Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht
Drittes Staatsexamen. Ein
bisschen Revue passieren lassen. Ehrlich gesagt kann ich mich schon gar nicht
mehr an alles genau erinnern. Schräge 48 Stunden. Die mich an meine
körperlichen und psychischen Grenzen gebracht haben. Hinterher waren wir uns
übrigens alle einig, dass die Aufregung und Angst nicht daran lag, dass das
Examen zu schwer gewesen wäre. Es geht einfach darum, dass das Ende des
Studiums zum Greifen nah ist, keiner das PJ wiederholen will und man im
Bestfall schon einen Vertrag unterschrieben hat. Es geht darum, dass
Durchfallen unfassbar peinlich wäre. Und nach sechs (oder in meinem Fall
sechseinhalb) Jahren Studium möchte man auch den Prüfern beweisen können, dass
man ein bisschen was gelernt hat in der Zeit.
Mittwoch Morgen. Um 9 Uhr soll es
los gehen. Ich bin schon früh wach. Frühstücken ist kaum möglich, aber
wenigstens ein bisschen Kaffee geht noch.
Der Prüfungsvorsitzende – in
meinem Fall ein Neurologe – holt uns am vereinbarten Treffpunkt ab und bringt
uns auf die Station. Unsere Sachen dürfen wir in einem Diagnostik – Zimmer
abstellen – hier sollen wir auch unseren Brief schreiben. Ich weiß nicht, wie
es an anderen Unis aussieht – einen PC – Zugang bekommen wir dafür nicht. Die
Idee war eigentlich gewesen, dass wir unsere eigenen Laptops mitbringen (die
wir auch alle brav dabei haben, was mir dennoch helfen wird), den Brief darauf
schreiben und ihn dann drucken. Aber was ist, wenn der PC am Ende nicht mit dem
Drucker kommunizieren will, so wie das bei einer Kommilitonin ein paar Tage
zuvor passiert war? Da hatte ihr Freund noch zu Hause den Drucker abgebaut und
ihn in die Uni gebracht. Es muss sehr viel Stress gewesen sein. Und eigentlich
ist das schon der erste Punkt, der unnötig ist. Man sollte doch meinen, dass
ein Staatsexamen nicht an solchen Dingen scheitert.
Der Vorschlag des Neurologen ist
es daher, den Brief einfach per Hand zu schreiben. Super Idee… - so einen Neuro
– Brief per Hand zu schreiben. Ich weiß ja nicht, wie die Briefe hier an der
Uni so aussehen, aber je nach Fall konnte der bei uns im Ort in der Ferne schon
mal 14 Seiten lang sein.
Der Neurologe drückt uns einen
Aufnahmebogen in die Hand – den sollen wir bitte auch noch ausfüllen. Der ist
auf der Neuro aber auch recht lang – locker 10 Seiten. Ich habe nicht mal
vorher Zeit, mir den anzusehen. Die anderen, die hier PJ gemacht haben, kennen
ihn wenigstens. (Also Tipp – geht vorher auf der Station auf der Ihr geprüft
werdet vorbei, wenn Ihr sie nicht aus dem PJ kennt und schaut nach, wie die
Aufnahmebögen aussehen, wo die Akten und Befunde hinterlegt sind, damit Ihr sie
schnell findet am Prüfungstag. Ihr braucht die Zeit).
Nachdem das also geklärt wäre
(und ich höchstgradig beunruhigt bin), machen wir uns mit dem Neurologen auf
den Weg. Wir gehen bei den ausgesuchten Patienten vorbei. Er stellt jeweils
einen von uns kurz vor und wir erklären dem Patienten, dass er bitte im Zimmer bleiben
soll und wir gleich kommen.
Ich bin die Letzte, die ihren
Patienten bekommt. Als ich um die Ecke ins Zimmer schaue, denke ich mir nur:
„Shit, das sieht von der Ferne schon aus wie ein internistisches Polytrauma.
