Von einem Sonntag
Wochenende.
Der Sonntag startet mit einem Frühstück mit einer Kollegin, bevor die sich wieder auf den Weg nach Tschechien macht. Sie ist nur noch selten hier, aber ich mag sie sehr gerne und dann muss man das nutzen, wo immer man kann.
Den Nachmittag nutze ich, um zu einem Freund, oder Bekannten zu fahren. Die Grenzen verschwimmen da aktuell ein wenig. Die meisten der Menschen, die ich jetzt besuche, habe ich ewig nicht gesehen und trotzdem sind es Menschen, mit denen ich teilweise wirklich viel geteilt habe.
Und tatsächlich – bemerke ich manchmal – verschwimmt nicht nur dieser Sommer irgendwo im Dazwischen. Sondern irgendwie ein Zeitraum über Jahre, den ich aktuell nicht mal genau definieren kann.
Der Geruch der Wohnung ist mir immer noch vertraut. „Du weißt ja, wo die Hausschuhe sind“, sagt er.
Er hat schon angefangen Melonen – Feta – Salat zu schnibbeln. Da hat jemand nicht vergessen, was die Mondkind damals am liebsten gegessen hat. Wie sehr kam mir das gelegen heute, weil ich dieses Jahr noch gar keinen gemacht hatte. Zwar habe ich schon viel Melone verputzt, aber die habe ich immer morgens schnell vor dem Lernen geschnibbelt und habe keinen Aufwand betrieben.
Und dann sitzen wir – die Hände um einen Kaffeetasse gelegt – in seinem Wohnzimmer und reden.
Über den Facharzt, die Psychosomatik – Pläne und das Leben an sich.
„Ich habe ja schon ein bisschen geahnt, dass ich nach dem Facharzt erstmal eine kleine Lebenskrise bekomme, aber irgendwie doch gehofft, dass der Kelch an mir vorüber geht“, postuliere ich.
„Ich weiß ehrlich gesagt noch gar nicht genau was los ist, aber irgendwie ist es ein Gefühl von vorne dabei sein und hinten dran zu sein gleichzeitig. „Mit 32 Jahren den Facharzt zu machen, ist ja schon auch recht früh“, meinte letztens ein Oberarzt. Naja, das stimmt wohl. Ich könnte jetzt noch relativ jung Oberärztin werden oder mit in eine Praxis einsteigen und wäre irgendwie ein bisschen Youngstar. Ich hätte es trotz eines sehr schwierigen Elternhauses und dem Tod des Freundes schaffen können, früh die Weichen in eine Karriere zu stellen, die doch noch viele Schritte bereit hält. Ich könnte etwas sagen von „ich hab mich da nie unterkriegen lassen.“
Aber dann stehe ich eben jetzt hier und kann mit dem Facharzt gar nichts anfangen. Weil der ja nur Mittel zum Zweck war. Und vom Prinzip her stehe ich jetzt da, wo mein 18 – jähriges Ich mal stand, das immer noch Psychologie machen möchte und dafür bin ich mit 32 Jahren ganz schön spät dran. Vom Prinzip her starte ich ja jetzt nochmal mit einer Ausbildung und ich bin ehrlich – darauf habe ich gar nicht unbedingt Bock, obwohl mich das Thema schon weiterhin interessiert.“
„Ich denke ich verstehe, was Du meinst“, sagt das Gegenüber. Und regt an, das Ganze wieder mal als eine Frage des Betrachtungswinkels zu sehen. Man kann es so sehen, dass ich jetzt im Vergleich zu anderen Assistenten in der Psychosomatik hinten dran bin. Und im Vergleich zu den Psychologen. Man kann sich aber auch versuchen die Vorteile eines schon vollendeten Facharztes bewusst machen und vielleicht auch die Gelassenheit, die das in der Ausbildung mit sich bringt. Alles was jetzt kommt, ist persönliches Interesse – einen Job mit dem ich Geld verdienen kann, werde ich im kleineren oder größeren Radius mit meiner Position wohl immer finden.
„Der Preis für diesen Facharzt war hoch“, sagte die Psychosomatik – Oberärztin mal. Ich glaube, das war nicht nur das Lernen. Das war auch Lebenszeit und ein bisschen Ich.
