Von einem Gespräch mit dem Intensiv - Oberarzt
Ich laufe in das Büro neben der Intensivstation.
Er schaut noch ins Handy, als ich ums Eck biege, legt es dann aber zur Seite und rückt mir schnell einen Stuhl zurecht.
„Sie sehen müde aus“, stellt er fest.
„Bin ich auch“, entgegne ich.
Wir haben bestimmt seit knapp zwei Monaten nicht mehr hier gesessen. Der Intensiv – Oberarzt und ich. Umso froher bin ich, dass es heute klappt.
Erstmal reden wir über den Facharzt. Ich hatte ihm zwar geschrieben, dass ich das Zeugnis habe und die Anmeldung los geschickt habe, aber gesprochen haben wir uns nicht seitdem.
Ich erkläre ihm mein derzeitiges Lernkonzept. Irgendwie denke ich immer, es kann nicht funktionieren, weil man wirklich langsam vorwärts kommt, aber im Examen ging es immerhin auch. Aktuelles Thema lernen, das Thema von davor wiederholen und vom Thema davor Fallbücher lösen. Das waren während der Examenszeit keine Fallbücher, sondern Altfragen.
Das einzige Problem ist, dass ich ja gar keine Ahnung habe, wie schnell ich sein muss. Bis zum Prüfungstermin kann es zwischen drei und 12 Monaten dauern. „Der dienstplanverantwortliche Oberarzt hat ja gesagt, ich könnte Teilzeit vorher bekommen, aber erst, wenn ich die Bestätigung von der Ärztekammer habe und auch nur drei Monate. Das ist ja auch alles kritisch. Im Zweifel liegen – wenn die Prüfung vor der Sommerpause ist – zwischen Bestätigung und Prüfungstermin ja nicht mal mehr drei Monate, im ungünstigsten Fall verkalkuliere ich mich völlig und habe die drei Monate Teilzeit ein halbes Jahr vor der Prüfung.“ Er nickt. Sieht das Problem. „Ich hoffe einfach, es ist Ende des Jahres durch. Ich bin schon jetzt völlig am Ende, ich schaffe das nicht bis ins nächste Jahr hinein“, postuliere ich. „Naja zur Not reden Sie mit dem Chef – der kann da auch mal anrufen“, entgegnet mein Gegenüber. Er hat immer Ideen… aber man muss ihm lassen, dass ich am Ende die Unterschriften der Reha – Chefs bekommen habe – und das hat er ja so auch immer vorher gesagt. Auch, wenn ich nicht dran geglaubt habe und auch, wenn das doch viele Monate länger gedauert hat, als angenommen.
„Ein bisschen traurig ist es ja schon, dass ich jetzt voll das Neuro – Brain werde und dann in die Psychosomatik gehe“, sage ich. „Naja, Sie können doch auch ein Teilzeitkonzept in beiden Kliniken leben“, meint er dazu. Ich schaue ihn fragend an. „Als ob das irgendwer mitmachen würde…“, gebe ich zu bedenken. „Naja, Sie sind dann Facharzt. Lieber ein halber Facharzt, als gar kein Facharzt. Ich hatte mal eine Kollegin, die hat das genauso gemacht. Sie brauchen dann natürlich ewig für den zweiten Facharzt, das muss Ihnen bewusst sein.“ „Naja, ich habe mir ohnehin überlegt, dass irgendwann auch mal ich dran kommen muss. Ich mag ja schon Teile von der Neuro. Ich mag die Dienste vom Prinzip her schon ganz gern und die zentrale Neurologie fand ich auch nie schlecht. Aber dieses ganze periphere Zeug nervt mich einfach nur. Und damit sind die Perspektiven begrenzt. Ich will ganz sicher nicht in die Niederlassung – da bin ich ja weg von dem, das ich in der Neuro mag, aber auch eine wie auch immer geartete Oberarztstelle… ich will nicht mit dem Stroke Unit – Oberarzt tauschen. So viel Stress um Rezertifizierung, um Zahlen, die passen müssen. Dann nehmen wir Assistenten wieder irgendeinen Bullshit auf die Stroke Unit auf, der keinen Stroke hat und schon gibt es zu viele Stroke mimics. Ich möchte Medizin machen, echt. Ich würde halt gern noch ein bisschen mein Wissen nutzen, ausleben, dass ich auch mal etwas kann, das macht schon Spaß mit den Oberärzten die Differentialdiagnosen hoch und runter zu diskutieren. Aber Psychotherapie interessiert mich viel mehr. Aber das ist eben ein persönliches Interesse, ich habe es jetzt nicht eilig damit in fünf Jahren den Facharzt zu machen. Ich möchte ja auch irgendwann zwischendurch nochmal eine Familie gründen, dann verschiebt sich das alles ohnehin und vielleicht hat es sich dann nach der Elternzeit ohnehin mit der Neuro erledigt. Aber so übergangsweise… - es muss ja auch nicht immer alles karriereorientiert und sinnvoll sein, was man da so tut. Ich möchte irgendwann einfach einen Arbeitsalltag haben, der sich nicht nur nach Zwang anfühlt.“
„Wenn Sie das so wollen, ist das sicher möglich“, sagt er. „Sprechen Sie nach dem Facharzt…“
„Ein bisschen traurig ist es schon, dass ich jetzt den ganzen Sommer am Schreibtisch versitze… - da wird sicher noch die ein oder andere Krise auslösen“, denke ich laut vor mich hin. „Aber da muss ich jetzt wohl einfach durch.“
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Die Kirschbäume blühen. Das liebe ich so sehr 💛 |
Später landen wir beim Kardiochirurgen.