Und wir haben einen strengen Internisten…“ Bevor der Neurologe irgendetwas
sagen kann, poltert der Patient schon los: „Ich kann heute schon wieder nichts
sehen…“ Ich schaue ihn an. Ein Augenlid hängt, aber das sieht nicht nach
Schlaganfall aus. „Myasthenie“, schießt mir in den Kopf. Das wäre ja mal ein
Jackpot. Denn im Ort in der Ferne hätte ich ja mal fast eine Prüfung über eine
Myasthenie – Patientin gemacht. Die habe ich mit dem Chef noch eine Stunde lang
untersucht, um halbwegs sicher zu gehen, dass wir dem ärztlichen Direktor keine
Mononeuropathie im Rahmen eines Diabetes als okuläre Myasthenie verkaufen.
Damals gab es in einer neurologischen Zeitschrift auch gerade eine Ausgabe, die
sich fast komplett der Myasthenie widmete – die Artikel habe ich alle als PDF
auf meinem Laptop gespeichert und sie gelesen.
Man kann jetzt die Strategie
verfolgen, erstmal den Patienten zu untersuchen, um sich ein eigenes Bild zu
machen und dann die Akte zu studieren. In Anbetracht der Zeitknappheit (erstmal
hören sich fünf Stunden für einen Patienten nicht so wenig an, aber wenn man
alles per Hand schreiben und bedenken muss, dass man den Chirurgen und
Internisten vielleicht auch noch etwas liefern möchte), würde ich das
andersherum machen. Wir sind erstmal ins Arztzimmer gelaufen, wo die
Assistenzärzte so lieb waren, uns zumindest Vorbefunde, Briefe, aktuelle
Untersuchungsergebnisse und das Labor auszudrucken – so es denn vorhanden
war.
Ich kann es kaum erwarten, die
Akte aufzuschlagen. „Okuläre Myasthenie“, lese ich ein einem alten Arztbrief.
Richtig gut. Ich finde sogar die Assistenzärztin, die meinen Patienten betreut.
Viel helfen kann sie mir allerdings nicht. Er habe massive Unterschenkelödeme,
nur wisse keiner so recht woher. Ich bin mir sicher, dass die Internisten
darauf herum reiten, also lese ich mich durch alles durch. Vermutlich ist die
Ursache eine Kombination aus einer Herzinsuffizienz (die allerdings eigentlich
nicht so hochgradig ist, dass man so massive Ödeme vermuten würde), einer
drittgradigen Niereninsuffizienz und einer Therapie mit Glukokortikoiden
aufgrund der Myasthenie.
Zum Glück muss ich zur Myasthenie
nicht mehr viel lesen, denn in der nächsten Stunde bin ich mit den 18
Nebendiagnosen meines Patienten und den Vorbriefen beschäftigt. Nachdem ich
endlich alles etwas sortiert habe – aber immer noch nicht zufrieden stellend –
gehe ich zum Patienten.
„Na da haben Sie Glück, ich
wollte gerade zu Cafeteria“, empfängt er mich. Na das wird ein Spaß. Er erklärt
mir, dass er schon so oft Patient im Staatsexamen gewesen sei und eigentlich
keine Lust mehr darauf habe. Ich versuche mir nicht anmerken zu lassen, wie
sehr mich jetzt noch ein unkooperativer Patient nervt. „Ich kann das verstehen,
dass das für Sie auch sehr stressig ist. Trotzdem wäre ich Ihnen sehr dankbar,
wenn wir das jetzt zusammen so gut wie möglich machen können. Dann würden Sie
mir ein großes Stück dabei helfen, in 48 Stunden Ärztin zu sein.“
Hinsichtlicher der Anamnese ist
nicht viel aus ihm heraus zu bekommen. „Die Ärzte sagen mir ja nichts, da
müssen Sie die fragen…“. Oder „Ja, ich war mal wegen der Wirbelsäule in der
Neurochirurgie, aber ich weiß nicht was da gemacht wurde…“. Und „Nee, also mit
dem Herz ist alles gut…“ Warum er im Rollstuhl vor mir sitzt, obwohl er
eigentlich ganz gut zu Fuß unterwegs ist, habe ich bis zum Ende nicht heraus
gefunden.