Im Moment fühlt es sich ein bisschen an, als würde ich mich neu ausgraben. Was sind denn meine Ziele, Wünsche und Bedürfnisse und weiß ich das überhaupt? Ich kenne meine übergeordneten Ziele, aber was sind denn so die kleinen Dinge im Leben?
Später kommen wir darauf zu sprechen, was mich aktuell dort hält, wo ich bin. Ich glaube nicht, dass es die Neuro an sich ist. Klar, die Neuro bedeutet gerade Sicherheit, einen gewohnten Alltagstrott, bekannte Muster. Nachdem ich eine lange Zeit auch morgens vor der Arbeit erstmal geweint habe, weil ich so doll Angst vor dem Tag hatte, ist allein das ja die ultimative Entspannung.
Aber ich habe gerade eben auch ein stabiles soziales Umfeld, in dem ich mich bewege. „Das Problem ist, dass eine Änderung der Position auch wieder eine Änderung des sozialen Umfeldes nach sich ziehen wird“, überlege ich laut. Schweige eine Weile. „Ich habe in den letzten 10 Jahren drei Mal einen sozialen Reset erlebt. Als ich zu Hause weg bin, war die Familie weg, mit meinem Umzug hierher ist natürlich auch so einiges verloren gegangen und der Tod des Freundes hat da auch viel umstrukturiert. Das jetzt freiwillig nochmal zu tun, fühlt sich irgendwie blöd an. Und klar werde ich viele Leute aus der Neuro verlieren, die eben eher so Bekanntschaften sind.“
Ich denke eine Weile nach. „Weißt Du, das Ding ist eben, dass sich so ein Umfeld irgendwann untrennbar mit Deinem Privatleben vermischt. Wäre ich nicht hier in der Neuro gelandet und hätte vielleicht nebenbei noch etwas wie ein Leben gehabt, hätte ich vielleicht meinen Partner nicht unbedingt auf der Arbeit kennen gelernt. Die Arbeit war jahrelang eben alles, was es so gab. Da gab es keine Freizeit nebenher. Und dann war die Arbeit eben Job, zweites zu Hause und Singlebörse gleichzeitig. Und jetzt stehst Du eben da und kommst aus der Nummer quasi nicht mehr raus.“
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Noch ein Foto von unserem Kurztrip |
Wir reden mal wieder über die Beziehung. „Ich bin ehrlich – ich habe schon gehofft, dass wir nach dem Facharzt ruhiger miteinander werden. Aber das hat eher nicht so geklappt“, erkläre ich. „Ich meine, das Ganze ist ja auch ein strukturelles Problem. Dieses Wochenende hatte er Freitag und Sonntag Dienst und dass er dann Samstag seinen Haushalt machen muss, verstehe ich aus einer rationalen Sicht. Dienstag fährt er erstmal nach Berlin, dann kommt er Freitag spätabends zurück, vielleicht werden wir uns gar nicht sehen - und hat direkt das ganze Wochenende Intensiv – Dienst. Das sind so 14 Stunden in der Klinik. Und das Wochenende danach ist schon wieder Nachtdienst – Wochenende. Ich könnte jetzt schon wieder ausrasten, wenn ich darüber nachdenke. Und da kann er halt nichts für, die Dienste sind einfach da.
Ich hab immer gedacht, dass man die Situation ja irgendwie ausgleichen könnte, in dem man eben jeden Abend, wenn keiner Dienst hat, gemeinsam schlafen geht. Und man kann ja auch Treffen mit Freunden und Familie so planen, dass man es macht, wenn der andere nicht kann. Oder man nimmt den Partner eben einfach mit. Aber das funktioniert ja auch nicht. Mich stressen auch seine Nachtdienstwochen ungemein, ich habe da manchmal richtig Angst vor, weil wir uns dann halt eine ganze Woche nie abends sehen und beim anderen bleiben können. Wenn man aber ehrlich ist, ist das der Normalzustand und alles andere die Ausnahme mit dem Unterschied, dass es in den Nachtdienstwochen eben wirklich strukturell nicht machbar ist – auch wenn man wollte.
