Von einem Dienst und Zukunftsperspektiven
Die Sommerferien sind zu Ende.
Das hat man wahrscheinlich – genauso wie das Sommerloch – in noch keinem Dienst in dem Ausmaß bemerkt, wie dieses Jahr. Schon den ganzen Montag ist die Notaufnahme tagsüber komplett überfüllt und ich ahne schon Böses, als ich die Liste der Patienten in der ZNA immer wieder aktualisiere in der Hoffnung, dass die Anzahl der Patienten doch mal abnehmen möge.
Als ich schon etwas früher als ich eigentlich müsste in die ZNA rase, um vielleicht schon etwas eher anfangen zu können Ordnung ins Chaos zu bringen, sind noch viele Patienten, die keine absoluten Notfälle sind nicht mal gesehen und wenn man so anfängt, dann weiß man schon, dass man die ganze Nacht der Zeit hinterher arbeiten wird.
Es ist schon irgendwann etwas später. Ein Patient, der immer noch draußen wartet, wird herein geholt. Und dann trifft mich doch ein bisschen der Schlag. Er sieht exakt aus, wie der verstorbene Freund. Wie aus dem Gesicht geschnitten. Ich achte genau auf seine Stimme, die dann zum Glück ein bisschen anders klingt. Aber an seiner Art aufzutreten, sich zu unterhalten, zu interagieren, sind die beiden sich so ähnlich. Als ich ihn im Doppler habe und kurz ein bisschen verschnaufe hinter ihm ohne dass er mein Gesicht sehen kann kommt mir kurz in den Sinn ihn zu fragen, ob er irgendwie unter getaucht ist oder so. Aber dann denke ich mir, wie blöd die Situation sein muss, außerdem muss ich professionell bleiben. Später taucht auch noch sein Bruder auf und möchte wissen was los ist und das ist so der Moment, an dem ich dann auch mal zur Ruhe komme. Er hatte keinen Bruder. Jedenfalls weiß ich davon nichts. Ich weiß nicht, ob es anderen da auch so geht, aber einer unserer Postboten sieht ihm von der Ferne auch recht ähnlich. Da hatte ich am Anfang auch so den Gedanken von „vielleicht hat er irgendwo im Prinzip ein neues Leben angefangen, aber schaut jetzt ab und an, was ich so treibe.“ Dieser Gedanke hat mich gestern Abend auch umgetrieben. Vielleicht guckt er was seine „Lieblingsärztin“ jetzt so macht und denkt sich, dass er sich vielleicht nach all den Jahren etwas offener präsentieren kann, weil ich das nicht mehr so auf dem Schirm habe und möchte wirklich mal näher dran sein an meiner Arbeit und mir.
Um drei Minuten vor Mitternacht lysiere ich noch eine Anfang 50 – jährige Dame. Ein Bier habe sie getrunken, hat sie direkt bei der Aufnahme gesagt. Das hätte mir mutmaßlich schon spanisch vorkommen sollen. Der Alkoholspiegel war ziemlich im Nirwana, als er kam. Jetzt kann man ja immer Läuse und Flöhe gleichzeitig haben und eine Alkoholintoxikation macht jetzt nicht unbedingt eine Halbseitenlähmung. Wobei es mir schon nicht gefallen hatte, dass die beim Absinken im Armvorhalteversuch eher keine Pronation hatte, aber glaubhaft versichert hat, dass der Arm sich schwer und pelzig anfühlt. Naja, möglicherweise habe ich Bullshit lysiert… ärgert mich dann immer, so etwas.
Ruhe hatten wir die Nacht über trotzdem nicht. Alkohol blieb irgendwie Thema und ein Internist, der irgendwie nicht wusste, was zu seinem Fachgebiet gehört. Entzugsanfälle zum Beispiel. Haben wir noch nie neurologisch aufgenommen. Oder Synkopen unter mehrfacher Psychopharma – Therapie. Weil da nicht EKG – Veränderungen und eine orthostatische Hypotonie viel wahrscheinlicher sind…
Da ich über Nacht leider die Station voll gemacht hatte, musste ich morgens natürlich auch noch ein paar Überstunden machen. Am Ende ist es schon eine Win – Win – Situation. Schließlich habe ich selbst dann die Patienten aufgenommen und die Anamnesen geschrieben und weiß schon, dass die halbwegs etwas taugen. Aber heute kam es mir trotzdem nicht gelegen länger zu bleiben, weil ich am Nachmittag noch einen wichtigen Termin hatte.
Zu Hause habe ich es noch geschafft zu duschen und mir in die Haare, die dringend einen Friseur nötig haben, ungefähr eine halbe Flasche Haarspray zu klatschen, damit sie einigermaßen dort bleiben, wo sie bleiben sollen.
Und dann bin ich flott rüber in die Psychosomatik geradelt und habe dort mein Gespräch mit den beiden Chefs gehabt. Ehrlich gesagt, besonders erbaulich fand ich das jetzt nicht. Ob die freie Stellen haben, können die mir gar nicht richtig sagen, weil das am Ende immer durch die Personalabteilung definiert werden würde. Die können ja lange Ärzte wollen – wenn die Personalabteilung das nicht zugesteht, dann gibt es keine Stelle. Ich dachte irgendwie immer, da gäbe es einen fixen Stellenplan und wenn der nicht voll ist, dann gibt es da wohl auch eine Stelle. Jedenfalls muss ich das jetzt wohl in erster Linie erstmal mit der Personalabteilung klären. Die gute Nachricht ist, dass man den Vertrag wohl nicht umschreiben muss. Das heißt die Kündigungsfrist könnte im Fall des Falles kürzer ausfallen und was mir – Entschuldigung – genauso wichtig ist, ist dass der Urlaub wahrscheinlich flexibel hin und her geschoben und einfach in die andere Abteilung übernommen werden kann. Ich nehme ja im ersten Halbjahr sowieso immer nur sehr wenig Urlaub und mir würde es jetzt gar nicht gefallen, den im nächsten Jahr anteilsmäßig verbrauchen zu müssen.