Übrigens hilft es auch, in die
Aufnahmebefunde der Kollegen rein zu schauen, wenn die so aussehen, als habe
sich da jemand Mühe gegeben. Da stand bei mir zum Beispiel drin, dass das
Vibrationsempfinden nicht beeinträchtigt sei und die Reflexe auch an den Füßen
gut seien. Das würde ich bei einem langjährigen Diabetiker jetzt nicht
unbedingt erwarten.
Der Patient weigert sich dann
aber die Stützstrümpfe auszuziehen – somit habe ich wenig Chancen, der
Herkunft der Ödeme noch weiter auf den Grund zu gehen. Aber den
Achillessehnenreflex bekomme ich auch durch die Strümpfe – also scheint
das wirklich zu klappen.
Da die fehlende Mitarbeit auch in
einigen Vorbriefen bemängelt wurde, schreibe ich dann auch einfach in den
Aufnahmebogen, dass der Patient sich geweigert hat die Strümpfe
auszuziehen und das Vibrationsempfinden daher an den Knöcheln nicht testbar
war. Schreibt da bloß nichts rein, was ihr nicht gemacht habt.
Und untersucht trotz Zeitdruck
wirklich die gängigen Dinge komplett – auch wenn es Zeit kostet. Beim
Ausklopfen der Lungengrenzen ist mir beispielsweise aufgefallen, dass das
aufgrund des Übergewichts des Patienten nicht möglich war. Da konnte ich in der
Prüfung direkt sagen, dass es mir schwer gefallen ist, da einen Unterschied im
Klopfschall zu hören, aber ich trotzdem gern vormache, wie es theoretisch geht.
Das hat dann sogar der Internist eingesehen.
Bis ich die Akten studiert habe,
halbwegs den Überblick habe und den Patienten untersucht habe, ist es tatsächlich
halb 1. Anderthalb Stunden Zeit bleiben noch, um den ellenlangen Anamnesebogen
auszufüllen und den Brief – wir erinnern uns – per Hand zu schreiben.
Daher, Tipp: Wir haben uns da von
dem Neurologen etwas überrumpeln lassen. Eigentlich ist die Ansage ja, dass man
einen Bericht schreiben muss und natürlich hatten wir uns alle zu Hause die
gängigen Formulierungen des Aufnahmebefundes zurecht gelegt. Der Neurologe
wollte nur in absoluten Notfällen angefunkt werden und das war nun mal keiner.
Aber wenn Euch jemand mit einem Aufnahmebogen um die Ecke kommt: Fragt, ob das
reicht, wenn Ihr den ausfüllt. Oder, ob Ihr den nicht ausfüllen müsst, wenn Ihr
einen Bericht schreibt. Im Prinzip haben wir durch diesen Aufnahmebogen alles
doppelt gemacht.
Bis zur letzten Minute bin ich
damit beschäftigt, den Brief zu schreiben – ich schaffe es nicht mal mehr, vor
dem Prüfungsbeginn auf die Toilette zu gehen. Daher noch ein Tipp: Zwei von uns
hatten die Idee, man könne ja vorher in der Mensa essen gehen. Nehmt Euch um Gottes
Willen etwas zu essen mit. Man weiß nie was passiert und ein bisschen
Studentenfutter kann man nebenbei schnell knabbern – auch wenn der Magen
ziemlich rebelliert.
