Ein kleines Update

Ich habe mir gedacht, ich versuche mal wieder etwas zu schreibseln. Nach langer Zeit. Für meine Verhältnisse jedenfalls.

„Jedes Spüren der eigenen Lebendigkeit ist gleichzeitig ein Bewusstsein des Totseins der anderen Person“. Ein Zitat, das ich mir mal von Chris Paul geklaut habe.

Vielleicht bringt das die letzten Wochen auf den Punkt. Und erklärt auch, warum das so krisenhaft geendet hat. Es sah gut aus zwischendurch. Selbst ich, die den guten Momenten nur selten trauen kann, hatte das Gefühl, da bewegt sich etwas. Es geht in die richtige Richtung, ich spüre das Leben wieder, den Sommer, die Menschen um mich herum, mich selbst. Ich kann gute Momente wieder ein bisschen genießen, sie in meinem Herz nehmen, dort verankern und dankbar dafür sein.
Und irgendwann kam sehr plötzlich, fast wie ein Überfall der Moment, in dem ich gespürt habe: Es geht nicht. Denn je mehr ich mich spüre fühle ich auch, dass er tot ist. Und es kann nicht sein, dass ich mein Leben weiter lebe, dass ich glücklich bin, dass ich den Sommer nochmal erleben darf, während er das alles nicht mehr machen kann. Und wir alle, die ihn gekannt haben, nichts tun konnten, um ihn hier zu behalten. Und ich würde mir nichts mehr wünschen, als noch ein einziges Bahnhofstelefonat mit ihm haben zu dürfen. Oder zu sehen, wie sein Zug kommt, aus dem er heraus purzelt und die erste feste Umarmung zu spüren, die meistens die Schönste war. Oder in einer lauen Sommernacht – aktuell erinnert es mich sehr daran – auf dem Bahnhof zu sitzen und zu quatschen bis mein Bus kommt.          
Und all das nicht mal unbedingt für mich, sondern für ihn, damit auch er noch ein Mal spüren kann wie viel Lebendigkeit das war, die er am Ende nicht mehr gesehen hat. 

Sommer...

Im Moment denke ich viel an die Zeit zurück im letzten Sommer. An die letzten Tage altes Leben, das so „normal“ auch nicht mehr war, weil ich diesen Menschen so sehr vermissen habe, bevor mich seine Mutter über das informiert hat, was ich längst geahnt habe. Obwohl ich immer noch gehofft habe. Was man sich nicht vorstellen kann, das kann auch nicht passiert sein, was so meine naive Devise.
Und wenn schon die Momente mit dem Freund nicht mehr realisierbar sind, dann hätte ich gern eine Familie oder irgendein zwischenmenschliches Gefüge in das ich gehöre und auf das ich mich verlassen kann. Menschen, die mal anrufen und fragen, wie es mir mit der Situation eigentlich geht. Und, dass mal – nachdem ich das schon mal vorsichtig habe anklingen lassen – vielleicht jemand mitkommt, um ihn auf dem Friedhof besuchen zu fahren. Es ist über ein Jahr her, dass ich in seiner Nähe war. Oder, dass mal jemand abends hier neben mir sitzt, seine Kerze hier brennt und ich einfach spüre, nicht alleine zu sein. Aber es geht alles nicht. Ich muss mich eigentlich nur laufend rechtfertigen für die Situation. Das Einzige was verlässlich funktioniert ist, dass jeden Morgen die Sonne aufgeht und meine Füße mich den Berg zur Klinik hinauf tragen.

