Zwischen Konzert und Erinnerungen
Ich hatte Angst, dass es schlimm wird.
Aber dass es so schlimm wird, damit habe ich irgendwie nicht gerechnet.
Die Tickets wie das Revolverheld – Konzert lagen am selben Tag im Briefkasten, wie die Prüfungszulassung. Und was auf den ersten Blick gut ist, ist auf den zweiten Blick ein Problem.
Ich denk an das Leben, an die Unplanbarkeit und daran, dass sich auch bald fünf Jahre nach dem Tod des Freundes nichts geändert hat. Wir wollten immer so viel machen und haben es nicht getan. Wir wollten so viele Erinnerungen schaffen, die heute doch nicht existieren. Weil immer irgendetwas dazwischen kam – meistens waren es Klausuren oder Examen.
Ich wünschte, das wäre mal anders fünf Jahre danach. Und doch ist es auch nach all der Zeit eine Entscheidung gegen uns.
Wie kann ich jetzt noch durch halb Deutschland gurken, obwohl ich das wegen dieser Prüfung seit anderthalb Jahren nicht mehr mache. Jetzt, wo sie ab Juli jeden Tag sein könnte. Jetzt, wo ich mich getraut habe zu sagen, ich mache noch mal etwas. Etwas, das mir wichtig ist, weil dieses Projekt mittlerweile ohnehin ein dreiviertel Jahr Verzögerung hat, dass ich nicht damit gerechnet habe, dass jetzt mal irgendetwas schnell geht. Jetzt, wo ich wirklich richtig lernen muss, weil ich so viel Zeit damit verloren habe mich mit dem Kardiochirurgen zu ärgern, statt dass ich mal konsequent gelernt hätte.
Mein Herz stirbt gerade ein bisschen. Denn auch, wenn es ein Stückweit wieder Teil eines Abschiedes geworden wäre, wäre es doch ein Wichtiger gewesen. Und eben noch eine letzte Entscheidung für uns.
Ich bereue es bis heute, dass wir damals nicht dort waren. Vor sechs Jahren. Wir hatten doch noch Zeit, dachten wir. Und als dann Zeit war, war einer von uns beiden tot.
Ich werde meiner Schwester morgen ihre Karte mit der Post schicken – die sind nämlich bei mir. Ich hatte sie angespitzt mitzukommen, weil es in ihrer Nähe ist. Naja… schon eine entferntere Nähe. Und irgendwie ist es seltsam paradox, dass sie am Ende etwas macht und erlebt, das für mich so eine hohe emotionale Bedeutung gehabt hätte und sie es jetzt nur macht, weil die Karte eben da ist.
Und irgendwie sind es ja auch manchmal die schwierigen Erinnerungen, die irgendwie gut sind. Bereichernd. Und davon haben wir zu wenige.
Ich denke da oft an das Weihnachten beim Exfreund. Wahrscheinlich war es so ziemlich das Skurrilste, das ich je getan habe, aber dieses Weihnachten, bei den Ex – Schwiegerelten in Spe oder wie immer man sie auch nennen soll, war eines der Schönsten, die ich je hatte. Der Exfreund hat denen damals auch nicht gesagt, dass wir getrennt waren – die dachten vermutlich, deren Aufgabe ist es, mich in die Familie zu integrieren. Und auch, wenn das bis heute manchmal ein bisschen weh tut darüber nachzudenken, denke ich gern an dieses Weihnachten. Weil das Fest an sich schön war – auch wenn die Umstände natürlich eine Katastrophe waren.
Und das vermisse ich an Erinnerungen mit dem verstorbenen Freund. Alle guten Erinnerungen sind auch ein bisschen schwer, aber sie sind eben auch gut. Und ich bereue, dass wir so viel aufgeschoben haben. Und ich das weiterhin tue.
Ich habe das ja schon postuliert im April, als ich mich angemeldet habe, aber diese Zeit jetzt, diese Lernzeit, die so viele Parallelen zum Studium hat, holt viele Erinnerungen, viel Lebensgefühl von damals hoch, das aus der bloßen, faktischen Erinnerung heraus gar nicht wirklich greifbar ist, aber als Gefühl irgendwie noch existent.
Und das überfordert mich massiv.