„Naja, die letzte Woche war dann doch wieder ziemlich ernüchternd“, sage ich. Er fordert mich auf zu berichten, was los war. „Naja er hatte frei nach Nachtdienstwoche“, sage ich. Ich erzähle, dass er, wenn wir beide arbeiten gehen, immer tausend gute Gründe hat, warum die Dinge nicht funktionieren. Dann kann er morgens nicht „guten Morgen“ schreiben, weil er zu spät aufgestanden ist, sich tagsüber nicht melden, weil er das Handy nie zur Hand hat. Dann kommt er abends zu spät raus, dann sind wir beide müde und können uns deswegen nicht mehr sehen. Und irgendwie bin ich ständig in der Position das akzeptieren zu müssen, weil es so plausibel ist. Zwar gibt es einen Teil in mir, der postuliert, dass es anders gehen könnte, wenn es einem wichtig wäre, aber es kommt mir übergriffig vor, das laut auszusprechen und deshalb nehme ich mir vor, es zu lassen.
Aber wenn er frei hat… - dann gibt es diese ganzen Gründe eben nicht mehr und es funktioniert trotzdem nicht. „Und naja… - dann landet man schon auf dem Boden der Tatsachen“, schließe ich. Und denke eine Weile nach. „Ich meine, es ist ja nicht so, dass er sich keine Mühe gibt“, setze ich irgendwann wieder an. „Er hat echt viel gemacht in der letzten Zeit bei mir. Wir haben endlich mal ein Sofa für das Wohnzimmer gekauft – das kommt irgendwann (wobei ich da gern die Diskussion vorgeschaltet hätte, wie wir uns das mit den getrennten Wohnungen weiterhin so vorstellen, aber das ist ein anderes Thema), er hat meine Küchenschränke komplett aufgeräumt und hat mir auch ziemlich viel beim Balkon geholfen. Und er kocht abends ziemlich oft im Moment – aber ich glaube ich kann auch so schlecht kochen und er kann meinen Kram langsam wirklich nicht mehr essen. Und das kann ja alles auch ein Ausdruck sein von „Hör mal Mondkind, mir ist es wichtig“, denke ich.“ „Sicherlich“, entgegnet mein Gegenüber. „Aber Sie sprechen verschiedene Sprachen. Das ist nicht das was Sie von Beziehung brauchen. Das ist alles nett, aber was Sie brauchen ist Jemand, der Ihr Herz berührt. Emotionale Nähe, Verbundenheit, Gesehen werden. Und das ist das eben nicht.“ „Naja, aber ich traue mich ja schon gar nicht mehr irgendetwas zu kritisieren, weil ich auch nicht undankbar dastehen möchte. Ich habe schon wieder ein „er tut ja alles und es reicht ihr trotzdem nicht“ im Ohr“, sage ich. „Naja – man muss das ja nicht in „den Guten“ oder „den Schlechten“ einteilen“, meint er. „Sie passen einfach nicht zusammen, weil Ihre Lebenskonzepte und Bedürfnisse nicht zusammen passen“, erklärt er.