Keine Zeit mehr, um mir die
Patientenvorstellung zurecht zu legen. „Mondkind, Du hast das so oft gemacht…“,
denke ich mir. „Der Patient kam an dem Datum in die Notaufnahme. Anamnestisch
erfuhr man, dass… Klinisch – neurologisch fand sich… Zur Abklärung der
Symptomatik führten wir die Diagnostik durch…“
Die Prüfer warten schon auf dem
Gang. Wir stellen uns vor. Um zu meinem Patienten zu gelangen, müssen wir ein
Mal die ganze Station überqueren. Meine Knie zittern, ich muss mich bemühen,
dass mir die Tränen nicht in die Augen steigen. Am liebsten würde ich da
einfach auf der Stelle auf diesem Flur zusammen brechen. Neurologisch habe ja
alles ganz gut im Blick, aber mit den 18 internistischen Nebendiagnosen…? Was
wird das jetzt bitte für ein Desaster? Vier Prüfer mit strengen Mienen, wie aus
dem Ei gepellt, die mit großen Schritten vor uns her laufen…
Wir stellen uns alle um das
Patientenbett. Ich spüre die Blicke der Chirurgin, die neben mir steht, auf
mir. Ich glaube, sie verwechselt mich. Meine Schwester war bei ihr auf der
Station; ich kenne sie eigentlich gar nicht gut. Aber sie lächelt mir nett zu.
So ein „Du machst das schon…“
Ich merke, dass meine Hände sich
verkrampfen, die angespannten Muskeln lassen die Sehnen leicht hervor treten
und die Haut darüber weiß werden. „Mondkind, versprichst Du mir, dass Du
kämpfst wie eine Löwin?“, kommen mir die Worte des Oberdocs in den Sinn. Also
los. Einfach alles ausblenden. Nur ich und mein Kopf. Egal, wer da alles steht,
egal, wo wir hier sind, egal, wie wichtig die nächsten Minuten sind.
Ich fange an zu berichten.
Vollautomatisiert. Die ersten drei Sätze kann ich kaum reden. Die anderen sagen
mir hinterher, dass es gut war, ich weiß ehrlich gesagt nicht mehr alles, was
ich da erzählt habe. Natürlich hat der Patient sein Auge mittlerweile offen;
von der Myasthenie ist nicht mehr viel zu sehen. Aber der Patient sitzt von mir
abgewandt, sodass ich es erst gar nicht mitbekomme. „Ich glaube, im Moment ist
die Symptomatik weit besser als heute Morgen, oder? Schauen Sie mich mal an“,
fordere ich den Patienten auf. „Kommen Sie mal rum“, sagt der Neurologe und
dann muss ich mich zwischen die Prüfer quetschen. Ich versuche sie
auszublenden, die Prüfer. Den Blick quer durchs Zimmer, vor meinem geistigen
Auge froschgrüner Fußboden der Stroke Unit in der Ferne. Ich bin gar nicht in
dem Raum; geistig.
Ich hatte berichtet, dass der
Patient mit einer exazerbierten, bereits vorbekannten Myasthenie in der
Notaufnahme aufgeschlagen war. In meiner Patientenvorstellung hatte ich mich
auf die Myasthenie konzentiert und nur erwähnt, dass der Patient ein
ausgeprägtes kardiovaskuläres Risikoprofil hat – immerhin sind wir auf der
Neuro und nicht in der Inneren und warum soll ich jetzt mit den Diagnosen um
die Ecke rücken, mit denen ich mich sowieso verrenne? Wenn es den Internisten
stört, soll er fragen. (Und Ihr habt auch keine Zeit für eine ausgedehnte
Patientenvorstellung, dann unterbrechen die Euch sowieso. Also das Wichtigste
und das, worüber Ihr Bescheid wisst, zuerst. Also vermutlich bei fast jedem die
Patientenvorstellung auf das Wahlfach konzentrieren).
