Elf Monate

Hey mein lieber Freund,
sag, wie geht es Dir? 11 Monate.
Im letzten Monat lag mein Geburtstag und der Tag, an dem Du gestorben bist.
Wie die Welt so grün werden kann, wie selbst in diesem verregneten Frühling die Natur doch irgendwann aufsteht und zeitgleich der Tod den Nacken hoch kriecht, ist doch schon hart gewesen
Hast Du es gut überstanden?

Weißt Du, ich spür was. Etwas, das ich noch nicht ganz in Worte packen kann.
Dieses alte Leben in der Studienstadt verschwindet mehr und mehr. Du bist nicht mehr hier, keine einzige Freundschaft dort hat die Katastrophe überlebt. Das Helfersystem von Damals verschwindet nicht zuletzt deswegen, weil die Menschen ihr Leben weiter leben, sich verändern, ihr berufliches Setting verändern. All das Leben von Damals ist wie eine Insel am Horizont, die immer kleiner wird, bis sie irgendwann unsichtbar sein wird. Bis alles was bleibt, Erinnerungen sind.
Und zeitgleich – wenn ich in die andere Richtung schaue, dann taucht da irgendetwas auf. Das so vernebelt am Horizont ist, noch so klein ist, so fragil, dass ich mich gar nicht traue genau hinzusehen. Vielleicht ist es doch eine Fata Mogana?

Ich habe meinen Wintergarten, auf dem Tomaten, Gurke, eine Paprika, zwei Basilikum, die Palme und die Mini – Orange vor sich hin wachsen.  Ich habe die Bank raus getragen und genieße es – wenn ich Zeit habe – dort zu sitzen. Ich gehe zwischen den Saalewiesen spazieren, durch den Park und finde Frühling das erste Jahr seit sehr langer Zeit nicht nur schrecklich.
Ich sitze mit Menschen im Garten, die keine biologische Familie sind, aber die mir ein Stück von dem geben können, das mir so lange gefehlt hat.
Ich spüre zwischendurch ein Lächeln, eine Wärme in mir, die echt ist. 

Na schau, die ersten grünen Tomaten!🍅

Es ist ein Pendeln. Zwischen Leben und Trauern, hoffen und verlieren, Wärme und Angst.
Es ist ein Schmerz der noch ein bisschen vernichtender ist, wenn Du plötzlich in mir auftauchst in einem Leben, das wir gemeinsam nie hatten. Weil wir beide nicht so weit waren. Ich würde Dir gern den Wintergarten zeigen, ich hätte gern mit Dir zusammen meine erste Gurke geerntet und den ersten grünen Tomaten beim Wachsen zugeschaut. Ich hätte gern mit Dir zusammen das Mini – Orangenbäumchen bei mir einziehen lassen. Ich hätte so gern mit Dir zusammen den Frühling gefühlt, das Stückchen Unbeschwertheit, das ich mittlerweile zeitweise fühlen kann, mit Dir geteilt. Ich hätte gern die Chance genutzt, die diese Unbeschwertheit mit sich bringt, mir punktuell weniger Sorgen zu machen, um die Zukunft, um Dich, um uns.

Und zeitgleich schlägt alles, was irgendwie Positiv ist, dann doch irgendwann in eine tiefe Erschütterung um. Weil ich es nicht mehr rekonstruieren kann. Weil so viel passiert ist, seitdem unser wir steht, obwohl ich die Zeit doch anhalten wollte.
Wie viel von dem Leben, das ich heute lebe, steht auf Deinen Schultern? Wo wären wir heute, wärst Du nicht gestorben? Was hätten wir alles gemeinsam erlebt seitdem? Und was hätte ich auch nicht erlebt, weil es sich ohne Deinen Tod einfach nicht ergeben hätte?
Habe ich ein Recht darauf, dass die Wurzeln des Glücks von Morgen vielleicht in dieser Tragödie liegen?
Kannst Du mir verzeihen? Können wir uns verzeihen? Und werden wir irgendwann nochmal die Chance haben, das auszudiskutieren?