Zum Einen komme ich langsam dahinter, dass es schlau gewesen wäre, die letzten Jahre mal zu nutzen, um die eigenen Leistungsansprüche zu hinterfragen. Denn jetzt kann es nur darum gehen, die Kuh vom Eis zu ziehen und nicht irgendetwas zu verstehen, zu integrieren, Einstellungen zu ändern, was auch viel Kraft, hinterfragen von Leitsätzen und einem bewussten Dagegen stellen bedeutet.
Und zum Anderen schafft es ein Gefühl über die Jahre nur immer weiter verloren zu haben. Auch, wenn ich mir das gerne anders auslege.
Ich denk an uns, an den Rhein, an unsere Cafe – Dates. Ich denk an unsere Gespräche, an dieses tiefe Verständnis füreinander. Daran, dass wir wussten, was der andere sagen möchte, bevor er gesprochen hatte. Daran, dass wir die Ebenen dahinter gesehen haben.
Ich weiß nicht, wie oft ich vom Kardiochirurgen in den letzten Tagen gehört habe, dass ich mich doch „einfach mal zusammen reißen“ müsste. Und dann denke ich immer noch darüber nach, dass es bis heute keine Absprachen gibt. Morgen ist Feiertag, wir hätten den Abend miteinander verbringen können – aber wo ist er? Nobody knows. Bei ihm weiß man nie, ob man wirklich Zeit miteinander verbringen kann und eigentlich weiß man es nicht mal, wenn man auf der Türschwelle steht. Ich habe seinen Dienstplan vom nächsten Monat nicht, der Mensch mit dem ich am Wenigsten besprechen kann, ist er. Zum Einen, weil er es nicht versteht, zum anderen auch, weil er nie da ist.
Ich frage mich auch oft, wie diese Beziehung die Zeit bis zum Facharzt überleben wird. Vielleicht hängt es auch ein bisschen davon ab, wie lang die wirklich wird. Ich kann mich gerade nicht mehr rein hängen, nicht mehr ständig anpassen, nicht irgendwo wieder Zeit finden, weil er unsere gemeinsame Zeitfenster verpasst. Und das tut unglaublich weh und zeigt gleichzeitig so viel von ihm.
Hätte mir vor fünf Jahren jemanden gesagt, wie ich mal Partnerschaft führe – keine Ahnung, wie ich weiter einen Fuß vor den anderen gesetzt hätte.
Und dann fragt man sich, wo Ohren sind mit der eigenen Fragilität.
Ohren, die man nicht überfordert.
In einem Helfersystem, das kaum noch existent ist, aber das ich jetzt dringend bräuchte. Manchmal denke ich, dass ich vielleicht wieder zur Frau des Oberarztes gehen sollte. Das hat nicht viel genützt, aber besser als nichts ist es vielleicht doch und zumindest hat man ein Backup, wenn das Hirn voll am Rad dreht. Aber Spoiler: Die sind gerade im Urlaub.
Ich könnte auch der Therapeutin schreiben, aber morgen ist Feiertag und am Brückentag ist die sicher nicht da.
Ein „schnelles“ Ohr gibt es nicht und manchmal ist es hart, das einfach aushalten zu müssen. Weil man selbst gerade nicht raus kommt. Vielleicht braucht es nur einen Impuls, vielleicht braucht es auch mehr – ich weiß es nicht.
Hi, ich bin irgendwann mal zufällig auf deinen Blog gestoßen, selbst nicht aus der Medizinwelt und kann es daher evtl nicht richtig einschätzen - wenn das Konzert Anfang Juni ist und die Prüfung (frühstens) Anfang Juli, wäre es nicht trotzdem denkbar, dass du kurz dafür hinfährst? Dann vielleicht nicht mit dem Auto sondern Zug (Noisecancelling-Kopfhörer auf und während der Fahrt lernen)? Ob du dann dort vor Ort abends 2-3 schöne Stunden hast oder nicht hinfährst und dafür bei dir zu Hause mal 2-3 Stunden länger schläfst o.ä. macht evtl gar nicht so einen großen Unterschied?
AntwortenLöschenMorgen,
Löschennaja ich denke das ist - wie so Vieles im Leben - auch immer ein bisschen Ermessenssache. Ich habe schon mit Leuten gesprochen, die eine Woche vor der Prüfung erstmal noch in den Urlaub gefahren sind und dort auch mehr oder weniger Urlaub gemacht haben. Die hatten vielleicht eine Familie mit Kinder und konnten das nicht alles spontan absagen - zumindest die eine Kollegin, die ich kenne.
