52 Monate

Mein lieber Freund,
es ist schon wieder ein Monat vergangen – ist mir gerade noch rechtzeitig aufgefallen, bevor ich heute den ganzen Tag im Dienst verbringen werde.
Es ist der erste Monat, den ich wieder zurück auf der Neuro bin. Und natürlich hat das Meiste eher nicht so funktioniert. Ich wollte Kontakt in die Psychosomatik halten, zur Balintgruppe kommen, an den Fortbildungen teilnehmen. Mich mal mit den Kollegen verabreden, mal gemeinsam frühstücken gehen.
Im Moment bin ich mal wieder froh, wenn die Wohnung einigermaßen okay aussieht, ich irgendetwas für den Facharzt schaffe und auch noch genug Schlaf aufs Konto bekomme. Das sind aktuell so die Prioritäten.

Ich weiß gar nicht, was ich Dir spannendes erzählen kann.
Ich würde gern dieses Jahr nochmal in die Studienstadt kommen, aber ich glaube nicht, dass das noch etwas wird.

Und immer mehr glaube ich, dass das alles nächstes Jahr auch nicht besser werden wird. „Dieses Jahr wird ziemlich hart“, meinte meine Schwester im Januar im Hinblick auf den Facharzt. Naja – jetzt habe ich ein Jahr jede freie Minute damit verbracht, aber leider ist das Ding immer noch nicht durch und nächstes Jahr wird halt ziemlich viel Urlaub dafür drauf gehen. Zwar werde ich das nochmal versuchen mit dem Chef zu verhandeln, aber ich rechne mir keine großen Chancen aus. Und wenn Du eben jedes Wochenende an der Klinik bist, sind die Inseln in denen es mal okay ist und Du zur Ruhe kommen kannst, sehr rar gesäht. Da wird man dann nicht noch in der Gegend herum gondeln. Also… - ich zumindest nicht.
Für meine Schwester wird der Plan aber indes funktionieren. Klar, hundert Prozent sicher ist es nicht, aber wahrscheinlich wird sie irgendwann dieses Jahr noch ihre Facharztprüfung haben. Stell Dir vor, wie entspannt sie Weihnachten verbringen kann, während ich letztes Jahr Weihnachten über den Büchern verbracht habe und das dieses Jahr auch tun werde.

Ich habe aber letztens übrigens mit einem Kumpel aus der Studienstadt gesprochen und ihm erzählt, dass ich sehr gern aufs Florian – Künstler – Konzert nächstes Jahr gehen würde. Die einzig sinnvolle Option ist eigentlich München – das ist an einem Samstag, da braucht man keinen Urlaub, der dann am Ende vielleicht doch nicht genehmigt wird, und fahrtechnisch ist es auch noch okay.
Er hat mich sehr ermutigt, dorthin zu gehen und seitdem geht es mir echt ein bisschen besser und ich bin etwas motivierter. Der Facharzt verlangt Vieles ab, aber er bekommt nicht alles.
„Vielleicht ist die Prüfung bis dahin ja auch schon durch“, sagte der Kumpel. „Das glaube ich eher nicht. Aber wenn doch, wahrscheinlich ganz knapp. Stell Dir vor – Freitag Prüfung, Samstag Konzert. Könnte nicht besser laufen, als so.“ Wenn es dann die „heiße Lernphase“ ist, ist das natürlich kritisch, aber ich möchte wirklich nicht auf alles verzichten. 

Konzerterinnerungen


Über die Beziehung muss ich Dir ja nichts mehr erzählen, oder? Manchmal läuft es echt ein paar Tage gut und dann bricht es wieder ein und genau dann ist es am Schlimmsten, weil Du Dich fragst, warum es nicht einfach mal gut bleiben kann, weil die guten Momente so schwer vermisst sind, so ein Wunder, wenn sie da sind und jedes Mal, wenn sie irgendwo zwischen dem Schutt wieder auftauchen, dann wirken sie noch zerbrechlicher als beim Mal davor.
Ich frag mich oft, was Du mir dazu sagen würdest. Und, was Du mir wünschen würdest. Ob wir so langsam mal okay damit sind, dass es mit uns leider nicht das Happy ending geworden ist, das wir uns erträumt haben. Und ob Du sogar für mich hoffen würdest, dass irgendwann mal Ruhe ins zwischenmenschliche Erleben kommt. Ob Du Dir für mich jemanden wünscht, in dessen Armen ich abends einschlafen kann. Oder, ob da immer noch diese alte Eifersucht ist, ob es niemand sein darf außer Du und eben niemand mehr, wenn Du nicht mehr da bist.
Ich hoffe für Dich, dass Du irgendwo Deinen Frieden gefunden hast. Und wenn ich unseren Paketboten sehe, der Dir so verdammt ähnlich aussieht und irgendwann sogar mal gefragt hat, wie ich heiße, dann denke ich still, Du schaust nach mir. Nicke ihm ein Mal zu, als wollte ich Dir sagen, es ist schon alles okay.

Am Dienstag ist AGUS – Gruppe. Aber da die Woche nicht mal angefangen hat und ich mich schon wie vom LKW überrollt fühle, glaube ich nicht, dass ich hingehen werde. Es geht sich kraftreserventechnisch einfach nicht aus – so sehr ich auch wollen würde.
Das ist eines der Dinge, von denen ich gehofft habe, dass sie in der Neuro nicht passieren mögen.

Mondkind

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