Wochenverlauf: Ambulanz und Chirurgie
Ende der Woche… - endlich. Zwischenzeitlich dachte ich nicht mehr,
dass ich die noch planmäßig über die Bühne bringe.
Eigentlich besteht das Leben nur noch aus arbeiten, schlafen, essen,
während man noch versucht nebenbei irgendwelche Dinge zu erledigen und
psychischer Entgleisung.
Das Wort „Freizeit“ sollte ich bis nach dem Examen vielleicht lieber
aus meinem Wortschatz streichen.
Die Woche verlief ganz anders als geplant – deshalb war es hier auch
so lange still. Ich nehme an, der ein oder andere hat am Mittwoch nach dem „Ankerpunkt
Ambulanz“ ein Update erwartet.
In der Ambulanz lief es eher weniger gut. Ich habe mich die Tage davor
schon wie ein Zombie und absolut ferngesteuert gefühlt und genauso desolat
schlug ich dann dort auch auf. Die
Therapeutin war ein bisschen spät dran – deshalb hatten wir statt den 45 nur 30
Minuten. Und die haben nicht mal ausgereicht um alles zu erwähnen, was mich aktuell
umtreibt. Geschweige denn, dass wir irgendwelche Lösungen erarbeiten konnten.
Stattdessen hat sie mich auch noch darauf hingewiesen, dass sie in Zukunft
keine Mails mehr lesen möchte. Als ich noch in der Ferne war hieß es, dass es
in Krisensituationen schon in Ordnung ist, ehe ich irgendwelchen anderen
Blödsinn anstelle. Daher war ich eher nicht so begeistert, dass sie mir die Möglichkeit
jetzt auch noch nimmt.
Die neue Ärztin in der Ambulanz hat mal wieder viel Wirbel in die Situation gebracht. Ich
warte immer noch darauf, dass mal ein Psychiater in die Ambulanz rotiert, der es
wirklich drauf hat. Das kann doch nicht sein, dass das da alles solche
Knalltüten sind.
Dass es mir nicht gut ging, hat sie auch gesehen. Aber bevor man jetzt
anfangen könne die Medikamente anzupassen, müssten erstmal die Blutwerte
bestimmt werden und der Hausarzt solle ein EKG schreiben. Und dann könne ich
mit den Ergebnissen ja in vier Wochen wieder kommen und dann könne man das
überlegen. Na klar… - das ist eine super Idee. Ich brauche jetzt Hilfe und
nicht in vier Wochen. Es kann doch nicht sein, dass die alle so am Leben der
Patienten vorbei arbeiten.
Ihre neueste Idee war es dann auch, mich therapeutisch an deren
Ausbildungsinstitut anzubinden – das sicherlich auf dem Klinikgelände am
anderen Ende der Stadt ist. Ich kann nicht in der Examenslernzeit für einen
Termin ewig durch die Gegend jockeln. Meine Therapeutin fand die Idee dann auch
ganz gut, meinte aber, dass wir erstmal noch ein paar Termine machen.
Bis Mitte Februar habe ich sie noch, dann könne man weiter sehen.
Ich verstehe einfach nicht, was die sich da denken. Dass ein
Therapeutenwechsel eine belastende Sache ist, dürfte denen doch klar sein. Ich
finde es sowieso sehr unglücklich so kurz vor dem Examen und auch hinsichtlich
der Tatsache, dass ich in ein paar Monaten sowieso wieder ganz woanders leben
werde. Aber dieses: „Och ja, dann machen wir nochmal ein paar Termine und dann
sehen wir weiter…“ ist extrem anstrengend. Dann sollen sie mal eine Deadline
vorgeben, die sie dann auch einhalten. Natürlich hoffe ich, dass sich das jetzt
von Monat zu Monat bis zum Examen zieht – einfach, weil es das letzte Mal in
der Lernzeit mit der Therapeutin gut geklappt hat. Aber ich kann mich halt auf
absolut nichts verlassen und Unsicherheiten gibt es eigentlich gerade schon genug
in meinem Leben. Dann könnte man zumindest die ausräumen, die sich ausräumen
lassen.
Ich muss sagen – im Lauf der Woche ging es mir so schlecht, wie ewig
nicht mehr. Und dass die Ambulanz die Situation eher noch verschärft, als
entlastet hat, hat die Sache nicht besser gemacht. Ich bin teilweise
stundenlang mit Tränen in den Augen über die Station gerannt, mein Sprechen war
eher ein Flüstern und wie manche Sätze in die Briefe gekommen sind, weiß ich
auch nicht. Der Druck und die Anspannung waren so hoch, dass ich die
Bedarfsmedikation auch am Tag eingeschmissen habe, weil es sonst vermutlich gar
nicht mehr funktioniert hätte. Aber das macht den Kopf halt schon ordentlich
döselig – insbesondere, wenn man nachts ohnehin nicht mehr als drei bis vier
Stunden schläft.
Was die Kommilitonen so über mich denken, weiß ich nicht.