Die Helfersysteme tragen nicht mehr. Ich kann nicht mehr reden, das geht mir auch bei der neuen Therapeutin so. Reden war ja noch nie meine Stärke, deswegen durfte ich es in der Therapie gelegentlich über das Schreiben lösen. Und während ich sehr lange nach den Worten suche und keine mehr finde, redet sie über Ausflugsziele im Umland.
Die Notaufnahme hat fast alles an Spielraum gefressen. Ich habe mich mittlerweile an die ZNA gewöhnt, es ist okay dort zu arbeiten und ich kann auch nicht bei jeder Notfallanmeldung Herzrasen bekommen; dafür bin ich mittlerweile zu müde. Aber Anlaufstellen wie Seelsorger oder sozialpsychiatrischer Dienst – die eben alternativ mittragen können, wenn das private Umfeld es nicht kann – sind dadurch raus gefallen. Verbindliche Termine zu machen, ist unmöglich; man weiß nie, was los ist. Und die potentielle Bezugsperson… - als es mir gut ging, lief das echt gut mit uns. Aber seitdem es mir schlechter geht haben wir wenig Kontakt und wenn, dann höre ich die alten Unterstellungen, die wir aus dem letzten Sommer kennen - wobei die Schwierigste sicher immer noch die ist, dass er meint sich herausnehmen zu dürfen zu beurteilen, dass wir nicht so verbunden waren, wie ich vorgebe. Ich kommentiere es nicht mehr; darüber zu diskutieren hat keinen Sinn mehr. Er versteht nicht, dass ich mir nichts mehr wünschen würde, als dass die guten Momente etwas länger bleiben würden. „Mondkind, wenn Du wirklich krank wärst, dann bräuchtest Du jetzt dringend psychiatrische Hilfe.“ Na Danke. Es ist nicht so, als dass ich unbedingt den Stempel bräuchte, aber er hält das immer noch für eine Show. Und ich hätte gerne Hilfe. Warum sollte man sich selbst so quälen?


 

Ich habe letztens nochmal einen Eintrag über die letzte Stunde bei Herrn Kliniktherapeuten gelesen. Die an sich ziemlich trostlos war, aber doch das Herz bewegt hat. „Darf ich noch ein letztes Mal?“, hat er gefragt. Wenn er das so formuliert, dann spricht er gleich ein letztes Mal die Kinder an, habe ich mir gedacht. Ich habe nur unmerklich genickt. „ Ich bin für Dich da. Meine Hand ist ausgestreckt. Du musst sie nur nehmen.“
Wenn ich daran denke, dann muss die erwachsene Mondkind den Kindern bis heute die Hand auf die Schulter legen und verhindern, dass sie versuchen auf ihn zu zulaufen. „Es hat keinen Sinn“, sagt sie dann leise. „Das war ein Versprechen, das nett gemeint war, aber das er überhaupt nicht halten konnte. Die Möglichkeit gab es in dem Setting das wir hatten einfach nicht.“ Und dann tut mir seltsam der Herz weh.
Er hat mich mal irgendwann gefragt, warum er nicht geeignet ist als Bezugsperson, sondern eben nur die potentielle Bezugsperson. Weil er eben Therapeut ist. Weil es klar ist, dass er gehen muss. Er wäre sicher super geeignet, bis heute. Aber eben nicht in diesem Setting. So traurig wie es ist. Und sein „Kann ich noch etwas für Sie tun?“, fehlt in diesen Tagen sehr. Weil das niemand fragt. Weil es maximal heißt „Mondkind, Du musst.“

Die Worte sind verbraucht. Deswegen kommt hier auch so wenig. Ich habe alles rational verstanden. Ich weiß, dass ich jetzt ein Leben ohne ihn leben muss. Dass ich dahin kommen muss, ihn irgendwann als (verkorkstes) Kapitel in meinem Leben zu sehen. Es ist viel Resignation aktuell; ich bin sehr still geworden.

Aber das Gefühl ist unendlich weit davon entfernt. Und jetzt gerade bräuchte ich einfach nur ein bisschen zwischenmenschliche Wärme, viel Geduld und die Erlaubnis einfach mal sein zu dürfen. Nicht um jeden Preis funktionieren zu müssen mit einer unendlichen Erschöpfung in den Knochen. Sondern leben und atmen zu dürfen, ganz in Ruhe, bis ich irgendwann glaube, dass es ein Leben Danach geben kann.
Ich weiß nicht, ob es das irgendwann für mich geben wird, bevor ich beschließe, dass es in rationaler Abwägung von den Möglichkeiten einer Zukunft und der Anstrengung, die es bis dahin sein wird, alles keinen Sinn mehr ergibt.

Ich habe Angst. Vor dem Zeitpunkt, ab dem es ein Jahr wird. Es klingt nach so unendlich viel Zeit. Und vor den Tagen danach. In denen ich gespürt habe, dass – weil es mein Umfeld nicht sein konnte – Herr Kliniktherapeut für mich da war. Und dieses Jahr dann zu realisieren, dass von diesem Helfersystem nichts übrig geblieben ist. Und es ein Neues nicht gibt. Und nicht geben wird. Dass nur das Funktionieren geblieben ist. Dessen uhrwerksähnliche Verlässlichkeit manchmal fast ein bisschen frustrierend ist.

Bis bald
Mondkind

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht

Reise - Tagebuch #2

Von einem Gespräch mit dem Kardiochirurgen