„Ich weiß es nicht“, sage ich irgendwann nach langer Zeit. „Ich weiß nicht, ob das eine Tatsache ist, die in erster Linie ich mal irgendwann akzeptieren muss. Ich glaube, er leidet da gar nicht so drunter. Er macht einfach, was er will und das passt dann für ihn schon so. Aber für mich ist es schlimm. Ich bin kürzlich mal nachts neben ihm aufgewacht und habe davor gerade geträumt gehabt, dass wir Arm in Arm gemeinsam im Bett liegen. Und dann habe ich mich gefragt, wann das eigentlich das letzte Mal vorgekommen ist. Am Anfang gab es so etwas wenigstens noch. Dann hatten wir irgendwann mal die leidige Diskussion, dass es mich nervt, wenn er morgens das Handy in der Hand hat, wenn wir beide gemeinsam wach werden wollen. Er kann ja noch ins Handy schauen, während ich noch schlafe, aber wenn ich aufwache, kann er es doch zur Seite legen. Und ich schmiege mich dann schon immer an ihn dran, aber meinen Sie er käme mal zu der Idee auch nur den Arm um mich zu legen? Und dann lag ich so da in der Nacht und dachte mir wie krass das ist, so etwas schon zu träumen und wie weh das tut. Und seitdem er letztes Jahr mit Fallschirm springen angefangen hat, sind die Wochenenden noch kürzer. Da gibt es ja einfach kein Ausschlafen mehr und wir können geplant haben, was wir wollen – die letzte Entscheidung liegt beim Wetter.“
Ich denke kurz nach. „Das war ja auch wieder das Problem an dieser Woche. Die Abmachung war, dass er unter der Woche machen darf was er möchte inklusive des Feiertages und am Wochenende hier ist. Er hat mir dann schon letzten Freitag erklärt, dass sein Plan vom Prinzip her genau andersherum wie abgemacht ist und das hat er dann auch so durchgezogen. Heute Morgen wurde ich um acht aus dem Bett geschmissen, weil er los musste, obwohl gemeinsames Frühstück verabredet war. Das habe ich ihm auch gesagt und dann habe ich mich heute Morgen mal um Perspektivwechsel bemüht und habe mich gefragt, was ich denn machen würde, wenn mein Freund enttäuscht wäre, weil gemeinsames Frühstück verabredet war und ich mich nicht daran halte? Würde ich vielleicht einen Sprung weniger machen und dann doch gemeinsam frühstücken?“ „Naja Sie würden das wahrscheinlich tun“, grätscht mir der Oberarzt rein. „Sie stellen Ihre Bedürfnisse doch gerne hinten an.“ „Mh… - ich versuche ja schon meine Bedürfnisse in dieser Beziehung so weit es irgendwie geht herunter zu schrauben, um die Enttäuschung etwas zu reduzieren, aber selbst mit minimalen Bedürfnissen kracht es noch ab und an. Weniger als noch vor ein paar Monaten, aber immer noch. Ich erinnere mich gerade an einen Moment in der Psychosomatik, als wir mit den Kollegen eine Stunde nachbesprochen haben. Und dann eine von unseren Psychologinnen meinte: „Es kann ein ganz entscheidender Moment in der Therapie sein, wenn Patienten erkennen, dass sie Bedürfnisse haben und dass dieses Verschwinden in der Bedürfnislosigkeit eben nicht funktioniert. Dann richten sie den Ärger über ihre nicht erfüllten Bedürfnisse eben gegen sich selbst.““ „Naja, da haben Sie es doch“, meint der Oberarzt. „Mh…“, entgegne ich und nicke.