Manchmal weiß ich nicht, woher ich in solchen Momenten noch die Kraft
nehme, mich der ganzen Situation anzunehmen und zu stellen. Irgendetwas musste
passieren – sonst würde ich das Ende der Woche vermutlich in der Psychiatrie
erleben. Es war einfach nur noch furchtbar.
Ich habe überlegt, so viele Stressoren raus zu nehmen, wie es
irgendwie geht. Was da nämlich auch noch herum krebste und mich verrückt
gemacht hat, war der Zahnarzttermin. Das fängt ja meistens schon zwei Wochen
vorher mit mehreren Panikattacken pro Tag an und ehrlich gesagt frage ich mich
häufig, warum ich mir das überhaupt antue. Allein diese Panikattacken einsparen
zu können, wäre ja schon sehr wertvoll. Also habe ich da angerufen und gefragt,
ob wir den Termin nicht vorziehen können. Ich kam mir da super dämlich vor.
Aber die hatten vollstes Verständnis und haben mir am selben Abend noch einen
Termin gegeben.
Der Termin war in Ordnung. Ich muss zwar noch einige Male hin, aber es
ist nichts schlimmes und irgendwie frage ich mich, ob das überhaupt sein muss.
Zwar studiere ich Medizin, aber von Zähnen habe ich nicht so die Ahnung. Klang
schon alles logisch was sie da erzählt hat, kostet mich aber eine ganze Stange
Geld, das ich eigentlich gerade nicht habe, weil die Kröten die ich spare, für
die Klinikzeit gedacht sind.
Und damit war es heute zum ersten Mal seit Anfang des Jahres wieder
etwas besser – auch wenn ich vermutlich immer noch nicht über den Berg bin.
Chirurgie ist halt die absolute Katastrophe. Ich bin wirklich auf der
Station gelandet, die die meiste Arbeit hat und die PJler am meisten ausnutzt. Es
ist echt nicht so fair, dass die PJler der Etage darunter und darüber teilweise
vier Stunden eher gehen. Und dass unsere Vorgänger sich haben so ausnutzen
lassen, macht die Sache nicht leichter.
Es ist jeden Tag das gleiche Spiel. Man steht um 16 Uhr im Arztzimmer
und sagt, dass man gern gehen würde. Und jedes Mal kommt noch: „Ach Ihr könnt
ja nochmal die Wunddoku machen.“ Das geben wir dann immer zurück mit dem
Hinweis, dass es Arztaufgabe ist. Dann kommt meistens die Liste ins Spiel.
Jeden Tag wird eine Liste aktualisiert, auf dem zu jedem Patienten die
Grunderkrankung und was während dieses Aufenthalts gemacht wurde steht.
Außerdem noch die Laborwerte und die „to do’s“ für den nächsten Tag. Die Liste
nehmen dann die Assistenzärzte am nächsten Tag mit auf die Visite und tun so,
als wären sie super vorbereitet.
Briefe schreiben ist auch eine Aufgabe, die gern delegiert wird. Ich
mache das ja auch wirklich ganz gern muss ich sagen – die anderen PJler eher
nicht. Dann sollen die Verbände wechseln und ich schreibe. Leider soll ich dann
nur Briefe für Außenlieger schreiben, die ich nie gesehen habe. Und da es auch
keine vernünftigen Aufnahmebefunde gibt und der Verlauf auch eher halbherzig
geschrieben wird, ist das teilweise eine absolut unmögliche Aufgabe. Ich will
nicht wissen, was sich so mancher Patient denkt, wenn er seinen Brief liest. Aber
es steht ja zum Glück nicht mein Name drunter – da wir keine Zugänge haben,
müssen wir es auf den Namen anderer Assistenzärzte machen.
![]() |
Einer unserer Flure |
Heute haben sich die anderen PJler schon um 15 Uhr auf die Socken nach
Hause gemacht und meinten, dass ich da sitzen bleiben kann, weil ich ja die
beiden anderen Tage früher gegangen bin. Vor ein paar Tagen war noch die
Vereinbarung gewesen, dass wir da niemanden allein sitzen lassen… Außerdem
haben Ambulanz und Zahnarzt schon auch an den Nerven gezogen.
Pünktlich um kurz vor vier rief dann jemand aus dem OP an – man bräuchte
mal einen PJler für eine Fundoplikatio. Das ist eine Operation, mit der man
einen in den Brustraum verrutschen Magenanteil wieder an seinen Ursprungsort
verlagert und ihn so befestigt, dass er dort nach Möglichkeit auch bleibt.
