecher war mal richtig – rettet aber eben auch nicht alles. Wir werden es sehen. Aber viel Hoffnung habe ich unter den aktuellen Umständen nicht…

 Mondkind

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