Und da ist halt so der Punkt, an dem ich im Moment denke: Vielleicht ist diese Beziehung eben auch etwas, das im Rahmen des Resets nicht mehr zu halten ist. Ich erinnere mich an unser erstes Date, ich weiß auch genau wo wir standen, als ich zu ihm meinte, dass ich eigentlich nicht mit einem Arzt zusammen sein wollte. Und in dem Moment, in dem ich es gesagt habe, dachte ich mir, dass das jetzt wahrscheinlich nicht das angebrachteste Kommentar ist, woraufhin er direkt meinte „na dann haben wir jetzt ein Problem.“ Ich glaube schon, dass ich damals gedacht habe, dass zwei im Schichtbetrieb arbeitende Menschen, die sich der Problematik ja beide bewusst sind, dass schon hinkriegen werden, weil es ja wohl das Interesse beider sein wird, sich so oft wie möglich zu sehen. Ich merke aber heute, wie viel Wahrheit in diesem Kommentar gesteckt hat.
Ich habe einfach ein extrem hohes Nähebedürfnis und ich merke, dass diese Beziehung dem gar nicht gerecht wird. Und klar haben wir unsere Baustellen, aber selbst wenn wir alles optimieren würden – was wahrscheinlich nie passieren wird, weil das halt einfach nicht so sein Bedürfnis ist – aber selbst wenn es so wäre weiß ich nicht, ob wir es schaffen würden.
Die Frage ist halt nur, was mache ich dann? Ich werde ja selbst noch ein paar Jahre in diesem System bleiben müssen, obwohl es mich unglaublich ankotzt 24 / 7 für den Job verfügbar sein zu müssen, wenn man nicht gerade Urlaub hat. Erst jetzt hat mir der Oberarzt einen Dienst in ein Konzertwochenende rein geplant und das sind so die Gründe, warum ich da dringend raus möchte. Es muss doch möglich sein mal zu sagen: Nee, an dem Wochenende kann ich so absolut überhaupt gar nicht. Und ich will auch nicht, dass da irgendein Sonntagnachdienst, den ich ja schon machen kann, weil wir bis dahin wieder da sind, das Wochenende doch noch schmälert. Ich will mit dieser Konzert – Laune aus dem Wochenende raus gehen, die mich zum so ziemlich glücklichsten Menschen auf dem Planeten macht und nicht Montagmorgen wie eine Leiche in der Frühbesprechung sitzen und nach einer durchgemachten Sonntagnacht noch den Montag arbeiten müssen und alles was ich fühle, ist eine bleierne Müdigkeit. Ich habe die Tage nochmal viel in den Nachrichten mit dem verstorbenen Freund gelesen. Wir hatten da schon auch unsere Sorgen. Eher andersherum als der Kardiochirurg und ich jetzt. Damals war er derjenige, der mehr wollte, als ich geben konnte und ich habe wirklich versucht jede freie Minute in uns zu investieren. Insofern ist es vielleicht auch schwierig einen Partner finden zu wollen, der einen geregelten Job hat, solange wie ich eben noch Keinen habe.“
„Naja“, gibt mein Gegenüber zu bedenken, „und was ist, wenn nicht per se der Schichtdienst das Problem ist, sondern der Umgang damit?“
„Na da beisst sich die Katze wieder in den Schwanz. Ich sehe den Punkt schon auch, ja. Und ich dachte lange Zeit wir wären das Problem. Mittlerweile sehe ich halt eher so das Grundproblem an der Sache.“
„Gäbe es denn für Dich einen Moment, in dem eine Beziehung trotz der Situation, wie sie eben ist und in der Ihr beide seid vorstellbar wäre, in der Du das Gefühl hättest, dass Dein Bedürfnis nach Nähe erfüllt ist?“
„Ich glaube schwer tun würde ich mich immer. Aber ich denke, wenn wir wirklich jeden Abend an dem wir können nutzen würden und jedes Moment zwischen den Diensten – und wenn wir uns noch die Klinke in die Hand geben, wäre es vielleicht auf Dauer erträglich. Vielleicht kommt dann auch irgendwann der Moment, in dem es okay ist. Ich bin ja eigentlich auch schon gern mal für mich und kenne das eigentlich gar nicht so, an einem Partner zu hängen. Das Problem ist ja allerdings, dass wir jetzt über zwei Jahre einen absoluten Mangel produziert haben und ich auch nicht mehr innerlich still werde, wenn er da ist. Dieses „jetzt sind wir mal zusammen und jetzt ist mal alles gut“, das gibt es überhaupt nicht mehr. Und das macht mich auch zu einem Menschen, der ich eigentlich nicht sein will.“
Wir sind eine Weile still.