Gut, kann nicht so lange dauern, dachte ich mir. Leider war der Patient aber
massiv übergewichtig, sodass sich das doch als schwierig heraus stellte. Erst
versuchten wir es mit der Laparoskopie und ich hatte die glorreiche Aufgabe,
den Haken zu halten. Das ist ehrlich gesagt ziemlich dämlich, wenn man noch nie
mit solchen Trokaren hantiert hat und nur recht schnell bemerkt, dass eine
Bewegung von wenigen Millimetern die Leber vom Haken rutschen lässt – und ich
sie mangels Übung auch nicht allein wieder „aufladen“ kann, sodass der Oberarzt
kurz mit verrollten Augen das Instrument übernehmen muss. Ich habe also
versucht das Ding absolut ruhig zu halten, während die beiden anderen Oberärzte
im Bauch hantiert haben. Und irgendwann war ich so angespannt davon, dass ich
am ganzen Körper gezittert habe.
Nach über anderthalb Stunden kamen sie dann auf die Idee, dass es so nicht funktioniert und haben dann eine Laparotomie gemacht – also dem
Patienten doch den Bauch aufgeschnitten. Und dafür war ich ihnen wirklich
dankbar, weil ich dann zumindest „normal“ Haken halten konnte.
Ansonsten sind Chirurgen schon komische Menschen. Manchmal hatte man
während der OP eher das Gefühl im Bierzelt zu sitzen. Von wegen ruhige
Arbeitsatmosphäre… Die beiden Oberärzte erzählen abwechselnd irgendwelche
Stories, die wahrscheinlich bei jeder Erzählung etwas mehr von der Wahrheit
abweichen, was alle anderen in dem Saal super lustig finden.
Letztens redete noch jemand von einem „guten Klima“ in der Abteilung.
Aber ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich es bisher selten erlebt habe, dass
so sehr gelästert wurde und so viele Egozentriker unterwegs sind. Und ich möchte auch nicht wissen, was sie über mich
hinter meinem Rücken erzählen.
Man sollte da halt absolut nichts persönlich nehmen und ich für mich
habe beschlossen, einfach die Klappe zu halten. Es kommen schon ständig Seitenhiebe
wie: „Sollen wir eine Pause machen? Nee brauchen wir nicht, oder? Aber ich habe
die PJlerin gefragt.“ Oder auch „Die stöhnt immer so beim Haken halten. Ich
weiß nur nicht genau warum. Vielleicht, weil sie so viel Spaß daran hat.“ Man
könnte sich irgendeine schlagfertige Antwort einfallen lassen. Man könnte es
aber auch einfach lassen - ich glaube, die sind etwas an meiner hartnäckigen Stille verzweifelt. Drei Stunden Haken in einer unvorstellbaren Masse von
Fettgewebe zu halten, ist eben anstrengend, da muss man schon mal ein wenig genervt
etwas lauter ausatmen (aber weit entfernt von Stöhnen). Und „So Häschen, komm
mal rüber zu mir“, wenn ich die Tischseite wechseln soll, finde ich auch eher
weniger cool.
Ich habe mich bemüht so gut es ging, um möglichst nicht für Ärger zu
sorgen. Gestern Abend soll es wohl wieder ganz großes Kino gegeben haben und
ich habe schon gehört, dass da teilweise Skalpelle durch den OP – Saal fliegen.
Dafür möchte ich nicht unbedingt verantwortlich sein. Aber zu gut darf ich mich
auch nicht anstellen. „Die Mondkind wird unsere neue Chef – Pjlerin“, habe ich
heute gehört. Ganz sicher nicht. Dann stehe ich nämlich nur noch im OP und
komme gar nicht mehr weg.
Auf der einen Seite sagen die Assistenzärzte zu uns: „Nicht falsch
verstehen – Ihr seid keine billige Arbeitskraft.“ Auf der anderen Seite
bekommen wir halt wirklich nur die Handlangeraufgaben und was die Patienten auf
der Station für eine Krankheit haben, hat uns gar nicht zu interessieren – Hauptsache die Verbände
werden gewechselt. Dass man mehr als 12 Stunden dort ist, wird als völlige
Selbstverständlichkeit angesehen. Und in der Chirurgie habe ich eigentlich
nicht vor die Station zu retten und zu verhindern, dass den Assistenten die
Decke auf den Kopf fällt.
Wenn ich dann abends nach Hause komme, frage ich mich jeden Tag, ob
ich nicht noch etwas für die Uni machen soll. Eigentlich ja schon, ich muss
fertig werden. Und dass es dann aber meistens doch nicht klappt, stresst mich
so sehr, dass ich überhaupt nicht mehr zur Ruhe komme. Es passiert, dass ich
nachts mein Zimmer auf und ab gehe und so viel Druck dahinter spüre, dass ich
mich frage, ob ich nicht jetzt – mitten in der Nacht – mal zwei Stunden etwas
tun sollte. Denn auf die Art wird es mit dem Examen nichts.
Ihr seht… - immer noch viel Chaos. Und hätte mich jemand Mitte Dezember für eine Stunde in die Zukunft geschmissen, wäre ich glaube ich noch viel panischer gewesen, als ich es ohnehin schon war...
Das Wochenende werde ich einkaufen,
den Haushalt machen und lernen und dann geht der ganz Spaß am Montag von vorne
los… - Juhu…
Mondkind
Kommentare
Kommentar veröffentlichen