„Aber ich kann ihm das nicht begreiflich machen. Um zurück auf das Ende der letzten Woche zu kommen: Er hat mir das dann erzählt, dass er das eben wieder anders als verabredet geplant hat, was ja fast Normalität ist, aber irgendwie ging es mir nicht so gut an dem Tag und ich konnte es nicht so gut nehmen und dann musste ich wirklich weinen, weil ich so enttäuscht und traurig darüber war. Ich habe schon viel über diese Beziehung geweint, aber eigentlich nie in Gegenwart von ihm und er war halt so völlig überfordert. Er hat das in dem Moment gar nicht verstanden.“ „Naja, aber dann war es doch wie mit dem Holzhammer auf drauf gehauen, was bei Ihnen los ist“, gibt er zu bedenken. „Wie ging es weiter?“, fragt er. „Naja, es war halt super unangenehm, weil ich das wieder alles hätte ellenlang ausführen müssen und ich konnte so schlecht reden in dem Moment, weil ich so beschäftigt war, mich irgendwie in den Griff zu kriegen. Außerdem musste ich auch eigentlich los zur Arbeit. Aus irgendwelchen Gründen hat dann sein Telefon geklingelt – was echt selten klingelt, also keine Ahnung, wer aus dem Universum mich da aus der Situation gerettet hat, aber ich bin dann schnell zur Tür raus geschlüpft und habe etwas von „ich muss los“, gemurmelt. Der Spätdienst danach war dann aber eher nicht so schön.“
„Vielleicht müssen Sie das alles nach dem Facharzt nochmal überlegen“, sagt er. „Ja aber das ist ja auch bis zu Facharzt anstrengend. Ich versuche so viel zu bewegen und es geht so wenig. Ständiger Streitpunkt ist ja auch, dass es nach knapp zwei Jahren Beziehung nicht möglich ist, dass einer mal beim anderen bleibt über Nacht unter der Woche. Uns bleiben – wenn überhaupt – ja nur die Wochenenden, aber wie viele Wochen das ein Freitag und ein Samstag ist, das kann man ja auch aufs Jahr gesehen an einer Hand abzählen. Selbst ein Freitagdienst macht ja die Hälfte des Wochenendes kaputt, weil er am Abend irgendwo herum springt und uns dann eben schon eine von zwei möglichen Nächten verloren geht. Ich glaube, das wäre auch viel entspannter, wenn die Dienste eben einen Alltag mal unterbrechen würden, aber nicht ständig die wenigen Gelegenheiten die es gibt, auch noch zur Hälfte torpedieren würden.“ Ich bin wieder eine Weile still.
„Ich weiß auch nicht mehr, was ich machen soll. Ich habe es so oft versucht zu erklären, ich denke oft er nimmt da so zu Kenntnis, versteht gar nicht wie wichtig das ist, wie sehr ich darunter leide und es wird halt – eher im Gegenteil - immer weniger. Wir leben einfach so nebeneinander her und das ist maximal funktionell. Und nicht mal das so richtig. Eine emotionale Bindung hatten wir eigentlich ohnehin nie richtig, aber am Anfang haben wir zumindest die körperlichen Aspekte einer Beziehung einigermaßen ausgelebt. Da habe ich mir gedacht, dass man vielleicht nicht alles haben kann und ich dann meine sensible Ader vielleicht in meine Freundschaften auslagere. Aber mittlerweile fehlt eben eigentlich alles. Wir sprechen über Nichts, wir spüren uns nicht, sowohl emotional, als auch körperlich nicht. Ich weiß nicht, ich habe schon oft dieses Bedürfnis zumindest so viel Körper von ihm wie es geht an meinem zu spüren, aber… es geht nicht. Dann träume ich halt darüber. Das ist so absurd, gerade wenn wir doch in der Situation nebeneinander liegen. Ich habe ihm auch schon vorgeschlagen, dass wir mal zur Paartherapie gehen können. Dass ich nicht immer die Böse bin, die irgendetwas von ihm will, sondern dass vielleicht mal irgendwer zwischen uns moderieren kann und jeder mal wirklich die Karten auf den Tisch legen muss: Was möchte ich von Beziehung? Was ist mir wichtig? Was kann ich für Kompromisse eingehen? Und wie können wir unseren Alltag gestalten?“ „Aber meinen Sie nicht, dass das für Paare ist, bei denen nach 20 Jahren Beziehung die Kinder aus dem Haus sind und die dann nicht mehr wissen, was sie mit sich machen sollen?“, fragt der Intensivoberarzt. „Naja – unser Psychosomatikchef ist Paartherapeut und er meinte mal, dass die Meisten so denken und dann viel zu spät kommen. Und ein häufiger Fehler ist es auch zu glauben, dass so etwas die Beziehung rettet. Das ist ja alles ziemlich ergebnisoffen. Natürlich kann man sich das wünschen, aber hauptsächlich geht es eben überhaupt auch erstmal darum, Realitäten zu schaffen. Und das ist ja das, was wir brauchen. Aber das macht er auch nicht mit, ich habe es ja schon vorgeschlagen.“