„Ich hab das Gefühl, mein Leben muss jetzt mal langsam wieder in die richtige Richtung gehen. Ein bisschen mehr ich sein. Ich vermisse mich.“
Ehrlich gesagt – keine Ahnung, wie es weiter gehen wird.
Ich hoffe nur, dass mein späteres Ich mir irgendwann mal dankbar sein wird für all die Entscheidungen die jetzt kommen und die Wege, die ich gehen werde.
Mondkind
Ich bin immer wieder erschrocken, wie selbstverständlich Ärzte in Deutschland zu diesem 24/7 für die Arbeit verfügbar sein ja sagen. Ich meine, was würde denn passieren, wenn du sagst "nein, an diesem Wochenende kann ich nicht, da habe ich einen wichtigen privaten Termin"? Die werden dir erzählen, dass sie enttäuscht sind oder sauer auf dich sein, aber es wird dich niemand entlassen und auch ansonsten wird nichts passieren. Aber wenn alle immer mit machen , dann wird sich auch nichts ändern.
AntwortenLöschenIch weiß, warum ich mich nach dem Medizinstudium dagegen entschieden habe, mir in diesem System meinen letzten Rest Würde nehmen zu lassen, der nach dem PJ noch übrig war.
Es ist nicht okay, wie der Chefarzt /die Krankenhausleitung mit dir und euch da umgehen, aber es tut mir leid, wenn das hart klingt, aber es hat eben auch damit zu tun, dass das alle mit sich machen lassen (und ja, ich fühle mich auch für meine Patienten verantwortlich - zwischen 8 und 16 Uhr. Danach ist es die Verantwortung meines Chefs einen Dienst zu organisieren. Und ich übernehme auch extra Dienste, wenn es in meine private Planung passt - weil ich weiß, dass mein Chef akzeptiert wenn ich sage, an dem Wochenende passt es eben nicht.)
Ich würde dir wirklich wünschen, dass du das irgendwann auch schaffst. Und deinem Privatleben und dir selbst mehr Bedeutung gibst. Ich kenne niemanden, der bei seiner Pensionierung bereut, nicht mehr gearbeitet zu haben, aber viele, die sich wünschen, mehr Zeit mit der Familie oder Freunden verbracht zu haben.
LöschenUnd ja da draußen gibt es auch Männer, die dich wertschätzen werden wir du bist. Aber im Moment wirkt es immer so als würdest du dir selbst so wenig Wert zusprechen, dass du es normal findest, dass dein Partner dich auch nicht wertschätzt. Aber du hättest es sowohl von dir selbst als auch von deinem Partner verdient, ernstgenommen und geschätzt zu werden.
Hey,
Löschennaja ganz so einfach ist es eben leider auch nicht. Wenn der Dienstplan dann offiziell raus ist, ist man für den Dienst in dem man drin steht, eben auch einfach erstmal verantwortlich - man kann ja nicht einfach nicht hingehen. (Okay, das hat vor langer Zeit tatsächlich schon mal jemand bei uns gebracht und wäre dann auch wirklich fast raus geflogen). Es ist halt so ein bisschen die Frage, was man da im Vorhinein tun kann. Wir haben seit geraumer Zeit auch einen Wunschplan, in dem wir im begrenzten Ausmaß Wünsche rein schreiben dürfen. Aber es sind und bleiben eben Wünsche. Ich hatte für den Oktober zum Beispiel extra das erste und das letzte Wochenende meines Urlaubs als Wunsch eingetragen und dieses Konzertwochenende, was eben auch in diesem Monat ist, als Wunschfrei. Damit es eben für den dienstplanverantworlichen OA auch Möglichkeiten gibt, mich da zu verteilen. Denn natürlich verstehe ich schon, dass es schwer ist zu sagen, dass ich mit zwei Wochen Urlaub, drei Wochenenden frei habe und dann das Wochenende nach dem Urlaub auch noch frei brauche. Aber mir wäre es dann eben lieber gewesen, am Rand des Urlaubs zu arbeiten. Ist jetzt halt nicht so gelaufen - dann kann man immer noch gucken, ob man irgendetwas tauschen kann. Aber es ist schon anstrengend über die Zeit und sorgt auch dafür, dass man viele private Gelegenheiten hinten anstellen muss.