Du,  ich weiß es nicht. Ich glaube, ich stehe ein bisschen auf irgendeiner Schwelle. Ich kann mich nicht ständig mit Leid, Tod und Sterben beschäftigen. Nicht mit Deinem und nicht mit Meinem. Dazu hat das Leben zu viele gute Seiten. Obwohl die auszuhalten bisweilen schwerer ist, als das ewige Leid.
Und weißt Du, man hat immer mal so Leute mit Zustand nach Suizidversuch in der ZNA. Jetzt erst wieder. Jünger als ich. Von der Brücke gehüpft. Überlebt. An ihm war fast nichts mehr heil, außer der Kopf. Deswegen war ich zum Glück schnell raus. Aber es beschäftigt mich. Immer.               
Wir beide haben mit eines der schlimmsten Dinge erlebt, das psychische Krankheiten anrichten können. Und ich weiß, dass diese Familie von diesem Menschen in der ZNA lange Zeit keine Unbeschwertheit mehr erleben wird. Ich kann dieses ewige Leid mit diesem Thema nicht mehr.

Ich möchte mir hier irgendetwas Neues aufbauen. Ein Leben, das ich in der Studienstadt nicht haben konnte. Etwas, das anders, besser werden soll. Weil ich jetzt weiter bin und viele Möglichkeiten hatte, die ich damals nicht hatte. Ich weiß nur noch nicht, wie das gehen wird. Wo ich da meinen Platz finde. Und wo Du darin sein wirst. Ich hätte Dir gern so viel gezeigt von diesem Leben hier, aber die Wahrheit ist auch: Wäre ich heute an dem Punkt an dem ich jetzt bin, hätte ich das letzte Jahr nicht erlebt? Und wie soll ich um Deine Rolle in einem Leben trauern, das wir nie zusammen erlebt haben? Du fehlst hier, aber man kann das Damals mit dem Heute nicht mehr vergleichen. Wir waren woanders, so sehr wie ich mich auch weigere das zu glauben.

Und Du kennst mich Hasenfuß. Weißt, wie viel Angst mir Veränderungen machen, wie viel Angst ich um Dinge habe, die mal gut laufen. Du kennst mein fehlendes Vertrauen in die Dinge.      
Ich hatte viele schlaflose Nächte in letzter Zeit. Weil mich die Gegensätze, die Unsicherheiten, die Dankbarkeit für alles was jetzt da ist, überfordert.

Die Kastanien blühen

Hinsichtlich Arbeit… - Hallelujah. Ich weiß nicht, was im Moment los ist, aber wir haben Rekordzahlen in unserer Notaufnahme. Und so sehr wie die Oberärzte sich auch darüber freuen, wenn die Statistik positiv explodiert, so viel Arbeit ist es halt auch. Ich habe mir mal irgendwann gesagt, ich werde nie wieder bis 22 Uhr auf der Arbeit bleiben. Aber was willst Du machen, wenn Du bis dahin gerade mal das Nötigste abgearbeitet hast? (Und am nächsten Morgen trotzdem eine Mail bekommst, wo dieser und jener Brief bleibt…?).
Heute habe ich Dienst – also drück mit die Daumen, dass es ruhig ist. Ich bin einfach nur noch müde, gestern war mir schon so schwindelig, dass ich dachte, ich kippe noch um in der ZNA. Und die Nacht auf morgen wird damit per Definition kurz, wenn ich heute erst (hoffentlich) gegen Mitternacht zu Hause sein werde.

Ganz viel Liebe. Du fehlst hier. Immer noch so sehr.
Mondkind

Kommentare

  1. hey, hoffentlich alles soweit okay bei dir? (dein letzter post ist ja nun schon etwas her)

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    1. Hey,
      Danke der Nachfrage. Ich habe ja nun auch gerade beschlossen, mich mal dazu zu äußern; noch bevor ich Deinen Kommentar gelesen hatte. Ich wollte in den letzten Tagen schon immer mal etwas schreiben. Es ist so viel passiert - allein über den letzten Dienst könnte man ein paar Blogposts schreiben. Aber es geht einfach gerade nicht.

      Ich hoffe, ich schaffe es bald wieder. Alle die mich kennen wissen, dass mein Herz sehr an diesem Blog hängt. Und dass es wirklich etwas zu sagen hat, wenn ich aufhöre zu schreiben. Ich gebe mir Mühe, damit es besser wird.

      Mondkind

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