„Was würden Sie denn machen, wenn
die Diagnose nicht schon bekannt wäre?“, fragt der Neurologe. Meine Chance. Ich
fange an zu berichten. Über den Simpson – Test, den Eisbeutel – Test, den
Tensilontest, der aber aktuell gar nicht mehr verfügbar ist und wenn, dann müsse
man das mit Monitoring machen. Natürlich kann man – wenn man es dann im Verlauf
des stationären Aufenthaltes genauer wissen möchte - auch noch das EMG zur
Hilfe nehmen. Dort würde man ein Dekrement erwarten, erkläre ich und erzähle
etwas über die Potentiale. „Was vergleicht man denn da?“, hakt der Neurologe ein
und will offenbar wissen, ob ich mehr als nur „Dekrement“ gelernt habe. Ich
erkläre, welchen Nerv und welchen Muskel wir sinnvollerweise ableiten und dass
wir das Erste mit dem vierten oder fünften Potential der Muskelantwort
vergleichen und schauen, wie stark rückläufig die Muskelantwort ist. Und das
kann man dann auch als Abgrenzung zum Lambert – Eaton – Syndrom nehmen, führe
ich ungefragt weiter aus (wartet nicht, bis die fragen, haut raus, was Ihr
wisst, dann können die nicht fragen), wo wir ein Inkrement erwarten würden. Mit
einer Darstellung möglicher Differentialdiagnosen, einem kleinen Schwenk über
die Antikörper und das Philosophien darüber, ob die Myasthenie als milde Form
der generalisierten Form der Myasthenie oder als eigenständige Krankheit zu
werten ist, endet mein Vortrag.
Ich glaube, das war ein
Statement. Für den Neurologen, für die anderen Prüfer, für mich. Keine Ahnung,
ob er erwartet hat, dass man mit einer Myasthenie locker flockig so gut zurecht
kommt. Er kommt nur noch dazu mich einmal die Kraftprüfung der oberen
Extremität durchführen lassen. Der Patient ist auch aufgeregt, versteht nicht
sofort, was ich von ihm will. „Noch einmal Flügelchen nach oben, so wie heute
Morgen“, erkläre ich so lässig wie möglich. Alle lachen ein Mal kurz und er
hebt die Arme.
Und ich… - ich bin für einen
Augenblick richtig erleichtert.
Dann kommt der Internist an die
Reihe. Zuerst möchte er wissen, welche internistische Ursache eine Myasthenie
noch haben kann. Ich hatte es irgendwo im Lauf der Vorbereitung gelesen und es wohlwissend,
dass wir einen Hämatoonkologen dabei haben, im Hinterkopf abgespeichert – sonst
hätte ich es garantiert vergessen. Penicillamin – ein Chelatbildner, den man
bei Morbus Wilson gibt – kann eine Myasthenie auslösen. Das habe ich ihm
erstmal gesagt, weil ich auf das Naheliegenste nicht kam. Er hat mich ganz
schief von der Seite angeschaut, den Gesichtsausdruck des Neurologen habe ich
nicht gesehen (-leider). „Okay, das meinte ich eigentlich nicht. Gibt es noch
irgendwelche Ursachen?“, fragt er. „Ja, ein Tymom“, erkläre ich. „Genau, darauf
wollte ich hinaus.“
Im Anschluss lässt er mich dann
noch einmal die Lunge untersuchen, obwohl das ja bei dem Patienten teils
schwierig ist. Allerdings ist es eben wie gesagt gut, wenn man es vorher weiß
und nicht verzweifelt minutenlang versucht es richtig zu machen und es auf die
eigene Aufregung schiebt, dass es nicht klappt. „Ja, das ist okay, das sehe
ich, dass das schwierig ist bei dem Patienten, aber Sie wissen ja, wie es
geht“, sagt er. Puh… - zum Glück.
Die Chirurgin lässt mich den
Bauch untersuchen und der HNOler fragt mich zum Thema Schwindel aus. Hier komme
ich ihm mit meinem HINTS – Konzept um die Ecke zur Differenzierung eines peripheren
oder zentralen Schwindels. Meinen Neurologen in der Ferne bin ich schon sehr
dankbar – auch das hatte ich ja mal für ein Referat ausgerarbeitet.
