Von Visitendienst und ein paar Gedanken

Samstag.
Nach einer Spätdienstwoche, in der ich jeden Tag etwa 12 Stunden gearbeitet habe, stehe  ich in der Früh zum Visitendienst wieder auf der Matte. „Mondkind, ich habe es nicht geschafft, die Scores auf Station zu machen; das müsstest Du noch machen…“ „War viel los hier – hattest Du Patienten in der ZNA?“, frage ich. „Nein, aber ich habe es trotzdem nicht geschafft.“ Du möchtest wohl eher sagen: „Ich hatte keine Lust“ – das denke ich mir aber nur. Kurze Zeit später berichtet er von einem Patienten, den er heute Nacht mit stärksten Kopfschmerzen aufgenommen und nicht punktiert hat. Natürlich möchte der Oberarzt – der mittlerweile auch eingetroffen ist und zuhört – eine Punktion. „Das kannst Du dann ja auch machen“, sagt der Kollege.
Sag mal – bin ich hier der Kehrdienst oder was? Wieso machen die ganzen neuen Kollegen bei uns eigentlich ihren Job nicht mehr? Ich überlege mir wirklich, ob ich das mit der Punktion nicht überhöre. Verantwortlich ist immerhin derjenige, der sie aufgenommen hat. Zumindest, wenn sich die Symptome nicht gravierend ändern… aber wenn sie wirklich etwas hat…
Das Ende vom Lied war, dass mich bald nach Dienstbeginn die Dialyse angerufen hat wegen eines Patienten, der dort wohl heute recht schlecht beieinander war – die kennen ihre Schäfchen dort ja auch. Die wollten wissen, ob das neu ist. Tja – ich hätte die Frage ja gern beantwortet, aber wenn der Dienstarzt sich in der Früh nicht die Mühe macht die Patienten zu sehen, wird das schwierig. Ich versuche etwas aus der Pflege heraus zu bekommen, aber das gestaltet sich auch eher schwierig. Am Ende ist es nichts Gravierendes, aber so etwas kann auch mal schief gehen. Und den Patienten habe ich dann doch punktiert; er hat eine erhöhte Zellzahl und bis zu meinem Dienstende ist schon mal ein Virusnachweis gelungen. Ich hoffe, der Kollege schämt sich morgen wenigstens…
Um knapp 19:30 Uhr war ich dann fertig, obwohl der Dienst am Wochenende nur bis maximal 18 Uhr vergütet wird.
Danach habe ich geduscht, meine Sache gepackt und bin zum Freund gefahren, bei dem ich um knapp 21 Uhr war.

Wer kann sich eigentlich noch an den Kollegen erinnern...?

Sonntag.
Ich bin einfach super platt heute. Viel wird mit mir nicht anzufangen sein und die grauen Zellen haben keine Lust sich anzustrengen.
Eigentlich ist das unser einziger gemeinsamer freier Tag diesen Monat und wir hätten gut dran getan den mal zu nutzen, aber nachdem er schon wieder alles auf mich abwälzt und ich dazu heute wirklich nicht in der Lage bin… (Ich weiß nicht, warum ich ständig entscheiden muss, was wir essen, was wir unternehmen, wohin wir in den Urlaub fahren... und einfach mal still zusammen in der Wohnung lernen, ist ja irgendwie auch nicht drin, obwohl zwei Mediziner das doch können sollten...). Um 14:30 Uhr fahre ich schon heim, ruhe mich dort erstmal etwas weiter aus, ehe ich die Wäsche mache und zwei Kapitel Elektrophysiologie lese und zusammen fasse. In den letzten drei Wochen habe ich fast 200 Seiten des Elektrophysiologiebuchs gelesen und zusammen gefasst, was gar keine so schlecht Bilanz ist. Und natürlich muss ich das noch alles lernen, aber ich denke es hat sich schon echt gelohnt bis hierher – ich hatte da so einige Erkenntnisse.

Am Abend mache ich mir ein paar Gedanken um den Freund.
Ich bin ruhiger geworden; irgendwie.
Letzte Woche hatte er Nachtdienstwoche. Meine Idee war, dass wir vielleicht ab und an mal zusammen frühstücken könnten, oder wir uns am Ende meines Spätdienstes und vor seinem Nachtdienst sehen können – das hat irgendwie alles nicht so richtig geklappt. Ich war aber auch nicht wirklich forciert hinterher – hab dann und wann mal eine Idee eingeworfen, aber mehr dann auch nicht. Ich wollte mal abwarten, ob er auch mal etwas tut und natürlich war das nicht so.

