Erinnerungen, Suizidprävention und ein spontanes Frei

Du hast gesagt, du bleibst für immer
Ein ganzes Leben lang, ein ganzes Leben lang
Du hast gesagt, du bleibst für immer
Dass wir die Lichter sehen, bis die Musik ausgeht

(LEA - für immer)

Der Blick wandert zum Wecker. 
Unter fünf Stunden mittlerweile, bis er klingelt. 

„Ich hab meinen Teil des Plans übrigens erfüllt“, denke ich mir. 

Ich erinnere mich an diesen Sommer in der Studienstadt, von dem ich nicht wusste, dass es unser Letzter war. Ob er das wusste?
Ich erinnere mich, wie wir Rücken an Rücken am Fluss saßen. 
Er mit seiner Ex – In – Ausbildung beschäftigt, ich gerade frisch das Examen in der Tasche. 
Ich habe ihn ein bisschen beneidet um seine Tätigkeit, während klar war, dass ich erstmal ein paar Jahre somatische Medizin lernen sollte, bevor ich über andere Dinge nachdenke. Der Ort in der Ferne schien damals – neben der Tatsache, dass ich dringend aus NRW weg musste – die einzige Möglichkeit zu sein, in diesem Haifischbecken von Medizin überhaupt zu überleben. In Großraum der Studienstadt hatte ich kein Krankenhaus gefunden, von dem ich geglaubt habe, langfristig bleiben zu können. 

Den anderen beim Atmen spüren und die Lunge beim Reden vibrieren. 
Das waren diese Abende am Fluss.
Und irgendwann – irgendwann würden wir abends gemeinsam nach Hause kommen; er von seiner Ex – In – Tätigkeit, ich aus irgendeiner Psychiatrie oder Psychosomatik und wir würden uns beim Abendessen darüber unterhalten, was wir erlebt haben. 
Und wenn einer unterwegs verloren geht und den Plan nicht einhalten kann, dann werde das wohl ich sein, habe ich mir damals oft gedacht. Vielleicht, weil es mit der Neuro nicht klappt. Vielleicht, weil Krankenhaus irgendwie nicht so meins nicht. Vielleicht, weil ich doch niemals eine Abteilung durch die Nacht führen kann – das schien damals unvorstellbar zu sein. 

„Du hast gesagt, Du bleibst für immer“, denke ich mir. 
Und heute sitze ich hier und rede mit einem Kardiochirurgen über all diese Dinge, von denen er maximal die Hälfte versteht. 

Ich kann gar nicht sagen, wie das Leben sich anfühlt im Moment. Seltsam in jedem Fall. Wie einmal komplett durchgewürfelt. Und eigentlich ist das ja nicht neu. Aber vielleicht gibt es Situationen, die daran nochmal besonders erinnern. 
Konträrer zu dem was geplant war, könnte die Realität kaum sein.
Und eigentlich ist das ja nicht neu. Aber vielleicht gibt es Situationen, die daran nochmal besonders erinnern.
Und ehrlich gesagt hat mich dieser Gedanke da irgendwo in der Nacht ziemlich gerissen. 






***
Heute ist übrigens Weltsuizidpräventionstag. 
Und manchmal weiß ich gar nicht mehr, was ich dazu sagen soll. Außer, dass es wichtig ist. Dass man nie wird alle Suizide verhindern können – davon hatten wird es gestern noch in der AGUS – Gruppe, weil die Menschen, die so verzweifelt sind, sich natürlich am Ende des Tages doch irgendwo hin wenden müssen. Die Angebote, die man ihnen unterbreitet wahrnehmen müssen. Senden müssen. Sonst kann Niemand empfangen. 
„Ich kann schon verstehen, dass der Freund da irgendwie zwischen Baum und Borke stand“, habe ich gestern gesagt. „Er wollte definitiv nicht mehr in die Psychiatrie, er hatte ja gerade seinen Beschluss aufheben lassen nach langen Kampf. Und er hatte aber schon Sorge – und wusste wahrscheinlich auch – dass ich schon dafür sorge, dass er eben wieder in der Psychiatrie landet, wenn er mir erzählt, dass er sich definitiv etwas antun möchte.“
Und gleichzeitig ist es natürlich so, dass es für diejenigen die offen sind für die Angebote, auch schwierig ist. Wie viele Menschen mussten wir ohne Perspektive aus der Psychosomatik entlassen, weil wir uns halt auch keinen ambulanten Therapeuten aus dem Hut zaubern können? Wie oft wiederhole ich in der Neuro auf der Station die üblichen Tipps und Tricks zur Therapeutensuche?

***
Ansonsten waren der Kardiochirurg und ich letztens spontan vier Tage zusammen unterwegs. Ich habe das vorher gar nicht an die große Glocke gehangen, weil ich Sorge hatte was ich sage, wenn es wieder schief geht. Außerdem war es tatsächlich super spontan. Er hatte frei nach Nachtdienst – Woche und bei uns in der Neuro war noch Sommerloch und es hatten recht wenige Kollegen Urlaub. Da habe ich dann einfach proaktiv gefragt, ob ich zu Hause bleiben kann und mir wurden zwei Tage genehmigt. 
Insgesamt war das der erste Urlaub seit Slowenien, der mal ganz gut funktioniert hat. Wir haben uns vier Tage nicht gestritten, konnten uns gut einigen was wir machen und haben viel erlebt. Ich merke schon, dass ich da doch mittlerweile sehr auf der Hut bin und mir denke: „Na mal abwarten, was hier noch so passiert.“ Da gibt es keine Unbeschwertheit mehr und generell eher weniger Gefühle. Ich hab manchmal das Gefühl in den guten Momenten sind wir eher so was wie Freunde und in den schweren Momenten eben auch nicht mal das. Aber ob sich das noch anfühlt, wie ein Paar…? Ich bin so müde davon geworden, ihn ständig an alles zu erinnern, seine persönliche Sekretärin zu sein. Davon, dass die wenigsten Dinge – egal, ob das nun uns beide betrifft, oder vielleicht irgendetwas anderes, das mir wichtig ist – besprechbar sind. Ich suche mir meistens andere Menschen, wenn es darum geht, Dinge zu besprechen, die mich gerade umtreiben. 

Der Facharzt hat mich in eine Position gebracht, in der Beziehung nicht mehr funktionieren muss. Davor hatte ich panische Angst, durch beispielsweise eine Trennung einige Tage und Wochen vielleicht nicht lernen zu können, weil es irgendwann einfach zu viel ist. Mittlerweile denke ich mir, dass natürlich niemand gern eine Trennung erlebt, aber dass es aktuell eben machbar wäre. Ich muss gerade keine wichtige Prüfung mehr ablegen. 
Das entspannt die Dinge und macht gleichzeitig unglaublich traurig. Ich habe so gehofft, dass die Beziehung sich nach der Prüfung stabilisiert, aber aktuell habe ich eher den Eindruck, dass es mir leichter fallen würde loszulassen. 



Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht

Viertes Fach und ein paar Lerntipps

Über Absprachen