Die Stunde ist in all der
Aufregung schnell rum und dann ist der erste Tage für mich schon geschafft. Und
dass der Patient internistisch so schlecht drauf ist steht zwar in meinem
Bericht (von dem ich nicht weiß, ob den je wer liest), aber erwähnt hatte ich
das nicht im Detail und gefragt hat auch keiner.
Am zweiten Tag sitzen wir in
einem Konferenzraum. Die vier Prüflinge auf einer Seite des Tisches, die vier
Prüfer auf der anderen Seite. Viele Prüferprotokolle von unseren Prüfern gab es
nicht, aber die Dinge, die dann in den wenigen Protokollen standen, wurden
wirklich gefragt. Scheinbar hätte man sich bei uns ganz gut drauf verlassen
können. Also hier Hinweis an alle: Nehmt Euch hinterher ein paar Minuten und
schreibt ein kurzes Protokoll. Im Notfall reichen Stichworte – aber der
nächsten Generation von Prüflingen hilft es eben vielleicht wirklich.
Der zweite Tage lief bei mir ein
bisschen unglücklicher als der erste Tag. Das lag aber hier oft daran, dass ich
mit den Standards des Hauses nicht vertraut bin, weil ich mein PJ eben woanders
gemacht habe. Neuro zum Beispiel hätte ja eigentlich meine Bank sein sollen. Im
Ort in der Ferne haben wir bei jedem Patienten erst ein CT gemacht, um zwischen
Blutung und Ischämie zu differenzieren, wenn jemand mit Verdacht auf einen
Schlaganfall kam. Unabhängig davon, ob es ein Wake – up – Stroke war, oder
nicht. Wenn wir dann sicher waren, dass es keine Blutung ist, haben wir ein MRT
mit DWI / Flair – Missmatch hinterher geschoben um zu schauen, ob wir den
Patienten noch lysieren können. Jetzt muss man dazu sagen, dass der Weg zum MRT
bis Januar noch etwas weiter war und das vielleicht der Grund dafür war. Ich
habe mir nie Gedanken darüber gemacht das andersherum zu machen, bis mich der
Neurologe damit überfuhr, wie mir den einfallen könne da ein CT vor dem MRT zu
machen.
Vielleicht hilft es also, sich
nochmal nach dem allgemeinen Vorgehen zu erkundigen, wenn man jemanden kennt,
der sein PJ in dem Haus gemacht hat und man selbst woanders war.
Und zumindest bei uns war es so,
dass wirklich jeder Prüfer kam mit: „Sie sind in der Notaufnahme und es kommt
ein Patient mit…“ Oder Lieblingsszenario der Chirurgin: „Sie kommen heute Abend
nach Hause und Ihre Eltern gratulieren Ihnen alle und die Nachbarn sind auch da
und dann ruft Ihre Oma an und hat folgendes Problem…“ (In Anbetracht meiner
familiären Situation war das eher nicht so geschickt…)
Die Prüfer haben dann den
Patienten gespielt und wir mussten das Procedere der Notaufnahme theoretisch
erklären. Also für alle Noch – PJler: Wäre vielleicht hilfreich, da ein paar
Wochen zu sein. Und sonst: Schaut Euch nochmal an, welche Fragen in der
Anamnese unbedingt gestellt werden müssen und wie man das am Besten
strukturiert und überlegt Euch, was Ihr vom Labor braucht. Wir mussten nach den
Laborwerten explizit fragen und wenn einer auffällig gewesen wäre, den wir
nicht erfragt haben, standen wir da teilweise echt minutenlang auf der Leitung.