In der letzten Zeit habe ich mir Gedanken darüber gemacht, ob ich dieses Jahr noch in die Studienstadt fahre. Das habe ich noch nicht gemacht. Allerdings war ich auf der Hochzeit von einer Freundin dieses Jahr, der Kumpel war hier – es fehlen eigentlich noch eine Freundin und die ehemalige Therapeutin, bei der ich wirklich sehr gern noch vorbei schneien würde. Allerdings könnte ich zur Not auch mit ihr telefonieren; mittlerweile hat sich das doch etwas etabliert.
In dem Zug habe ich mir auch mal Gedanken gemacht, wie sich das Leben gedreht hat in den etwas mehr als fünf Jahren, die ich mittlerweile weg bin. Was hätte die Mondkind vor etwas mehr als fünf Jahren gedacht, wenn man ihr gesagt hätte: „Also – in fünf Jahren wirst Du immer noch Deinen Job haben, kurz vor der nächsten großen Prüfung stehen, irgendwann mal festgestellt haben, dass Du nicht ewig Neuro machen wirst und insbesondere auch nicht mit dieser Neuro verheiratet bist. Du hast irgendwann mal verstanden, dass Du die Wahl hast, wo Du bleiben willst. Deine Eltern reden eigentlich nicht mehr mit Dir, seitdem Du in der Psychosomatik gearbeitet hast, aber das ist schon auch okay. Du hast ein Auto, was auf dem Land wichtig ist und sich nach insgesamt acht autofreien Jahren immer noch nach Luxus anfühlt, auch wenn Du es schon zwei Jahre hast. Trotzdem nimmst Du meistens sowieso das Fahrrad. Die finanziellen Engpässe haben mit dem Job aufgehört und Du siehst das immer noch als Privileg. Ach so, und Du bist dann mit einem ärztlichen Kollegen zusammen, der in der Chirurgie arbeitet. Was Dich da geritten hat weißt Du eigentlich auch nicht, denn an Klischees ist immer schon etwas dran; er ist ein großer Chaot, viel zu pragmatisch, spricht nicht besonders viel und eigentlich ist es hauptsächlich die Anziehung, die Euch verbindet – die altbekannten Café – Dates gibt es schon lang nicht mehr. Ob man das Ganze jetzt Beziehung nennen kann… - mh. Wahrscheinlich ist das einfach so bei einem vielbeschäftigten Ärztepaar und natürlich auch immer wieder Streitpunkt, aber Zeit für Zweisamkeit gibt es kaum und wenn ihr im Monat zwei Abende zusammen verbracht habt, ist das schon okay und ab dreien wird es dann Luxus. Normale Hobbies in diesen Kreisen sind übrigens Paragliden und Fallschirmspringen. Nicht, dass Du das schon gemacht hättest, aber manchmal fragst Du Dich schon, wo Du gelandet bist (was für ein Wortspiel)…

Ich höre immer wieder die Frage, warum ich überhaupt noch mit dem Kardiochirurgen zusammen bin. Und manchmal denke ich mir: Dass ich heute an dem Punkt stehe an dem ich bin, ist ein kleines Wunder. Wenn alles gut geht, habe ich in einem halben Jahr meinen Facharzt – trotz allem, was passiert ist. Das ist dann nur in etwa ein halbes Jahr länger als die Mindestzeit und die Wenigsten machen den Facharzt exakt nach fünf Jahren. (Naja, meine Schwester schon…). Ehrlich gesagt – so manches Mal in den letzten fünf Jahren war ja nicht mal klar, dass ich jetzt noch lebe.

Und vielleicht verschiebt das die Toleranzgrenze weit. Das was jetzt ist, ist zwar nicht gut, aber so unendlich viel besser als so einige Zeiten, die ich schon hatte. Man kann das vielleicht verbessern, wenn man eines Tages Lösungen finden kann. Man kann es aber auch erstmal so laufen lassen und wird auch nicht dran sterben.

Heute hat er übrigens erzählt, dass er mit seiner Wohnung nach der letzten Umbauaktion recht zufrieden ist. Ich weiß ja auch nicht… - manche Paare denken nach anderthalb Jahren daran mal zusammen zu ziehen, bei uns hübscht gerade jeder die Wohnung ein bisschen auf. Naja, ich jetzt nicht so sehr; ich habe keine Zeit dazu.

Naja, starten wir morgen erstmal in die neue Woche… Er hat frei nach Nachtdienst  - Woche, aber ist nächstes Wochenende unterwegs. Also nützt das leider auch nix.
Mondkind


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