„Das kratzt schon irgendwann am Selbstwert, oder?“, fragt er mich. „Ziemlich“, entgegne ich. „Ich weiß, ich habe es schon oft gesagt, aber nochmal für Sie: Sie wollen nicht zu viel von Beziehung. Ihre Bedürfnisse sind normal. Und er ist kein schlechter Mensch, weil er andere Bedürfnisse hat.“ „Keine Ahnung“, sage ich und vergrabe meinen Kopf in den Händen. „Eine Bekannte meinte mal, für Sie ist das Wichtigste, dass der Partner in Notsituationen da ist. Und das wäre er. Hundert Prozent. Gerade wenn es medizinische Notfälle sind, ist er immer ganz vorne mit dabei und sofort. Das sehe ich an seiner Familie. Sobald etwas mit seinen Großeltern ist, gibt es nichts anderes mehr. Aber darf ich nicht mehr von Beziehung wollen? Darf es nicht auch um sexuelle Anziehung und emotionale Bindung und gemeinsame Erlebnisse gehen? Aber vielleicht gibt es das nicht alles zusammen in einer Beziehung. Ich kannte mal einen Typen aus der Nähe meiner Geburtsstadt. Wir kamen echt gut zurecht miteinander, auf einer zwischenmenschlichen Ebene hätte es nicht besser sein können. Aber ich hätte mir niemals vorstellen können, ihn zu küssen. Ich habe das ein paar Wochen abgewartet, ob sich das noch ändert, aber es hat sich nicht geändert.“ „Dann ist es auch nichts“, sagt mein Gegenüber. „Es gibt den richtigen Menschen für Sie. Ganz bestimmt.“
Wir sitzen da schon knapp zwei Stunden und langsam bin ich ziemlich erschöpft, aber ich fühle mich gerade sehr gesehen und gehalten und bin dankbar Jemanden zu haben, der immer wieder zuhört, validiert, Mut macht. „Danke Ihnen“, sage ich und formuliere das auch nochmal so. „Manchmal braucht man jemanden von „den Großen““. „Ich bin nicht groß“, sagt er. „Aber Sie haben mehr Lebenserfahrung“, entgegne ich. „Das ja“, meint er. „Wenn etwas ist, dann melden Sie sich. Ich bin immer gerne da und höre zu.“
Und dann denke ich darüber nach, dass diese Verbindungen nicht nur schön, sondern auch immer ihre Tragik haben. Dass solche wertvollen Beziehungen zu „den Großen“ eben nie im internen Kreis sind, sondern immer irgendwie extern. Immer Menschen, die eben irgendwie da sind, obwohl so viel von dem was wir besprechen gar nicht in den Kontext passt. Er ist mein Oberarzt. Und ich bin nur froh, dass wir beruflich nur noch marginale Berührungspunkte haben. Kürzlich zum Beispiel, weil mein Patient nach einer Thrombektomie auf die Neuro – Intensiv musste und er den Patienten transportieren musste.
Es hat ein bisschen etwas von einem „Vater – Tochter – Ding“, obwohl ich meinen eigenen Vater dieses Jahr noch nicht gesprochen habe. Menschen, die emotional so nah dran sind, obwohl man gewisse Grenzen wahren muss (sollten der Kardiochirurg und ich uns trennen, werde ich jedenfalls nicht sonntags auf seinem Sofa sitzen und getröstet werden), sind immer schwer im Leben zu akzeptieren. Ich wünschte mir oft, die Dinge wären anders. Und bin gleichzeitig dankbar, dass so etwas eben geht. Groß gezogen haben mich so viele externe Menschen. Die ein Stück mitgegangen sind und an irgendeiner Stelle aus dem Leben gefallen sind. Ich trage ein paar davon in meinem Herzen und noch mehr Impulse dieser Menschen, an die ich mich immer wieder erinnere. Und manchmal denke ich, ich bin ein Konglomerat aus so vielen wertvollen Menschen, die eben kurz da waren. Ich wollte nicht die Werte meiner Familie übernehmen, aber ich hatte auch keine Ahnung, was ich alternativ sein könnte. Da haben diese Menschen mir sehr geholfen und tun es immer noch.
Und Spoiler – nachdem uns gestern der Wecker wegen der Fliegerei aus dem Bett gerissen hat, hat es heute die Klinik getan, weil er Rufdienst hatte. Was er selbst nicht wusste, wie er sagt, aber das ändert wenig am Ergebnis.
What can I say…? Ich bin so unendlich müde davon und ehrlich gesagt habe ich eigentlich absolut keine Zeit dafür.
Mondkind
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