Nach vier Stunden ist auch das
endlich vorbei und nachdem wir fünf Minuten raus gebeten wurden, in denen sich
die Prüfer über die Noten berieten, kam endlich der erlösende Satz des
Neurologen: „Also bestanden haben Sie alle…“ Und dann wurden die Noten
verkündet. Klar, besser geht es immer und über einige Dinge ärgere ich mich
wirklich – vor allem, weil meine Konzentration am Ende echt nachließ aufgrund
der ganzen Anspannung und der Tatsache, dass mein Magen zwei Tage gegen
jegliches Essen rebelliert hat – aber es ist in Ordnung. Tags darauf wird mir
der Seelsorger klar machen, dass es insbesondere wenn man die Umstände bedenkt
unter denen ich das gemacht habe, mehr als in Ordnung ist.
Da bei mir niemand da ist, der
mich abholt nach der Prüfung, nehmen mich die anderen kurzerhand mit ins Foyer
der Klinik, wo Freunde und Familie mit einem selbstgebackenen Kuchen und einer
Flasche Sekt warten.
Einer der ersten Menschen den ich
anrufe, ist natürlich der Neuro – Oberdoc. „Ich bin so stolz auf Dich
Mondkind“, sagt er, nachdem ich erklärt habe, dass das Studium Geschichte ist
und ich nun endlich so lange wie ich mag an den Ort in der Ferne kommen kann
und das nicht mehr durch Praktika begrenzt ist. „Ich glaube es echt nicht. Seit
Anfang 2016 arbeite ich auf diesen Tag hin und jetzt ist es einfach soweit.
Trotz allem, was dazwischen passiert ist…“ Auch ihm erzähle ich die Geschichte
mit der Myasthenie und dem Penicillamin. Einfach, weil ich selbst das so genial
fand, diesen Myasthenie – Patienten bekommen zu haben. Und es mich auch ehrlich
gesagt sehr beruhigt hat, dass es so gut anlief. „Mondkind, das ist ja wie bei
Doktor House bei Dir“, kommentiert er mit einem Lachen und wiederholt ungläubig
„Penicillamin bei Morbus Wilson – das ist ja richtig gut…“ Ich muss gestehen,
ich habe noch nicht eine Folge Dr. House gesehen, aber ich werte das mal als
Kompliment.
Nachdem ich mit meinem kurzen
Bericht über den neurologischen Teil des Examens fertig bin, fragt er: „Und wie
geht das jetzt bei Dir mit der Klinik weiter?“ Obwohl ich ja mittlerweile weiß,
dass er das Thema sehr locker nimmt und ich mich damit bei ihm nicht verstecken
muss, bin ich immer wieder erstaunt. Viele Probleme in der Familie wären ja
nicht da, wenn ich zum Beispiel hätte sagen können, wann ich Examen mache, weil
ich nicht fürchten müsste, dass in der Familie die nächste imaginäre Bombe
explodiert, wenn heraus kommt, dass ich danach in der Klinik bin – was vor dem
Examen meiner Schwester eben ungünstig wäre. Ich erkläre ihm den Plan. Er ist
sogar immer wieder derjenige, der mich ermutigt, das durchzuziehen. „Das ist
wirklich besser Mondkind, als wenn es dann nach ein paar Monaten im Job
zusammen klappt. Du wirst da nicht drum rum kommen früher oder später und hast
es schon so lange vor Dir her geschoben. Zieh das jetzt durch und dann
konzentrierst Du alle Deine Kräfte auf die Neuro. Aber erwarte auch nicht zu
viel davon und bekomme dann keine Panik kurz vor der Entlassung. Die können
Dich da in ein paar Wochen nicht völlig umkrempeln. Es wird hinterher nicht
alles gut sein, aber im Bestfall ein bisschen einfacher.“
Eigentlich hatte ich den Bericht
über das Examen schon gestern schreiben wollen. Aber keine 24 Stunden nach dem
Examen, geht die Familiensituation dann schon mal wieder hoch. Selbst, wenn
immer noch keiner weiß, dass ich das Examen bereits habe. Deshalb sieht der
erste Tag nach dem Examen auch leider anders aus, als geplant. Kein Gefühl von
Freiheit. Kein am Fluss sitzen mit „Hold on, we’re going home“ von Christina
Grimmie auf den Ohren, weil das doch das „post – Examens – Lied“ aus dem letzten
Jahr ist und Rituale doch dazu gehören.