Und doch weiß ich, dass mich das komplett verrückt machen würde, wenn ich so etwas mache. Ich kann mir ja so schon kaum Pausen erlaube und denke, dass ein vielleicht ab und an suboptimales Zeitmanagement die Prüfung kosten wird. Und eins sage ich Dir: Die letzten zwei Jahre halte ich nicht nochmal durch. Wenn das hier nix wird, geht es ohne Prüfung in die Psychosomatik. Ich kann auch langsam nicht mehr mit dieser Klinik.
Was die Idee mit dem Zug angeht: Die ist sicher gut, allerdings ist die Anbindung von hier zu meiner Schwester schon eher bescheiden. Da ist man den kompletten Tag auf den Schienen. Ob es das besser macht? Noise - Cancelling - Kopfhörer müsste ich erstmal kaufen... Ich weiß es nicht - im Studium habe ich eher weniger in Zügen oder Bussen lernen können.
Es ist noch nicht final entschieden, immerhin habe ich dafür zwei Dienste getauscht und einen AZV - Tag genommen - gut, letztere müssen sowieso bis Ende Juni verbraucht sein. Jetzt hoffe ich nur, ich habe die Dienste nicht ungeschickt für den Kardiochiurgen und mich getauscht, aber einen Dienstplan habe ich von ihm leider auch noch nicht gesehen für Juni.
Mondkind
Deine Gedanken sind verständlich aber wie viel Aufwand ist den die gante Konzertsache? Dir ist das ganze doch sehr wichtig, es hat doch eine bedezeung eine art abschied nehmen oder nicht? Du bist ja nicht ewig weg und ganz ehrlich wie sehr ärgerst du dich wenn du die Prüfung nicht bestehst aber auch nicht zum Konzert gegangen bist? Die Prüfung ist wichtig klar, gerade weil du dein leben darauf ausgerichtet hast und dir nicht viel schönes erlaubt hast. aber wäre es nicht super mutig und derv erste schritt in ein hoffentlich etwas erfüllteres leben, das du mit deinen wünschen und Vorlieben füllst? Es ist nur ein Konzert aber auch nur eine Prüfung. Die Prüfung ist doch eh schon mit negativem verbunden, das Konzert könnte dir aber viel mehr geben. Die Prüfung kannst du bestehen oder auch nicht, aber das weißt du jetzt ja noch nicht, das Konzert ist keine Pflicht sondern etwas was dich erfüllen kann und die Erinnerungen die dich geprägt haben. ganz ehrlich scheiß drauf und geh zum Konzert, du kannst nichts verlieren. Die Prüfung rockst du und wen nicht dann wenigstens das Konzert :) im ernst du musst tun was die gut tut aber wenn du so weitermachst wirst du immer "ausreden" finden für dinge die dir gut tun die mehr du sind, du wurst nie aufhören dein leben für andere zu leben. du musst das entscheiden und vielleicht versteht man das außerhalb der medizinerbubble auch nicht, aber es ist dein leben leb es sonst macht es auch mit Prüfung keinen sinn. denn was kommt nach der Prüfung? du wirst stolz sein einmal auf dich zu hören einmal zu tun was du möchtest. Außer du willst die nächsten Wochen vor en Büchern hocken und dich fragen was wäre wenn. wenn du hintre deiner Entscheidung stehst wirst du ohne daran zu denken vor deinen Büchern hocken aber das klingt iwie fraglich. es ist ein Termin dervdir Freude bereutet oder etwas bedeutet, sie es als Belohnung für die Prüfung. du schaffst das alles auch wenn du mal einen oder mehrere tage pause machst. alles liebe
LöschenHey,
LöschenDanke erstmal für die Mühe.
Naja das ist ja gerade die Frage: Wie viel Bedeutung misst man jetzt dieser Prüfung bei? Plant man sein Leben quasi um diese Prüfung herum und lebt es trotzdem, oder muss man jetzt halt wieder verzichten, um das bestmögliche Ergebnis zu erreichen?
Natürlich hast Du Recht mit Deiner Sichtweise, dass es auch blöd ist, wenn am Ende beides nicht geklappt hat. Ich denke immer, dass ich mich sicherer fühle, wenn ich sagen kann, dass ich wirklich alles getan habe für die Prüfung. Und das habe ich halt nicht, wenn ich jetzt zwei Tage auf der Strasse verbringe.
Ich muss das noch durchdenken. Es gibt so Dinge, da kann man entscheiden wie man will - nichts wird sich am Ende richtig anfühlen. Ich denke, das hier jetzt gehört dazu...