Als ich dann aber die Idee angesprochen habe noch ein paar Neuro – Dienste zu machen, ist denen schon ein bisschen die Hutschnur gerissen. Obwohl ich betont habe, dass ich natürlich trotzdem meine Dienste in der Psychosomatik mache und mir bewusst ist, dass es eher für mich Zusatzarbeit ist, die ich aber gern machen möchte. Wie schon mal irgendwo erwähnt – ich verstehe, dass denen das ein bisschen zu viel zwischen Baum und Borke ist, allerdings war meine Idee die Arbeitsbedingungen ein bisschen in meinem Sinn zu gestalten, in einer Weise, wie es mir gerade gut tut. Und mir tun normalerweise langsame Umbrüche gut und wie schon erwähnt, zieht der Jobwechsel ja einen kompletten Wechsel des sozialen Umfeldes nach sich. Ich würde da gern irgendwie rein wachsen können.
Dass diese Idee, die der Intensiv – Oberarzt mal vorgeschlagen hatte, in beiden Fachabteilungen zur Hälfte zu arbeiten nicht klappt, verstehe ich ja schon. Wobei letzten Endes – wenn es dem Interessengebiet entspricht und man nicht mehr in erster Linie auf Facharzt- und Titeljagd ist, sondern einfach den Job machen möchte, der Spaß macht, ist es jetzt auch nicht so verwerflich. Dass ich eine Qualifikation im Bereich Psychosomatik machen möchte, steht ja außer Frage, aber super eilig habe ich das jetzt nicht.
Letzten Endes kann ich deren Standpunkt schon verstehen. Wobei die auch nicht damit hinter dem Berg gehalten haben, dass sie gern eine Fachärztin für sich allein hätten und die Kompetenzen dann nicht gern an die Neuro abgeben würden. Ich könnte ja dann die Neuro – Fälle der Klinik sehen. Ja, kann ich machen. Ich hätte aber für mich gern noch etwas Notaufnahme dazu. Aber natürlich – und da haben sie schon Recht – ist eine Psychosomatik – Facharzt – Weiterbildung schon auch anstrengend, gerade weil der Theorieunterricht und die Supervision und Selbsterfahrung außerhalb der Arbeitszeit statt findet. Wenn man jetzt noch bedenkt, dass es Kollegen gibt, die dafür 200 Kilometer in eine Richtung fahren, weil sie näher dran keinen Therapeuten gefunden haben, der diese Zusatzqualifikationen das machen zu dürfen hat, sehe ich den Punkt. Ich würde es halt irgendwie versuchen zu vermeiden, solche Termine so weit weg haben zu müssen. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass das viel mit Arbeit an sich selbst zu tun hat, wenn man allein von der Fahrerei komplett platt sein muss.
Ich muss das jetzt erstmal für mich sortieren und es sacken lassen.
Bin ich bereit für die Psychosomatik auf den Bereich Notaufnahme zu verzichten? Wirklich – ich mag die ZNA. So hart die Dienste auch sind, aber ich liebe das Unvorhersehbare, dass man manchmal über sich hinaus wachsen muss – ob man will oder nicht. Dass es am Ende des Tages einen Unterschied für die Patienten macht, wenn man schnell und strukturiert handelt.
Und wenn nein – gibt es im Umfeld ein Krankenhaus, das mir ein solches Konzept ermöglich kann? Sollte ich dann – wenn ich Notfallgeschäft haben möchte – doch in die Psychiatrie gehen? Oder bleibe ich dann vielleicht doch erstmal in der Neuro – vielleicht verschwindet dieser Wunsch in der ZNA zu sein ja irgendwann und fühlt sich richtiger an, zu wechseln?
Erstmal ist der Chef sowieso noch bis Ende des Monats im Urlaub soweit ich informiert bin und mit dem sollte ich natürlich reden, bevor ich zur Personalabteilung gehe. Und dann habe ich ja erstmal Urlaub. Bis Mitte Oktober passiert hier also sowieso erstmal nichts. Vielleicht hat auch der Chef noch Ideen – wobei ich das eher nicht glaube. Der zieht selten Lösungen in Richtung Psychosomatik aus dem Hut – der würde lieber wollen, dass ich das MVZ übernehme.
Naja – alles nicht so einfach.
Der Freund ist heute Abend erstmal nach Berlin gefahren. War wirklich noch für eine kurze Spätumarmung hier, nachdem wir uns zuletzt Samstagabend gesehen hatten. Hat nochmal betont, dass er eigentlich nicht weiß, ob er nächsten Monat wirklich Urlaub hat.
Und dann merke ich doch, dass ich jeden Abend hier sitze und von so vielen Aspekten meines Lebens eigentlich nicht weiß, wohin gerade damit.
Mondkind

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