Die Therapeutin erklärt, dass wir
nächsten Donnerstag ja mal besprechen können, wie und ob wir das mit der Klinik
angehen. (Spannend, ich freue mich, wenn ich das bis nächsten Donnerstag
schaffe…).
Am Nachmittag telefoniere ich
noch sehr lange mit dem Seelsorger. „Wirklich tragisch finde ich ja, dass Sie
überhaupt keine Zeit haben, um einmal kurz Luft zu holen. Sie bestehen das
Examen und rutschen in die nächste Katastrophe. Nahtlos…“ , erklärt er. „Ich
habe ja gesagt – es ist nicht vorbei nach dem Examen. Vermutlich ist es nie so
richtig vorbei…“, sage ich.
Der Stess geht tatsächlich weiter
– nur anders. Ich mache mir keine Gedanken um Myeloproliferative Syndrome und
Schlaganfälle mehr – dafür darüber, wie ich ein bisschen etwas für mich selbst
tun kann, ohne in der Familie ein Erdbeben auszulösen, was aktuell unmöglich
erscheint.
Mondkind
Danke! Ganz ähnlich fühle ich mich gerade. Riesige Erleichterung, etwas enttäuscht- das hätte besser laufen können- alles gegeben. Dann kommt das Glück oder Pech mit den Themen ins Spiel. Aber wenn man die Umstände bedenkt- trotzdem aller Grund zufrieden zu sein. Egal. Weiß noch gar nicht was ich denken und fühlen soll. Da hilft jetzt nur eine Runde rennen. Trotz oder gerade auch im Regen. KLärt den Kopf. Hoffenlich.
AntwortenLöschenHerzlichen Glückwunsch erstmal!
LöschenMittlerweile ist es ja bei mir schon fast eine Woche her und ich fühle mich irgendwie immer noch ziemlich „lost“. Naja… - ich habe vernommen, das ist in Ordnung. Also bin ich mal noch ein wenig geduldig, bis der Kopf langsam versteht, was wir hier geschafft haben.
Liebe Mondkind, ich gratuliere dir von Herzen zum bestandenen Examen! Du bist jetzt Ärztin, das ist großartig. ♥
AntwortenLöschenDein Bericht löst leider (wie alles, was noch vor mir liegt) sehr viel Angst in mir aus.. Deine Antworten waren super und ich bin sicher, dass ich es nicht halb so gut könnte. Du kannst wirklich unendlich stolz auf dich sein. Ich wünsche dir sehr, dass dieses Gefühl irgendwann richtig ankommen wird und dir die nächste Zeit helfen wird, zu dir selbst zu finden, durchzuatmen und vielleicht sogar ein bisschen zu heilen. ♥
Hallo Lia,
LöschenDanke Dir.
Also Angst sollte der Bericht jetzt eigentlich nicht unbedingt auslösen.
Ich hatte halt echt Glück mit meinem Patienten – das kann man nicht in Abrede stellen. Am zweiten Tag habe ich auch einige Dinge nicht so glücklich formuliert.
Ich bin mir sicher, Du wirst das auch gut machen, wenn Du dann so weit bist. Manchmal glaubt man gar nicht, welche Überlegungen da im spannenden Moment den Weg vom Kopf in den Raum finden.
Dass ich jetzt mal ein wenig zu mir selbst finden kann, hoffe ich auch. Und vielleicht wird mir dann am Ende des Sommers doch noch bewusst, was ich hier geschafft habe…
Mondkind