Posts

Es werden Posts vom November, 2020 angezeigt.

Briefchen - über unser "wir"

Bild
  Hey mein lieber Freund, na, wie geht es Dir? Wie sieht Deine Welt aus? Es weihnachtelt so langsam hier unten in diesem Ausnahmejahr. Siehst Du das? Siehst Du mich? Ist meine Kerze neben Deinem Bild das Tor in meine Welt… ? Ich muss Dir etwas erzählen. Es war eine schwere Woche. Eigentlich so… - eine der Schwersten, seitdem Du nicht mehr da bist. Teilweise habe ich sogar auf der Arbeit geweint und hatte dann irgendwann einfach wortlos die Hand von dem für mich verantwortlichen Oberarzt auf meiner Schulter. Von diesem Menschen, der sonst immer so im Stress ist, wie ein unruhiger Tiger das Arztzimmer auf und ab läuft. Da ist das eine große Geste. Was war los… ? Das wusste ich lange selbst nicht. Wenn ich jede Nacht klatschnass immer wieder aus denselben Albträumen hoch geschreckt bin. Wenn ich abends eine halbe Stunde auf dem kalten Wintergarten lag, um mich wieder ein bisschen ins Jetzt zu holen. Wenn ich morgens immer noch im Spiegel in rote Augen geschaut habe und mich wie vom L

Fragilität

Bild
  20:21 Uhr. Als ich das Licht lösche. Die Tür hinter mir zuziehe. Fertig. Für heute. Nach 13 Stunden Akkordarbeit. 25 Patienten. Aufnahmen schreiben, Entlassungen schreiben, Lumbalpunktionen, Doppleruntersuchungen, Patientengespräche, Angehörigengespräche, Konsile, Sozialdienst. Ich schaffe es kaum bis zu Hause zu warten mit den Tränen und bin so froh über die Dunkelheit, die sich schon seit Stunden über das Land gelegt hat. Das Dorf leuchtet mittlerweile schon in seinem Weihnachtsschmuck und irgendwie ist es ein seltsamer Stich ins Herz. Fragilität. Ein seltsamer Mix aus „irgendwie funktioniert es doch am Ende des Tages…“ und „Mondkind, wem machst Du hier eigentlich was vor? Für wie lange ist das ein Plan? Wie lange kann man versuchen, auf der Autobahn im ersten Gang zu fahren?“ „Sie sehen stabiler aus, als damals… - ich mache mir keine Sorgen mehr…“ Und „ich glaube, Sie idealisieren den Freund da gerade etwas…“ ist das, was man so hört. Vielleicht ist das irgendwo gewollt. S

Aus sechs mach eins...

  Kurz nach acht am Abend. Auf dem Weg nach Hause. Verschluckt von der Dunkelheit. Dankbar, dass sie auch die Tränen verschluckt. Die Dunkelheit. Die nicht mehr bis zu Hause warten können. Morgen und übermorgen habe ich die Station über weite Strecken alleine. Die Station, die wir sonst zu sechst haben. Corona – bedingt sind es ein paar weniger Patienten als sonst, aber nicht so wenige, dass man es alleine schaffen könnte. Überall in den Journaleinträgen lese ich von der Pflege nur noch „Frau Mondkind wurde hierüber informiert…“ Kann sein. Kann auch nicht sein. Das Telefon steht nicht mehr still. Und wer was gesagt hat, weiß ich nicht mehr. Die halbe Station voller Psycho – Fälle. Die eben einfach viel Zeit schlucken. Und Komplikationen der Neuro - Patienten. „Frau Doktor mein Bein ist heute so dick und tut weh. Ich dachte, ich sag es Ihnen mal.“ D – Dimere hoch, Verdacht auf Thrombose, die Gefäßchirurgen ins Boot holen, Untersuchungen anmelden, Medikamente umstellen, das weitere P

Brücken bauen im Büro

Bild
Was für eine Woche… Auf der Station hatten wir nicht viele Patienten, aber diejenigen die wir hatten… - die hatten es in sich. Bei einem hat sich heraus gestellt, dass er neben seinem neurologischen noch ein kardiales Problem hat. In der einen Nacht hatte ich so viel Angst, dass er stirbt, dass ich einfach gar nicht geschlafen habe (und er ganz viel, weil ich natürlich alles nicht dramatisiert und erklärt habe, dass wir auf ihn aufpassen). Der zweite Patient hat vermutlich eine schizoaffektive Psychose. Irgendwann konnte ich ihn nicht mehr händeln und habe den Oberarzt angerufen, dass er mit mir nochmal hingeht. „Und manche kriegen dann, wenn sie so viel Angst haben, dumme Gedanken. Dass Sie nicht mehr leben wollen oder so. Sagst Du uns dann Bescheid…?“, hat er dem Patienten gefragt. „Was nützt das… - im Zweifel?“, frage ich, als wir wieder auf dem Flur stehen. „Hat das einen anderen Sinn, als dass jeder irgendwie sein Gewissen beruhigt, um rechtlich und moralisch den Kopf auf der