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Es werden Posts vom November, 2021 angezeigt.

Verhaltensauffälligkeit versus Erschöpfung

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Gestern. Der Chef und ich kommen vom vierten Stock, von der Privatstation. Ich habe einer Kollegin da oben einen Patienten abgenommen, weil ich ihn aufgenommen habe und sich dann raus stellte, dass er privat versichert ist. Und sie hatte viel zu tun, da habe ich ihn weiter betreut, obwohl sie den vierten Stock macht. Und diesmal habe ich sogar die MS – Diagnostik im Griff. Plötzlich bleibt der Chef mitten auf der Treppe stehen. „Mondkind wie geht es Dir eigentlich?“, fragt er. Ich schaue ihn kurz völlig perplex an. Es ist doch Mittag, so langsam habe selbst ich mich mal beieinander, meine Stimme hat wieder etwas Kraft. Aber nach der Ankündigung, dass er eh mit uns allen sprechen will, wie er in der Frühbesprechung erwähnte… ? (Warum auch immer…) Hat das vielleicht, hoffentlich, gar nichts mit meinem Zustand zu tun. „Ich meine jetzt nicht beruflich, ich meine privat“, schiebt er hinterher, als ich immer noch nichts gesagt habe. „Es geht so“, sage ich. „Ich habe ein Jahr von Dir nichts

Glaubwürdigkeit

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„Aber so stelle ich mir halt einen normalen Zustand vor; nicht nur im Dienst. Aktiv, auf Zack, motiviert. Und das würde ich mir auch für mich von der Klinik wünschen: Dass es im Alltag nicht mehr alles so eine Überwindung und Kraftanstrengung ist. Dass mich nicht alles stresst, weil ich glaube dafür viel zu wenig Energie zu haben. Das glaubt mir halt immer Keiner, weil man mir das wahrscheinlich nicht glauben kann, wenn man mich aus den Diensten kennt, aber es ist wirklich belastend.“ „Da hast Du recht, ich kann es auch nicht glauben…“ Na dann… - ist alles gesagt. warum versuchen wir miteinander zu reden? Offensichtlich habe ich wohl ein Problem mit meiner Glaubwürdigkeit. Schon mein ganzes Leben lang. Meine Mutter pflegte irgendwann zu sagen: „Mondkind, das hast Du falsch verstanden“ oder „Mondkind, das nimmst Du falsch wahr“. Und wenn man mal für einen Augenblick hat durchblicken lassen, dass man nicht so stark ist, wie die Fassade, die um jeden Preis stehen bleiben muss, dann wur

Zwischen Lysen und Verlusteindrücken

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  Montag. 24 – Stunden – Dienst. Als ich die Notaufnahme betrete um das Diensttelefon zu übernehmen, treffe ich auf den dienstplanverantwortlichen Oberarzt. „Mondkind, hast Du den Dienstplan für Dezember gesehen?“, fragt er. „Ja habe ich. Danke Dir“, entgegne ich. „Passt es so?“, fragt er. „Ja. Sehr gut“, entgegne ich. „Mondkind wir reden nochmal. Ich komme morgen früh ein bisschen früher und dann schauen wir, ob wir kurz Zeit finden.“ Um 19:20 Uhr brauche ich das erste Mal meinen Oberarzt im Hintergrund. Ich rufe die Rezeption an und lasse mich verbinden. „Ich habe hier einen Patienten, der um 15 Uhr akut eine motorische Aphasie entwickelt hat, im CT sehe ich noch keinen Infarkt, die Angio ist unauffällig. Wir sind im Zeitfenster, Kontraindikationen sind ausgeschlossen, ich würde ihn jetzt lysieren“, referiere ich kurz. Mein Gegenüber möchte sich noch schnell selbst die CT – Bilder anschauen und ruft mich drei Minuten später zurück. „Kannst Du lysieren Mondkind. Aber pass auf den Bl

Pirouetten im alten Leben

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Atmen. Einfach weiter atmen.    Die Menschen, denen ich mittlerweile gesagt habe, welche Reise ich diese Woche angetreten habe, finden es mutig. Die meisten – abgesehen von der potentiellen Bezugsperson – wussten das erst hinterher. Ich wollte keine Ratschläge, keine argwöhnischen Blicke, kein „Mondkind, muss das sein…?“ Ich weiß noch nicht, wie ich das alles einordnen soll. So viel wie in der letzten Woche, habe ich vielleicht die letzten fünf Monate zusammen nicht geweint. Und obwohl ich so viel weine und das alles so furchtbar ist, bin ich so dankbar, dass das Bild meines Freundes so positiv vervollständigt wurde. Sein Verlust wiegt jetzt noch schwerer als vorher, aber ich weiß, dass er der Mann war, mit dem ich mein Leben hätte verbringen können. Mit dem ich das beste Leben hätte haben können. Wenn wir in uns und den anderen hätten vertrauen können, wenn uns beiden nicht die Krankheit dazwischen gerätscht wäre. Gerade bin ich dabei, einen Text zu organisieren, den er mal für

Vom Besuch bei der Mutter des Freundes und Klinikplanungen

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Atmen. Einfach nur atmen. Es war die wahrscheinlich schwierigste Reise meines Lebens. Ganz alleine. Vielleicht mit gedanklicher Begleitung der potentiellen Bezugsperson. Bahnhof. In einer Stadt, in der er mal gelebt hat. Ich frage mich, wann er zum letzten Mal hier war. Es muss lange gewesen sein, bevor er gestorben war. Ich frage mich, ob er weiß, wie es hier aussieht. Ob er mich ein bisschen verloren auf den Straßen wandeln sieht auf der Suche nach den richtigen Bushaltestellen. Ich habe Angst. Ich habe immer Angst vor Neuem. Aber das hier ist ein anderes Kaliber. „Komm Mondkind, die Frau ist seine Mutter. Die Mutter des Menschen, den Du geliebt hast. Sie kann kein Unmensch sein.“ Als ich in die Straße einbiege, steht sie schon auf dem Balkon und winkt. Wir kochen Tee, holen uns ein paar Kekse und setzen uns. Und dann erzählt sie. Von einem beschwerlichen Leben. Sie malt ein Bild von meinem Freund, das irgendwie ein bisschen anders ist als das, was ich kenne, auch wenn ich ih